Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1865 - Alte Geschichten
BeitragVerfasst: So 15. Jan 2023, 12:41 
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Folge 1865: Alte Geschichten

Spieltag: Donnerstag, 12.01.2023

Als Murat auf der Rückfahrt vom Großmarkt von der Ulrike-Böss-Straße kommend in die Lindenstraße einbiegt, entdeckt er Andrea, die gerade auf den Eingang der Arztpraxis zueilt, um dem prasselnden Regen schnell zu entkommen. Murat hupt und dreht die Scheibe runter.
„Du bist aber heute früh dran!“ ruft er.
„Will noch ein bisschen liegengebliebenen Kram von gestern nacharbeiten!“ ruft sie.
„Noch Zeit für eine Runde um den Block?“ fragt der Türke. Andrea blickt sich kurz zögernd um, dann hüpft sie auf den Beifahrersitz. Während die beiden noch eine Runde durch Viertel gondeln, sprechen sie sich aus – seit dem letzten Donnerstag hatten sie keinen Kontakt mehr zueinander. Und die Trennung von Murat hat auch Andrea wieder allzu deutlich gezeigt, wie viel er ihr inzwischen bedeutet – und dass sie darauf nicht mehr verzichten möchte.
„Wir werden uns nur noch in meiner Wohnung treffen!“ sagt Andrea bestimmt, als Murat wieder vor der Arztpraxis hält. „Nicht mehr in der Öffentlichkeit und ganz sicher nie wieder in eurer Wohnung. In eurem Bett…“
Murat nickt zustimmend. Dann fragt er: „Heute in deiner Mittagspause?“
Wieder zögert Andrea, doch dann sagt sie zu – und sie freut sich auf den Mittag, als sie kurz darauf mit ihrer Arbeit beginnt. Diese gute Stimmung kann ihr nicht mal Corinna vermiesen, die wenig später mit einem ewig langen Gesicht ebenfalls das Vorzimmer der Praxis betritt und gleich zu meckern beginnt; über das Regenwetter, darüber, dass Andrea die Heizung noch nicht hochgedreht und noch keinen Kaffee gekocht hat – und natürlich über die Bienenstöcke hinter dem Haus, die jetzt im Winter zwar nahezu unbemerkt bleiben, aber demnächst im Frühling wieder eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen werden…
Auch als Iris in die Praxis kommt und ihren beiden Mitarbeiterinnen freundlich einen guten Morgen wünscht, unterlässt Corinna ihr Gekeife nicht und erklärt, dass man keinen guten Morgen haben könne, wenn es draußen wie aus Eimern schütte und man nebenher wegen eines unfähigen Dilettanten unter starken Muskelschmerzen leide, die vermutlich nie wieder weg gingen…
„Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass durch EMS-Training ein bleibender Muskelschaden entsteht“, gibt Iris zurück. „Das wird man auf jeden Fall wieder in den Griff kriegen. Ich hab da einen Kollegen, wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen mal seine Nummer. Er ist Sportmediziner und…“
„Sparen Sie sich das bitte!“ fährt Corinna ihr über den Mund. „Durch meine langjährige Tätigkeit als Medizinische Fachangestellte habe ich selbst eine ganze Menge guter Kontakte und weiß, an wen ich mich mit meinen Problemen wenden kann…“
„Schon gut, schon gut, ich wollte nur helfen!“ Iris hebt beschwichtigend die Hände, während Andrea die Augen verdreht – nicht unbemerkt von ihrer Kollegen.
„Ich habe das gesehen!“ keift Corinna sie sofort an. „Ein bisschen mehr Mitgefühl und Verständnis unter Kollegen darf man ja wohl erwarten!!!“
Murat ist derweil auch gut gelaunt und freut sich auf sein bevorstehendes Treffen mit Andrea, als plötzlich Dagmar in seinem Imbiss erscheint.
„Guten Tag, Murat“, begrüßt sie ihn zaghaft.
