Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1777 - Ein strahlender Ritter
BeitragVerfasst: Sa 10. Apr 2021, 23:02 
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Folge 1777: Ein strahlender Ritter


Spieltag: Donnerstag, 08.04.2021

Marcella ist auf der Suche nach einer neuen Aushilfe für das George. Dabei muss sie feststellen, dass die männlichen Bewerber weitaus passender gewesen wären und es ihr hier wesentlich leichter fallen würde, eine Entscheidung zu treffen – aber die George-Kette will ja nur noch weibliche Bedienungen. Von den bisherigen Bewerberinnen ist die erste so schüchtern, dass sie kaum die Zähne auseinander bekommt, die zweite hingegen so laut und polternd, dass sie als Jahrmarktschreierin anfangen könnte, die dritte hat fettige Haare, schmutzige Fingernägel und riecht nach Schweiß und die vierte hat so horrende Gehaltsvorstellungen, dass sie glatt das dreifache von dem Gehalt fordert, das ihr zusteht – wobei Marcella sich eingestehen muss, dass das, was die neuen George-Besitzer zu zahlen bereit sind, schon eine ziemliche Frechheit ist. Marcella findet die Mitarbeiter-Suche zermürbend und würde am liebsten dem sympathischen jungen Mann die Zusage geben, der als Letzter da war, aber damit würde es nur wieder Ärger von ihren Vorgesetzten geben. Zumindest läuft es in Marcellas Privatleben gerade besser. Seit zwei Wochen schläft sie regelmäßig mit Dr. Sebastian Ritter, ist mit ihm auch schon das ein oder andere Mal was trinken gegangen. Von einer Beziehung mit dem jungen Zahnarzt will sie allerdings nichts Rechtes wissen, obwohl Sebastian ihr schon mehrmals ziemlich eindeutige Signale in diese Richtung gesendet hat und offensichtlich zu mehr als nur 'Freundschaft plus' bereit ist. Aber Marcella sträubt sich gegen was Festes.
„Ey, du bist so doof“, meint Lea beim Abholen ihres heutigen Cottee-to-go-hohlen. „Ein Zahnarzt!!! Der verdient Schotter ohne Ende. Und dann sieht der auch noch gut aus! Ey, was willst du denn mehr?“
„Das ist auch mal wieder typisch du“, erwidert Marcella, „außer Geld und Aussehen zählt bei dir ja auch nichts.“
„Aber er ist doch auch nett, sagst du“, bohrt Lea, „was willst du denn noch mehr? Nett, reich, schön! Alles perfekt. Ich kenne Frauen, die würden für so einen Mann morden!“
„Ja, du zum Beispiel“, lacht Marcella.
„Also wenn du ihn so gar nicht willst, kannst du ihm gerne meine Nummer geben“, schlägt Lea vor.
„Sorry, aber das will ich ihm nicht antun“, kichert Marcella.
„Blöde Kuh“, lacht Lea und verschwindet.
Im weiteren Tagesverlauf taucht dann im Cafe doch noch eine Bewerberin auf, die Marcella überzeugt: Laura Steinke ist 23 Jahre alt, kommt ursprünglich aus der Nähe von Salzburg und studiert in München Finanzmanagement und sucht einen Job. Die vollschlanke Österreicherin wirkt offen und herzlich, tritt selbstsicher auf, hat ein gepflegtes Erscheinungsbild. Marcella ist sich auf Anhieb sicher, dass sie perfekt ins George passt und erteilt ihr gleich nach dem Gespräch eine Zusage für die Aushilfsstelle. Nachdem Marcella Herrn Hülsch wissen lassen hat, dass sie den Job vergeben hat, ist sie eigentlich doch noch ganz zufrieden mit ihrem Tag – bis ihre Mutter wieder ins Cafe rauscht.
„Ciao, Bambina“, schreit Gina in ihrer gewohnt lautstarken Art beim Reinkommen.
