Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1907 - Die Hölle sind wir
BeitragVerfasst: So 4. Feb 2024, 13:18 
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Folge 1907: Die Hölle sind wir

Spieltag: Donnerstag, 01.02.2024


„Warte mal bitte!“
Andy stürmt aus dem Haus, um David noch zu erwischen, ehe er ins Auto steigt und wegfährt.
„Ich hab nicht so viel Zeit“, erwidert David. „Ich kann Phoebe heute aus der Klinik abholen.“
„Das freut mich“, sagt Andy ungewohnt sanft, findet dann aber wieder zu seiner alten Form zurück und poltert los: „Sag mal, was ist eigentlich passiert, als du letztens abends Gabi besucht hast? Seitdem du da warst, ist sie völlig durch den Wind!“ Er hält kurz inne, um über seine eigene Aussage nachzudenken, dann fügt er hinzu: „Also, ich meine, noch mehr durch den Wind, als sie es seit der Hotel-Katastrophe ohnehin schon ist…!“
„Das tut mir leid!“, entgegnet David.
„Ja, davon können wir uns auch nichts kaufen!“, mault Andy. „Was hast du denn mit ihr gemacht?“
„Das soll sie dir am besten selber erklären“, sagt David. „Oder frag am besten gleich Pfarrer Gundlach!“ Damit steigt er in sein Auto und braust davon.
„Pfarrer Gundlach?“, brummt Andy und schaut ihm irritiert nach. „Was hat’nn der Pfaffe jetzt damit zu tun?“
Als Andy etwas später in die Wohnung zurück kehrt, findet er Gabi geistesabwesend am Fenster vor.
„Es ist schön draußen“, sagt er. „Klar und kalt. Ein traumhafter Wintertag. Wollen wir nicht einen Spaziergang machen?“
„Naaa“,sagt Gabi tonlos. „Du hast’s unten grad mit’m David geredet. Was hat er g’sagt?“ Gabi starrt weiter zur Straße hinab und dreht ihrem Mann den Rücken zu, während sie spricht.
„Er holt Phoebe aus der Klinik ab“, antwortet Andy.
„Des is schön“, flüstert Gabi.
„Und er meint, ich sollte Pfarrer Gundlach fragen, warum du dich in den letzten Wochen so merkwürdig verhältst.“
Gabi durchzuckt es heiß und kalt.
„Kannst du mir erklären, was er damit meint?“, bohrt Andy.
Gabi malmt mit den Kiefern und starrt verbissen nach draußen. Ehe Andy nochmal nachhaken kann, klingelt es an der Tür.
Draußen steht Angelina.
„Hat sich dein Nachfolger jetzt endlich mal bei dir gemeldet?“, faucht sie ihn an.
„Nein“, brummt Andy.
„Na prima, dann können wir den wohl auch als Hausmeister abhaken“, keift sie wütend. „Okay, es hagelt bei mir Beschwerden von den Mietern, was soll alles kaputt ist.“ Und dann beginnt sie, ihre imaginäre Mängelliste runterzubeten.
„Warum erzählst du mir das?“, fällt Andy ihr nach drei Sätzen ins Wort. „Das ist nicht mein Problem!“
„Natürlich ist es das“, zischt Angelina. „Bis ich einen neuen Hausmeister gefunden habe, behältst du den Posten!“
„Vergiss es!“, schnauzt Andy und schlägt ihr die Tür vor der Nase zu.
„So eine Unverschämtheit!“ zetert sie. Dann zückt sie ihr Handy und wählt erneut Wastis Nummer. Zum wiederholten Mal meldet sich jedoch lediglich seine Mailbox. Und zum wiederholten Mal hinterlässt Angelina eine wutschäumende Nachricht, in der sie ihm Vertragsbuch vorwirft und juristische Konsequenzen androht …
Als Andy zurück ins Schlafzimmer kommt, hat sich Gabi mit dem Gesicht zur Wand gedreht und die Bettdecke über den Kopf gezogen – Andy ist bewusst, dass er hier und jetzt nicht an sie rankommen wird …
Eine Weile später klingelt es erneut an der Wohnunmgstür. Und dieses Mal steht zu Andys großer Überraschung Wasti davor.