„Oh, hallo...Dagmar.“
„Ich… wollte mich nur kurz erkundigen, wie es Lisa geht. Frau Ziegler aus dem Café hat mir erzählt, sie hat Corona!?“
„Ja, aber es geht ihr ganz gut“, berichtet der Schwiegersohn. „Sie hat kaum Symptome. Der zweite Strich beim Test ist auch nur noch ganz dünn, sie wird sich sicher bald freitesten können.“
Dagmar räuspert sich. Ehe sie geht, flüstert sie: „Bestell ihr bitte einen lieben Gruß und gute Besserung.“
Als Dagmar die Treppen zu ihrer Dachgeschosswohnung emporsteigt, ist sie sich ziemlich sicher, dass Murat die Grüße an Lisa nicht ausrichten wird – oder dass diese darüber zumindest nicht erfreut sein wird…
„Sie sehen heute so traurig aus, liebe Frau Hoffmeister“, sagt plötzlich Hermann Benodakt, der ihr auf der Treppe entgegen kommt. „Ist etwas passiert?“
„Ach, nicht direkt“, erwidert Dagmar. „Es ist nur… ich habe das Gefühl, je älter ich werde, desto deutlicher und schmerzhafter werden mir die Fehler meines Lebens bewusst…“
„Nun ja, ich befürchte fast, das geht uns allen so“, schmunzelt Herr Benodakt. „Von was für Fehlern reden Sie den konkret. Wollen Sie sich mit anvertrauen? Vielleicht bei einem kleinen Spaziergang? Ich wollte gerade eine Runde durch den Park machen, der Regen hat endlich aufgehört…“
Zunächst zögert Dagmar, dann überlegt sie es sich aber anders und schließt sich ihrem Nachbarn an.
Als sie unten am Döner-Imbiss vorbei kommen, wundert sich Dagmar, dass der Laden nun plötzlich geschlossen ist – und das ausgerechnet in der Mittagszeit, wo doch Leute, die in ihrer Mittagspause etwas essen wollen, hier Anlauf finden… Nun ja, möglicherweise bringt Murat ja der kranken Lisa gerade was zu essen...
Unterwegs klagt Dagmar Herrn Benodakt ihr Leid über die Versäumnisse ihre Lebens: „Ich habe Lisa von Anfang an nur als Last empfunden, die mir mein Leben zerstört. Und nun, wo ich alt werde, wird mir bewusst, dass sie und ihre Familie doch die einzigen Menschen sind, die ich noch habe… Die ich noch haben könnte, wenn ich… wenn ich sie nicht so schlecht behandelt hätte.“
„Sie würden sich gerne mit Ihrer Tochter aussöhnen“, stellt Hermann Benodakt fest und Dagmar nickt eifrig.
„Aber dafür ist es wohl zu spät“, sagt sie bitter.
„Sie leben, Ihre Tochter lebt. Solange Sie alle noch da sind, ist es für nichts zu spät“, widerspricht Benodakt ihr.
„Aber ich habe so viel verschuldet“, stöhnt Dagmar. „Ich hab Lisa ihrer Kindheit beraubt. Es ist meine Schuld, dass sie zwischen Pflegefamilie, Heim und Psychiatrie hin und her gereicht werden musste. Das werde ich nie wieder gut machen können…“
Sie schweigen eine Weile, bis Hermann Benodakt plötzlich sagt: „Ich bin Schuld am Tod meiner Marie-Luise…“
Dagmar starrt ihn aus großen Augen an. „Ihrer Frau?“ fragt sie und der pensionierte Lehrer nickt traurig.
„Aber was ist denn geschehen?“ fragt Dagmar.
Und so erzählt Hermann Benodakt ihr von seiner Frau Marie-Luise. Und dass sie eigentlich ihr ganzes gemeinsames Leben lang immer auf seine Wünsche und Bedürfnisse Rücksicht genommen und dabei ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse stets in den Hintergrund gestellt hat.