„Mama“, stöhnt Marcella genervt, „was machst du denn hier? Wird das jetzt zur Gewohnheit, dass du hier plötzlich alle Nase lang hier auftauchst? Du hast dich doch vorher auch jahrelang nicht blicken lassen...“
„Begrüßt man so eine Mutter?“ fragt Gina vorwurfsvoll. „Ich mache mir Sorgen, große Sorgen, um meine Töchter. Vor allem um Giovanna.“
„Was ist nun wieder mit Giovanna?“ fragt Marcella.
„Ich habe ihr eine Mann gesucht“, erklärt Gina.
„Du hast WAS?“ entfährt es Marcella entsetzt.
„Si si, eine Neffe von eine entfernte Cousin von eine gute Freunde von Michele“, erklärt Gina begeistert. „Er ist Steuerberater, also eine gute Partie. Aber was sagt Giovanna?“
„Keine Ahnung, was sagt sie denn?“
„Sie sagt, sie will keine Mann, sie braucht keine Mann“, berichtet Gina fassungslos. „Kannst du dir das vorstellen? Keine Mann? Das geht’s schon los, wahrscheinlich ist sie doch lesbisch. Madonna mia, ich glaube es nicht, was soll aus diesem Kind nur werden?“
„Und was hab ich jetzt damit zu tun?“ will Marcella wissen.
„Du musste nun Ricardo kennenlernen“, erklärt Gina.
„Wer ist Ricardo?“ fragt Marcella alarmiert.
„Na Ricardo! Der Steuerberater. Der Neffe von die entfernte Cousin von die gute Freunde von Michele!“
„Auf gar keinen Fall will ich diesen Ricardo kennenlernen“, teilt Marcella ihrer Mutter eilig mit.
„Aber Bambina, du brauchst eine Mann! Du und deine Schwester, ihr werdet sonst noch enden als alte Jungfern mit Spinnweben zwischen die Beine!“
„Ich hab einen Freund“, rutscht es Marcella hastig heraus.
„Was?“ entfährt es Gina aufgeregt. „Eine Freund? Was für eine Freund? Wie heißt er? Was arbeitet er? Wie sieht er aus?“
„Er heißt Sebastian und ist Zahnarzt“, erklärt Marcella.
„Madonna mia!“ Gina wedelt begeistert mit den Armen in der Luft. „Eine Dentista! Che meraviglia! Wie wunderbar!! Das ich das noch erleben darf! Da habe ich ja doch nicht alles falsch gemacht mit euch! Wann lerne ich ihn kennen?“
„Gar nicht!“ entfährt es Marcella schnell.
„Scusa? Was soll das denn heißen? Das ist doch nicht deine Ernste? Du willst mir doch nicht meine zukünftige Swiegersohne vorenthalten?“
„Was heißt denn hier Schwiegersohn?“ fragt Marcella, „wir kennen uns ja gerade mal ein paar Wochen, von Heirat kann ja nicht die Rede sein.“
„Madonna!“ schreit Gina. „Ist das etwa so einer, der nichts vom Heiraten hält? Das kann nicht sein! Die Ehe ist heilig, ganz besonders mir. Ich bin schließlich schon zum zweiten Mal verheiratet. Und du solltest ihn auch ganz schnell heiraten, dann hast du ihn an die Wickel. Sonst sucht er sich demnächst noch eine Neue und du guckst in die Tunnel.“
„n die Röhre“, verbessert Marcella ihre Mutter.
„Si si, Röhre“, plappert Gina weiter. „Röhre ist gute Idee. Du lässt die Dentista dich mache eine – wie sagt man - 'Braten in die Röhre'!“
„Mama!“, ruft Marcella aus.
„Nixe Mamma!“ fährt Gina fort. „Wenn du noch Kinder haben willst, musst du sowieso langsam mal – wie sagt man – komme in Hufe! Du bist ja auch nicht mehr die Jüngste! Und wenn du erstmal hast Braten von ihm in die Röhre, er kann dich nichte mehr so schnell schießen in die Sturm.“
„Aber ich will keine Kinder!“ protestiert Marcella.