„Ich wollte meinen Dienst antreten“, erklärt er zerknirscht. „Vielleicht könnten Sie mich einweisen, dann sind Sie Ihren Posten endlich los!“
„Na endlich!“, knurrt Andy. Dann informiert er Angelina telefonisch darüber, dass ihr neuer Hausmeister nun doch zur Verfügung steht, lässt sich von ihr die Mängelliste durchgeben und führt Wasti anschließend durch das ganze Haus, vom Keller bis zum Dachboden, und erklärt ihm so einiges. Wasti ist dabei eher wortkarg, stellt nur die allernötigsten Fragen und scheint das meiste des Gesagten schweigend zu verinnerlichen.
„Okay“, sagt Andy am Ende der Führung. „Ich würde sagen, jetzt trinken wir ein Bier!“ Erschrocken hält er nach dem letzten Wort die Hand vor den Mund und fügt schnell hinzu: „Einen Kaffee! Wir trinken jetzt einen Kaffee!“
„Ich weiß nicht“, meint Wasti.
„Soviel Zeit muss sein! Im Übrigen bin ich der Andy! Und DU! Schließlich haben wir ja sogar schon zusammen am Stammtisch gesessen. Wenn er auch nur kurz!“
Die beiden schlagen ein, aber Wasti betritt dennoch eher zögernd die Alten-WG. Seine überraschende Begegnung hier mit seinem früheren Peiniger vor einigen Wochen ist nicht spurlos an ihm vorüber gegangen.
Als die beiden Männer gemeinsam in der Küche sitzen und Wasti in seinen Kaffee hinein schweigt, weiß Andy sehr schnell nicht mehr, was er mit diesem komischen Typen reden soll und fühlt sich in dessen nahezu versteinerter Gegenwart zunehmend unwohl. Auf ein bisschen Smalltalk übers Wetter oder aktuelle politische Ereignisse reagiert der neue Hausmeister bestenfalls mit Ein-Wort-Sätzen. Da betritt Gabi plötzlich die Küche.
„Oh, Entschuldigung! Ich wollt’ mir nur a Wärmflasche ma….!“ Mitten im Wort bricht sie ab, als sie erkennt, wer da mit Andy am Küchentisch sitzt, und weicht erschrocken zwei Schritte zurück.
„Ich habe gerade unserem neuen Hausmeister das Zepter überreicht!“, lacht Andy. „Setz dich doch zu uns!“
„Na! Ich… ich…“, stammelt Gabi und verlässt fluchtartig den Raum. Im gleichen Augenblick springt auch Wasti auf. „Ich muss jetzt auch los“, sagt er hastig. „Wenn ich noch Fragen habe, melde ich mich bei Ihnen… also bei dir!!“ Und schon ist er zur Wohnungstür raus.
„Was ist denn hier heute eigentlich los?!?“, motzt Andy und schüttelt verständnislos mit dem Kopf.
Eine Weile später sitzt Gabi vor ihrem Laptop. Sie hat bei Findhund Suchbegriffe wie »sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche« eingegeben und scrollt sich nun durch die Ergebnisse. Mit Widerwillen überfliegt sie einige der Artikel, ehe sie schließlich hektisch ihr Notebook zuklappt und zitternd ein und aus atmet. Das ist alles so ekelhaft. Natürlich ist ihr in den vergangenen Jahren auch nicht entgangen, welche Unglaublichkeiten, die in der Kirche stattgefunden haben, ans Tageslicht gekommen sind. Schwarze Schafe gibt es überall, das will Gabi ja gar nicht von der Hand weisen, aber doch nicht Pfarrer Gundlach! Dieser sanftmütige, aufrichtige Gottesdiener, den sie bereits seit so vielen Jahren kennt, der so viele gute Dinge ehrenamtlich getan hat, so wunderbar predigt und ihr selbst schon so oft Kraft und Stärke in misslichen Lebenslagen gespendet hat. Nein, das kann nicht sein! Pfarrer Gundlach hat mit solch einem Dreck nichts zu tun und ist über jeden Zweifel erhaben.
