Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
Aktuelle Zeit: So 5. Mai 2024, 05:33

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 4 Beiträge ] 
Autor Nachricht
BeitragVerfasst: So 21. Apr 2024, 13:24 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: Di 14. Sep 2010, 16:04
Beiträge: 10227
Wohnort: Popihausen
Folge 1915: Manchmal reicht die Liebe nicht

Spieltag: Donnerstag, 18.04.2024

Simone und Vasily rekeln sich an diesem Morgen ausgiebig in Vasilys Bett. Nach einem frühen Besuch im Großmarkt ist der Grieche nochmal in sein Schlafzimmer zurückgekehrt. Die weiteren Vorbereitungen für das heutige Tagesgeschäft müssen noch ein wenig auf sich warten.
Nach Simones Eifersuchtsanflug in der Vorwoche, als sie erfahren hat, dass Vasily seine Ex-Frau Mary für mehrere Wochen bei sich beherbergen wird, haben die beiden sich mittlerweile längst wieder versöhnt.
„Vielleicht sollte ich ja doch zu dir ziehen“, sagt Simone plötzlich.
„Ach“, macht Vasily überrascht. „Du willst deine Wohnung in Starnberg aufgeben? Die tolle Wohnung mit Blick auf den See? Der Blick auf den See, der so inspirierend für dich und deine Geschichten ist? Wie kann denn das so plötzlich? Willst du hier überwachen, was Mary und ich so treiben? Bist du etwa doch noch eifersüchtig?“
„Wer redet denn von aufgeben?“, fragt Simone. „Die Wohnung behalte ich natürlich trotzdem. So eine Zweitwohnung fürs Wochenende oder als Ausweichmöglichkeit kann doch nie schaden…“
„Ausweichmöglichkeit? Wenn du mal wieder eifersüchtig bist?“, stichelt Vasily und bekommt zur Strafe Simones Kissen mitten ins Gesicht…
Eine Weile später macht Vasily sich dann doch an die Arbeit. Das Lokal öffnet bald und die Arbeit macht sich nicht von alleine. Während Vasily mit der jungen Küchenhilfe Lemlem dem Getränkelieferanten beim Reinschleppen von Kästen hilft, sitzt Simone im Biergarten in der Sonne und scrollt unschlüssig mit ihrem Laptop durchs Netz. Ihr Society-Buch ist, wie erhofft, ein voller Erfolg. Die Verkaufszahlen stimmen und die Kritiken und Kunden-Rezensionen sind voll des Lobes. Simone ist zufrieden. Dennoch sollte sie sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, sondern allmählich Gedanken über ein Nachfolger-Projekt machen. Vielleicht endlich mal wieder ein Regionalkrimi? Sie hat ihren Kommissar Aiderbichl schon ziemlich lange sträflich vernachlässigt. Oder ist sie diesem eher seichten Genre mittlerweile entwachsen und sollte sich nur noch anspruchsvollerer Literatur widmen? Während sie ihren Gedanken nachhängt, kommt Klaus vorbei. Kurz beobachtet er das Szenario, in dem Vasily und seine schmächtige Küchenhelferin die schweren Getränkekisten schleppen, während Simone hoheitsvoll auf ihrem Platz in der Sonne thront und offensichtlich eine ruhige Kugel schiebt. Inzwischen hat auch Fabian seine heutige Schicht als Koch angetreten und packt mit an, nur Simone rührt weiterhin keinen Finger. Eigentlich könnte Klaus diese groteske Situation belächeln, doch so richtig will ihm das nicht gelingen, denn er ist immer noch voller Wut auf Simone und da Nastya sich weigert, zu seinen Gunsten auszusagen, wird sie wohl mit ihrer Dreistigkeit tatsächlich durchkommen und Klaus kann sein Society-Projekt endgültig in die Tonne treten… Wütend und enttäuscht setzt er seinen Weg fort – wenn er noch länger in der Nähe dieser widerlichen Frau bleibt, platzt ihm nur wieder der Kragen und er verliert die Beherrschung.
Als später am Tag das Geschäft im Akropolis läuft und der Biergarten sich zunehmend mit Gästen füllt, die draußen in der Frühlingssonne sitzen möchten, flüchtet Simone sich mit samt Laptop an die Theke im Gastraum. Irgendwann nimmt ein langhaariger Typ neben ihr auf einem freien Hocker Platz.
