Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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BeitragVerfasst: So 6. Jun 2021, 06:54 
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Folge 1785: Die Bratpfannenmörderin

Spieltag: Donnerstag, 03.06.2021 (Fronleichnam)


Als Helga am Morgen den Müll rausbringt, trifft sie im Hof bei den Mülltonnen Marcella.
„Guten Morgen, Frau Varese.“
„Morgen, Frau Beimer.“
„Ach, sagen Sie, Frau Varese“, beginnt Helga neugierig, „Popo hat mir erzählt, dass Sie wieder ein eigenes Cafe eröffnen möchten? Im George... ist das richtig?“
„Ja“, erwidert Marcella. „Ich hab es satt, ich will nicht mehr Teil dieser Kette sein, ich möchte wieder was eigenes machen.“
„Und wann geht’s los?“ bohrt Helga weiter.
„Keine Ahnung“, antwortet Marcella. „Ich hab mit Herrn Hülsch gesprochen, ob George die Räumlichkeiten an mich abtritt. Der meint, dass die Chancen nicht schlecht stehen, weil die Filiale hier deren Meinung nach wohl nicht ihren Vorstellungen genug abwirft. Aber geäußert haben die sich noch nicht. Ich hab auch keine Ahnung, was das alles kosten wird. Ich hab mich schon bei der Bank beraten lassen, aber solange ich nicht weiß, ob ich den Laden und dann hoffentlich auch einen Teil des Inventars übernehmen kann, sind mir erstmal ziemlich die Hände gebunden.“
„Aber wenn das klappt, dann werden Sie doch hoffentlich auch Popo übernehmen?“ will Helga wissen.
„Versprochen“, sagt Marcella – in erster Linie, um die nervende Helga endlich los zu werden. Diese ist zunächst befriedigt durch die Antwort und geht wieder rauf in die Wohnung.
Als Helga kurz darauf gemeinsam mit Andy, Gabi und Popo beim – in Anbetracht des heutigen Feiertages etwas verspäteten Frühstück sitzt, teilt Helga Popo fröhlich mit, dass Marcella ihr quasi bereits einen Job in ihrem zukünftigen Cafe angeboten hat. Die Tatsache, dass Helga eher um diesen Job gebettelt hat, verschweigt sie.
„Oh, ich weiß gar nicht, ob ich will haben einen neuen Job bei Marcella“, erwidert Popo. „Denn Mr. Hülschi hat mir schon versprochen, wenn this branch here is closed, ich kann auf jeden Fall Job kriegen in eine andere George-Cafe.“
„Mr. Hülschi????“ fragt Helga fassungslos.
„Oh, he is so sweet to me“, schwärmt Popo von Herrn Hülsch. Andy verschluckt sich an seinem Frühstück und sagt nach einem Hustenanfall: „Aha, ich bin hier der grumpy old man, aber Herr Hülsch... oh, Verzeihung, Herr HÜLSCHI ist sweet. Hah, selten so gelacht.“
„Er ist very charmant in die Gegensatz zu dir“, zickt Popo ihn an.
„Dieser Mann hat mal eine Frau vergewaltigt“, bringt Helga mit unheilschwangerem Unterton auf den Tisch. Popo stutzt einen Moment, dann sagt sie: „Oh no, nicht Mr. Hülschi, that's impossible. Du musst dich irren.“
„Ich möchte nur, dass du vorsichtig bist“, erwidert Helga. „Dieser Mann ist gefährlich!“
„Ich kann sehr gut auf mich aufpassen“, wehrt Popo Helgas Sorge ab.
Doch Helga gibt nicht auf. „Und auch ohne diese... Vorgeschichte, wäre Herr Hülschi viel zu alt für dich... äh, ich meine natürlich Herr Hülsch! Der könnte ja dein Großvater sein!“
Popo blickt belustigt zwischen Andy und Gabi hin und her und meint dann: „I think, Grumpy old Andy könnte auch der Grandpa von Gabi sein!“
Während Gabi diese Äußerung sehr belustigend findet, verschluckt Andy sich ein zweites Mal und poltert dann los!Um die Stimmung am Frühstückstisch zu retten, wechselt Gabi schnell das Thema. „Im übrigen bekommen wir heute Nachmittag Besuch von der Ines!“
„Auch das noch“, knurrt Andy gereizt.
„Was, die Ines?“ fragt Helga überrumpelt. „Warum sagst du mir das denn jetzt erst? Da hätte ich doch einen Kuchen backen können, jetzt hab ich gar nichts im Haus und die Geschäfte haben alle zu...“