Dennoch kann Gabi ihr Gedankenkarussell nicht abstellen. Immer wieder dreht sich in ihrem Kopf alles um Gundlach und über die unglaublichen Unterstellungen von diesem Wasti.
Und ausgerechnet an diesem Tag steht Godehard Gundlach plötzlich und unerwartet vor der Tür der Alten-WG, um Gabi einen Besuch abzustatten. Eher zögernd bittet sie ihn rein und der Umgang mit ihm ist viel distanzierter und verkrampfter als üblich. Sollte sie den Pfarrer auf das Thema ansprechen? Gabi fühlt sich völlig überfordert mit der Situation und als Gundlach sich eine Weile später von ihr verabschiedet, ist sie heilfroh, als sie die Türe hinter ihm schließen kann. Nein, sie kann sich immer noch nicht so recht vorstellen, dass dieser Mensch zu solch schrecklichen Dingen fähig sein soll. Aber ein kleiner Zweifel nagt doch in ihr, denn wem kann man schließlich schon hinter die Stirn blicken…?!?


Lea hatte am Morgen einen Termin bei ihrer Frauenärztin, weshalb sie sich heute erst später in den Salon begibt. Nachdem sie sich noch schnell ein belegtes Brötchen im Bayer geholt hat, eilt sie die Lindenstraße entlang in Richtung Ulrike-Böss-Straße, als vor dem Haus Nr. 3 David parkt und mit Phoebe aus dem Auto steigt.
„Hey, wie geht es dir?“, fragt Lea das Mädchen. Phoebe lächelt schüchtern und zuckt unentschlossen mit den Schultern.
„Schön, dass du wieder hier bist!“, sagt Lea freundlich.
In diesem Moment kommt Jeremy aus dem Haus. Er und seine Schwester fallen sich überglücklich in die Arme und verschwinden dann gemeinsam nach drinnen.
„Geht es ihr wieder gut?“ erkundigt sich Lea bei David, nachdem die Haustür hinter den beiden Kindern ins Schloss gefallen ist.
„Naja, gut…“, murmelt David. „Zumindest halten sie sie für stabil genug, als dass sie so etwas nicht nochmal machen würde. In den letzten Wochen haben sie noch umfangreiche psychiatrische und psychologische Untersuchungen mit ihr gemacht.“ David schweigt einen Augenblick nachdenklich. Dann sagt er: „Phoebe sagt, sie wollte eigentlich gar nicht sterben. Sie wollte nicht mal springen. Angeblich… Also sie sagt, da wäre ein Mädchen gewesen, das hätte sie dazu überreden wollen.“
„Ein Mädchen?“, fragt Lea irritiert. „Was denn für ein Mädchen?“
„Keine Ahnung“, meint David schulterzuckend. „Ein paar Jahre älter als sie, sagt Phoebe. Und die hätte zu ihr gesagt, wenn sie springt, dann wartet ihre Mutter da auf sie und sie können für immer zusammen bleiben.“
„Hat sie… sich da eingebildet?“, fragt Lea. „Oder ist dass so eine imaginäre Freundin, wie Kinder sich das manchmal ausdenken?“
David zuckt die Schultern. „Am Anfang meinten die Ärzte in der Klinik das auch“, berichtet er. „Aber nachdem sie bei den Gesprächstherapien in den letzten Wochen immer wieder davon gesprochen hat… Also sie gehen davon aus, dass Phoebe tatsächlich die Wahrheit sagt. Dass da wirklich irgendjemand war, der sie dazu überreden wollte…“
„Was?“ Lea starrt ihn fassungslos an. „Das ist ja total spooky! Was ist denn das für eine Irre?“
Erneut zuckt David mit den Schultern. „Keine Ahnung. Es wurde jedenfalls schon Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Gestern war noch eine Polizeibeamtin in der Klinik und hat Phoebe befragt und sich das Mädchen beschreiben lassen. Mal sehen, was dabei rauskommt…“
„Und wo hat Phoebe dieses Mädchen getroffen?“, fragt Lea.
