Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1849 - Schule des Lebens
BeitragVerfasst: So 18. Sep 2022, 07:53 
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Folge 1849: Schule des Lebens

Spieltag: Dienstag, 13.09.2022

Der erste Schultag nach den Sommerferien beginnt bei der Familie Wendland chaotisch. Doch während Annalena, Lovis und Merle zumindest in ihre vertraute schulische Umgebung zurückkehren dürfen, ist der heutige Tag für Maite ein Neuanfang, mit neuer Schule, neuer Klassen, neuen Lehrern und Mitschülern…
„Hast du Schiss?“ fragt Merle ihre Zwillingsschwester.
„Natürlich nicht!“ erwidert Maite zickig und dreht sich weg, doch Merle weiß genau, wie ihre Zwillingsschwester tickt und flüstert: „Du schaffst das!“
Maite dreht sich zu Merle zurück und wischt sich eine Träne aus dem Auge.
„Bleiben wir trotzdem Freunde?“ fragt sie. „Obwohl wir nicht mehr zusammen zur Schule gehen?“
„Ja, natürlich“, sagt Merle. „Ey, wir sind doch immer noch Zwillinge. Das ist viel, viel mehr als alles andere auf der Welt! Da ändert sich auch nichts dran, wenn wir auf verschiedene Schule gehen.“
Die beiden umarmen sich lange und innig, bis sie von ihrer Mutter unterbrochen werden. „Ich find’s ja schön, dass zwischen euch endlich wieder alles in Ordnung ist“, lacht Kerstin. „Aber wenn ihr jetzt nicht langsam mal aus dem Quark kommt, kommt ihr gleich an eurem ersten Tag zu spät. Der Bus wartet nicht.“
Vor dem Haus umarmen sich die Zwillinge nochmal so innig, als ob eine von ihnen auf eine mindestens dreijährige Weltreise aufbrechen würde, denn während Merle und ihre älteren Schwestern weiterhin die Bushaltestelle vor dem Akropolis nutzen können, muss Maite zur Ulrike-Böss-Straße laufen, denn der Bus in Richtung Gesamtschule fährt an der Haltestelle vor der Praxis Brooks ab…
Auf Höhe des Hotels, dem Maite einen sehr missbilligenden Blick zuwirft, nachdem sich Klaus in der vorletzten Woche so voller Überzeugung darüber ausgelassen hat, überholt ihr Vater Nils sie mit dem Auto. Er lässt die Scheibe runter und fragt lachend: „Soll ich dich ein Stück mitnehmen?“
„Ha ha, wie lustig“, nölt Maite. „Die fünf Meter schaffe ich jetzt auch noch.“
Nils fährt weiter und Maite schlurft an die Bushaltestelle. Dort steht schon dieser blasse Typ, der in der Lindenstraße 3 wohnt, irgendwas Osteuropäisches… Artjom oder so ähnlich. Komischer Typ. Hoffentlich ist der nicht in ihrer Klasse…
Die beiden nicken sich knapp zu, wechseln aber kein Wort miteinander.
Der Bus kommt und während Maite weit vorne Platz nimmt, setzt sich Artjom fast ganz nach hinten.
An der Gesamtschule angekommen fragt Maite sich nach dem Direktorat durch und klopft dort zögernd an die Tür.
„Ja, bitte“, krächzt Schulleiterin Dr. Brigitte Klöckner mit tiefer, rauchiger Stimme, als Maite eintritt.
„Ich bin Maite. Wendland. Also Maite Wendland. Ich bin neu hier!“
Die Klöckner sieht sie durchdringend an und Maite läuft es kalt den Rücken runter. „Sehe ich so aus, als ob ich hier jeden und jede neue Schüler*in persönlich begrüße?“ knurrt sie. „Da hätte ich aber was zu tun, hier kommen ständig neue Schüler, erst recht zum Schuljahresbeginn.“
„Aber…“, beginnt Maite.