„Wir haben vorhin telefoniert, da hat sich das ganz spontan ergeben“, erklärt Gabi entschuldigend. „Die Ines ist beruflich so wahnsinnig stark eingespannt. Aber des is doch net schlimm, ich hol und was aus'm Bayer...“
„Aber das ist doch nicht dasselbe wie selbstgebacken“, jammert Helga enttäuscht, während Popo nur froh ist, dass damit das Hülsch-Thema erstmal vom Tisch ist...
Als Ines am Nachmittag kommt, würde Andy sich am liebsten verdrücken, doch Gabi und Helga nötigen ihn, ebenfalls an der Kaffeerunde teilzunehmen. Und Popo, die heute im George frei hat, gesellt sich in Ermangelung einer anderen Beschäftigung ebenfalls dazu.
Ines wirkt heute noch aufgekratzter und fremdgesteuerter, als bei ihrem letzten Besuch. Sie erzählt euphorisch von ihrem anspruchsvollen, zeitintensiven aber auch sehr befriedigenden Job in ihrem Unternehmen, wie wahnsinnig viel sie dort zu tun hat und dass sie darin endlich ihren wahren Lebensinhalt gefunden hat.
„Aber man muss ja auch mal ausspannen“, gibt Helga zu bedenken.
„Na, des kann I net“, sagt Ines. „Früher schon, da war ich viel trutschiger als heut'. Jetzt hab ich gemerkt, wie wichtig mir des is, was sinnvolles zu tun und viel zu schaffen! Dies alte Sprichwort 'Arbeit macht frei', des is schon richtig!“
„Stammt das nicht aus dem dritten Reich?“ knurrt Andy. „Als Rechtfertigung dafür, dass sie die Juden in den KZs ausbeuten konnten?“
„Aber Andy!“ fährt Gabi ihn an.
„Was strebst du denn noch für berufliche Ziele in deinem Leben an?“ fragt Ines nun Popo.
„Strebts an?“ fragt diese irritiert. „Was bedeutet das?“
„Was für eine Karriere möchtest du mal machen?“ drückt Ines sich verständlicher aus.
„Oh, career!“ begreift Popo nun. „No career! Ich will eines Tages erben die Erbe von meiner Mom. Von Tante Betty. Sie hat Mom viel Geld hinterlassen. Oder ich gewinn in die Lotto! Oder ich heirate a millionaire. Anyway, ich will nicht hard work, dafür ist mir meine Zeit zu schade. Ich will leben und glücklich sein und relaxen.“
„Aber das macht einen auf Dauer doch nicht glücklich, so ein Müßiggang“, widderspricht Ines fassungslos.
„Müsligang?“ fragt Popo. „Was ist das nun wieder? Ihr habt wirklich funny words in die deutsche Sprache...“
„Man muss eine sinnvolle Aufgabe finden, um glücklich zu werden und sich nützlich zu fühlen“, erklärt Ines.
„Oh no“, widerspricht Popo weiter. „Ich finde es sehr sinnvoll, zu leben ohne problems und ohne duties in die Tag hinein, ich fühle mich sehr glücklich, wenn ich faul hänge herum und das ist nützlich genug for me!“
Ines ist völlig konsterniert von dieser Aussage. „Aber das kann doch nicht der Sinn deines Lebens sein! Du musst doch, wenn du irgendwann im Alter zurück blickst, sagen können, dass du in deinem Leben etwas geschafft und geleistet hast!“
„Chillen in the sun, Shopping in the city, reisen durch die Welt... Da habe ich schon ziemlich viel geschafft, finde ich“, widerspricht Popo weiter.
Die Diskussion zieht sich noch eine ganze Weile fort: Ines verteidigt vehement ihren Standpunkt, dass die Essenz eines erfüllten Lebens harte Arbeit ist, Popo beharrt auf ihren „Müsligang“ und Helga und Gabi plädieren für eine goldene Mitte, während Andy das Ganze zunehmend amüsant findet und nun doch froh ist, sich nicht abgesetzt zu haben. Als Ines sich verabschiedet und Gabi ihr das Versprechen abringt, dass bis zu ihrem nächsten Treffen nicht wieder so viele Wochen verstreichen dürfen, entfährt es Popo: „Oh my god, this is a very strange woman!“
„Hah!“ lacht Andy, „Ja, da muss ich dir ausnahmsweise mal voll und ganz recht geben. Der hat doch einer ins Hirn geschissen! Was ist denn bloß mit ihr passiert?“
Auch Gabi und Helga sind sich einig, dass Ines sich irgendwie auf sonderbare Weise verändert hat, dass sie nicht mehr viel mit der etwas tolpatschigen Ines zu tun hat, die sie früher einmal war...