„Na, schöne Frau, ganz alleine hier?“ flirtet er sie unverblümt an.
„Ich arbeite“, gibt Simone kurz angebunden zurück – muss sich allerdings insgeheim eingestehen, dass sie den Kerl nicht unattraktiv findet, und genießt es, aus den Augenwinkeln wahrzunehmen, dass er immer wieder zu ihr rüber sieht.
In diesem Moment kommt Vasily von draußen herein und stellt sich hinter den Tresen und Simone gibt sich sofort betont gleichgültig und schiebt ihren Laptop sogar ein Stück weit zur Seite, um dem Typen den Rücken zuzudrehen.
„Mikis?“, entfährt es Vasily in diesem Moment.
„Hi Vasily“, erwidert der Angesprochene. Und Vasily fällt aus allen Wolken: Vor ihm am Tresen sitzt tatsächlich Mikis Houeris, der sich vor fast 20 Jahren mit wehenden Fahnen aus dem Staub gemacht hat, um seinen Traum, ein erfolgreicher Musiker zu werden, wahrzumachen. Seitdem hat er nie wieder was von sich hören lassen, geschweige denn, sich blicken lassen…
Simones Interesse ist nun geweckt und sie dreht sich samt Laptop nun doch wieder in die Richtung des attraktiven Langhaarigen, der ja offenbar mit Vasily bekannt ist.
„Gib der Lady mal einen Drink auf meine Kosten aus“, sagt Mikis großkotzig und zündet sich eine Zigarette an.
„Die Lady ist meine Freundin“, knurrt Vasily ihn brummig an. „Und hier drinnen ist Rauchverbot!“
„Wie spießig“, sagt Mikis und entsorgt die Zigarette in einem stehengebliebenen halbvollen Bierglas auf der Theke und meint dann in Simones Richtung: „Also, damit meine ich das Rauchverbot. Nicht Sie!“
Mürrisch erläutert Vasily Simone sein verwandtschaftliches Verhältnis zu Mikis; dass er der Sohn einer jüngeren Cousine seiner Mutter Elena ist und gleichzeitig der Patensohn von Vasily – allerdings eher aus dem Grund, weil Vasilys nach Mikis Geburt quasi mehr oder weniger dazu genötigt wurde, da alle anderen Verwandten aus Mikis’ näherem Umfeld zu dieser Zeit bereits reichlich mit Patenkindern eingedeckt waren … Dass er Mikis nur einige Male als kleines Kind gesehen hat und danach rund 20 Jahre gar nicht – bis Mikis dann irgendwann in München aufgetaucht, eine Weile im Akropolis gekellnert und für jede Menge Wirbel gesorgt hat, um dann wieder aus seinem Leben zu verschwinden … was nun auch wieder annähernd 20 Jahre her ist…
„Was willst du hier?“, fragt Vasily ihn abweisend. „Du wirst wohl kaum vorbeigekommen sein, weil du Sehnsucht nach mir hattest. Brauchst du Geld, oder was?“
„Nun ja…“, beginnt Mikis zögerlich.
„Hab ich’s doch gewusst“, lacht Vasily auf.
„Ich will dich nicht anschnorren!“ versichert Mikis. „Ich will schon arbeiten für die Kohle!“
„Arbeiten!“ lacht Vasily erneut auf. „Du und arbeiten? Ist der Papst katholisch? Das hat doch schon einmal nicht funktioniert!“
„Hör mal, so schlecht hab ich meinen Job nun echt nicht gemacht!“, verteidigt Mikis sich. „Dass ich hier letzten Endes die Biege gemacht habe, lag doch wohl vor allem an diesem Arsch Julian!“
„Und vorher hast du dich natürlich überschlagen vor Tatendrang“, grinst Vasily und sagt dann an Simone gewandt: „Den Großteil seiner Arbeitszeit hat er damit verbracht, auf der Bühne zu sitzen, Gitarre zu spielen und zu rauchen, weißt du!?“
Mikis verdreht genervt die Augen.
„Er hat dabei bestimmt nicht schlecht ausgesehen“, entfährt es Simone unbedarft und unüberlegt. Erschrocken hält sie sich die Hand von den Mund. Vasily überhört die Spitze, er ist sich sicher, dass das eine Retourkutsche von Simones Seite werden sollte, wegen der Sache mit Mary …
„Was genau willst du nun von mir?“, fährt er stattdessen Mikis an. „Dass ich dich wieder als Kellner einstelle?“
„Ich wollte dir einen ganz anderen Vorschlag machen“, erklärt Mikis.
