Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
Aktuelle Zeit: So 28. Apr 2024, 23:37

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 3 Beiträge ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: Folge 1811 - Chanukka
BeitragVerfasst: So 5. Dez 2021, 08:26 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: Di 14. Sep 2010, 16:04
Beiträge: 10222
Wohnort: Popihausen
Folge 1811: Chanukka

Spieltag: Donnerstag, 02.12.2021


David und Mandy genießen seit einer Woche so intensiv wie möglich ihre Zweisamkeit. Und Mandy ist überglücklich, nachdem sie sich endlich dazu überwinden konnte, sich David zu öffnen. Ihren Kindern Jeremy und Phoebe hat sie allerdings noch nichts von dem neuen Mann in ihrem Leben erzählt, da sie sich nicht sicher ist, wie die beiden darauf reagieren würden… Überhaupt, neuer Mann im Leben. Mandy ist sich selbst nicht sicher, was das ist und was daraus werden wird. Wie viel Leben hat sie überhaupt noch? Und wie ernst wird diese Sache mit David werden? Was sie weiß ist, dass sie im Augenblick einfach nur glücklich ist, dass sie sich wohl fühlt mit ihm und Schmetterlinge im Bauch hat. Mehr kann sie sich zur Zeit selbst nicht beantworten. Und auf diesem Standpunkt lässt sie jeden neuen Tag einfach auf sich zukommen, lässt sich täglich selbst aufs Neue überraschen, wohin das Ganze führt…
Auch nach dieser gemeinsamen Nacht stiehlt sich David in aller Frühe leise aus Mandys Wohnung, ehe ihre Kinder aufwachen. Und auch er ist glücklich mit ihr und beschließt, ganz einfach jeden Tag und jeden Moment zu genießen, statt zu viel an morgen zu denken…
Nachdem Mandy an diesem Morgen Jeremy und Phoebe zum Schulbus geschickt hat, beschließt sie, Iris einen Besuch abzustatten, ehe diese in ihre Praxis geht. Iris hat ihr von Anfang an dazu geraten, sich nicht vor ihren Gefühlen für David zu verschließen – und sie hatte damit ja so recht…
Als Mandy bei Iris und Alex klingelt, herrscht dort allerdings zu solch früher Stunde schon hektisches Treiben.
„Alex ist völlig am rotieren“, erklärt Iris. „Nächste Woche soll der Weihnachtsmarkt steigen, den der Herr zu Hohenlobese im Vorfeld zu seiner Hotel-Eröffnung hier steigen lässt. Das ist alles doch verdammt knapp und es ist noch so viel zu tun.“
„Der Weihnachtsmann hat mir abgesagt“, mault Alex und pfeffert sein Handy in die Ecke. „Beziehungsweise musste er die Segel streichen, weil der Trottel noch nicht geimpft ist. Und zu den Auflagen, die wir einhalten müssen, damit der Hohenlobese-Typ das Event überhaupt durchziehen darf, gehört, dass alle Beteiligten geimpft sind. Du kannst uns nicht zufällig den Weihnachtsmann spielen?“
„Ich? Um Gottes Willen, nein“, sagt Mandy schnell. „Da bin ich wohl die absolute Fehlbesetzung.“
Mandy bedankt sich nochmal bei Iris dafür, dass sie nicht nachgegeben und sie so quasi in Davids Arme getrieben hat. Dann verabschiedet sie sich. Auch Iris begibt sich in ihre Praxis, während Alex hektisch weiter nach einem Weihnachtsmann telefoniert und nebenbei noch hundert andere Dinge zu erledigen hat.