Angelina ist zuversichtlich, dass bald wieder mehr Ordnung in ihr Leben einkehren wird: Onkel Claudio ist heute, trotz Feiertags, mit Anna verabredet, um die Übergabe des Ladens unter Dach und Fach zu bringen und am Wochenende wird Enzo endlich nach Deutschland zurückkehren. Angelina hofft, dass er ihr dann den anstrengenden Onkel vollständig abnimmt und sie sich endlich voll und ganz auf ihr Hotel-Projekt konzentrieren kann – und hoffentlich auch bald einen zahlungswilligen Interessenten findet, nachdem der Vertrag mit Hubertus zu Hohenlobese nicht zustande gekommen ist.
Claudio ist sehr enthusiastisch, als er mit Anna die Schlüsselübergabe über die Bühne bringt. Anna indes ist doch ein bisschen wehmütig, ihren Pralinenladen wieder aufzugeben, aber sie weiß, dass es die richtige Entscheidung ist.
„Ich hab uns auch eine schönen Flasche Rotwein mitgebracht“, erklärt Claudio plötzlich feierlich. „Ist aus meiner Heimat Calabrien. Auf diesen großen Tag heute müssen Sie einfach mit mir anstoßen.“
„Oh, es ist mir eigentlich noch zu früh für Alkohol“, meint Anna mit einem Blick auf die Uhr. „Aber gut, ein kleines Gläschen, aber mehr nicht.“
Die beiden stoßen an und Anna verabschiedet sich nach ihrem Glas Wein von Claudio und wünscht ihm alles Gute für sein Geschäft. Claudio bleibt noch alleine in seinem neuen Lokal zurück, schaut sich zufrieden um – und beginnt zur Feier des Tages den restlichen Wein direkt aus der Flasche zu trinken...
Derweil sitzt Angelina in ihrem Arbeitszimmer am Schreibtisch, als es plötzlich sehr intesiv an ihrer Wohnungstür zu klingeln beginnt. Als Angelina genervt öffnet, steht Seegers im Treppenhaus.
„Was verschafft mir jetzt die zweifelhafte Ehre?“ fragt Angelina bissig. „Noch dazu am Feiertag.“
„Ist das wahr?“ spuckt Seegers wutentbrannt hervor. „Hast du den zu Hohenlobese vergrault?“
„Ich habe überhaupt niemanden vergrault“, verteidigt Angelina sich.
„Und warum musste mir dann zu Ohren kommen, dass das Geschäft mit ihm nun nicht zustande kommt“, faucht Seegers weiter. „Wie blöd bist du eigentlich, dass du einen so zahlungswilligen Partner verlierst?“
„Jetzt mal ganz langsam und der Reihe nach“, sagt Angelina so ruhig, wie es ihr möglich ist, doch innerlich bebt sie bereits vor Wut. „Erstens: Ich habe Herrn zu Hohenlobese nicht vergrault. Er ist von sich aus von dem Projekt abgesprungen, weil er andere Interessen hatte als wir...“
„Wir kannst du nur so dumm sein...?“ fährt Seegers schäumend dazwischen.
„Zweitens“, unterbricht Angelina ihn, „haben wir das ganz alleine dir und deinem Hampelmann zu verdanken. Ihr musstet ja unbedingt reinplatzen, als ich meinen Begehungstermin mit Herrn zu Hohenlobese hatte und dein Hampelmann musste ihm dann ja unbedingt auch noch Lohmaiers alten Hotelpläne präsentieren. Dadurch war Herr zu Hohenlobese dann plötzlich der Meinung, dass er gerne ein kleineres Hotel im Stile von Lohmaier in seiner Kette hätte und wollte es dann auch dementsprechend nach den alten Plänen realisiert haben. Aber das ist nicht in unserem Sinne, auch nicht in deinem Sinne, das damit können wir nicht annähernd den Gewinn erzielen, den wir mit einem Hotel nach den neuen Plänen von Frau Harnisch erzielt hätten. Davon mal abgesehen, war meine Architektin überhaupt diejenige, die diesen Kontakt erst hergestellt hätte. Ohne Frau Harnisch und mich hätten wir einen Partner wie Hubertus zu Hohenlobese nicht mal in Aussicht gehabt. Und dass der Deal nun geplatzt ist, dass ist ganz alleine die Schuld von deinen unnötigen Einmischungen und der Unfähigkeit von deinem Hampelmann.“