„Marie-Luise war im Grunde ein sehr unternehmungslustiger Mensch“, erzählt er. „Ich hingegen bin da ja eher… verhalten. Ich liebe meine Bücher, ich habe gerne meine Ruhe. Ich bin kulturell interessiert. Das war Marie-Luise auch, auf jeden Fall. Sie hat ebenso gerne gelesen, wie ich. Sie ist gern ins Museum gegangen, ins Theater, in die Oper… Das hatten wir durchaus gemeinsam. Aber Marie-Luise war eben auch ein Naturmensch. Und wollte raus. Und damit meine ich nicht meine täglichen Spaziergänge im Park. Marie-Luise hat von Klettertouren in den Bergen geträumt. Sie hätte gerne mit einem Wohnmobil die Welt bereist. Sie hätte gerne solche Dinge ausprobiert wie Fallschirmspringen oder mit Delphinen schwimmen… Aber sie wusste, dass ich dafür nicht zu haben war und hat meinetwegen auf all das verzichtet. Und dann hatten wir diesen Mallorca-Urlaub gebucht. Wir hatten geplant, ein abwechslungsreiches Programm durchzuziehen, bei dem wir beide auf unsere Kosten kommen. Kultur und Natur. Aber natürlich musste ich alter Sturkopf mich mal wieder querstellen und meine eigenen Pläne in den Vordergrund stellen. Marie-Luise wollte, dass wir einen Tauchkurs besuchen, ich habe das Ganze im letzten Moment abgeblasen und es kam zu einem Streit. Daraufhin ist Marie-Luise ohne mich auf eine Wanderung gegangen.“
Benodakt bricht ab. Dagmar wartet einen Moment, dann fragt sie: „Und… dann?“
„Sie ist nicht zurückgekommen“, presst Herr Benodakt mühsam hervor. „Ich hab zuerst geglaubt, sie sei sauer und wolle mir einen Denkzettel verpassen. Aber als es dann dunkel wurde und jedes Lebenszeichen von ihr fehlte, habe ich mich an die Polizei gewandt.“
Erneut bricht er das Gespräch ab. Schließlich sagt er: „Sie ist eine Steilküste hinabgestürzt und hat sich das Genick gebrochen.“
„Oh mein Gott, wie furchtbar!“ Dagmar presst sich die Hand auf den Mund.
„Ich habe mir das nie verzeihen können“, murmelt Hermann Benodakt.
„Aber es war ein Unfall“, sagt Dagmar. „Das war nicht Ihre Schuld, Sie haben doch nicht gewollt, dass so etwas passiert…“
„Aber wenn ich nicht diesen Streit mit meiner kleinkarierten Sturheit provoziert hätte… wenn ich einmal im Leben auch auf ihre Bedürfnisse Rücksicht genommen hätte… dann wäre das alles nie passiert...“
Schweigend kehren die beiden in die Kastanienstraße zurück.
„Vielen Dank für Ihre Offenheit und für ihr Vertrauen“, sagt Dagmar, als sie im Flur vor ihren Dachgeschosswohnungen angekommen sind.
„Wollen wir uns dieses förmliche Sie nicht zukünftig sparen?“ fragt Benodakt. „Mein Name ist Hermann!“
„Und ich bin Dagmar“, erwidert sein Gegenüber lächelnd.
„Vielleicht sollten wir später noch mit einem kleinen Gläschen Wein darauf anstoßen!?“ schlägt Hermann zaghaft vor.
„Sehr gerne“, entgegnet Dagmar strahlend.
„Oder jetzt gleich?“
„Sehr gerne“, sagt Dagmar nochmal – und die beiden gehen gemeinsam in Benodakts Wohnung...


Sarah hat einen freien Vormittag und ist wild entschlossen, diesen für eine ausgiebige Shopping-Tour zu nutzen. In Tristans Kanzlei hat sie gerade einen neuen Auftrag an Land gezogen, der durchaus lukrativ erscheint: Sie darf ein hippes junges Start-up-Unternehmen bei einem Rechtsstreit mit einer Kundenfirma vertreten und findet, dass sie sich, wenn sie sich nun beruflich in diesen Kreisen bewegen darf, durchaus entsprechend kleiden sollte. Spontan fragt Sarah Jack, ob die Lust hat, sie zu begleiten, doch die steckt in ihrer Werkstatt momentan bis zum Hals in Arbeit und kann sich keinen freien Vormittag freischaufeln.
„Frag doch mal deinen schwulen Wedding-Planer“, meint Jack. „Der hat sicher mehr Ahnung von Mode als ich und kann dich bestimmt Bombe beraten.“
„Erstens ist er nicht MEIN Wedding-Planer und zweiten bereitet der gerade irgend so ein Mega-Event von Neureichen-Hochzeit vor“, erklärt Sarah. „Der hat auch keine Zeit.“
Sarah ist bereits drauf und dran, sich alleine in die Stadt zu begeben, als Lea ihr über den Weg läuft. Die hat gerade im Salon noch ein paar Tage Resturlaub vom alten Jahr und somit Zeit, Sarah zu begleiten. Perfekt, denkt diese sich. Lea ist ja auch durchaus modebewusst. Und zur Freundin vom Chef einen guten Draht zu haben, ist ja sicher auch nicht das Schlechteste…
Und tatsächlich hat Sarah Spaß beim shoppen mit Lea, die ihr ein paar gute Tipps geben kann. Als Sarah, zufrieden mit ihrer Ausbeute, die dritte Boutique an diesem Vormittag verlässt, sagt sie zu Lea: „Also eine Stil-Ikone werde ich in diesem Leben bestimmt nicht mehr. Aber die Sachen sind schon echt nicht übel. Ich bin begeistert. Das hätte ich ohne dich wahrscheinlich gar nicht entdeckt. Vielen Dank!“
In dem Moment schweift Sarahs Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo jemand, der ihr nur allzu bekannt vorkommt, gerade einen Laden betreten will.