Zur gleichen Zeit sitzt David mit seiner Tante Ines bei einem gemeinsamen Frühstück im Marcellas. Ines hat ihm gerade erklärt, dass sie für ihren Arbeitgeber nun vermutlich doch noch den ganzen Winter in München verbringen wird, obwohl sie die kalten, dunklen Monate eigentlich lieber wieder in Italien verbracht hätte. David erzählt seiner Tante seinerseits von Mandy. Ines hört ihm aufmerksam und nachdenklich zu. Dann sagt sie skeptisch: „David, bist du sicher, dass du dir das antun willst? Eine Beziehung zu einer todkranken Frau… Das hat doch keine Zukunft.“
„Wie bitte?“ fragt David fassungslos.
„Naja“, sagt Ines. „Das ist ein bestimmt ein sehr nettes Mädchen. Aber wenn die so krank ist… Also, das ist doch nichts für dich. Du bist doch noch jung. Und vielleicht willst du ja auch mal Kinder haben… Da brauchst du doch eine gesunde Frau.“
„Hörst du dir selbst mal zu?“ fragt David fassungslos. „Was stimmt eigentlich nicht mehr mit dir?“
„Wie bitte?“ fragt Ines.
„Ich brauche eine gesunde Frau“, wiederholt David. „Du hörst dich ja an wie Hitler. Als nächstes sagst du mir, ich brauche eine arische Frau.“
Empört steht David auf, schnappt sich seine Jacke und verlässt das Marcellas. Ines bleibt leicht verunsichert zurück – auch, weil Marcella zu ihr rübersieht – versucht aber, sich nichts anmerken zu lassen.
Währendessen hetzt Alex immer noch vollkommen unter Strom durch die Gegend und muss sich zunehmend selbst eingestehen, dass er sich mit dieser kurzfristigen Weihnachtsmarkt-Organisation eine Riesenlast aufgebürdet hat. Aber es ist halt auch eine Riesenchance und die will er nutzen. Wenn er bei einem Auftraggeber wie Hubertus zu Hohenlobese einen Stein im Brett hat, kann das nur förderlich für seine weitere Karriere als Event-Manager sein. Um wenigstens schnell was zu essen, eilt Alex schließlich zu Enzo in die Pizzeria, wo auch gerade Angelina einen kleinen Imbiss zu sich nimmt.
„Klappt denn alles mit dem Weihnachtsmarkt?“ erkundigt sich Angelina.
„Ja ja“, erwidert Alex. „Ich bin gerade nur auf der Suche nach einem neuen Weihnachtsmann. Der ursprüngliche Kandidat ist Impfgegner.“
„Ey, mach mir bloß keine Schande“, sagt Angelina grimmig. „Ich hab dich dem zu Hohenlobese schließlich empfohlen. Nicht, dass es jetzt am Weihnachtsmann scheitert, das wäre wirklich mehr als peinlich. Zur Not musst du den selber spielen.“
„Ich finde schon jemanden“, brummt Alex.
„Weißt du noch, Sorella?“ schaltet sich Enzo ein. „Als wir klein waren, hat Onkel Claudio immer den Weihnachtsmann für uns gespielt.“
„Ja, ich kann mich lebhaft erinnern“, murrt Angelina und verdreht genervt die Augen.
„Er hat das richtig gut gemacht“, erinnert Enzo sich strahlend.
„Wo ist er denn eigentlich?“ fragt Alex.
„Er macht ein paar Besorgungen“, erklärt Enzo.
„Und du kämst hier auch ein paar Tage ohne ihn zurecht?“ erkundigt Alex sich.
„Wenn es nicht anders geht, krieg ich das schon hin“, meint Enzo.
„Moooooment“, wirft Angelina alarmiert ein. „Du willst jetzt aber nicht etwa Onkel Claudio…?!?“
Doch genau das hat Alex vor. Und eine gute Stunde später steht sein Deal mit Onkel Claudio. Und der ist hellauf begeistert – ganz im Gegensatz zu seiner Nichte.
„Wenn ihr das verkackt“, droht sie Alex, „dann war das das letzte Mal, dass ich dich irgendwem für irgendwas empfohlen habe…!“