Seeger will etwas erwidern, allerdings fällt ihm keine passende Gegenargumentation ein und so klappt lediglich sein Mund ein paar Mal auf und zu, wie bei einem Fisch, der auf dem Trocknen liegt und nach Luft schnappt.
„Ich weiß nicht, was diese Aktion wieder sollte“, setzt Angelina ihren Vortrag fort, nachdem von Seegers nichts kommt. „Du hast mir versichert, dass du dich nicht einmischt und mir völlig freie Hand lässt. Aber natürlich hältst du dich nicht dran und versaust uns so das beste Geschäft, was wir hätten machen können. Und dann besitzt du auch noch die bodenlose Frechheit, hier aufzutauchen und mir vorzuwerfen, dass das alles meine Schuld wäre. Unglaublich, wirklich unglaublich!“
Seegers steht da und starrt Angelina an wie ein Schaf wenn's donnert. Schließlich schluckt er, räuspert sich und sagt kleinlaut: „Ich denke, du weißt, was zu tun ist. Du und deine Architektin, ihr werdet bestimmt noch einen anderen zahlungskräftigen Interessenten finden, ich habe da vollstes Vertrauen zu euch.“ Und ohne ein weiteres Wort, wie ein Hund mit eingekniffenem Schwanz, zieht er von dannen. Angelina kann, trotz der Niederlage mit zu Hohenlobese, zumindest diesen kleinen Triumph genießen. Einen Phil Seegers so kleinlaut zu sehen, ist einem schließlich auch nicht alle Tage vergönnt.
Angelina setzt sich wieder an ihren Schreibtisch, genießt die Ruhe, die ohne Onkel Claudio in ihrer Wohnung herrscht und kann tatsächlich noch eine ganze Weile konzentriert arbeiten, ehe sie durch Geräusche im Wohnungsflur unterbrochen wird. Als sie nachsieht, entdeckt sie einen schwankenden und von Nico gestützten Onkel Claudio.
„Ist er schon wieder betrunken?“ fragt Angelina fassungslos.
„Ich hab ihn so unten in seinem Laden vorgefunden“, erklärt Nico.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ keift Angelina los. „Onkel Claudio, was soll das denn? Du wolltest doch nur die Geschäftsübernahme mit der Ziegler machen, wie kannst du denn da jetzt wieder besoffen sein?“
„Darauf... musste... ich... anstoßen!“ lallt und hickst Onkel Claudio und kann sich kaum auf den Beinen halten.
„Ich fasse es nicht!“ Angelina rauft sich die Haare. „So wird das nichts! So wird das nie was! Wie willst du denn ein Geschäft aufbauen und führen, wenn du dir ständig die Kante gibst?“
Als Onkel Claudio kurz darauf im Bett liegt und laut schnarchend seinen Rausch ausschläft, unterhält sich Angelina mit Nico über Seegers' heutigen Auftritt und darüber, dass sie nicht weiß, wie es mit ihrem Onkel weitergehen soll und dass sie das Startkapital auch direkt im Ofen hätte verfeuern können, denn so wird Claudio seine neue Pizzeria sowieso um Handumdrehen in den Ruin wirtschaften. Plötzlich klingelt es wieder an der Tür.
„Wenn das jetzt wieder Seegers, dieser blöde Sack ist“, schimpft Angelina und erhebt sich. Doch als sie die Tür öffnet, erlebt sie zur Abwechslung mal eine positive Überraschung.
„ENZO!“ ruft sie begeistert und fällt ihrem Bruder um den Hals. „Ich dachte, du kommst erst am Wochenende!?“
„Ich wollte dich überraschen, Sorella“, erklärt Enzo seiner Schwester. „Dich und Onkel Claudio.“
„Falsches Thema, ganz falsches Thema!“ motzt Angelina und verzieht das Gesicht. Als Enzo sie fragend sind, klärt Angelina ihn über Claudios neueste Eskapade auf und zeigt ihm schließlich den schnarchenden Onkel im Bett.
„Jetzt bin ich ja auch da. Wir kriegen das schon hin“, meint Enzo zuversichtlich.
„Na, dein Wort in Gottes Ohr“, sagt Angelina zweifelnd...