„Dio mio! Das kannst du deiner Mutter doch nicht antun“, klagt Gina. „Willst du mir tatsächlich verwehren, dass ich jemals Enkelkinder bekomme? Du bist doch meine einzige Hoffnung! Wenn ich mich da auf Giovanna verlasse, bekomme ich höchstens kleine Computer als Enkelkinder. Madonna mia! Che peccato!“
„Mama, ich hab jetzt echt zu tun“, versucht Marcella verzweifelt, die Situation zu beenden.
„Okay, Inteso, aber du musst mir deinen Dentista bald vorstellen, ja?“ Dann zückt Gina ihr Handy und wählt im Hinausgehen eine Kurzwahltaste. Ehe die Tür hinter ihr ins Schloss fällt, hört Marcella noch, wie Gina in ihr Telefon brüllt: „Michele? Presentati, stell dir nur vor, es ist etwas Wunderbares passiert! Veramente stupendo! Marcella wird einen Dentista heiraten...“
Marcella muss erst ein paar Mal tief durchatmen, ehe sie wieder bei sich ist.
Als Sebastian am Abend für eine weitere unverbindliche Liebesnacht bei ihr reinschneit, berichtet Marcella ihm: „Meine Mutter will dich kennenlernen!“
„Du hast deiner Mutter von mir erzählt?“ fragt Sebastian überrascht.
„Ja, ich hatte keine andere Wahl“, beteuert Marcella, „sie wollte mich mit einem Steuerberater verkuppeln.“
Sebastian muss grinsen. „Na, ist doch toll“, sagt er. „Wann lerne ich sie kennen?“
„Die willst du gar nicht kennenlernen“, versichert ihm Marcella. „Meine Mutter ist ganz furchtbar: Laut. Aufdringlich. Besitzergreifend... Peinlich. Und sie will, dass wir heiraten. Und ihr ein Enkelkind schenken.“
„Na hoppla, das ging ja schnell,“ lacht Sebastian und scheint das Ganze nicht im Geringsten schlimm zu finden. Und tatsächlich ist Sebastian mittlerweile so verliebt in Marcella, dass er sich sogar darüber freuen würde, ihre Familie kennenzulernen und einen festeren Platz in ihrem Leben zu bekommen. Doch Marcella verharrt immer noch auf ihrem Standpunkt, dass sie Sebastian zwar mag und ihn auch überaus attraktiv findet, aber dass sie momentan in ihrem Leben, abgesehen von gelegentlichem Sex, gut auf einen Mann verzichten kann...

Iffi hat Roland von seiner Idee abbringen können, Robert als Drogendealer darstellen zu wollen. Trotz ihres Hasses auf Robert Engel, will Iffi definitiv nicht zu solchen Methoden greifen. Roland sieht ein, dass Iffi recht hat, dennoch entwickelt er einen zunehmenden Hass auf Robert, denn nach ihrer ersten Begegnung in der Buchhandlung letzte Woche tritt Robert ihm jedes Mal, wenn die beiden sich irgendwo auf der Straße über den Weg laufen, mit einer solch herablassenden Arroganz gegenüber, dass Roland sich kaum beherrschen kann. Iffi ist derweil zu dem Schluss gekommen, dass irgendetwas in Bezug auf Antonia passieren muss. Iffi merkt, dass diese ihr immer mehr zu entgleiten droht, und Iffi will das nicht länger mit der Begründung abtun, dass ihr der Vater fehlt. Denn Momo sitzt nun mal im Gefängnis, daran ist nichts zu ändern und sie müssen sich alle mit der Situation arrangieren. Iffi will ihr Verhältnis zu Antonia wieder verbessern, doch sie weiß nicht so recht, wie sie das anstellen soll. Egal, was sie macht, Antonia reagiert auf alle Versuche nur noch abweisend und gereizt.
„Sie ist halt in der Pubertät“, meint Andy, als Iffi ihn besucht und ihm von ihren Problemen berichtet, „weißt du noch, wie du damals warst? Hundertmal schlimmer noch, mindestens. 90 Prozent meiner grauen Haare hab ich dir zu verdanken.“
„Na, so schlimm war ich ja nun auch nicht“, verteidigt Iffi sich.