Simone hat am heutigen Morgen einen Termin mit ihrem Verleger. Hans-Jochen Kautz, ein lauter und übergewichtiger Mann, kommt auch gleich zur Sache: „Frau Stadler, wie weit sind Sie denn mit Ihrer Biographie.“
„Äh… ich… also“ , stammelt Simone. „Ich treffe mich täglich mit Herrn Finkelstein und wir arbeiten mit Hochdruck an dem Buch.“
„Mit Hochdruck, so so“, entgegnet Kautz. „Und wann bekomme ich mal etwas von dem zu lesen, was Sie da bisher so verfasst haben?“
„Also wir sind schon noch in der Vorbereitungsphase“, erklärt Simone irritiert. „Wir reden viel, ich mach mir meine Notizen… Aber wir sind noch dabei, das alles zu strukturieren.“
„Nein, nein, nein, das geht so nicht“, sagt Kautz hastig.
„Was meinen Sie?“
„Sie müssen zügiger arbeiten.“
„Zügiger arbeiten?“
„Das Buch muss bis spätestens Anfang Februar fertig sein. Besser noch Ende Januar?“
„Wie bitte???“ Simone starrt ihren Verleger fassungslos an.
„Es muss ja noch lektoriert werden. Und in den Druck. Aber ich will das Buch pünktlich zur Buchmesse im Frühjahr auf den Markt bringen.“
Simone glaubt ihren Ohren nicht zu trauen. „Wieso muss denn das Buch jetzt plötzlich so schnell rauskommen?“ fragt sie vorsichtig.
„Ich hab mir da so eine Kampagne überlegt“, freut sich Kautz. „77 Jahre Kriegsende. 77 Jahre Befreiung der Konzentrationslager und 77 Ende des Nazitums!“
„Aber… warum den ausgerechnet 77 Jahre? Ich meine, wenn es jetzt schon 100 Jahre wären. Aber ob nun 77 oder 78 oder 77,5… Das ist doch wohl gehüpft wie gesprungen.“
„Nein!“ ruft Kautz aus. „Das ist perfekt, einfach perfekt! Es muss im kommenden Frühling erscheinen!“
„Das mach ich nicht!“ sagt Simone bestimmt.
„Wie bitte?“ Kautz wirkt empört.
„Hören Sie, wie stellen Sie sich das denn vor? Das muss doch alles vernünftig vorbereitet werden, sowas kann man doch nicht im Akkord schreiben. Ich bin schließlich keine Drehbuchautorin für eine Daily Soap. Oder die Schreiberin von irgend so einer Groschenroman-Reihe, von der jede Woche ein neuer Teil erscheint.“
„Sie sollten nicht so unflexibel sein“, fährt Kautz Simone an. „Sonst sollte ich das Buch vielleicht tatsächlich von einem Daily Soap-Autor schreiben lassen.“
„Oder ich sollte mir einen neuen Verleger suchen“, faucht Simone.
Es kommt zu einem unschönen Schlagabtausch, der damit endet, dass Kautz Simone die Pistole auf die Brust setzt: Entweder, sie liefert zum von ihm geforderten Zeitpunkt – oder sie ist in seinem Verlag untendurch…
Vor Wut schäumend verlässt Simone das Verlagsgebäude und begibt sich ohne Umschweife zu Ibraim Finkelstein in die Seniorenresidenz. Doch erzählt sie dem alten Mann von ihrem unerfreulichen Gespräch und erklärt: „Okay, gegen den Kautz sind wir eh machtlos. Dieser blöde Fettsack. Das heißt, wir müssen jetzt ranklotzen!“
„Ranklotzen“, wiederholt Finkelstein geistesabwesend.
Und so stürzt sich Simone in die Arbeit – merkt aber sehr schnell, dass Herr Finkelstein heute nicht so bei der Sache ist, wie sonst…
„Ist irgendwas nicht in Ordnung?“ fragt Simone. „Geht es Ihnen heute nicht gut? Oder ist Ihnen das jetzt alles zu schnell? Dieser blöde Kautz. Der hat sie doch nicht mehr alle…“
„Nein, nein, das ist es nicht“, sagt Finkelstein mit trauriger Stimme. „Es ist nur…“
„Es ist nur was?“
„Es ist Chanukka“, erklärt Finkelstein.
„Ist das… was Schlimmes?“ fragt Simone besorgt.
Finkelstein muss nun doch kurz auflachen. Dann erklärt er: „Chanukka ist ein jährliches Lichterfest im Judentum, zu Ehren der Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem.“
„Ooookay“, sagt Simone verwirrt. „Und deswegen machen Sie so ein Gesicht? Mögen Sie Chanukka nicht so? Also ich mag ja auch nicht alle christlichen Feiertage. Fronleichnam finde ich zum Beispiel ganz schlimm, weil… „
„Ich liebe Chanukka“, fällt Finkelstein ihr ins Wort. „Früher in meiner Kindheit war das immer ein rauschendes Fest bei uns zuhause. Später, nach dem Krieg, als ich keine Familie mehr hatte, bin ich an diesen Tagen in die Synagoge gegangen und habe dort mit anderen Menschen der jüdischen Gemeinde gefeiert. Aber das geht ja nun alles nicht mehr…“
„Wegen...Corona?“ fragt Simone.
„Deshalb und weil ich einfach zu alt und gebrechlich bin“, sagt Ibraim traurig. „Auch ohne diese Pandemie würde ich nicht mehr allein in die Synagoge gehen können. Ich sehe ja kaum noch was und bin so schlecht auf den Beinen…“