„FABIAN?!?“ ruft Sarah überrascht über die Straße.
Und tatsächlich ist es Fabian Feldmann, der Sekundenbruchteile später winkend zu ihnen hinüber kommt. Sarahs Verwunderung löst sich relativ schnell in Luft aus, als Fabian ihr erzählt, dass er es im hohen Norden nicht mehr ausgehalten hat.
„Ich gehöre halt in den Süden“ lacht er. „Da oben an der Küste habe ich mich nie wirklich wohl gefühlt.“
Zur Feier des Wiedersehens lädt Fabian Sarah und Lea in ein Café ein und erzählt von seiner Anstellung als Koch in einer kleinen Imbissbude.
„Ist jetzt nichts Spektakuläres, aber ich verdiene immerhin Geld, um meine Miete zu bezahlen“, sagt er. „Und vielleicht ergibt sich ja bald was besseres!“
„Und wo wohnst du?“ erkundigt sich Sarah.
„Im Hasenbergl“, antwortet Fabian.
„Oh mein Gott!“ entfährt es Lea.
„Naja, schön ist was anderes“, gibt Fabian zu. „Aber die Miete ist bezahlbar.“
Nachdem Sarah erzählt hat, dass sie derzeit wieder bei ihrer Mutter in der Lindenstraße wohnt, beschließen sie, sich bald mal wieder zu treffen – natürlich ganz unverbindlich und rein freundschaftlich.
„Ich kann mich ja nur noch sehr dunkel an ihn erinnern“, überlegt Lea, als sie und Sarah auf dem Rückweg in die Lindenstraße sind. „Ich war ja damals noch ziemlich klein, als du mit ihm zusammen warst. Aber irgendwie… fand ich den immer ein bisschen merkwürdig. Sorry, ich wollte nicht…“
„Ist schon okay“, winkt Sarah ab. „Tja, etwas komisch war er wirklich. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum das dann langfristig doch nicht geklappt hat mit uns.“
„Ist das nicht komisch, ihn jetzt wiederzusehen, deinen Ex?“ fragt Lea. „Ich meine gerade, weil das damals mit euch nicht mehr funktioniert hat.“
„Wir sind gut miteinander“, sagt Sarah. „Und ich freue mich tatsächlich, ihn wiederzusehen…“
„Aber Beziehung 2.0 willst du jetzt nicht mit ihm starten?“ erkundigt Lea sich vorsichtig.
„Nein, über den Punkt sind wir hinaus!“ lacht Sarah.
„Meinst du, er sieht das genauso?“ fragt Lea. „Ich meine… also, so, wie der dich vorhin angeglotzt hat, wäre ich mir da nicht so sicher. Nicht, dass er am Ende mehr von dir willst, als du von ihm und am Ende hat einer die Arschkarte und leidet.“
Sarah wird kurz nachdenklich. Dann allerdings sagt sie: „Ach was, das ist alles so lange her. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Fabian das heute genauso sieht, wie ich…“
Am Nachmittag sitzt Sarah dann in ihrem Büro in der Kanzlei, konzentriert sich auf die Schreibtischarbeit, die ihr aktueller Fall mit sich bringt und hat die Begegnung mit Fabian fast schon wieder vergessen, als es an der Tür klopft und Nico den Raum betritt.
„Sorry, ich hab keinen Termin“, entschuldigt er sich. „Aber ich bräuchte mal deinen juristischen Rat, wenn es geht…“
Sarah bedeutet Nico, sich zu setzen und er erzählt ihr von der Klage, die er zu befürchten hat.
„Ich kenne mich jetzt auf diesem Gebiet nicht ganz so gut aus. Aber ich kann mich mal schlau machen“, bietet Sarah ihm an.
„Da gibt es noch ein Problem“, murmelt Nico zerknirscht. „Ich habe keine Rechtsschutzversicherung.“
„Erstmal eins nach dem anderen“, beruhigt Sarah ihn. „Ein paar Informationen besorgen, würde ich jetzt zunächst mal als Freundschaftsdienst verbuchen.“
Und tatsächlich steht Sarah nach Feierabend bei Nico auf der Matte.