Simone verbringt das lange Wochenende nach dem heutigen Fronleichnams-Feiertag in München bei Vasily. Und obwohl der Grieche an einem Wochenende wie diesem alle Hände voll in seinem Lokal zu tun hat, hofft er, zwischenzeitlich möglichst viel Zeit mit ihr zu zweit verbringen zu können. Doch bereits an diesem Morgen wird Vasily enttäuscht, denn als er aufwacht, ist Simone gar nicht mehr im Bett. Er findet sie am Küchentisch an ihrem Laptop.
„Was machst du denn hier schon so früh?“ fragt Vasily. „Komm wieder ins Bett.“
„Gleich“, antwortet Simone. „Ich muss echt mal ein bisschen was tun. Mein Verlag sitzt mir im Nacken, ich muss meinen Roman fertig kriegen.“
„Aber du kannst doch noch den ganzen Tag schreiben“, erwidert Vasily. „Ich muss nachher sowieso ins Lokal.“
Vasily stellt sich hinter Simone und wuschelt ihr durch die langen Haaren.
„Lass das doch mal“, wehrt sie ihn genervt ab. „Ich hab grad echt keinen Nerv für sowas. Ich bin echt voll im Stress, ich hab eine Schreibblockade.“
„Dann kannst du ja auch wieder ins Bett kommen“, grinst Vasily.
„Das ist nicht lustig“, murrt Simone. „Ich komme überhaupt nicht vom Fleck mit meinem Plot!“
Vasily sieht schließlich ein, dass er Simone gerade nicht weg bekommt von ihrer Arbeit und kehrt grummelnd ins Bett zurück. Als er eine Weile später in die Küche zurück kommt, um Frühstück zu machen, ist Simone immer noch nicht maßgeblich weiter gekommen – was sich nicht gerade positiv auf ihre Stimmung auswirkt.
„So eine verfickte, verfuckte Scheiße!“ flucht sie, rauft sich die Haare und knallt wütend den Laptopdeckel runter. „Oh, Fuck! Ich hab nicht abgespeichert!!!“ Hektisch klappt sie den Laptop wieder auf, um nervös zu überprüfen, ob die mühsamen kläglichen Ergüsse der letzten Stunden noch vorhanden sind.
„Was ist denn nur los?“ fragt Vasily besorgt.
„Ach, das ist halt alles Scheiße“, mault Simone und erläutert Vasily kurz die beiden möglichen Plots ihres neuen Krimis.
„Und was ist verkehrt daran?“ will Vasily wissen.
Simone atmet laut aus. „Na, das eine ist so simpel, da weiß nach zehn Seiten jeder, wer der Mörder ist und welches Motiv er hat. Und das andere ist so dermaßen an den Haaren herbeigezogen, das kauft mir doch kein Mensch ab. Sowas von unrealistisch...“
„Nun ja“, meint Vasily. „Soooo unglaubwürdig ist das nun auch nicht. Im echten Leben passieren manchmal viel unglaublichere Dinge.“
„Zum Beispiel?“ fragt Simone.
„Hier in der Straße“, erzählt Vasily geheimnisvoll. „Da hat ein 13jähriges Mädchen mal einen ehemaligen Priester mit einer Bratpfanne erschlagen. Und weil ihr volljähriger Freund vorbestraft war, haben die beiden ihn auf die Bahngleise gelegt, um es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen.“
Simone starrt Vasily ungläubig an. „Willst du mich verarschen?“
„Es hat Jahre gedauert, bis die ganze Wahrheit ans Licht gekommen ist.“ Und dann erzählt Vasily ihr die ganze tragische Geschichte von Lisa, Olli und Matthias Steinbrück.
„Und was ist aus diesem Mädchen geworden?“ will Simone wissen, nachdem Vasily seine Ausführungen beendet hat.
„Sie lebt hier in der Straße“, antwortet Vasily. „Im Haus Nr. 3. Ihr Mann hat die Shisha-Barx in der Kastanienstraße und sie selbst arbeitet als Arzthelferin bei Frau Dr. Brooks.“
„Im ernst jetzt?“ fragt Simone.
„Sie hat auch schon dort auch damals schon für deinen Bruder gearbeitet“, erinnert sich Vasily an Ernestos Zeit in der Lindenstraße.
„Die ist nicht irgendwie im Knast gelandet?“ fragt Simone verwundert.
„Sie war minderjährig. Und es war wohl eher ein Unfall als wirklich Mord oder Totschlag.“
„Oder in der Klapse?“ bohrt Simone weiter. „Ich meine, wie verkraftet ein Kind denn sowas?“
„Darüber, ob sie nicht wirklich in die Klapse gehört, teilen sich die Gemüter,“ schmunzelt Vasily.