„Nichts aber, für so etwas ist unser Sozialpädagoge Herr Landmann zuständig“, brummt die Direktorin. „Rechts um die Ecke und dann Raum 6. Und nun husch husch!“ Die Klöckner macht Bewegungen mit ihren Händen, als wolle sie Federvieh vor sich her scheuchen und Maite verlässt fluchtartig das Rektorat.
Vor Raum 6 steht der besagte Sozialpädagoge und unterhält sich mit zwei Schülern. Aber den kennt sie doch. Der wohnt doch auch in der Lindenstraße…
„Ich hab euch den Sommer über so gut wie möglich vorbereitet“, sagt Konstantin gerade zu Cedric und Lenny. „Ihr habt den Stoff 100 Prozent drauf, ihr müsst die Nachprüfung einfach schaffen! Und jetzt viel Glück!“
„Danke!“ murmeln beide gleichzeitig und trotten von dannen.
Maite stellt sich vor und auch Konstantin erkennt sie wieder. Er teilt ihr ein paar allgemeine Dinge mit, sagt ihr, dass sie jederzeit mit allem, was sie beschäftigt zu ihm kommen kann, erklärt ihr den Weg zu ihrem Klassenraum und verabschiedet sich dann mit ein paar freundlichen Worten. Maite macht sich auf den Weg und fühlt sich verloren hier. Gesamtschule… Auf dem Gymnasium wurden neue Schüler von den Klassenlehrern am Direktorat abgeholt und zu ihren Klassenzimmern begleitet… Und hier ist man voll und ganz auf sich allein gestellt. Und wie viele Assis hier rumlaufen… Vielleicht hätte sie doch besser auf dem Gymnasium bleiben und die Klasse wiederholen sollen… Aber dafür ist es jetzt zu spät…
Als Maite das Klassenzimmer betritt und den lärmenden Haufen in Augenschein nimmt, bestätigt sich für sie insgeheim das, was sie bereits befürchtet hat: lauter Assis. Und tatsächlich, dieser schräge Artjom ist auch da, kauert bleich und still auf seinem Platz und wirkt so, als ob er überhaupt nicht dazu gehört. Na super…
Maite fühlt sich im Verlauf der ersten Stunden zunehmend unwohl in ihrer neuen Situation. Ihr Klassenlehrer Uwe Bauer ist ein großmäuliger Unsympath und die meisten ihrer Mitschüler scheinen echte Prolls zu sein, die die Neue mit einer Mischung aus Neugier und Abneigung beäugen, aber ansonsten Abstand halten. Die einzige, die ihr zumindest ansatzweise sympathisch ist, ist diese Sina, die im Vergleich zu den meisten anderen auch ruhiger, dabei aber nicht so verstockt wie dieser Artjom ist…
Kurz bevor sich der erste Schultag seinem Ende zuneigt, fliegt die Tür des Klassenzimmers auf und die beiden Jungs, die sie schon am Morgen vor dem Büro von diesem Landmann kurz gesehen hat, poltern rein.
„Bestanden!!!“ grölt Cedric und erhält dafür Applaus von einem Teil der Klasse, während die übrigen eher nicht so glücklich aussehen. Lenny dackelt ihm hinterher.
„Na, großartig“, murrt Klassenlehrer Bauer. „Das bedeutet dann ja, dass ihr beiden Pfeifen mir auch im neuen Schuljahr erhalten bleibt…“
„Sieht so aus!“ erwidert Cedric grinsend.
„Na, dann nutzt die Chance und macht es dieses Jahr besser“, empfiehlt Bauer ihnen.
Als die beiden an Maites Platz vorbeikommen, zischt Cedric Lenny zu: „Guck mal! Frischfleisch!“
Oh! Mein! Gott! denkt Maite und dreht genervt den Kopf in die andere Richtung.
Maite ist heilfroh, als sie den ersten Schultag hinter sich hat, doch im Bus Richtung Lindenstraße sitzt auch dieser komische Artjom und starrt sie an. Als sie seinen Blick genervt erwidert, dreht er sich weg.