„Als du so alt warst wie die Toni, da war schon der Nico unterwegs“, erinnert sich Gabi.
„Um Gottes Willen, red' bloß nicht weiter“, ereifert sich Iffi. „Das fehlte mir jetzt auch noch, dass Antonia mich jetzt auch noch zur Oma macht. Mir reicht es, dass ich dank Nico schon ein Enkelkind habe...“
„Und dann sag du nochmal, dass Antonia schwieriger ist als du es warst“, schmunzelt Andy.
„Ich weiß gar nicht, wann ich Lukas zum letzten Mal gesehen habe“, überlegt Iffi laut.
„Meinst du, dass die Toni vielleicht eine Angststörung haben könnte?“ wirft Gabi plötzlich ein.
„Ach, so ein Unsinn“, blafft Andy sie an, „warum sollte sie denn eine Angststörung haben?“
„Naja“, meint Gabi, „immerhin hat sie damals ja so halbwegs mitansehen müssen, wie der Momo den Engel über die Balkonbrüstung... also ihr wisst's schon... also... ich meine... das muss man ja auch irgendwie verarbeiten.“
„Oh je, jetzt fang doch nicht mit solchen Psychogeschichten an“, stöhnt Iffi.
„Mit so etwas muss man ganz behutsam umgehen“, weiß Gabi, „ich könnt ja mal mit ihr ganz vorsichtig reden, wenn ich...“
„Hör bloß auf damit“, fährt Andy ihr über den Mund. „Wenn du ihr jetzt wer weiß was einredest, dann hat die hinterher wirklich noch eine Angststörung!“
Helga, die die ganze Zeit ein wenig abseits der Diskussionsrunde gesessen und Zeitung gelesen hat, meldet sich nun auch zu Wort: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Antonia eine Angststörung hat. Aber das hier in der Zeitung ist interessant. Jens Spahn sagt, dass bis Mai 20% der deutschen Bevölkerung geimpft sein sollen.“
„Der Spahn soll mal lieber gar nichts mehr sagen“, mault Andy, „da kommt doch sowieso nur Dünnschiss raus.“
„Und 20 % sind ja mal wirklich gar nix, wenn man bedenkt, wie lange diese Impferei schon läuft und wie weit manch anderes Land damit schon ist“, meint Gabi.
„Also ich bin jedenfalls froh, dass ich geimpft bin“, erklärt Helga. „Da fühle ich mich doch gleich viel sicherer.“
„Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll, wenn ich erst einmal an der Reihe bin“, jammert Gabi. „Einerseits hab ich ja schon Angst vor Corona. Aber auf der anderen Seite hab ich auch Angst, vor den möglichen Nebenwirkungen...“
Und so wandelt sich die Diskussion über Antonia in eine Diskussion über das leidige Corona-Thema, ehe man dann letztendlich doch wieder beim Thema Angststörung landet und Gabi erneut die Frage in den Raum stellt, ob Antonia nicht doch unter seiner solchen leiden könnte...
Derweil hängt Antonia gemeinsam mit Annalena und Lovis beim Jugendzentrum in der Nähe der Lindenstraße ab. Der Innenbereich ist aufgrund des Lockdowns noch gesperrt, aber im Außenbereich tummeln sich massenhaft junge Menschen, obwohl eigentlich auch das zur Zeit untersagt ist, aber da das Gelände nicht eingezäunt ist, sondern nur notdürftig mit Absperrband umzogen wurde, hält sich keiner daran. Die drei Mädchen sitzen auf einer der Tischtennisplatten, genießen die warme Frühlingssonne und quatschen über Gott und die Welt, als Lovis plötzlich bemerkt, dass ein Junge sie schon eine ganze Weile lang beobachtet.
„Der ist süß“, beurteilt Annalena den Jungen mit offensichtlich arabischen Wurzeln.