Simone ist nun nachdenklich geworden. Diese verwegene Geschichte interessiert sie und spukt auch weiter in ihrem Kopf herum, während Vasily sich an seine Tagewerk macht und sie selbst weiterhin vor ihrem Laptop hockt. Und plötzlich entspringt ihrer Phantasie eine verrückte Idee...
Nachdem Simone sich kurz darauf nochmal bei Vasily im Akropolis erkudigt hat, wo genau denn die Dagdelens wohnen, macht sie sich auf zum Haus Nr. 3 und klingelt dort im 3.Stock.
„Entschuldigen Sie bitte die Störung, meine Name ist Simone Stadler“, stellt sie sich vor, als ihr Lisa die Tür öffnet.
„Stadler?“ fragt Lisa verwundert. „Sind Sie verwandt mit...?!
„Ja, der Adi ist mein Papa“, fällt Simone ihr ins Wort. „Und Ernesto ist mein Bruder. Für den haben Sie ja auch mal gearbeitet, oder?“
„Ja“, sagt Lisa zögerlich und kann sich immer noch nicht erklären, was dieser überraschende Besuch soll, während Simone sie neugierig von oben bis unten mustert und dann meint: „Ich hab Sie mir irgendwie ganz anders vorgestellt.“
„Aha“, entgegnet Lisa und fühlt sich plötzlich ein wenig Unwohl in Gegenwart dieser sonderbaren Frau, die offenbar die extrovertierte Aufdringlichkeit ihres Vaters geerbt hat.
„Darf ich vielleicht reinkommen?“ fragt Simone. „Hier zwischen Tür und Angel redet's sich so schlecht.“
„Worum geht’s denn überhaupt?“ fragt Lisa zunehmend misstrauisch.
„Ich bin Autorin“, erklärt Simone, während sie sich ungefragt an Lisa vorbei in die Wohnung schiebt. „Und ich hatte in der letzten Zeit etwas zu kämpfen. Nennen wir es kreatives Tief. Aber jetzt habe ich eine großartige Idee für einen neuen Roman. Und der wird auf Ihre Geschichte beruhen!“
„Auf meine Geschichte?“ fragt Lisa fassungslos. „Wie meinen Sie das?“
„Also ich werde natürlich alle Namen ändern und das Ganze an einen anderen Handlungsort verlegen“, fährt Simone fort. „Und dann werde ich die Fakten mit Fiktion mischen, um das alles etwas aufzupeppen!“
„Fakten? Fiktion? Aufpeppen? Ich versteh kein Wort!“
„Das junge Mädchen wird den Ex-Priester mit der Bratpfanne erschlagen und dann mit dem kleinkriminellen Freund die Leiche vor einen Zug schmeißen“, erklärt Simone. „So weit die Fakten! Und jetzt kommt die Fiktion: Der kleinkriminelle Freund war nicht immer kriminell. Das war mal ein richtig braver Junge aus gutem Haus. Der war sogar Messdiener. Und dabei ist er von unserem Priester sexuell missbraucht worden und danach auf die schiefe Bahn geraten! Und als die beiden dann die Leiche entsorgen, werden sie beobachtet. Von einem Bischof, der ebenfalls in den Missbrauchs-Skandal verwickelt ist und sie dann erpresst. Und der wird dann auch mit einer Bratpfanne erschlagen. Und das Ende vom Lied ist, dass unser Mädchen einen so heftigen Knacks von der Sache davonträgt, dass sie sich nach diversen Psychiatrie-Aufenthalten als Erwachsene zu seiner Serienmörderin entwickelt, die all ihr Opfer mit Bratpfannen erschlägt. Schräg, oder? Ich garantiere Ihnen, dass das das Zeug zu einem Bestseller hat!“
„Raus!“ sagt Lisa und funkelt Simone böse an.
Simone fragt skeptisch: „Sie sind jetzt nicht so begeistert, oder?“
„Verschwinden Sie! Und lassen Sie sich hier nie wieder blicken!“ kreischt Lisa schrill.
„Sie können ja gerne nochmal eine Nacht drüber schlafen“, schlägt Simone vor.
Doch Lisa denkt gar nicht daran. Wütend zerrt sie Simone am Arm aus der Wohnung und schlägt ihr ohne weiteres Wort die Tür vor der Nase zu.
„Ich würde es 'Die Bratpfannenmörderin' nennen“, ruft Simone vom Treppenhaus aus durch die Wohnungstür, doch von drinnen erfolgt keine Reaktion mehr.
„Was war denn los?“ fragt Murat, der inzwischen aus dem Bad kommt.
„Das war die Tochter vom alten Stadler“, berichtet Lisa aufgebracht. „Die will ein Buch über mich schreiben. Und über Olli. Und den Steinbrück!“
„WAS?“ entfährt es Murat entsetzt. „Oh, Baby, ich... Kann ich irgendwas für dich tun?“