Nachdem sie an der Villa aus dem Bus gestiegen ist und durch die Lindenstraße auf die Kastanienstraße zuläuft, hört sie seinen schlappenden Schritt hinter sich (meine Güte, kann der Typ denn nicht mal die Füße ordentlich hochheben) und spürt seinen bohrenden Blick in ihrem Rücken.
Als sie sich abrupt umdreht, bleibt Artjom erschrocken stehen.
„Ist irgendwas oder warum glotzt du so?“ fährt Maite ihn an.
„Ich… äh… ähm… wohnst du auch hier?“ stottert Artjom.
„Da vorne, in der Kastanienstraße!“ erklärt Maite und deutet auf die große Häuserfront der benachbarten Straße. Dann dreht sie sich grußlos um und setzt ihren Heimweg fort, während Artjom ihr überfordert hinterher blickt.
Beim Essen möchte Kerstin von ihren Töchtern wissen, wie der erste Schultag gelaufen ist, bekommt aber keinerlei klare Antworten. Erst als die Zwillinge später gemeinsam in ihrem Zimmer sitzen, werden sie gesprächiger. Maite erzählt in aller Ausführlichkeit von all den Prolls aus ihrer Klasse, von dem komischen blassen Russen aus der Lindenstraße, vom Sozialpädagogen, der dort auch wohnt, von der gruseligen Direktorin und dem unsympathischen Klassenlehrer.
„Die Direktorin ist echt ein bisschen wie aus der Addams Family“, erklärt Maite Gummibärchen kauend. „Die passt echt besser in eine Geisterbahn.“
„Bei uns hat sich nix verändert“, meinte Merle. „Außer, dass du nicht mehr da bist…“
Beide sehen sich traurig an. Dann fragt Maite: „Bleiben wir trotzdem ein Team?“
„Klaro, was denkst du denn?“
„Aber wir sehen uns ja jetzt kaum noch“, bedauert Maite.
„Das sind ein paar Stunden morgens in der Schule“, lacht Merle. „Danach sehen wir uns den ganzen Tag!“
„Aber wenn du dann lieber was mit den Mädels aus unserer… also aus deiner Klasse machen willst?!“
„Dann kommst du mit“, sagt Merle. „Das sind doch immer noch deine Freundinnen.“
„Und wenn die demnächst nichts mehr mit mir zu tun haben wollen?“
„Ey, Quatsch, Freundschaft hat doch nix damit zu tun, ob man zusammen zur Schule geht.“
„Naja“, überlegt Merle. „Nachdem die Johanne letztes Schuljahr weg war, da hieß es am Anfang auch, wir sehen uns, wir bleiben in Kontakt… Ganze zwei mal haben wir die noch gesehen und jetzt kräht kein Hahn mehr nach ihr.“
„Ja, aber nur, weil die ans andere Ende der Stadt gezogen ist“, winkt Merle ab. „Da ist man ja den halben Tag unterwegs, wenn man sich irgendwo sehen will. Du bist immer noch hier! Jetzt mach dir mal bloß nicht unnötig Sorgen…“
Doch die macht Maite sich trotzdem. Sie fühlt sich unwohl in der neuen Schule und vermisst ihre alte Klasse. Und vor allem Merle. Die beiden sind immer zusammen gewesen, im Kindergarten, in der Grundschule, auf dem Gymnasium… Es fühlt sich so unbeschreiblich fremd und falsch an, plötzlich ohne ihre Zwillingsschwester in einer Klasse zu sitzen – und sie nicht mal mehr in den Pausen sehen zu können…
Zur gleichen Zeiten klingeln Cedric und Lenny ein paar Häuser entfernt in der Lindenstraße an Konstantins Wohnungstür, wo Lea ihnen öffnet. Cedrics Blick haftet sich sogleich an ihrer Brust fest.
„Ja bitte?“ fragt Lea genervt, als sie seinen stierenden Blick bemerkt.
„Wir wollen zu… zu zu Herrn… Dings… Landmann“, stammelt Cedric.