„Soll ich mit Ihnen dahin gehen?“ fragt Simone. „Ist das heute? Wie spät geht das denn los?“
Finkelstein lacht. „Chanukka geht über acht Tage. In diesem Jahr vom 28. November bis zum, 5. Dezember. Wir sind also sozusagen mittendrin.“
„Na, dann sollten wir mal aufbrechen und feiern gehen“, befindet Simone.
„Selbst wenn Sie mich begleiten und mir helfen würden… Aufgrund der aktuellen Corona-Lage… Also, man würde es sicher nicht gerne sehen hier. Die haben gerade wieder alle große Angst, dass man hier von Außen was einschleppen könnte. Und ich selber habe auch Angst davor. In meinem Alter und mit meinem Gesundheitszustand. Trotz Impfung will ich kein Risiko eingehen. Schon gar nicht mit dieser neuen Omikron-Variante…“
„Verstehe“, sagt Simone nachdenklich. Dann klappt sie ihr Notebook zu und verstaut ihren Notizblock in der Handtasche.
„Was machen Sie?“ fragt Finkelstein. „Ich dachte, wir müssen...ranklotzen?!“
„Ja, morgen wieder“, erklärt Simone, „heute gibt es wichtigeres zu tun!“ Mit diesen Worten stürzt sie aus dem Zimmer. Und während sie nach Stationsschwester Heike sucht, ´findhundet´ sie in ihrem Smartphone bereits nach Chanukka-Bräuchen.
Nach einem ergiebigen Gespräch mit Schwester Heike macht sie sich auf den Weg in die Lindenstraße – sie muss dringend mit Simon sprechen…
Als Finkelstein am Abend zum Essen sein Zimmer verlässt, erlebt er eine große Überraschung: Im Gemeinschaftsraum wurde das elektrische Licht gedimmt, stattdessen brennen mehrere Kerzen und auf den Tischen befinden sich statt des üblichen Abendbrotes gibt es Latkes, eine jüdische Form von Kartoffelpuffern, und mit Gelee gefüllte Krapfen.
„Fröhliches Chanukka!“ ertönt es von Personal, Mitbewohnern und von Simone und Simon, als Finkelstein sich dem Tisch nähert. Der alte Mann bleibt fassungslos stehen. „Was ist denn hier los?“ fragt er heiser.
„Na, es ist doch Chanukka“, jubelt Mitbewohnerin Luise.
„Aber wie… wie haben Sie das denn so auf die Schnelle alles organisieren können?“ fragt Finkelstein Heike.
„Fragen Sie nicht mich, ich habe nichts damit zu tun! Fragen Sie Ihre Gäste!“ Die Stationsschwester deutet lachend auf Simone und Simon.
Finkelstein fehlen vor Rührung die Worte, als er sich an den Tisch setzt – und gemeinsam mit seinen Mitbewohnern das familiärste Chanukka-Fest seit seiner Kindheit erleben darf. Jeder im Raum findet Gefallen an dem jüdischen Lichterfest – selbst der ansonsten ewig mürrische William.
Finkelstein ist immer noch zutiefst gerührt und bedankt sich anschließend überschwänglich bei Simone und Simon dafür, dass sie ihm solch eine schöne Überraschung beschert haben…
Als Simone nach der Chanukka-Feier ins Akropolis kommt, muss sie irritiert feststellen, dass Roland gerade dabei ist, die letzten Gäste wegzuschicken – wegen einer Familienangelegenheit, wie er ihnen erklärt.
„Was ist denn los?“ fragt Simone.
„Dör Vasily üst in der Küsche“, erklärt Roland, „der soll’s dür sölbst sagen.“
In der Küche trifft Simone auf einen aufgebracht telefonierenden Vasily, der anscheinend gerade einen Flug nach Griechenland bucht.
„Was ist denn?“ fragt Simone nach Beendigung des Telefonats.
Vasily schluckt, dann sagt er leise: „Mein Vater ist gestorben! Ich muss morgen früh gleich zu Mutter nach Griechenland.“
„Oh Gott, Vasily“, sagt Simone und umarmt ihren Freund. „Das tut mir so leid…“
Etwas später sitzen Vasily, Simone und Roland im Gastraum und besprechen, wie es während Vasilys Abwesenheit mit dem Lokal weitergehen soll.
„Wür können jötzt inne Vorwäihnachtszeit nischt dön Liden düscht mache“, findet Roland. „Büs Johresönde sünd wör jöden Taach ausgebucht.“
„Aber wie soll das gehen, wenn ich nicht da bin?“ fragt Vasily traurig.
„No, de Küsche höb’sch im Gröff!“ versichert Roland.
„Im Service könnte ich ja mit einspringen“, schlägt Simone vor. „Ich meine, ich muss zwar auch mit meinem Buch reinhauen, wegen Kautz, dem Deppen… Aber irgendwie krieg ich das schon hin.“
„Na alsö“, freut sich Roland. „Und üsch frach noch de Iffi und de Valerie. Und den Konstantin und de Lea… Wenn wür hüür alle mit anpacken und jeder Mal einspringt, dann halten wa den Laden schon am laufen, büs de wüder hüür bist!“
Vasily ist skeptisch, aber auch gerührt darüber, dass man sich für ihn so ins Zeug legt.
„Aber wenn es nicht mehr geht, wenn ihr es nicht mehr ssssafft“, sagt Vasily, „dann sssließt ihr. Auch wenn mir dann das gute Weihnachtsgesssäft durch die Lappen geht...“