„Jetzt bin ich aber gespannt“, erwidert Vasily – wobei sich die Spannung in seiner Stimme in argen Grenzen hält.
„Ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt im Moment mit allen möglichen Gelegenheitsjobs…“, gesteht Mikis kleinlaut.
„Hat es also mit der großen Musikkarriere nicht geklappt?!“ stellt Vasily abschätzend fest.
„Unter anderem auch mit Gitarrenunterricht“, setzt Mikis unbeirrt fort.
„Ich brauche keinen Gitarrenunterricht“, fällt Vasily ihm erneut ins Wort.
„Jetzt quatsch doch mal nicht ständig dazwischen“, sagt Mikis ein wenig ungehalten. „Ich wollte dir was anderes vorschlagen: Panaiotis hatte hier doch früher mal eine Tanzschule für griechische Tänze. Ich hab gedacht, vielleicht könnte man sowas hier wieder aufziehen…“
„Mit dir als Tanzlehrer?“, fragt Vasily ungläubig.
„Tanzen kann ich“, erklärt Mikis. „Musik ist halt voll mein Ding - in jeder Form.“
„Mein Vater hatte damals für seine Tanzkurse eine Wohnung hier in der Nachbarschaft angemietet“, erläutert Vasily. „Um den normalen Betrieb hier nicht zu stören. Wenn du hier Tanzkurse gibst, müssten wir ja ständig das Lokal dicht machen.“
„Ihr habt doch montags Ruhetag“, wirft Mikis ein.
„Nein, nicht mehr“, erwidert Vasily.
„Vasily ist ein Workaholic“, mischt Simone sich grinsend ein.
„Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell alles den Bach runtergehen kann“, knurrt Vasily. „Ruhetage will ich mir daher nicht leisten.“
„Sag ich doch; Workaholic!“ Simone zwinkert Mikis zu.
„Es müsste ja nur für ein paar Stunden sein“, meint Mikis. „An einem Tag in der Woche.“
„Nichts da“, grummelt Vasily. „Wenn du eine Tanzschule aufmachen willst, dann such dir dafür gefälligst andere Räumlichkeiten. Aber nicht mein Lokal!“
„Dein letztes Wort?“, fragt Mikis.
„Ja“, knurrt Vasily. Dann hält er kurz inne und sagt: „Ich könnte dir höchstens wieder einen Kellnerjob anbieten, wenn es denn unbedingt sein muss. Personal kann ich immer gebrauchen. Aber nur, wenn du auch vernünftig arbeitest und nicht den lieben langen Tag nur rauchst und Gitarren spielst!“
„Kann ich auch bei dir wohnen?“, schießt Mikis gleich nach.
„Nein, dafür hab ich keinen Platz“, lehnt Vasily augenblicklich entrüstet ab.
„Ach, komm schon“, drängt Mikis. „Du hast nun wirklich Platz genug!“
„Mary kommt bald für ein paar Wochen aus Berlin hierher“, erklärt Vasily. „Da brauche ich das Gästezimmer!“
„Mary kommt?“ Mikis’ Augen beginnen zu leuchten.
„Vergiss es“, zischt Vasily. „Mary steht nach wie vor nicht auf solche… solche Typen wie dich, die… die so sprunghaft und verantwortungslos sind.“
„Ich schlaf auch auf der Couch“, sagt Mikis. „Oder auf einer Luftmatratze im Flur! Meinetwegen auch in der Badewanne! Nur bis ich was anderes gefunden habe! Bitte!!!“
Zu guter Letzt gibt Vasily nach. Er erlaubt Mikis, das Gästezimmer zu okkupieren und nach Marys Ankunft vorübergehend auf die Couch umzuziehen, bis er was anderes gefunden hat.
„Na, wenn Mary dann bald kommt, ist die Familie ja quasi fast wieder komplett!“, lacht Mikis. „Fehlen nur noch Elena und Nikos!“
Vasily verdreht genervt die Augen und schärft seinem Patensohn eindringlich ein, anständig zu arbeiten, kein Chaos anzurichten und vor allen Dingen sämtliche Flirtversuche mit Mary oder Simone zu unterlassen. Mikis gelobt sein Bestes – kann es aber trotzdem nicht unterlassen, Simone bereits im nächsten Moment wieder interessiert zu mustern …
Am Abend tritt er seine erste Schicht als Kellner im Akropolis an. Und Vasily muss sich insgeheim eingestehen, dass er seine Sache gar nicht so schlecht macht. Vielleicht ist Mikis in den letzten Jahren ja doch zumindest ein Stück weit erwachsen geworden …