„Konstantin! Für dich!“ ruft Lea in die Wohnung und verschwindet hinter einer Tür.
„Ey, Digga, haste den Vorbau gesehen“, flüstert Cedric Lenny zu, als er seine Sprache wiedergefunden hat.
In dem Moment erscheint Konstantin im Wohnungsflur. „Ihr beide schon wieder“, stellt er überrascht fest. „Was gibt’s denn noch?“
„Wer war das?“ fragt Cedric.
„Meine Mitbewohnerin“, erwidert Konstantin.
„Wo haben Sie die denn den ganzen Sommer über versteckt?“ will Cedric wissen.
„Ich glaube, ihr wart wegen der Nachhilfe hier und nicht wegen meiner Mitbewohnerin“, stellt Konstantin klar.
„Ja, und deswegen sind wir jetzt auch hier“, übernimmt Lenny nun die Initiative.
„Wollt ihr noch mehr Nachhilfe?“ fragt Konstantin irritiert und wirkt dabei nicht sonderlich begeistert.
„Wir wollten uns bedanken“, sagt Cedric schließlich. „Ohne Sie hätten wir das wahrscheinlich nicht geschafft. Und wir wollten uns… Also, wir wollten Ihnen…“
„Wir wollten uns bei Ihnen entschuldigen“, vollendet Lenny den Satz. „Dafür, dass wir… das wir…“
„… dass wir Ihnen so viel Beef gemacht haben“, übernimmt Cedric wieder. „Also Ärger, meine ich…“
„Angenommen“, sagt Konstantin grinsend. „Wollt ihr noch reinkommen?“
Einen Moment stehen die beiden unschlüssig im Treppenhaus, doch dann verabschieden sie sich lieber.
„Ey, Alter, hatte die einen Vorbau“, sagt Cedric erneut, als er mit Lenny die Treppen hinab steigt. „Wie kommt man an so eine Mitbewohnerin?“
„Aber uralt war die“, stellt Lenny fest.
„Ist doch egal, bei dem Vorbau“, meint Cedric. „Ey, ich will später auch mal so eine Mitbewohnerin haben…“

Marcella wird heute aus dem Krankenhaus entlassen. Nachdem ihres und das Leben ihres ungeborenen Kindes von knapp anderthalb Wochen noch am seidenen Faden hing, haben die Ärzte doch beide retten können.
„Sie müssen sich dringend schonen“, erklärt die behandelnde Ärztin Dr. Angelika Nottke nochmal bei der Entlassung, als Sebastian dort ist, um sie abzuholen. „Sie sollten viel liegen und nur dann aufstehen, wenn es unbedingt nötig ist. Und absolutes Arbeitsverbot!“
„Wie soll ich das denn machen?“ stöhnt Marcella. „Ich bin selbstständig! Ich habe ein Bistro!“
„Da wird es wohl jemanden geben, der Sie vertreten kann!“ mahnt die Nottke. „Sie können in Ihrem Zustand jedenfalls vor der Geburt nicht mehr arbeiten!!!“
Zuhause angekommen, will Sebastian Marcella gleich ins Bett geleiten.
„Ich geh aufs Sofa, ich leg mich doch um diese Zeit nicht ins Bett!“ faucht Marcella gereizt. „Und hör auf damit, mich zu stützen, als ob ich eine gebrechliche Mummelgreisin wäre.“
Auf dem Sofa angelangt, schnappt sich Marcella sogleich ihr Handy.
„Was machst du denn jetzt?“ fragt Sebastian überbesorgt.
„Ich will Laura anrufen“, erklärt die Italienerin. „Irgendwie muss das Marcellas ja jetzt erstmal ohne mich weiterlaufen…“
„Du sollst dich doch schonen!“
„Ey, ich will telefonieren! Das wird mich nicht umbringen!“
Eine Stunde später sitzt Laura bei Marcella im Wohnzimmer und erzählt ihr stolz, wie sie den Laden in den vergangenen Tagen ohne ihre Chefin gemeistert hat – genau, wie Marcella es sich erhofft hat. Dennoch macht Laura einen etwas zerknirschten Eindruck. Und schließlich rückt sie raus mit der Sprache und erklärt, dass ihr letztes Semester nun beginnt und sie sich da besonders reinknien muss, um ihren Abschluss zu machen.