Die Mädels kichern und tuscheln noch eine Weile über den Jungen, der auch sie weiterhin beobachtet und immer wieder zu ihnen rüber lächelt. Irgendwann verabschieden sich Annalena und Lovis, während Antonia noch im Jugendzentrum bleibt – sie hat keinen Bock auf Zuhause. Gedankenverloren sitzt Antonia weiterhin auf der Tischtennisplatte und starrt auf ihr Handy.
„Wow, hast du schöne Augen.“
Antonia blickt irritiert auf und ist leicht verunsichert, als der süße Typ plötzlich vor ihr steht und sie anlächelt.
„Äääh...ja?“ fragt sie verdutzt.
„Ich bin Karim“, stellt er sich freundlich lächelnd vor.
„An...Antonia“, erwidert Toni.
„Freut mich, Anantonia“ sagt Karim grinsend.
„Ne...äh... nur Antonia...also... ohne An...als...ähäm“, stammelt Antonia.
„Also Tonia?“ fragte Karim grinsend.
„Antonia!“
„Also doch mit An“, erwidert Karim und beide müssen lachen.
„Ich glaub, ich muss jetzt langsam mal los“, sagt Antonia.
„Oh, das bricht mir jetzt aber das Herz“, entgegnet Karim theatralisch. „Bleib doch noch, ich würd gern noch ein bisschen mit dir quatschen. Wann trifft man schon mal ein Mädchen mit so schönen Augen. Sowas sieht man doch sonst nur im Kino.“
„Ich muss leider“, seufzt Antonia, „sonst gibt’s nur wieder Stress mit meiner Mutter.“
„Wo wohnst du denn?“ fragt Karim.
„Kastanienstraße.“
„Dann bring ich dich noch“, schlägt Karim vor.
„Okay“, antworte Antonia und schlägt den Weg Richtung Straße ein.
„Mein Auto steht da vorne“, sagt Karim und zeigt in die entgegengesetzte Richtung.
„Oh...ach so“, murmelt Antonia – und ist sprachlos, als sie eine knappe Minute später vor einem offenbar nagelneuen 3er BMW steht. „Ist das deiner?“ fragt sie fassunglos.
„Ist nur geleast“, erwidert Karim und hält ihr die Beifahrertür auf.
„Aaah ja“, sagt Antonia und steigt ein – sie weiß nicht so recht, was sie von der ganzen Sache halten soll. Die ganze Situation kommt ihr vollkommen unwirklich vor. Einerseits ist sie fasziniert von diesem Karim, seiner charmanten Art, seinem guten Aussehen, dem tollen Auto. Andererseits fühlt sie sich gerade wie in einem merkwürdigen Traum und findet es seltsam, dass so ein junger Typ mit einem so teuren Auto beim Jugendzentrum vorfährt. Dann streift sie sämtlichen unguten Gefühle ab und genießt ganz einfach den Augenblick. Und als Karim mit ihr noch einen kleinen Umweg fahren will, lehnt sie nicht ab.
„Wie alt bis du eigentlich?“ fragt sie ihn unterwegs.
„19“, sagt er, „aber gerade erst. Und du?“
„15“, murmelt sie und fügt eilig hinzu: „Aber fast schon 16.“
Die beiden unterhalten sich noch eine Weile und Antonia möchte wissen, woher Karim stammt. Er erzählt ihr, dass seine Familie aus dem Libanon stammt, er selbst aber in Duisburg geboren wurde, dort aufgewachsen ist und vor einigen Jahren mit seiner Familie nach München gezogen ist. Antonia bittet Karim schließlich, sie in der Ulrike-Böss-Straße rauszulassen. Sie hält es für besser, nicht direkt vor dem Haus auszusteigen, wo ihre neugierige Mutter wahrscheinlich schon hinterm Fenster hängt. Den Rest der Strecke würde sie dann zu Fuß gehen.
„Sehen wir uns wieder?“ fragt Karim zum Abschied.