Finn hat heute seinen 1. Schultag. Und noch immer zweifelt er daran, ob er wirklich das Richtige tut. Entsprechend missmutig hockt er an diesem Morgen über seinem Frühstück…
„Wönn dü Schwürüschkeiten host oder ürgendwas nüscht gut läuft, donn göhste einfach zum Konstantin, dör würd dür donn schon hölfen“, versucht Roland ihn aufzubauen.
„Mich stört es halt vor allem, dass die alle so viel jünger sind als ich, aber mir mit ihrem Wissen wahrscheinlich Jahre voraus, nachdem ich so lange auf der Straße gelebt habe“, gibt Finn zu.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das sehr schnell aufholen wirst“, meint Iffi zuversichtlich. „Du bist ja nicht dumm. Und du hast vorher diesen Eignungstest gemacht. Du hast dich also damit für die neunte Klasse qualifiziert. Und dass du ein bisschen älter bist, als die anderen, wird sicher auch niemanden stören.“
Dennoch macht sich Finn mit gemischten Gefühlen auf den Weg zur Bushaltestelle an der Ecke Ulrike-Böss-Straße. Am Zaun der Villa mit der Arztpraxis lehnt dieses blonde Mädchen, eine der Zwillingsschwestern, die bei ihm im Haus leben, und tippt auf ihrem Handy rum. Und ein Stück von ihr entfernt steht dieser bleiche Jüngling, den er auch schon häufiger hier in der Straße gesehen hat, und glotzt vor sich hin.
„Fahrt ihr auch zur Gesamtschule Nord?“, spricht Finn die beiden aufs Geratewohl einfach mal an.
Beide blicken auf.
„Äh, ja“, sagt Maite irritiert. „Wieso?“
„In welche Klasse geht ihr denn?“, erkundigt sich Finn.
„9c“, entgegnet Maite.
„Oh, cool, ich auch“, sagt Finn.
Maite und der bleiche Artjom tauschen einen skeptischen Blick.
„Bist du sicher?“, fragt Maite. „Du bist doch viel älter als wir.“
Da geht’s schon los, denkt sich Finn und sagt: „Ja, ich hab ein paar Jahre… versäumt.“
Während Artjom Finn anstarrt, als wäre er eine exotische Giftschlange, fragt Maite kichernd: „Gleich ein paar Jahre? Dein Ernst? Andere versäumen vielleicht ein paar Wochen oder schlimmstenfalls ein paar Monate!“
„Längere Geschichte“, meint Finn schulterzuckend.
Und als sie am Ende der Busfahrt an der Schule ankommen, hat Finn Maite und Artjom über sein Leben auf der Straße in groben Zügen in Kenntnis gesetzt. Beide sind nun doch sichtlich beeindruckt. Maite führt Finn zum Büro von Konstantin, zu dessen Aufgaben als Schulpädagoge es gehört, neuen Schülern erste Instruktionen zu geben und ihn dann zu seinem Klassenraum zu führen.
Dort angekommen, macht Klassenlehrer Uwe Bauer in seiner gewohnt unsympathischen Art gleich mal ein paar Anmerkungen darüber, dass er vermutlich bald Rentner unterrichten darf. Auch die Mitschüler sind ein wenig irritiert. Sie wussten zwar, dass heute ein Neuer kommt, aber dass der mindestens 18 ist, erstaunt sie dann doch. Während Maite Finn freundlich zulächelt, zeigt Artjom ihm inzwischen die kalte Schulter und nutzt den allgemeinen Tumult in der Klasse, um sich lieber seinem im Unterricht eigentlich verbotenen Handy zu widmen. Die Klassenrabauken Cedric und Lenny stecken tuschelnd die Köpfe zusammen…
„Wie oft biste denn hängen geblieben, Alter?“, ruft Cedric ihm schließlich glucksend zu.
„Möchtest du uns vielleicht erzählen, woher du kommst?“, fragt Lehrer Bauer. „Oder soll ich lieber SIE sagen?“
Finn kotzt der Zynismus des Mannes an. Wie kann denn so jemand Lehrer werden?
„Nee, keinen Bock“, erwidert er.
„Also so nicht, Freundchen“, schnauzt Bauer ihn darauf an. „Ich denke, sowohl deine Mitschüler wie auch ich werden wohl ein Recht haben, mehr über dich zu erfahren, zumal du hier ja nicht ganz in die Altersgruppe passt, gell?“
„Dann gucken Sie doch in meine Akte“, knurrt Finn ihn rotzig an.
Bauer holt tief Luft. „Widerworte dulde ich in meinem Unterricht gar nicht“, erklärt er mit harter Stimme. „Das kannst du dir gleich mal hinter die Löffel schreiben! Und wenn man mich mal außen vor lässt; deine Mitschülerinnen und Mitschüler haben nicht die Gelegenheit, die Schulakten einzusehen und würden sich auch gerne erfahren, was du hier suchst.“