„Und nächstes Frühjahr würde ich dann eh kündigen müssen“, erklärt Laura bedauernd. „Es tut mir leid, aber so uneingeschränkt wie bisher werde ich dir zukünftig nicht mehr zur Verfügung stehen können…“
Für Marcella wie ein weiterer Tiefschlag… Laura ist ihre zuverlässigste Mitarbeiterin…
Nachdem Laura gegangen ist, kauert Marcella wie ein Häufchen Elend auf ihrem Sofa.
„Wir finden eine Lösung“, sagt Sebastian aufmunternd.
„Welche denn?“ keift Marcella. „Dass ich mein Lokal dicht mache und mich als Zahnartgattin zuhause um den Nachwuchs kümmere?“
In diesem Moment klingelt es an der Tür. „Ich will jetzt niemand sehen“, stöhnt Marcella und vergräbt den Kopf zwischen den Sofakissen.
„Wer auch immer es ist, ich wimmel ihn ab!“ verspricht Sebastian entschlossen – doch Sekunden später hallt eine unverkennbare Frauenstimme laut und schrill durch den Wohnungsflur und im nächsten Moment betritt Gina das Wohnzimmer.
„Warum sitzt du schon wieder aufrecht?“ zeter die italienische Mama sogleich los. „Leg gefälligst deine Füße hoch. Und willst du die Leben von dir und von meine Enkel riskieren?“
„Ich hab jetzt echt keine Zeit, hier rumzuliegen“, jammert Marcella und erzählt ihrer Mutter, dass ihr Bistro gerade den Bach runtergeht, weil sie selbst ausfällt und ihr das Personal für ausreichende Vertretung fehlt.
„Ich kümmere mich!“ sagt Gina nach kurzer Überlegung entschlossen und rauscht ohne jedes weitere Wort aus der Wohnung.
„Das fehlt mir jetzt gerade noch!“ Marcella schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.
Knappe zwei Stunden später, in denen Marcella, wenn auch sehr unruhig, tatsächlich ein wenig hat schlafen können, kommt Gina laut krakeelend zurück. Sebastian versucht sie dazu zu bewegen, ein bisschen leiser zu sein, doch es ist bereits zu spät – Marcella ist wieder wach.
„Scusa, ragazza“, entschuldigt Gina sich bei ihrer Tochter. „Aber ich habe gefunden die Lösung für all deine Probleme. Die beste Vertretung, die du dir wünschen kannst für deine Marcellas!“
„Jetzt sag nicht, dass du das machen willst?!?“ erkundigt Marcella sich alarmiert.
„Io?“ schreit Gina schrill. „Per l’amor del cielo! Um Himmels Willen! Naturelamente nicht! Dase iste nixe für deine Mamma!“
Während Gina über die bloße Vorstellung lacht, sich selbst hinter den Tresen des Bistros zu stellen, atmet Marcella erstmal erleichtert auf – bis ihre Mutter die Bombe platzen lässt: „Gian-Luca wirde diche vertreten!“
„Was???“ entfährt es der Tochter entsetzt.
„Jaaa! Er iste der Beste, den du bekommen kannst!“ freut sich Gina.
„Nein!“ schreit Marcella.
„Doch!“ entgegnet Gina.
„Wer ist Gian-Luca?“ möchte Sebastian wissen.
„Gian-Luca iste Marcellas Bruder!“ erklärt Gina.
„Du hast einen Bruder?“ fragt Sebastian irritiert. „Ich dachte, du hast nur eine Schwester…?!“
„Gian-Luca ist nicht mein Bruder!“ widerspricht Marcella ihrer Mutter gereizt. „Er ist der Sohn von Michele!“
„Eben! Deine Bruder!“ beharrt Gina.