„Ich finde, wir sollten Oma Lola über Weihnachten nach München einladen“, schlägt Valerie vor, die sich heute selbst zum Frühstück in die Alten-WG eingeladen hat, um Iffis ständigem Gezeter zuhause zu entfliehen.
Andy verschluckt sich angesichts der Aussage seiner Tochter an seinem Kaffee. „Was???“ japst er atemlos. „Bist du verrückt?“
„Aber warum denn nicht?“ beginnt Valerie sogleich zu nölen. „Ich hab Oma Lola schon so lange nicht mehr gesehen. Und Weihnachten ist doch das Fest der Familie.“
Andy atmet tief durch. „Wir können ja zwischen den Jahren nach Göttingen fahren“, schlägt er vor. „Also, falls Lola damit einverstanden ist. Aber über die Feiertage muss ich sie echt nicht hier haben, das ist mir zu anstrengend.“
„Geh, Andy Zenker, red’ nicht so ein Schmarrn“, fährt Gabi ihren Mann an. „Die Lola ist deine Mutter. Und sie ist 96. Wer weiß, wie lang du sie noch hast! Ich finde, des ist eine sehr gute Idee von der Valerie.“
„Och, Menschenskinder, Gabi, du weißt doch, wie meine Mutter ist“ , jammert Andy. „Sie wird sich in alles einmischen, sie wird alles besser wissen und sie wird die ganzen Weihnachtstage nur für Stress und Chaos sorgen. Und außerdem… wo soll sie denn hin? Popo hat das Gästezimmer, Bruno belagert das Wohnzimmer… Hier ist gar kein Platz mehr für Lola!“
„Sie kann unser Bett haben“, schlägt Gabi vor. „Und wir schlafen a paar Toag auf Matratzen. Ich glaub, wir ham sogar noch a Feldbett im Keller.“
„Das ist doch jetzt nicht dein Ernst!“ stöhnt Andy.
„Ich finde, dass ist eine sehr schöne Idee!“ freut sich Helga. „So viele Gäste über Weihnachten, das ist doch wunderbar. Jetzt müsste nur noch Marion kommen, aber ich fürchte, das wird dieses Jahr wieder nichts…“
Bruno ist der Unterhaltung bislang schweigend gefolgt. Ihm sind Valerie und ihre ganze Art immer noch äußerst suspekt.
„Vielleicht solltet’s ihr die Dame erst oamal fragen, ob sie überhaupt kommen möcht’“, mischt er sich nun doch noch ein.
„Genau“, pflichtet Andy ihm schnell bei. „So eine lange Anreise in dem Alter. Da hat sie sicher keinen Bock drauf!“
Doch Andy irrt. Kurz nach dem Frühstück hängen die drei Zenkers und die neugierige Helga in einem Videochat mit Lola, während Bruno sich lieber dezent im Hintergrund hält. Andy ist äußerst erstaunt darüber, dass seine Mutter überhaupt Internet und einen Laptop hat – und dass sie weiß, wie ein Videochat funktioniert…
„Meinst du, ich bin von vorgestern, mein Sohn?!“ lacht die 96jährige fröhlich in die Webcam.
Lola freut sich über die Einladung nach München und will sich auch sogleich online ein Bahn-Ticket buchen. Andy kann es kaum fassen, denn das Ganze ist wohl tatsächlich bereits beschlossene Sache und er fühlt sich völlig überrumpelt…
Als Gabi später in der Küche rumort und Helga zur Abwechslung mal nicht an ihrer Seite ist, nutzt Bruno den ruhigen Moment, um nochmal das Gespräch mit seiner Tochter zu suchen.
„Du, Gabriele. Ich weiß ja, du willst davon nix hören… Aber ich sag’s dir noch oamal, mit der Valerie, mit der stimmt was net.“
„Ach, geh, Bruno, jetzt hör auf damit“, winkt Gabi genervt ab. „Was hat’s das Madl dir denn jetzt wieder getan?“
„Sie benimmt sich wie a kloanes Kind. Sie manipuliert mit ihrem Hundeblick und ihrer kindlichen Tonlage. Und wenn sie net kriegt, was sie will, dann drückt sie gloach die Tränendrüse.“
„Ach, so a Schmarrn. Die Valerie ist halt a bissl speziell, des hab i dir ja letzte Woche’ schon g’sagt. Aber sooo schlimm, wie du sie nun dazustellen versuchst, ist sie wirklich nicht.“