„Wenn ich hier unerwünscht bin, kann ich ja auch wieder gehen“, sagt Finn, schnappt sich seinen Rucksack und verlässt den Raum.
„Ja, bitte, dann nicht!,“ motzt Bauer schulterzuckend. „Dann können wir ja mit dem Stoff weitermachen…“
Finn irrt derweil leicht desorientiert durch das Schulgebäude. Wo war denn hier noch gleich der verfickte Ausgang?
„Was wird das denn hier?“, ertönt plötzliche eine rauchige Frauenstimme. „Mir ist nicht bewusst, dass gerade irgendwelcher Unterricht ausfällt!“
Finn dreht sich um und sieht sich einer großen, schlanken, schwarzgekleideten Frau gegenüber: Die Schulleiterin Dr. Brigitte Klöckner blickt ihn streng an.
„Ich sehe es sehr ungern, wenn sich Schüler während der Unterrichtszeit außerhalb der Klassenräume herumtreiben!“, erklärt sie böse.
„Ich bin kein Schüler“, winkt Finn ab.
„Aha! Das ist ja noch schöner! Schulfremde Personen haben hier nun wirklich nichts zu suchen!“
„Ich hab ja eigentlich versucht, hier Schüler zu werden. Aber mit diesem Arschloch von einem Klassenlehrer gebe ich lieber gleich auf!“
Brigitte Klöckner zieht irritiert die Augenbrauen hoch und Finn schildert ihr, wer er ist und wie sein Einstand an der neuen Schule abgelaufen ist. Und tatsächlich befindet sich die Klöckner mitsamt Finn wenige Minuten später wieder im Klassenzimmer und stellt Herrn Bauer wegen seines Verhaltens zur Rede.
„Es ist meine eigene Schuld“, räumt die Direktorin kurz darauf ein. „Ich hätte dafür sorgen müssen, dass ein Schüler mit einem solchen Background hier anders aufgenommen wird und dass sowohl Lehrer wie auch Mitschüler vorher entsprechende Informationen für einen angemessenen Empfang erhalten.“
Brigitte Klöckner fragt Finn, ob er sich vorstellen kann, vor der Klasse Rede und Antwort über sein Leben auf der Straße zu stehen und er ist dazu bereit. In der folgenden Unterrichtsstunde berichtet er, wie er auf der Straße gelandet ist, was er dort erleben und durchleben musste und wie er nun wieder in ein gesellschaftliches Leben zurückkehren konnte. Uwe Bauer ist mittlerweile beschämt verstummt, gibt sich aber alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Und auch die neuen Mitschüler scheinen nahezu in Ehrfurcht erstarrt – und stellen anschließend ihre teils zögerlichen Fragen, die Finn ihnen ungeschönt beantwortet. Beeindruckt sind sie letzten Endes alles. Und in der nächsten Pause wird der neue Mitschüler natürlich umringt.
„Ey, wenn du schon 18 bist, kannste uns ja jetzt immer Bier und Kippen kaufen“, ist scheinbar das einzig Wichtige bei der Sache für Cedric.
„Ich finde das wahnsinnig, dass du den Mut hast, jetzt deinen Schulabschluss nachzumachen“, sagt Sina beeindruckt.
Nur Artjom hält sich im Hintergrund und beäugt Finn weiterhin äußerst misstrauisch.
Als Finn, Maite und Artjom am Nachmittag im Bus zurück Richtung Lindenstraße sitzen, löchert Maite Finn weiterhin mit ihren Fragen, während Artjom zwei Reihen hinter ihnen sitzt und sie schweigend mit finsterem Blick anstarrt…
Zurück in der Lindenstraße, schlendern Finn und Maite gemeinsam Richtung Kastanienstraße, während Artjom schweigend mehrere Meter hinter ihnen her bummelt.
„Der ist aber auch irgendwie strange, oder?“, meint Finn und weist mit seinem Kopf kurz nach hinten in seine Richtung.
„Manchmal ist er total nett und dann wieder voll komisch“, erklärt Maite. „Ich werde einfach nicht schlau aus dem.“
Als die beiden das Haus in der Kastanienstraße erreicht haben, sagt Maite zu Finn: „Wenn du mal was nicht verstehst oder mit dem Stoff hinterher bist oder so, kannst du mich jederzeit fragen. Wir können auch gerne mal zusammen lernen oder Hausaufgaben machen oder so …“
„Okay“, willigt Finn ein. Und als er zuhause ankommt, ist er eigentlich doch ganz zufrieden damit, wie sein erster Schultag letzten Endes verlaufen ist – und erzählt dies auch Iffi und Roland später …