„Allerhöchstens mein Stiefbruder“, hält Marcella gegen. „Aber wenn es nach mir geht, nicht einmal das!“
„Er ist deine Rettung!“ kreischt Gina weiter. „Er hat Ahnung ohne Ende in die Gastronomie. Er hat schon Lokalitäten geführt in Mailand, in Roma, in Venecia, in Bella Napoli… Und auch schon hier in München!“
„Er ist ein arroganter Kotzbrocken“, entgegnet Marcella. „Und er hat nur irgendwelche piekfeinen Läden geführt, das Marcellas ist doch völlig unter seinem Niveau!“
„Nixe unter Niveau!“ widerspricht Gina. „Er hat sehr großes Interesse daran, dich zu vertreten, weil er iste gerade mal wieder auf die Suche nach neue Herausforderungen.“
„Ich will den aber nicht in meinem Laden haben!“ hört Marcella nicht auf zu Zetern. „Am Ende krempelt er alles um und macht da irgend so eine Nobelklitsche draus!“
„Ach, das iste doch Quatsch!“ keift Gina. „Und in deiner Situation, du solltest nicht so wählerisch sein. Er iste schließlich deine Rettung!“,
Gina duldet keine Widerrede und verspricht ihrer Tochter, alles Nötige in die Wege zu leiten, sie selbst solle sich nun schonen…
Während Marcella auf ihrem Sofa Frust schiebt, bekommt sie ein paar Stunden später Besuch von ihrer Schwester Giovanna. Marcella berichtet ihr von dem, was Gina für sie in die Wege geleitet hat.
„Oh je, Gian-Luca“, stöhnt Giovanna. „Den hab ich ja schon seit Jahren nicht mehr gesehen, aber das war doch immer so ein ganz ätzender Fatzke…“
„Ich will den eigentlich gar nicht in meinem Laden haben“, seufzt Marcella. „Aber was soll ich denn machen, ich fürchte, Mama hat Recht, eine andere Chance hab ich nicht, bis ich mit der Schwangerschaft durch bin… Ich hab halt nur so Angst, dass der da alles umkrempelt und ich es dann hinterher ausbügeln muss… Ich hab ja auch kaum Personal. Popo hat keinen Bock mehr und wenn Laura jetzt demnächst weniger Zeit hat und ich auch wochenlang nicht mehr arbeiten… Wer weiß, was der für Leute herbei holt, die dann da einspringen… Ich krieg die Krise…“
„Ich kann auch mal aushelfen“, unterbricht Giovanna den Redefluss ihrer Schwester.
„Du?“ fragt Marcella verdutzt.
„Ja, klar, früher bei Papa im Moorse habe ich ja auch gearbeitet, ich kann das noch! Und dann kann ich Gian-Luca ein bisschen auf die Finger schauen, damit er keinen Scheiß macht!“
„Aber hast du dafür denn überhaupt Zeit?“ fragt Marcella. „Dein Job…“
„Da kann ich ganz flexibel arbeiten“, beruhigt Giovanna ihre Schwester. „Auch nachts oder so…“
Marcella fällt Giovanna um den Hals. „Du bist echt meine Rettung! Vielen, vielen Dank!“
„Hab dich ja lange genug vernachlässigt“, lacht Giovanna und befreit sich aus der Umarmung ihrer Schwester. „Und jetzt schon dich und dein Überraschungsei, du Krake!“

Simone hat am heutigen Vormittag einen Termin mit ihrem Verleger. Sie hat beschlossen, ihn bei der Gelegenheit mal von dem Society-Projekt zu erzählen, an dem Klaus gerade arbeitet. Doch wie gewohnt, lässt Hans-Jochen Kautz sie nach dem Eintreten in sein Büro kaum Luft holen, eher er gleich selbst zu Sache kommt.