„I weiß net“, erwidert Bruno. „Ich hab viele sonderbare Menschen kennengelernt in meinem langen Leben. Und die Valerie mit ihrer Art… die versucht doch irgendwas zu kompensieren.“
„Ja, vermutlich haben Sie recht, Dr. Freud“, entgegnet Gabi sarkastisch.
„Nun ja“, beendet Bruno schließlich die Unterhaltung. „I will heute mal den Roland besuchen.“
„Den Roland?“ wundert sich Gabi. „Was willst denn von dem?“
„Na, immerhin ist er der Sohn meiner verstorbenen Schwester“, erklärt Bruno.
„Den du, wenn’s hoch kommt, fünf mal gesehen hast, in deinem Leben“, lacht Gabi.
„Umso wichtiger, dass wir uns endlich besser kennenlernen!“ sagt Bruno entschlossen.
„Bist sicher, dass du nicht nur zu ihm willst, weil die Valerie dort auch wohnt? Und weil du ihr bei der Gelegenheit noch a bissl auf’n Zahn fühlen könnst?“
„Geh, Gabriele, jetzt siehst du Gespenster“, lacht Bruno und lässt seine Tochter stehen.
Als Bruno etwas später die Wohnung verlässt, um sich auf den Weg zu Roland zu machen, stößt er im Treppenhaus mit Anna zusammen, die gerade vom einkaufen kommt.
„Aha“, sagt Bruno und betrachtet sein Gegenüber missbilligend von Kopf bis Fuß.
„Guten Tag“, erwidert Anna und will an ihm vorbei.
„Da schau an“, sagt Bruno. „Manche Leute werden für ein paar Bagatellen lebenslänglich weggesperrt, aber so a Mörderin, die läuft nach ein paar Jahren wieder frei umeinander.“
Anna atmet tief durch und drückt auf den Knopf für den Aufzug – doch der lässt sich wie immer Zeit.
„Wollen’s net mit mir reden?“ fragt Bruno spitz.
„Herr Skabowski“, beginnt Anna. „Das mit Ihrem Sohn, das tut mir sehr leid, wirklich. Aber… es war ein Unfall, ich wollte nicht, dass er stirbt.“
A Unfall, aha“, entgegnet Bruno. „Und es war auch a Unfall, dass Sie danach wegg’laufen sind, ja? Des Sie so getan haben, als wären’s nie dort gewesen, wie?“
„Ich bin verurteilt worden und habe meine Strafe abgesessen.“
„Und damit ist die Sache für Sie erledigt, oder was?“ giftet Bruno. „Sie haben a Leben ausgelöscht. Unwiderruflich. Für immer. Und Sie meinen, mit a Gefängnisstraf’, da is’ des alles wieder vergolten, oder was?“
„Herr Skabowaki, ich…“
„A junges Lebens haben’s ausgelöscht“, Bruno spuckt vor Wut, „Ein junger Mann, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte. Aber Sie leben weiter und tun so, als wär nix…“
„Ich habe mir mehr Vorwürfe gemacht, als Sie sich vorstellen können…“
„Ach, Vorwürfe haben’s sich g’macht? Vorwürfe!? Aber des bringt meinen Jungen auch nicht zurück!“!
Anna atmet erneut tief durch, dann sagt sie: „Ihr Junge, ja? Wo waren Sie denn sein ganzes Leben lang? Sie haben sich doch überhaupt nicht gekümmert. Jetzt tun Sie bloß nicht so, als ob er Ihnen so viel bedeutet hätte.“
Der Aufzug ist endlich da und Anna flüchtet nahezu ins Innere, während Bruno mit weichen Knien im Hausflur zurück bleibt.
Als Bruno etwas später in der Kastanienstraße bei Zenker/Landmann klingelt, muss er von Valerie erfahren, dass momentan sowohl Roland wie auch Iffi auf der Arbeit sind. Bruno macht sich bereit, zum Gehen, doch dann hält er inne und fragt Valerie: „Und müssen Sie nicht arbeiten?“
„Ach, sollen wir uns nicht lieber duzen?“ erwidert diese. „Wir sind doch eine große Familie!“
„Na, meinetwegen.“
„Ich bummel heute Überstunden ab.“
„Sie sind… du bist Krankenschwester, gell?“
„Ja.“
„Des ist bestimmt auch net einfach, was? Grad jetzt, in diesen Zeiten…“
„Nein, aber ich liebe meinen Beruf“, schwärmt Valerie. „Es ist so schön, gutes zu tun und anderen zu helfen.“
„So so“, sagt Bruno skeptisch. „Na, dann will ich dich net länger stören, an deinem freien Tag.“
„Ach, willst du nicht auf einen Kaffee oder Tee reinkommen?“ fragt Valerie.