Lisa beobachtet von der Straßenecke aus, wie Murat und Jenny im Döner-Imbiss alles für den heutigen Arbeitstag vorbereiten. Lisa hatte den Imbiss in den letzten Tagen eingehend im Blick, gestern war Jenny noch alleine dort. Offenbar ist das heute Murats erster Arbeitstag nach seinem Urlaub. Lisa wartet noch eine Weile zögernd ab, dann fasst sie sich ein Herz und geht um Imbiss hinüber.
„Hallo“, sagt sie, als sie eintritt.
„Wir haben noch… oh hallo“, kommt es von Murat und er wird augenblicklich nervös.
„Können wir vielleicht mal kurz unter vier Augen reden?“, fragt Lisa Murat und schielt dabei zu Jenny rüber.
„Ich hol mir mal kurz einen Coffee to go im Marcellas“,verkündet diese und spaziert gemächlich in Richtung Ulrike-Böss-Straße.
Einen Moment lang stehen die beiden sich schweigend gegenüber, dann sagt Murat leise: „Ich hab jetzt einen Dauerauftrag eingerichtet. Du bekommst den Unterhalt für Deniz in Zukunft immer pünktlich jeden Ersten. Musst du mir nicht mehr nachlaufen und mich ständig erinnern.“
Er grinst ein wenig dümmlich und Lisa muss kurz lächeln.
„Murat, ich habe Fehler gemacht“, sagt sie plötzlich.
„Was?“, entfährt es diesem verdattert.
„Ich weiß, dass ich nicht immer einfach bin“, gibt sie zu. „Ich bin rechthaberisch und bestimmend und stur. Und manchmal bin ich auch egoistisch. Und ganz oft bin ich ungerecht. Ich… ich hab echt eine ganze Menge Fehler.“
„Ich… ich“, stottert Murat.
„Meine Mutter hat früher immer gesagt, ich bestünde nur aus Fehlern“, resümiert Lisa. „Wer weiß, vielleicht hatte sie damit gar nicht so unrecht…?!“
„Baby… Lisa… ich“, stammelt Murat unbeholfen vor sich hin.
„Murat, ich bin bereit, mich zu ändern“, sagt Lisa nun mit entschlossener Stimme. „Ich bin bereit, an mir zu arbeiten. Mich mehr zu reflektieren. Vielleicht können wir ja eine Ehe-Therapie machen? Oder ich mache alleine eine Therapie. Ich befürchte ja, dass es bei mir noch einiges aufzuarbeiten gibt. Ich bin wirklich bereit, alles dafür zu tun, dass es besser wird! Alles!“
Murat seufzt schwer. „Bab… Lisa… ich...ich“, brabbelt er weiter hilflos vor sich hin.
„Du bedeutest mir mehr als jeder andere Mensch auf der Welt“, sagt Lisa.
Murat sieht sie an wie ein Rindvieh, wenn es donnert. „Tut mir leid“, flüstert er schließlich kaum hörbar. „Aber ich habe mich entschieden…“
„Wie, entschieden…?“, fragt Lisa alarmiert.
„Für Andrea entschieden“, erklärt er leise. „Ich … liebe Andrea. Das ist mir mittlerweile ganz klar bewusst geworden.“
„Und was ist mit uns?“, fragt Lisa fassungslos. „Was ist mit den letzten 20 Jahren? Wir haben so viel zusammen erlebt! So viele Höhen und Tiefen! Das ist doch nicht nichts!“
„Das reicht aber nicht mehr“, erklärt Murat. „Dinge ändern sich! MENSCHEN ändern sich. Das ganze Leben ändert sich ständig!“
„Aber wir lieben uns doch!“, sagt Lisa mit tränenerstickter Stimme. „Und wir sind doch eine Familie!“
„Das bleiben wir ja auch, ich werde immer für Paul und Deniz da sein … und auch für dich!“, versichert Murat. „Und ich liebe dich ja auch immer noch. Irgendwie. Aber das reicht halt manchmal nicht!“
In diesem Moment betritt Jenny vorsichtig den Imbiss. „Klopf klopf“, sagt sie. „Darf ich reinkommen oder soll ich lieber noch eine Runde um den Block gehen?“
Ruckartig fährt Lisa herum, reißt ihr den halb leergetrunkenen Kaffeebecher aus der Hand und schleudert ihn schwungvoll in Murats Richtung. Dieser weicht knapp aus und der Becher klatscht hinter ihn an die Wand.
„Das reicht also nicht, ja?!“, schreit Lisa ihn schrill an.
„Ich hol mir dann mal einen neuen Kaffee“, sagt Jenny schnell und macht wieder kehrt.
„Ich werd dich sowas von fertig machen!“ schreit Lisa ihn an. „Ich will die Scheidung. Ich nehme einen Anwalt! Und DU zahlst die Kosten! Wegen seelischer Grausamkeit. Ich werde dich in Grund und Boden klagen. Ich werd dir alles nehmen, ALLES! Du wirst keinen Fuß mehr auf den Boden kriegen!“
Tränenüberströmt flüchtet Lisa aus dem Imbiss, überholt an der Ecke zur Lindenstraße Jenny, die erneut auf dem Weg zum Marcellas ist, und stolpert blind vor Wut und vor Tränen in den Hauseingang der Nr. 3. Unten bei den Briefkästen im Treppenhaus stehen Helga und Klaus und tratschen. Die haben ihr gerade noch gefehlt… Lisa senkt den Kopf, damit die beiden ihre Tränen nicht sehen, und stürzt grußlos an ihnen vorbei und die Treppen hinauf.