„Schön, dass das mit dem KZ-Roman so toll geklappt hat, nicht wahr?!“ dröhnt der Verleger los. „Du hast ja auch noch einige Lesungen auf dem Timer in nächster Zeit. Trotzdem sollten wir uns so langsam schon mal Gedanken darüber machen, was du als nächstes schreiben wirst.“
„Also ich dachte, ich gehe jetzt erstmal wieder zum Gewohnten zurück“, sagt Simone. „Ein neuer Aiderbichl-Roman. Ich hab mir da schon ein paar Gedanken gemacht, er soll Kommissar Aiderbichl und das tödliche Gelübde oder so ähnlich heißen. Es geht da um einen Abt, der…“
„Deine blühende Phantasie in allen Ehren“, fällt Kautz ihr ins Wort. „Aber nach dem Erfolg von dieser Finkelstein-Biographie sollten wir nun schon bei der Stange bleiben und wieder etwas Seriöses anvisieren.“
„ Aber der Aiderbichl ist doch nichts Unseriöses!“ empört sich Simone.
„Aber ausgelutscht ist er!“ sagt Kautz bestimmt. „Den sollten wir wirklich allmählich mal ruhen lassen, das will doch keiner mehr lesen!“
„Aber ich hab noch so viele Ideen für den Aiderbichl!“ protestiert Simone. „Der ist überhaupt nicht ausgelutscht!“
„Von mir aus können wir ja in zwei, drei Jahren nochmal darüber nachdenken, einen Abschluss-Roman über den Aiderbichl rauszubringen, in dem ihn dann das Zeitliche segnet“, gibt Kautz sich ein wenig nachgiebiger. „Aber jetzt sollten wir an deinen Juden-Roman wirklich mit etwas ähnlich Anspruchsvollem und Seriösem anknüpfen.“
„Aber der Aiderbichl ist anspruchsvoll und seriös!“ gibt sich Simone trotzig wie ein Kleinkind. „Der hat eine echte Fan-Gemeinde. Der ist kultig wie Schimanski. Oder Columbo. Oder MyGyver oder Magnum oder Kojak oder Sonny Crockett! Nur eben auf bayrisch!“
Kautz zieht sein Tablet zu sich, wischt ein paar Mal über das Display und schiebt das Gerät zu Simone rüber.
„Lies!“ fordert er sie auf und Simone überfliegt einen Online-Artikel, in dem es über ihren neuen Roman und ihre Arbeiten davor geht. Ihre Augen werden immer größer und fassungslos liest sie einige Text-Passagen laut vor: „...`auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn… hat die Königin der Trivial-Literatur endlich einen Volltreffer gelandet… Aiderbichl ist ein Krimiheld auf Groschen-Roman-Niveau…`.Von wem ist denn diese Scheiße?“
Simone scrollt weiter runter und hält entsetzt inne, als sie den Namen des Verfassers entdeckt: Klaus Beimer!
„Der Mann hat dich ziemlich treffend beschrieben“, befindet der Verleger. „Du hast bewiesen, dass du wirklich Talent zum Schreiben hast. Nur verschwendest du das mit diesem bajuwarischen Kasperle-Kommissar!“
Simone springt auf und verlässt ohne jedes weitere Wort den Raum. Der Kautz kann sie mal, sie hat jetzt mit jemand ganz anderem ein Hühnchen zu rupfen…
Etwas später steht sie im Haus Nr. 3 vor der Tür Beimer/Zöllig und klingelt Sturm.
„Ach, du bist’s!“ stellt Klaus beim Öffnen fest. „Was ist denn los? Brennt’s irgendwo?“
„Was los ist?“ keift Simone aufgebracht. „Groschenroman-Niveau? Trivial-Literatur? Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn? Klingelt da was bei dir?“
„Ach, das meinst du!“
„JA, genau, das meine ich!!!“
„Das war durchaus positiv gemeint“, erklärt Klaus in sachlichem Ton und mit ernsthafter Miene. „Ich wollte damit erklären, dass du wirklich mehr drauf hast als deinen Aiderbichl!“
„Was habt ihr eigentlich alle gegen den Aiderbichl?“ kreischt Simone. „Der Aiderbichl hat viele Fans! Die Leute lieben den Aiderbichl!“
„Ja, das sind genau die Leute, die auch John Sinclair oder Tony Ballard lieben“, lacht Klaus auf.