„Ist Angelina auch da?“ erkundigt sie sich.
„Nein, sie hat noch einen geschäftlichen Termin.“
„Gott sei Dank!“ stöhnt Sarah auf. „Sorry, aber sie ist nun mal nicht unbedingt mein Fall…“
„Schon gut“, sagt Nico und bittet Sarah rein.
„Also ich glaube nicht, dass Frau Marx mit ihrer Klage sonderlich viel erreichen wird“, beginnt Sarah schließlich. Seit dem 31.12.2022 benötigt man, um als EMS-Trainer arbeiten zu dürfen einen verpflichtenden Fachkundenachweis nach NiVS.“
„Nach was?“
„Eine Verordnung zum Schutz gegen die nichtionisierende Strahlung bei der Anwendung am Menschen.“
„Aha!“ Nico guckt wie ein Auto.
„So etwas hast du nicht“, stellt Sarah fest und Nico schüttelt zaghaft den Kopf.
„Das Gute ist, dass die angebliche Schädigung bei der Marx vor dem 31.12 zustande gekommen ist“, fährt Sarah fort. „Sie wird also vermutlich nicht wirklich viel erreichen mit ihrer Klage, also nicht, dass du ihr jetzt horrende Summen an Schmerzensgeld zahlen musst oder so. Wenn sie sich auf dieses EMS-Training einlässt, trägt sie auch eine gewisse Eigenverantwortung für das, was passieren kann. Wenn du auf eine Kletterwand steigst, musst du dir auch im Vorfeld bewusst sein, dass das mit gewissen Risiken verbunden ist. Vorausgesetzt, du wirst vorher über diese Risiken aufgeklärt.“
Nico starrt Sarah fassungslos an. „Ich… ich hab die Marx über keine Risiken aufgeklärt.
„Oh!“ macht Sarah nach einem kurzen Schweigemoment – und nun ist es an ihrer Seite, fassungslos zu gucken. Während Nico nervös an seinen Fingernägeln zu kauen beginnt, fängt Sarah sich wieder und erklärt: „Nun, dennoch wird sie dich dafür jetzt nicht in Grund und Boden klagen können. Und zur Not fordern wir halt ein medizinisches Gutachten von einem Facharzt, der für das Gericht arbeitet.“
„Wir?“ fragt Nico. „Heißt das, du übernimmst den Fall? Aber was kostet mich das ohne Rechtsschutz?“
Ohne darauf einzugehen, fährt Sarah fort: „Was für dich ein viel größeres Problem sein wird, sind die neuen Richtlinien, die seit dem 01. Januar gelten. Wenn du deinen Laden behalten willst, dann wirst du vorher die erforderliche Grundqualifikation erwerben müssen. Mit dem bisschen Fachwissen, was du jetzt hast, bist du nicht befugt, dein Geschäft weiterzuführen. Und der Erwerb dieser Grundqualifikation kostet natürlich Zeit und Geld.“
„Und was kommt da auf mich zu?“ fragt Nico bang.
„Das kann ich dir nun wirklich nicht sagen“, lacht Sarah. „Da musst du dich an den entsprechenden Stellen erkundigen.“
„Aber bevor ich diese Grundquali nicht habe, kann ich nicht weitermachen?“
„Es sei denn, du stellst irgendwen ein, der die entsprechende Qualifikation hat!“ schlägt Sarah vor.
„Aber der kostet dann ja auch Geld!“
„Tja, so sieht’s wohl leider aus“, lächelt Sarah schulterzuckend.
„Scheiße!“ murmelt Nico.
In diesem Moment kommt Angelina rein. „Oh!“ entfährt es ihr überrascht. „Du hast Besuch!?!“ Abschätzig mustert sie Sarah von oben bis unten.
„Sarah hat mich rechtlich beraten, wegen der Sache mit der Marx“, erklärt Nico. „Ich fürchte, ich muss dir da ein paar Sachen sagen…“
„Das macht dann mal schön ohne mich“, sagt Sarah und nimmt hastig ihre Jacke und ihre Tasche, um sich zu verabschieden, während Angelina Nico erwartungsvoll (und unheilschwanger) anstarrt…
Als Sarah nach Hause kommt, kommt Anna ihr bereits ihm Wohnungsflur entgegen.
„Wir haben Besuch“, sagt sie grinsend zu ihrer Tochter.