Lisa blitzt ihn böse an. „Was willst du denn für mich tun?“ faucht sie. „Nun hör bloß auf, mich wie ein rohes Ei zu behandeln. Sieh lieber mal zu, dass du deine Shisha-Bar wieder ans laufen bringst.“
Mit diesen Worten lässt sie ihn stehen. Doch so spurlos, wie sie es sich selber einredet, ist diese Begegnung mit Simone Stadler nicht an ihr vorüber gegangen. Es nagt an Lisa, dass sie plötzlich ständig wieder mit Matthias Steinbrücks Tod konfrontiert wird – erst Paul, der ausgerechnet in diese verdammte Wohnung ziehen musste und nun diese durchgeknallte Schriftstellerin...
Und während Lisa mit sich und ihrem Leben hadert, ist Simone vor allem mit ihrer beruflichen Situation unzufrieden. Ihr Geistesblitz mit der Bratpfannenmörderinnen-Geschichte erscheint ihr im weiteren Tagesverlauf selbst immer abstruser und die anfängliche Euphorie über diese Idee ist schnell verflogen. Den ganzen Tag über müht sie sich mit ihrem Krimi-Manuskript ab, ohne einen einzigen brauchbaren Gedanken zustande zu bringen. Als Vasily spät abends aus dem Lokal raufkommt, klagt sie ihm ihr Leid über ihre Misere.
„Immer diese Scheiß Krimis“, nörgelt sie. „Ich hab da echt keinen Bock mehr drauf. Dieses Genre steht mir bis Oberkante Unterlippe. Ich will mal was anderes schreiben, was anspruchsvolleres.“
„Eine Liebesgeschichte vielleicht?“ fragt Vasily.“Oder eine griechische Tragödie? Wie wär's mit einer griechischen Liebestragödie?“
Simone rollt die Augen. „Du Spinner! Ich würde gerne mal was richtig greifbares schreiben. Irgendwas brisantes, irgendwas mit gesellschaftlicher oder politischer Relevanz.“
„Hört, hört“, schmunzelt Vasily. „Ist es nicht das, was deine Vater immer wollte? Dass du weg kommst von den Krimis und große Literatur schaffst?“
„Ach, hör mir auf mit dem“, nörgelt Simone. „Es muss ja keine große Weltliteratur sein. Aber irgendwas nachhaltigeres als diese abgedroschene Regionalkrimis wäre halt mal nicht schlecht. Ich will beweisen, dass ich mehr drauf hab, als diese Fließbandarbeit.“
„Aber eine echte Idee hast du nicht?“ vermutet Vasily.
„Nee“, stöhnt Simone unzufrieden – und setzt sich wieder an ihren Krimi.
Derweil tigert Lisa im Haus Nr. 3 schlaflos durch die Wohnung. Während Murat schnarcht wie ein Bär, ist sie immer noch völlig aufgewühlt von diesem unschönen Treffen mit der bekloppten Stadler. Schließlich setzt sie sich an den Küchentisch und sortiert den Stapel Post, der sich im Laufe der letzten Tage unbeachtet auf der Anrichte angesammelt hat. Das meiste davon sind Rechnungen und Lisa flucht innerlich, weil ihr klar ist, dass sie diese wieder von ihrem Arzthelferinnen-Gehalt bezahlen muss – Murat, der Waschlappen, kriegt ja nichts auf die Kette. Als Lisa plötzlich einen in ordentlicher Handschrift an sie adressierten Brief in den Händen hält, hält sie verwundert inne. Etwas persönliches? Wer sollte ihr denn sowas schicken? Kein Absender! Lisa öffnet den Umschlag und liest die ersten Zeilen
Liebe Lisa,
zwischen uns ist vieles passiert und ich kann verstehen, dass du mir vermutlich immer noch nicht verzeihen kannst. Aber ich würde dir nicht schreiben, wenn es nicht wirklich wichtig wäre. Nenne mich egoistisch, wenn du willst..
.
Ohne die weiteren Zeilen zu beachten, fliegt Lisa Blick zum Ende des Briefes, zur Unterschrift. Und ihr wird abwechselnd heiß und kalt, als dort steht
Deine Mutter Dagmar
Lisa glaubt, dass es ihr den Boden unter den Füßen wegreißt. Was soll das denn jetzt? Kann dieser Tag denn noch schlimmer werden? Ist dieses schreckliche letzte Jahr mit der Corona-Krise den existentiellen Sorgen, dem Betrug durch die vermeintliche Lohmaier, dem Auszug von Paul in diese verfluchte Wohnung, denn tatsächlich noch weiter zu toppen an negativen Ereignissen? Lisa Hände krallen sich in das Briefpapier und sie überlegt sekundenlang, ob sie ihn zu Ende lesen soll. Dann allerdings zerknüllt sie das Schreiben mit Wut und pfeffert es in den Papierkorb...