„Ich... weiß nicht“, flüstert Antonia und plötzlich ist die Skepsis wieder da. Was will so ein Typ ausgerechnet von ihr?
„Gib mir mal deine Nummer“, fordert Karim sie auf, „ich meld mich dann bei dir.“
Antonia gibt ihm schließlich ihre Handynummer, ist sich aber ziemlich sicher, dass sie Karim nie wiedersehen wird. Umso erfreuter ist sie, als sie später am Abend tatsächlich eine Sprachnachricht von ihm erhält und er sie fragt, ob sie sich am Wochenende mal treffen wollen... Und wieder wirft Antonia ihre Skepsis über Bord und sagt zu.

Angelina erhält am frühen Morgen einen Anruf von Phil Seegers, der ihr mitteilt, dass mit der Übernahme der Hotelbaustelle nun alles offiziell unter Dach und Fach ist.
„Das ist nun dein Projekt“, erklärt er ihr gönnerhaft. „Nun zeig mal, was du drauf hast und mach was Tolles daraus.“
Für Angelina hat es immer noch einen bitteren Beigeschmack, dass sie bei ihrem heiß begehrten Hotel-Projekt nun ausgerechnet von Seegers abhängig ist. Aber sie ist fest entschlossen, das Beste daraus zu machen und auch den größtmöglichen Gewinn damit zu erzielen, um letzten Endes für sich selbst noch so viel wie möglich aus der Sache rauszuholen. Und so trifft sie sich auch später mit Kornelia an der Hotelbaustelle.
„Also ich möchte auf jeden Fall noch eine Tiefgarage haben“, erklärt Angelina der Architektin, „die soll man dann von hinten aus der Parallelstraße erreichen. Und sie soll möglichst dicht dran an das Haus Nummer 3...“
„Es wäre auch möglich, sie mehr hinter raus zu bauen“, erklärt Kornelia. „Dann hätten die Anwohner nicht so viel mit dem Baulärm zu schaffen.“
„Die Anwohner sind mir reichlich egal“, sagt Angelina abfällig. „Außerdem gehört mir die Nummer 3. Und ich denke darüber nach, das Hotel möglicherweise noch in diese Richtung zu erweitern.“
„Das Haus Nummer 3 soll weg?“ fragt Kornelia.
„Längerfristig“, antwortet Angelina grinsend.
„Verstehe“, erwidert Kornelia und macht sich eine Notiz auf ihrem Tablet.
„Kornelia???“ ertönt plötzlich eine überraschte Stimme von hinten. Als Angelina und Kornelia sich umdrehen, steht hinter ihnen auf dem Bürgersteig keine Geringere als Helga.
„Frau Beimer“, entfährt es Kornelia leicht überfordert.
„Oh mein Gott, ich kann's kaum glauben“, zwitschert Helga und kann sich kaum beherrschen, ihrem Gegenüber nicht um den Hals zu fallen. „Wie lange ist das jetzt her? Das müssen doch annähernd dreißig Jahre sein!“
„Ja, das kommt hin“, entgegnet Kornelia ausweichend und konzentriert sich wieder auf ihre Unterlagen. Helga ist derweil völlig in ihrem Element, sprudelt los von der guten alten Zeit, von ihrem lieben Benny und seinem tragischen, viel zu frühen Tod und davon, wie erwachsen Kornelia doch geworden sei.
„Und du arbeitest jetzt als Architektin an diesem Hotel?“ fragt Helga bewundert und schlägt sich dann entsetzt die Hand vor den Mund. „Oh mein Gott, darf ich überhaupt noch DU sagen?“
„Aber natürlich, Frau Beimer“, zischt Kornelia genervt.