Simone funkelt ihn böse an. „Ich hab es bestimmt nicht nötig, mich von einem kleinen Schmieren-Journalisten ohne feste Anstellung runtermachen zu lassen“, zischt sie ihn giftig an.
„Schmieren-Journalist?“ entfährt es Klaus empört.
„Ja, so ein kleiner Schmierfink, der mal was für die KARLOTTA schreibt, mal was für irgendwelche zwielichtigen Online-Redaktionen“, zetert sie weiter. „Der aber ansonsten nicht viel geschissen bekommt…“
„Also, jetzt hör aber mal…“
„Nein! Du hörst!“ Simone funkelt Klaus nahezu bedrohlich an. „Glaub bloß nicht, dass ich dir versuche zu helfen, deinen Society-Roman an den Mann zu bringen. Ich bin bisher noch nicht dazu gekommen, meinen Verleger darauf anzusprechen. Und das werde ich auch nicht tun!“ Sie dreht sich um und schreitet davon. Auf der Treppe hält sie nochmal inne und zickt: „Ach ja. Und von meiner Lesung nächste Woche in der Buchhandlung Engel bist du herzlichst ausgeladen!!!“
Simone ist auf 180. Und es kommt noch dicker, als sie kurze Zeit später ihrem Herzen bei Vasily Luft macht und der das Ganze gar nicht so schlimm findet.
„Ich finde alles gut, was du schreibst“, erklärt der Grieche großmütig, „egal ob über KZ-Überlebende oder über bayrische Kommissare, ich liebe alle deine Bücher. Und das ist doch die Hauptsache…“
„Ja, toll!“ keift Simone. „Und deshalb soll ich mir gefallen lassen, dass mich so ein talentfreier Schreiberling in der Öffentlichkeit als Trivial-Autorin darstellt?! Und dass mein Verleger meinen geliebten Aiderbichl ausrangieren will!?“
„Aiderbichl ist dein Geliebter?“ fragt Vasily mit gespielter Empörung. „Wo wohnt das Schwein?“
„Du Spinner, jetzt nimm mich doch mal ernst“, motzt Simone.
Die ganzen Tag über kreisen ihre Gedanken darüber, wie enttäuscht sie sowohl von Klaus wie auch vom Verleger Kautz ist. Doch gegen Abend kommt ihr plötzlich ein Gedanke. Bei ihrem Gespräch im Biergarten vorletzte Woche hat Klaus ihr so viel und so ausgiebig von seinem Society-Projekt berichtet, dass Simone das Gefühl hat, vollständig auf dem Laufenden zu sein und alles zu wissen, was er diesbezüglich bisher recherchiert und zusammengetragen hat. Sie schnappt sich ihr Handy und wählt die Nummer ihres Verlegers.
„Sorry, dass ich dich so spät noch störe“, sagt sie in das Gerät. „Aber du wolltest ja, dass ich mir Gedanken mache über mein nächstes Projekt. Mir ist da eine Idee gekommen. Brandaktuell, spannend und definitiv kein Schund! Was hältst du von einem Enthüllungsroman über diese Psycho-Sekte, über Society…?“

CLIFFHANGER auf: Simone Stadler

Mitwirkende Personen
Maite Wendland
Merle Wendland
Nils Wendland
Kerstin Wendland
Annalena Wendland
Lovis Wendland
Artjom Brenner
Konstantin Landmann
Lea Starck
Simone Stadler
Vasily Sarikakis
Klaus Beimer
Dr. Sebastian Ritter
Marcella Varese
Giovanna Varese
Gina Conti
Laura Steinke
Dr. Brigitte Klöckner
Sina Kleist
Cedric Heltau
Lenny Kroon
Uwe Bauer
Hans-Jochen Kautz
Dr. Angelika Nottke

© ´popo wolfson` 2022

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: So 18. Sep 2022, 07:53 


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