„Hier! Im Park! Auf dem Spielplatz! Auf der Straße! Anscheinend treibt die sich hier in der Gegend rum!“
„Das ist ja gruselig!“ Lea läuft ein kalter Schauer über den Rücken.
„Phoebe sagt, sie wäre auch da gewesen, an dem Abend, als sie springen wollte… oder sollte“, erklärt David. „Sie hätte hinten an der Ecke zur Ulrike-Böss-Straße gestanden und wollte ihr ein Zeichen geben. Aber als Phoebe dann oben auf dem Dach stand, hätte sie sie nicht mehr gefunden.“
„Wir waren doch auch da unten, meine Oma und ich“, erinnert sich Lea. „Also mir ist da niemand Spezielles aufgefallen. Aber da waren so viele Leute überall. Und alle haben natürlich nur nach oben geguckt. Das war ein heilloses Chaos und alle waren in heller Aufregung.“ Lea denkt kurz nach. „Ich frag nochmal meine Oma, ob ihr was aufgefallen ist. Sollen wir uns direkt bei der Polizei melden, falls uns noch was einfällt?“
„Am besten“, erwidert David. „Aber ich glaube, die Polizei will sich hier eh deswegen noch umhören. Aber falls du dich noch speziell an irgendwelche Anwohner erinnerst, die an dem Abend auch vor Ort waren, kannst du das ja schon mal durchgeben. Das erleichtert es bestimmt, wenn die Polizei schon ein paar Namen hat, die sie gezielt befragen kann.“
Als David in die Wohnung zurück kommt, ist Phoebe gerade dabei, Hope herzlich zu begrüßen, während Familienbetreuerin Martha Liebrecht versonnen lächelnd daneben steht. David hofft, dass der ganze Spuk nun bald ein Ende finden wird und wieder etwas mehr Normalität in ihr Leben einkehren kann.
Im Friseur-Salon sind die Neuigkeiten, die Lea nach ihrem Gespräch mit David an Tanja und `Lotti´ weitergeben kann, an diesem Vormittag natürlich das Gesprächsthema Nummer 1…
Die Vorstellung, dass sich irgendein psychopathischer Teenager in der Nachbarschaft herum drückt, der versucht, kleine Kinder in den Selbstmord zu treiben, finden sie alle gleichermaßen beängstigend.
Und auch als Tanja in ihrer Mittagspause nach Hause kommt, beherrscht das Thema sie immer noch und so erzählt sie Simon beim Essen aufgeregt davon – und den trifft diese Nachricht wie ein Blitz aus heiterem Himmel…
„Was ist denn plötzlich los mit dir?“, fragt Tanja besorgt. „Schmeckt’s dir nicht?“
„Doch, doch“, antwortet Simon, stochert aber lustlos in seinem Essen herum und weiß nicht so recht, wie er mit der neuen Info umgehen soll.
Als Tanja sich am Ende ihrer Mittagspause wieder in den Salon begeben will, kommt er doch auf sie zu.
„Ich muss dir was sagen“, flüstert er heiser. „Ich glaube… ich glaube, ich weiß, wer das Mädchen ist, von dem Phoebe Peschke gesprochen hat…“
Und dann erzählt er seiner Mutter endlich die ganze Geschichte von Tessa – vom Anfang bis zum Ende, in allen Einzelheiten. Tanja hört ihm fassungslos zu.
„Warum hast du mir denn nicht schon früher davon erzählt?“, fragt sie verständnislos.
Simon zuckt mit den Schultern. „Ich weiß nicht… Ich hab mich nicht getraut. Ich dachte, ich krieg nur wieder Ärger…“
„Weil du auf eine Psychopathin reingefallen bist?“, fragt Tanja. „Simon, das ist doch nicht deine Schuld!“
„Ich weiß auch nicht…“, murmelt Simon. „Ich hab mich geschämt, weil ich schon wieder Mist gebaut habe.“
„Immerhin weiß Nina Bescheid!“, sagt Tanja. „Los, wir gehen jetzt zu ihr.“
Kurz darauf tauchen Tanja und Simon dann auch gemeinsam in der Kastanienstraße bei Nina auf, die gerade von ihrer Frühschicht nach Hause gekommen ist, und berichten ihr von Simons Verdacht. Auch Antonia, die ebenfalls anwesend ist, horcht auf. Nina erscheint die ganze Sache schlüssig und sie beschließt, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Nach Rücksprache mit einer Kollegin taucht sie später an diesem Nachmittag mit einem Fahndungsbild von Tessa bei David auf.