„Frau Beimer,“ mischt sich nun Angelina gewohnt bissig ein, „es wäre sehr nett, wenn Sie uns nun in Ruhe lassen könnten. Wir haben nämlich zu tun! Es gibt auch noch Menschen, die arbeiten müssen und nicht den ganzen Tag vertrödeln können, auch wenn Sie sich das als Rentnerin vielleicht nicht vorstellen können.“
„Also wirklich, so eine Unverschämtheit“, grantelt Helga Angelina an und wendet sich dann im Weggehen nochmal an Kornelia: „Wenn du mal plaudern möchtest, kannst du jederzeit bei mir vorbeikommen. Ich wohne immer noch in der selben Wohnung wie vor 30 Jahren.“
„Warum wundert mich das jetzt nicht...“, murmelt Kornelia, als Helga außer Hörweite ist. Dann sagt sie zu Angelina: „Es wird wirklich höchste Zeit, frischen Wind in diese piefige Straße zu bringen. Aber so, wie ich die Leute hier in Erinnerung habe, kann ich mir nicht vorstellen, dass die freiwillig das Feld räumen.“
Angelina ist erfreut, dass Kornelia offenbar die gleichen Ansichten zu haben scheint wie sie und berichtet: „Nun ja, ich hab mir halt schon so überlegt, ob es nicht vielleicht beim Bau der Tiefgarage zu einem kleinen Unfall kommen könnte, der auch das Fundament des Hauses Nr. 3 in Mitleidenschaft zieht...“
„Verstehe“, grinst Kornelia. „Na, da wird sich wohl was ,machen lassen. Aber sagen Sie mal, haben Sie denn schon einen Plan, wer das Hotel später kaufen soll? Oder wollen Sie das etwa selbst übernehmen?“
„Gott bewahre, nein“, erwidert Angelina entsetzt. „Aber darüber habe ich mir jetzt noch nicht so viele Gedanken gemacht. Ich hab ja die Hoffnung, dass Herr Seegers da vielleicht ein paar rentable Kontakte hat.“
„Nun ja, so ein paar Kontakte habe ich auch“, deutet Kornelia an.
„Wirklich?“ fragt Angelina interessiert.
„Sagt Ihnen zufällig der Name Hubertus zu Hohenlobese etwas?“ fragt Kornelia.
„Dieser Hotelketten-Betreiber?“ fragt Angelina und kann kaum noch ihre Aufregung unterdrücken.
„Genau“, bestätigt Kornelia. „Für den habe ich auch schon ein paar Hotels gebaut. Und wenn das Projekt nun eine andere Größenordnung bekommt als ursprünglich geplant, könnte ich mir schon vorstellen, dass das in das Konzept seiner anderen Hotels passt.“
Angelina kann ihr Glück kaum fassen, als Kornelia ihr dann noch mitteilt, dass sie sich für den weiteren Hotel-Teil, der auf dem Grundstück der Nummer 3 entstehen soll, mal an eine Planung machen wird, die dem Konzept der anderen Hotels aus zu Hohenlobeses Kette entsprechen wird – und dass sie dann, zu gegebener Zeit, einen Kontakt zwischen ihm und Angelina herstellen wird. Die beiden Frauen planen noch eine ganze Weile weiter und Angelinas Stimmung wird dabei immer besser. Als sie sich schließlich nach Hause begibt, ist sie allerbester Laune. Doch als sie die Wohnungstür aufschließt, schießt ihr eine penetrante Geruchsmischung aus Knoblauch, Zwiebeln und Fett in die Nase und Nico stürmt ihr bereits im Wohnungsflur entgegenen.
„Wir haben Besuch“, flüstert er aufgeregt.
„Besuch? Was denn für Besuch?“ fragt Angelina irritiert.
In diesem Moment tritt ein etwas abgerissen aussehender Mann um die 60 aus der Küche, eine Kochschürze umgebunden und einen Löffel in der Hand. Bei Angelinas Anblick ruft er erfreut: „Angelina! Che gioia. La mia Bellissima Nipote!“
„Onkel Claudio?!?!“ entfährt es Angelina fassungslos.
Tatsächlich! Vor ihr steht ihr Onkel Claudio Russo, der Bruder ihrer verstorbenen Mutter Sabrina.
„Was machst du denn hier?“ will Angelina wissen.