Im Wohnzimmer sitzt Fabian, spielt mit Emil Uno – und strahlt Sarah an. Diese ist nun wirklich überrumpelt.
„Als ich sagte, dass wir uns mal treffen können, hab ich ehrlich gesagt nicht dran gedacht, dass das gleich heute Abend sein würde“, sagt sie. „Ich bin echt ein bisschen müde…“
„Ach, sei doch nicht so unhöflich“, mischt Anna sich ein.
„Soll ich ein anderes Mal wiederkommen?“ fragt Fabian.
„Natürlich bleibst du noch ein bisschen, wo du schon mal hier bist“, hält Anna ihn zurück. Und obwohl Sarah sich auf eine heiße Dusche und einen Abend vor dem Fernseher gefreut hat, lässt sie sich schließlich umstimmen…

„Antonia, wie soll das denn nun mit dir weitergehen?“ Iffi ist immer noch in großer Sorge um ihre Tochter. Bei allem Verständnis für die schlimmen Dinge, die Antonia erlebt hat und die traumatischen Erfahrungen, die sie verarbeiten muss, macht sie sich doch allzu deutlich bewusst, dass Toni zukünftig nicht den ganzen Tag in ihrem Zimmer rumgammeln und nichts tun kann…
„Was meinst du?“ fragt Toni.
„Das Schulhalbjahr ist fast rum und du bist noch keinen einzigen Tag dort gewesen“, jammert Iffi. „Wenn das so weitergeht, wirst du die 11. Klasse zum zweiten Mal wiederholen müssen.“
„Ach so“, sagt Antonia schulterzuckend. „Ich geh nicht mehr zur Schule.“
„Wie bitte?“ Iffi macht große Augen.
„Ich such mir ´nen Job“, erklärt Antonia.
„Du meinst, eine Ausbildungsstelle!?!“
„Nee, einen Job. Kellnern oder so…“
Iffi atmet tief durch. „Antonia, ein Job… Das ist doch nichts fürs Leben. Du musst… du brauchst doch eine Perspektive. Du… du musst… irgendwas aus deinem Leben machen. Du… bei allem, was du erlebt hast… Dass du Zeit brauchst, ist verständlich… Aber… aber…“
Iffi ist verzweifelt, sie weiß einfach nicht, wie es mit Antonia weitergehen soll. Und auch Roland hat nach dem Ende des Hotels immer noch keine neue Anstellung als Koch gefunden. Die Tatsache, dass in ihrer Familie gerade so viel Stillstand herrscht und alles so im Argen liegt, gefällt Iffi ganz und gar nicht…
Eine Weile später sitzt sie bei Andy und Gabi und teilt ihnen ihre anhaltende Sorge über Antonia mit.
„Du musst ihr Zeit lassen“, sagt Gabi auch diesmal wieder. Sie ist blass und sieht mitgenommen aus. Die tragische Geschichte im Hotel hat sie zu einem Schatten ihrer selbst gemacht.
„Ich gebe ihr doch schon seit Wochen Zeit!“ erwidert Iffi. „Aber es muss doch auch mal wieder weitergehen, dieser Stillstand kann doch nicht ewig anhalten!“
„Sie muss des verarbeiten können“, beharrt Gabi auf ihren Standpunkt. „Des geht net von heut auf morgen, des braucht seine Zeit. Sie hat a sehr traumatisches Erlebnis hinter sich. Durch diesen Kerl ist ihr Vertrauen in andere Menschen massiv erschüttert worden. Wahrscheinlich schämt sie sich. Und bestimmt hat sie immer noch Angst, dass so etwas wieder passieren könnt…“
Iffi schlägt die Arme über dem Kopf zusammen und schimpft los: „Angst! Angst! Aus deinem Mund höre ich immer noch Angst! Herrgott, Gabi, das kann doch nicht sein, dass du permanent deine eigene Angststörung auf andere Menschen projizieren musst! Nicht jeder ist so angstgeplagt wie du!“
„Iphigenie Zenker, reiß dich am Riemen!“ poltert Andy los.
„Aber es ist doch wahr!“ kreischt Iffi. „Schau dich doch mal an, Gabi! Du bist seit Wochen ein totales Wrack. Du lässt dich gehen, du verlässt die Wohnung nicht mehr. Himmel, wir haben diese Hotel-Katastrophe doch auch mitgemacht und leben nun trotzdem unser Leben. Aber du igelst dich hier ein!“
„Ich… ich fühl mich hier drin momentan halt einfach sicherer“, flüstert Gabi heiser.