„Ist das das Mädchen?“, fragt sie Phoebe. Diese betrachtet das Bild vorsichtig, dann nickt sie.
„Bist du sicher?“, hakt David nach.
„Ja“, erwidert Phoebe. „Sie hat gesagt, sie ist meine Freundin. Und sie hat gesagt, wenn ich springe, dann komme ich zu Mama ins Eulalium.“
Nina schärft Phoebe ein, dass sie ihr oder David sofort Bescheid sagen muss, falls Tessa nochmal auftaucht.
„Die kriegen wir“, versichert Nina David, als sie sich verabschiedet. Dieser hat derweil das Gefühl, dass ihm alles über den Kopf wächst; die Verantwortung für Mandys Kinder, die Probleme aus der Vergangenheit seines Freundes Wasti und nun auch noch solch eine Psychopathin, die in seinem Leben mitmischt …

Lisa und Andrea stehen an diesem Morgen ein wenig ratlos in den Praxisräumen in der Lindenstraße, denn die Sprechstunde hat bereits vor fünf Minuten begonnen und bislang fehlt jedes Lebenszeichen von der Dragonarin! So etwas ist noch nie passiert!
„Vielleicht steht sie im Stau?“, überlegt Lisa.
„Dann hätte sie sich doch garantiert längst gemeldet“, meint Andrea. „Ob ihr was zugestoßen ist?“
„Du meinst, ihr Besen könnte abgestürzt sein?“, fragt Lisa grinsend und auch Andrea muss lachen. Im selben Augenblick klingelt das Telefon.
„Praxis Tenge-Wegemann, Sie sprechen mit Andrea Neu…“
„Ja ja, schon gut!“, unterbricht Dr. Birthe Tenge-Wegemann Andrea barsch und dabei äußerst nasal klingend, aber in ihrem gewohnt roboterhaften Feldwebel-Tonfall. „Ich bin es doch selbst! Ich muss mich leider entschuldigen, ich habe Covid 19 und das mit allen nur erdenklichen Symptomen! Ich verstehe es selbst nicht, ich hatte in den vergangenen vier Jahren ganze drei Mal eine Covid 19- Infektion, aber ich hatte noch nie Symptome…“
„Also schicken wir die Patienten wieder nach Hause?“, vermutet Andrea.
„Nein, Frau Neumann, ich erwarte, dass Sie nun innerhalb von 10 Minuten ein Medizinstudium absolvieren und die Patienten dann selber behandeln, und wehe, das funktioniert nicht!!“, erwidert die Tenge-Wegemann in einer so trockenen und nüchternen Sachlichkeit, dass nicht die Spur von Ironie oder Sarkasmus in ihrer Stimme zu erkennen ist…
„Ich… äh“, stammelt Andrea irritiert, leicht überfordert mit dem, was ihre Chefin ihr gerade gesagt hat.
„Das war ein Scherz!“, sagt Tenge-Wegemann, ohne dabei auch nur den Hauch Spaß in der Stimme zu haben. „Ich sehe leider keine andere Möglichkeit, ich melde mich, wenn es mir wieder besser geht.“ Und schon hat sie ohne weiteren Kommentar aufgelegt.
Nachdem Lisa und Andrea die Patienten weg geschickt, die Notfälle an andere Ärzte verwiesen und die Termine der nächsten Tage abgesagt haben, ist der Vormittag schon fast rum, aber Lisa freut sich, einen halben freien Tag vor sich zu haben.
„Wollen wir vielleicht shoppen gehen?“, fragt Lisa.