„Ein anderes mal vielleicht“, verabschiedet sich Bruno eilig – er muss mit dieser merkwürdigen Frau jetzt nicht unbedingt Kaffee trinken…
Als er in die Alten-WG zurückkehrt, erlebt er eine freudige Überraschung: Sarah sitzt am Küchentisch. Er hat sie bereits damals gemocht, als sie mit seinem Sohn zusammen war. Und nach dessen tragischen Tod hat er – trotz seines Hasses auf Anna – seine Sympathien für Sarah nie verloren. Doch die scheint alles andere als erfreut über das Wiedersehen. Und auch Gabi wirkt verstimmt. „Was fällt’s dir eigentlich ein?!“ fährt Letztere ihren Vater auch sogleich an. „Die Anna so zu schikanieren und runterzuputzen! Schämst dich eigentlich nicht?“
„Also, Moment mal“, setzt Bruno an. „Ich hab der Anna lediglich mitgeteilt, dass ich sie nach ihrer Tat so unbehelligt in der Gegend umeinand’ rennt, als sei nix g’schehen!“
„Meine Mutter ist völlig fertig“, empört sich Sarah. „Sie heult die ganze Zeit!“
„Ja, und da soll ich jetzt Mitleid haben?“ fragt Bruno.
Obwohl Gabi und Sarah sein Verhalten vehement kritisieren, bleibt Bruno stur und beharrt auf seinen Standpunkt.
„Bist eigentlich nur hergekommen, um schlechte Stimmung zu machen?“ fragt Gabi. „Die Anna fährst an, die Valerie redest schlecht. Vielleicht solltest sehen, dass du dich mit der Isolde versöhnst und schnell zu ihr zurückkehren!“
„Wenn ich hier unerwünscht bin…“, mault Bruno, schnappt sich seine Jacke und verlässt die Wohnung.
„Es ist ja nicht so, dass ich ihn nicht verstehen kann… irgendwie“, meint Sarah. „Aber die Art und Weise, wie er das rüberbringt. Mama ist echt voll runter mit den Nerven.“
„Bissl schräg drauf ist er schon“, findet Gabi. „Weiß nicht, ob des an der Trennung von der Pavarotti liegt. Oder ob da noch a gute Portion Altersstarrsinn dazu kommt. Auch wenn man’s net glauben kann, aber immerhin wird er nächstes Jahr schon 90.“
Bruno streift inzwischen ziellos durch die Stadt. Seine Auszeit mit Isolde setzt ihm tatsächlich mehr zu, als er zugeben will. Einerseits ist er von ihrer neuen Art, die sie sich seit Beginn der Pandemie zugelegt hat, mehr als genervt. Andererseits vermisst er sie auch. Die gemeinsamen Jahre mit ihr waren schon gut. Und der Sex ebenfalls, obwohl beide unlängst die 80 überschritten habe. Aber Bruno ist stolz darauf, in seinem Alter immer noch ein halbwegs potenter Mann zu sein – und auch noch Lust darauf zu verspüren. Und da er halt, trotz seiner 89 Jahre, immer noch ein Mann ist – und sein letztes Mal mit Isolde inzwischen auch mehrere Wochen zurück liegt – führt ihn an diesem Abend sein Weg in ein Bordell. Die Prostituierte, bei der er einkehrt, ist nun auch nicht mehr ganz taufrisch. Also bei weitem keine 30 mehr. Aber im Vergleich zu ihm immer noch ein blutjunges Küken…
Während sich die Dame nach dem Geschlechtsakt hinter einen im Zimmer aufgestellten Paravent begibt, räkelt sich Bruno noch auf dem Bett.
„Wenn du noch länger bleiben willst, muss ich dir das aber extra berechnen“, sagt die Prostituierte.
„Na, na, ich geh sofort“, seufzt Bruno.
„Keinen Bock auf zu Hause?“ fragt sie. „Stress mit deiner Frau?“
„Mit der Tochter“, erwidert Bruno.
„Mit der Tochter?“
„Ja, bei der wohne ich zur Zeit“, erklärt Bruno. „Die letzten Jahr hab ich in Italien verbracht. Hätte mir auch net träumen lassen, dass ich nochmal für längere Zeit in die gute, alte Lindenstraße zurück komme…“
„In die Lindenstraße?“ Die Prostituierte tritt hinter ihrem Sichtschutz hervor. „Das ist ja interessant. Wie klein die Welt doch ist. Da hab ich nämlich auch mal ein Weilchen gewohnt. Und es war jetzt nicht unbedingt die beste Zeit meines Lebens“, sagt Pia Lorenz…