„Aber Gabi, so gesehen kann dir doch überall was passieren!“ beharrt Iffi weiter. „Hier kann auch ein Brand ausbrechen. Oder Einbrecher kommen. Du kannst dich doch nicht in Watten packen und vor dem Leben verstecken!“
„Iphigenie!“ brüllt Andy drohend, während Gabi sich erhebt und mit einem „Ich geh in mein Bett!“ das Zimmer verlässt.
„Großartig, Iphigenie, 100 Punkte auf der Skala zum Gefühlstrampel des Jahres!“ mault Andy.
„Gabi übertreibt total!“ zischt Iffi leise. „Aber du kannst Gabi doch nicht mit Antonia vergleichen. Dass Gabi diese Störung hat ist schlimm, aber Antonia hat so eine Störung nicht. Klar muss sie verarbeiten, was ihr geschehen ist, aber ich finde, das würde ihr am besten gelingen, wenn sie zur Normalität zurückkehren und endlich wieder zur Schule gehen würde! Ich streite gar nicht ab, dass Antonia noch an dem zu knabbern hat, was ihr passiert ist. Aber sie hat doch keine solchen alles beherrschenden Ängste wie Gabi…“
Doch Iffi irrt sich. Tatsächlich hat die erneute Begegnung mit Karim vor einigen Wochen und die Tatsache, dass sie beinahe wieder auf ihn reingefallen wäre, etwas in Antonia zutiefst erschüttert und sie hat schreckliche Angst davor, dass er ihr wieder irgendwo auflauern könnte, wenn sie das Haus verlässt…
Als später Annalena und Lovis vor der Tür stehen und Antonia fragen, ob sie mit zu ihnen kommen möchte, um gemeinsam ein wenig abzuhängen, kann Toni sich jedoch dennoch aufraffen, die Wendlands wohnen schließlich im gleichen Haus, da wird ihr unterwegs schon keiner auflauern…
Nachdem die Mädels eine Weile Musik gehört und gequatscht haben, überlegen Annalena und Lovis, ins Marcellas rüberzugehen. Antonia zögert erneut, schließt sich ihren Freundinnen dann aber doch an. Im Grunde hat ihre Mutter ja recht; irgendwann muss auch wieder ein Stück Normalität in ihrem Leben Einzug halten. Das kurze Stück zum Marcellas – und dann noch in Begleitung – wird sie schon schaffen.
Und tatsächlich genießt Antonia kurze Zeit später die Atmosphäre in dem italienischen Bistro. Es ist halt doch was anderes, als den ganzen Tag zuhause rumzuhängen…
„Ich wäre ja jetzt echt total gerne in Lützerath dabei“, sagt Lovis, die auf ihrem Smartphone gerade durch die News scrollt. „Das ist so eine tolle Aktion. Und so wichtig.“
„Mal wieder eben kurz die Welt retten?“ lacht Annalena. „Mal ehrlich, was bringt es denn? Man bringt sich da nur unnötig in Schwierigkeiten, womöglich sogar in Gefahr. Dann der ganze Stress, der pure Horror. Und am Ende erreicht man eh gar nichts!“
„Wenn jeder so denken würde, wie du…“, murrt Lovis ihre Schwester an.
In diesem Moment serviert Gian-Luca ihnen ihre Getränke und Annalena schmachtet ihn sogleich leidenschaftlich an.
„Den find ich voll süß“, schwärmt sie.
„Der ist doch uralt“, meint Lovis angewidert.
„Höchstens Mitte dreißig“, erwidert Annalena.
„Eben. Uralt!“ fühlt Lovis sich nun noch mehr bestätigt. Alle über 25 sein alt, ab 30 ist man uralt und ab 35 quasi schon Kompost!“
Die Mädels albern weiter rum und obwohl Antonia heute zurückhaltender ist als früher, genießt sie das Zusammensein mit ihrer Freundin und merkt deutlich, wie sehr ihr das gefehlt hat und dass sie so etwas wieder öfter erleben müssen.
Als sie drei Mädchen das Café verlassen, fassen Annalena und Lovis den Entschluss, noch mit dem Bus in die Stadt zu fahren, doch das wird Antonia dann heute doch zu viel.
„Ist es denn okay, wenn du alleine nach Hause gehst?“ fragt Annalena.