„Jetzt sagt sie nicht mal mehr guten Tag“, beklagt sich Helga. „Ein merkwürdiges Mädchen ist das!“
„Die hatten doch schon immer einen an der Waffel“, meint Klaus und tippt sich an die Stirn.
„Hast du eigentlich mitbekommen, dass die in den letzten Tagen den ganzen Schutt von der Ruine nebenan abgetragen haben, mein Hase?“, fragt Helga. „Die Dressler lässt auf dem Grundstück ein Mietshaus bauen. Diesen Monat oder spätestens Anfang Mai soll der Bau losgehen. Das habe ich von Andy und der hat es von Nico. Na, und der sitzt bei Angelina natürlich an der Quelle. Aber wie schnell das alles geht. Die muss doch irgendeinen Klüngel mit dem Bauamt haben, oder? Was das in der nächsten Zeit dann wieder für einen Lärm und Dreck gleich nebenan bedeuten wird. Ich mag gar nicht dran denken…“
„Aber besser ein Mietshaus als wieder ein Hotel“, befindet Klaus. „Früher stand da ja auch ein Mietshaus. Das passt wenigstens ins Straßenbild.“
„Das alte Haus hätte einfach stehen bleiben sollen“, mosert Helga. „Dann wäre uns allen viel Ärger erspart geblieben…“
In ihrer Wohnung angekommen, ergibt Lisa sich hemmungslos weinend ihrer verzweifelten Trauer und Wut. Als Deniz etwas später aus der Schule kommt, reißt sie sich kurzzeitig zusammen, ist aber heilfroh, als ihre Tochter sich bald darauf zu einer Freundin verabschiedet und sie wieder alleine ist…
Etwas später taucht Paul bei ihr auf und berichtet ihr begeistert, dass er seinen gesamten Jahresurlaub und alle seine Überstunden in diesem Sommer nehmen wird und er und Mika sich dann ein Wohnmobil mieten und die Mittelmeerküste entlang fahren wollen.
„Italien, Südfrankreich, Spanien, Portugal … einfach mal gucken, wohin es uns führt“, schwärmt Paul. „Drei Monate Freiheit!“
„Dann willst du mich also auch verlassen“, sagt Lisa bitter. „So wie mich immer schon alle verlassen haben … Mein ganzes Leben lang…“
„Was redest du denn da?“, fragt Paul verständnislos. „Ich verlass dich doch nicht. Ich mache nur einen längeren Urlaub. Was ist denn los mit dir?“
Und dann brechen bei Lisa erneut alle Dämme und sie heult sich bis ins kleinste Detail bei ihrem Sohn aus …
Am frühen Abend verlässt Lisa dann wieder ihre Wohnung, doch die Frühlingsluft und das Vogelzwitschern nerven sie. Sie setzt sich an einen der Außentische des Marcellas und bestellt sich einen Eisbecher. Doch nach zwei Löffeln lässt sie ihn lustlos stehen.
„Ist irgendwas nicht in Ordnung damit?“, erkundigt sich Gian-Luca, als er etwas später den Becher mit dem geschmolzenen Eissee abholt.
„Euer Eis schmeckt wie Scheiße“, schnauzt Lisa ihn an.
„Soll ich Ihnen etwas anderes bringen?“, fragt Gian-Luca leicht angefressen.
„Ich will hier einfach sitzen und in Ruhe gelassen werden!“, giftet Lisa ihn an und Gian-Luca verkrümelt sich wieder.
Kurze Zeit später verlässt Andrea auf der anderen Straßenseite die Arztpraxis und Lisas Puls beschleunigt sich augenblicklich. Und noch schlimmer wird es, als plötzlich Murat des Weges kommt und sie umarmt und innig küsst. Wie in Trance erhebt Lisa sich und überquert die Straße. Unbemerkt von den beiden drückt sie sich am Gartenzaun der Villa herum und beobachtet sie. Die beiden turteln eine Weile miteinander, dann verabschieden sie sich und Murat verspricht, sofort nach Feierabend zu ihr zu kommen.
„Du hast dein Auto ja gar nicht abgeschlossen“, stellt Murat fest, als Andrea es öffnet, ohne ihren Schlüssel zu benutzen.
„Die Zentralverriegelung ist kaputt“, erklärt sie.
„Willst du das nicht reparieren lassen?“ fragt er.
„Warum? Die alte Möhre klaut doch keiner und ich lass ja auch nichts Wertvolles oder wichtiges drin liegen…“
Murat geht zurück zu seinem Imbiss und Andrea braucht mehrere Anläufe, bis sie ihr Auto starten kann. An dieser alten Schrottkarre ist definitiv noch mehr kaputt als nur die verdammte Zentralverriegelung… Vielleicht sollte sie sich doch mal nach etwas Neuem umsehen…
Andrea setzt zurück, haut knirschend den ersten Gang rein und fährt mit knatterndem Motor davon. Lisas böse Blicke verfolgen sie…
„Du allein bist Schuld an allem“, zischt Lisa ihr verächtlich hinterher. „Ich schwör dir, das wirst du noch bereuen, du Flittchen …“