CLIFFHANGER auf: Lisa Dagdelen


Mitwirkende Personen
Lisa Dagdelen
Murat Dagdelen
Simone Stadler
Vasily Sarikakis
Claudio Russo
Angelina Dressler
Enzo Buchstab
Phil Seegers
Andy Zenker
Gabi Zenker
Nico Zenker
Anna Ziegler
Popo Wolfson
Helga Beimer
Ines Krämer
Marcella Varese

© 'popo wolfson' 2021

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: So 6. Jun 2021, 06:54 


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BeitragVerfasst: So 6. Jun 2021, 08:44 
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Herr Hülschi :mrgreen:

Und die arme Lisa, jetzt kommt es anscheinend knüppeldick...


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BeitragVerfasst: Mo 7. Jun 2021, 21:21 
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gossenfilosof hat geschrieben:
Herr Hülschi :mrgreen:
Den finde ich auch cool! :lol:


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BeitragVerfasst: Mo 7. Jun 2021, 21:38 
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Registriert: Mi 29. Sep 2010, 00:11
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Popo, es ist wieder sehr spannend.
Schade, dass Lisas Geschichte anscheinend nicht als Romanstoff von Simone verarbeitet wird. ...Vielleicht hätte Simone es der Lisa nicht sagen dürfen. Die hätte erst nach der Veröffentlichung davon erfahren, weil irgendein Wurstblatt (Klaus) darüber was veröffentlich hätte mit paar Andeutungen diesbzgl. und die ganze Straße hätte sich das Maul zerissen.... :P
Bin nun gespannt, was Dagmar Hofmeister Lisa eigentlich zu sagen hatte.

popo wolfson hat geschrieben:
Simone: „Ich will mal was anderes schreiben, was anspruchsvolleres.“
„Eine Liebesgeschichte vielleicht?“ fragt Vasily.“Oder eine griechische Tragödie? Wie wär's mit einer griechischen Liebestragödie?“
:muah: zwischen Wassiillllji und Simone...das gibt nochmal ein Drama, vermute ich.

Ines macht mir Angst... 'Arbeit macht frei'... :? Taucht die YaloaTante auch nochmal auf. :oO:

Onkel Claudio ist süss :prostb: Schade, dass Anna nicht weiter mitgesoffen hat.


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