Und daraufhin beginnt Onkel Claudio zu erzählen: Dass seine Pizzeria in Mannheim die Corona-Krise nicht überstanden hat, dass ihm der erste Lockdown schon übel zugerichtet, der zweite ihm dann aber endgültig das Genick gebrochen hat, dass er völlig pleite ist und keine berufliche Perspektive mehr sieht, auch aufgrund seines Alters und seines Migrationshintergrunds, dass er zu Enzo Kontakt aufgenommen hat, der sich derzeit auf Kuba aufhält und dort einen Job hat. Und dass Enzo ihn schließlich dazu ermutigt hat, nach München zu gehen und Angelina um Hilfe zu bitten...
„Enzo!“ faucht Angelina und betrachtet fassungslos das Koch-Chaos, das ihr Onkel in ihrer Küche angerichtet hat.
„Si si, der gute Enzo“, jubelt Onkel Claudio. „Er hat mire damals schon so viele geholfen, alse er bei mire in Mannheim war. Il bravo Ragazzo. Eine guter Junger!“
„Und warum genau hat Enzo dich jetzt HIERHER geschickt?“ fragt Angelina misstrauisch.
„Nun ja... äh... also... ähäm“, stammelt Claudio etwas verlegen herum, „er hat gesagte, du haste genug Platze und genug Gelde und du könntest mich erstemale aufnehmen und ein bisschen unterstützen, bis ich wieder auf die Beine komme...“
„Hat er das?“ zischt Angelina fassungslos. „Moment bitte!“ Mit hastigen Schritten eilt sie in ihr Schlafzimmer, zückt ihr Handy und startet einen Videoanruf bei ihrem Bruder.
„Angelina, Sorella Cuore“,meldet sich Enzo gut gelaunt aus Kuba – und bekommt von seinem Schwesterherz gleich einen ordentlichen Anpfiff, was er sich eigentlich dabei denken würde, ihr Onkel Claudio auf den Hals zu hetzen.
„Sorella, er ist Familie“, erklärt Enzo.
„Ja, das ist aber nicht meine Schuld“, giftet Angelina ihn an.
„Er hat durch Corona alles verloren. Und er ist ganz allein, wir sind die einzige Familie, die er noch hat.“
„Und auch das ist nicht meine Schuld“, zickt Angelina weiter. Das Telefonat der Geschwister entwickelt sich zu einer heftigen Debatte, die darin gipfelt, dass Angelina sich standhaft weigert, Onkel Claudio bei sich aufzunehmen und durchzufüttern.
„Das kannst du nicht machen“, sagt Enzo.
„Und wie ich das kann“, mault Angelina. „Ich hab doch hier kein Obdachlosen-Asyl!“
„Angelina, denk doch einmal nicht nur an dich!“
„Das sagst du mir?“ pfeift Angelina ihren Bruder an. „Du hast dich doch ans andere Ende der Welt verpisst. Wenn dir die Familie so wichtig ist, dann komm zurück und kümmere du dich um ihn.“
„Wenn du ihn vor die Tür setzt...“, beginnt Enzo.
„Was ich in fünf Minuten machen werde“, unterbricht Angelina ihren Bruder.
„... dann war es das mit uns“, droht Enzo. „Wir sind dann geschiedene Leute. Ein für alle mal. Und dann hast DU niemanden mehr. Und irgendwann wirst du's bereuen. Also überleg dir lieber gut, was du jetzt machst...“

CLIFFHANGER auf: Angelina Dressler

Mitwirkende Personen
Dr. Sebastian Ritter
Marcella Varese
Helga Beimer
Gabi Zenker
Andy Zenker
Iffi Zenker
Nico Zenker
Antonia Zenker
Roland Landmann
Robert Engel
Annalena Wendland
Lovis Wendland
Claudio Russo
Angelina Dressler
Enzo Buchstab
Kornelia Harnisch
Phil Seegers
Hans-Wilhelm Hülsch
Gina Conti
Laura Steinke
Karim El-Farooq

© by 'popo wolfson' 2021

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: Sa 10. Apr 2021, 23:02 


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