„Klar“, erwidert Toni. „Ist ja nur ein Stück.“
Doch nachdem Annalena und Lovis an der Villa in den Bus gestiegen sind und Antonia den Heimweg antritt, beschleicht sie doch wieder ein mulmiges Gefühl. Es ist bereits ziemlich dämmrig und der Eingang zum Park und die dahinter liegenden Überreste der Hotel-Ruine wirken im diffusen Licht unheilschwanger und bedrohlich. Antonia wechselt lieber die Straßenseite, doch als sie sich dem Supermarkt nähert, kommt ihr plötzlich wieder in den Sinn, wie sie dort Karim wiederbegegnet ist und vor ihrem inneren Auge rechnet sie damit, wie er sich vor ihr aus dem Eingang des Supermarktes löst und sie packt. Und dann geht plötzlich alles blitzschnell: Ehe Antonia begreift, wie ihr geschieht, beginnen ihre Knie unkontrolliert zu zittern, der Schweiß bricht ihr aus und sie hat das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Panisch ringt sie nach Atem und merkt, wie die Welt um sie herum sich zu drehen beginnt…
„Üsst denn de Toni heute nüscht müt uns?“ fragt Roland am Abendbrottisch in der Kastanienstraße. „Üsch hob öxtra vögütarüsch für sü gekocht…“
„Wir können ihr ja was aufheben“, beschließt Iffi. „Sie ist mit Annalena und Lovis im Marcellas und da soll sie ruhig auch noch ein bisschen bleiben, wenn ihr das gut tut. Ich bin, ehrlich gesagt, sehr froh, dass sie von sich aus mal wieder was anderes macht, als in ihrem Zimmer die Wände anzustarren. Das ist doch kein Zustand, den ganzen Tag drinnen zu hocken. Am Ende wird sie noch wie Gabi…“
Die beiden essen genussvoll und Iffi schmeckt es mal wieder viel zu gut. Gerade in dem Moment, als Roland aus dem Kühlschrank noch ein Dessert hervorzaubert, klingelt es an der Wohnungstür.
Als Iffi öffnet steht dort eine kreidebleich Antonia in Begleitung von David.
„Hallo!“begrüßt David sie. „Ich habe deine Tochter beim Supermark getroffen. Sie hatte wohl eine Panikattacke, wie es aussieht.“
„Eine… eine Panikattacke?“ fragt Iffi fassungslos und starrt ihre Tochter an, die immer noch zittert wie Espenlaub.
„Und zwar eine ausgewachsene, wenn du mich fragst“, ergänzt David. „Sie stand kurz davor zu hyperventilieren.“
„Aber… aber was ist denn bloß passiert?“ fragt Iffi Toni. „Und wo sind Annalena und Lovis?“
„In… die Stadt… gefahren“, stammelt Antonia. „Ich… ich… wollte… nur… nach… Hause. Und… und dann hab ich… auf… auf einmal… Angst…. gekriegt, dass… Karim… mir… wieder… auflauert….“
„Oh mein Gott!“ ruft Iffi und drückt ihre Tochter an sich. „Es tut mir so leid, Toni! Es tut mir so leid, dass ich nicht begriffen habe, wie sehr dir das alles immer noch zu schaffen macht. Und dass ich gedacht habe, dass du schon weiter wärst. Es tut mir SO leid!!!“

CLIFFHANGER auf: Iffi Zenker, Antonia Zenker

Mitwirkende Personen
Anna Ziegler
Sarah Ziegler
Emil Ziegler
Fabian Feldmann
Lea Starck
Andy Zenker
Gabi Zenker
Iffi Zenker
Nico Zenker
Antonia Zenker
Roland Landmann
Annalena Wendland
Lovis Wendland
Gian-Luca Conti
Angelina Dressler
Hermann Benodakt
Dagmar Hoffmeister
Murat Dagdelen
Andrea Neumann
Dr. Iris Brooks
Corinna Marx
David Krämer
Jack Aichinger

© ´popo wolfson`2023

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1865 - Alte Geschichten
BeitragVerfasst: So 15. Jan 2023, 13:30 
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Registriert: Mi 29. Sep 2010, 00:11
Beiträge: 11587
Auch wieder eine schöne ruhige Folge.
Ich schätze mal, Antonia sollte eine lange Zeit woanders leben, um die Sache zu verarbeiten. Aber
Verwandtschaft, die woanders lebt, haben Iffi und Roland anscheinend nicht. (Apropo: wo ist Onkel Timo eigentlich derzeit? Ist der noch im Knast?)

Und...ach, wie schön...ein Widersehen mit dem Psychopaten Fabian. :lol:


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