CLIFFHANGER auf: Pia Lorenz

Mitwirkende Personen
Vasily Sarikakis
Simone Stadler
Roland Landmann
Simon Schildknecht
Bruno Skabowski
Gabi Zenker
Andy Zenker
Valerie Zenker
Lola Zenker
Helga Beimer
Anna Ziegler
Sarah Ziegler
Alex Behrend
Dr. Iris Brooks
William Brooks
Ines Krämer
David Krämer
Mandy Peschke
Jeremy Peschke
Phoebe Peschke
Claudio Russo
Angelina Dressler
Enzo Buchstab
Marcella Varese
Pia Lorenz
Luise Fröhlich
Ibraim Finkelstein
Heike Schiffer
Hans-Jochen Kautz

© ‚popo wolfson` 2021

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags:
Verfasst: So 5. Dez 2021, 08:26 


Nach oben
  
 
 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1811 - Chanukka
BeitragVerfasst: So 5. Dez 2021, 10:06 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: Mi 15. Sep 2010, 12:37
Beiträge: 10006
Die Pia Lorenz, du meine Güte, die hatte ich auch komplett vergessen.


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1811 - Chanukka
BeitragVerfasst: So 5. Dez 2021, 13:20 
Offline

Registriert: Mi 29. Sep 2010, 00:11
Beiträge: 11587
oh, das war wieder eine wunderbare Folge, liebe Popo. Die Folge passt sehr zum zweiten Advent. Mir hat sie von vorne bis hinten sehr gut gefallen. Ich bin derzeit auch gerade etwas melancholisch, weil ich anscheinend irgendwie wiedermal feststellen muss, wie die Jahre so vorbeiziehen und das einem mal wieder so plötzlich bewusst wird, während man anscheinend jahrelang oder mehr oder minder in einer Illusion lebt.
Ich war erstaunt, wie alt Bruno schon ist. Aber ich bin sehr froh, dass er in der Lindenstrasse noch lebt. Ich mochte ihn immer. (Auch weil es eine Figur war, die man einfach nicht durch einen anderen Schauspieler austauschen kann.) Und ich kann auch verstehen, dass er einen Groll gegen Anna hat. Ich bin sehr gespannt, wie es so weitergeht v.a. im Hause Zenker (- Beimer) und überhaupt. Hoffentlich bleibt Bruno noch ein Weilchen.
Mich hat auch sehr der erste Strang um Herrn Finkelstein und das jüdische Fest berührt. Obwohl die Figur des Herrn Finkelstein erst durch dich in die Lindenstrasse gekommen ist und wir sie hier nur in der eigenen Phantasie sehen können, habe ich eine Beziehung zur ihm aufgebaut. Und mir gefällt, dass gerade ein Adventssonntag mit der längst verflossenen Kindheit eines alten einsamen Mannes und einem alten Brauch aus seiner Religion verknüpft wurde.
Dass Deine Folgen so eine Tiefe haben, ist wunderbar. Und eben auch immer wieder die Leichtigkeit.
Dass Du den Tod des Panaiotis Sarikakis Darsteller mit eingebaut hast und man dadurch dem Schauspieler und der Figur gleichzeitig gedenkt, finde ich auch richtig gut.


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 3 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde


Wer ist online?

0 Mitglieder


Ähnliche Beiträge

Folge 1811 - Chanukka
Forum: Lindenstraße morgen
Autor: popo wolfson
Antworten: 1

Du darfst keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du darfst keine Dateianhänge in diesem Forum erstellen.

Suche nach:
Gehe zu:  
cron
Powered by phpBB® Forum Software © phpBB Group


Bei iphpbb3.com bekommen Sie ein kostenloses Forum mit vielen tollen Extras
Forum kostenlos einrichten - Hot Topics - Tags
Beliebteste Themen: Quelle, NES, Haus, Erde, Liebe

Impressum | Datenschutz