CLIFFHANGER auf: Lisa Dagdelen

Mitwirkende Personen
Andrea Neumann
Murat Dagdelen
Lisa Dagdelen
Paul Dagdelen
Deniz Dagdelen
Helga Beimer
Klaus Beimer
Jenny Lüders
Simone Stadler
Vasily Sarikakis
Mikis Houeris
Fabian Feldmann
Gian-Luca Conti
Finn Schäfer
Iffi Zenker
Roland Landmann
Konstantin Landmann
Maite Wendland
Artjom Brenner
Dr. Brigitte Klöckner
Uwe Bauer
Cedric Heltau
Lenny Kroon
Sina Kleist
Lemlem Berhane

© ´popo wolfson` 2024

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags:
Verfasst: So 21. Apr 2024, 13:24 


Nach oben
  
 
BeitragVerfasst: So 21. Apr 2024, 15:19 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: Mi 15. Sep 2010, 12:37
Beiträge: 10009
Jawollja, die alte Lisa ist wieder da bash


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
BeitragVerfasst: So 21. Apr 2024, 17:40 
Offline

Registriert: Mi 29. Sep 2010, 00:11
Beiträge: 11591
Scheisse, ich mache mir solche Sorgen um Andrea. buhu


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
BeitragVerfasst: So 21. Apr 2024, 19:11 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: Mi 15. Sep 2010, 12:37
Beiträge: 10009
Es wird ein Gemetzel :mrgreen: Lisas Chainsaw Massacre Bild


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 4 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde


Wer ist online?

0 Mitglieder


Ähnliche Beiträge

Folge 1591 - Lust oder Liebe?
Forum: Lindenstraße aktuell
Autor: bockmouth
Antworten: 1
Folge 1431 - Manchmal kommt es anders...
Forum: Lindenstraße aktuell
Autor: Steinburger
Antworten: 8
Folge 1838 - Schrei nach Liebe
Forum: Lindenstraße aktuell
Autor: popo wolfson
Antworten: 1

Tags

Liebe

Du darfst keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du darfst keine Dateianhänge in diesem Forum erstellen.

Suche nach:
Gehe zu:  
cron
Powered by phpBB® Forum Software © phpBB Group


Bei iphpbb3.com bekommen Sie ein kostenloses Forum mit vielen tollen Extras
Forum kostenlos einrichten - Hot Topics - Tags
Beliebteste Themen: Quelle, NES, Haus, Erde, Liebe

Impressum | Datenschutz