„Ich mach noch ein paar Abrechnungen“, sagt Andrea schnell, der immer noch unwohl dabei ist, mehr Zeit als nötig mit Lisa zu verbringen. „Und später gehe ich dann zum Yoga.“
„Okay, wie du willst“, meint Lisa achselzuckend und verabschiedet sich.
Sie hätte gerne mal wieder freie Zeit mit Andrea verbracht, die sie seit Wochen nur noch auf der Arbeit sieht. Dennoch genießt sie den Tag und freut sich, dass Deniz heute bis abends bei einer Freundin ist und sie sich einfach mal treiben lassen kann. Nach einem ausgiebigen Stadtbummel beschließt sie, noch eine Boutique aufzusuchen, die etwas außerhalb liegt und über die sie im Internet ausschließlich positive Bewertungen gelesen hat. Als sie auf dem Weg in die Vorstadt an einem kleinen Waldstück vorbei fährt, sieht sie dort den Lieferwagen der Südländischen Spezialitäten stehen und ist irritiert. Sie weiß, dass Claudio und Enzo gerade für ein paar Tage in Italien sind, auf der Silberhochzeit irgendeiner Großcousine oder so etwas, und dass die Pizzeria deshalb Ferien macht. Aber Murat wird doch keinen Döner in den Stadtwald liefern … Verwirrt wendet Lisa bei der nächsten Gelegenheit und fährt zurück zum Parkplatz. Da steht der Wagen, eindeutig, aber von Murat ist weit und breit nichts zu sehen. Lisa steigt aus und blickt sich suchend um. Ob Murat sich irgendwo hinter einem der Bäume erleichtern muss? Doch als Lisa sich ein paar Schritte dem Wald nähert und ins kahle Unterholz blickt, ist niemand auszumachen. In dem Moment geht ein Rucken durch den geparkten Lieferwagen und Lisa glaubt, für Sekundenbruchteile das lustvolle Stöhnen einer weiblichen Stimme aus dessen Inneren vernommen zu haben. Fassungslos starrt Lisa das Auto an – und tatsächlich bewegt dies sich, kaum merklich, im gleichmäßigen Rhythmus. Und prompt schießt Lisa ein unglaublicher Verdacht durch den Kopf. Das muss diese Jenny Lüders sein! Lisa hatte ja gleich Bedenken, dass Murat eine Ex-Terroristin in seinem Imbiss beschäftigt, aber das schlägt nun wirklich dem Fass den Boden aus…! Lisa denkt kurz darüber nach, die Frau persönlich in flagranti zu ertappen – aber eigentlich will sie gar nicht so genau wissen, was und mit wem sie es im Inneren des Lieferwagens treibt. Also zückt Lisa ihr Handy und wählt Murats Nummer. Mailbox!
„Mann!“ nölt sie und wählt die Nummer vom Imbiss.
„Südländische Spezialitäten, der Döner-Imbiss, hier spricht Jenny Lüders“, meldet sich nach dreimaligem Klingeln eine weibliche Stimme. Irritiert horcht Lisa in den Hörer.
„Hallo?“ fragt Jenny.
„Lisa Dagdelen hier!,“ meldet sie sich. „Ich würde gerne meinen Mann sprechen.“
„Fährt Lieferungen aus“, antwortet Jenny. „Ist aber schon ´ne ganze Weile weg, müsste eigentlich bald wieder hier sein!“
Lisa drückt das Gespräch weg und dreht sich zum Lieferwagen um. In ihrem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Und mit klopfendem Herzen und bebendem Atem nähert sie sich ganz langsam, Schritt für Schritt, dem Fahrzeug. Bitte nicht, denkt sie, du hast dich doch geirrt!!!
Lisa atmet noch einmal tief ein, dann reißt sie schwungvoll die Hecktüren zur Ladefläche auf – und glaubt, dass ihr das Herz stehen bleibt. Was sie sieht ist Murat, nackt auf dem Rücken liegend, der jetzt den Kopf hebt und sie mit einem Gesichtsausdruck zwischen dümmlich und entsetzt ansieht, und auf ihm eine nackte Frau, die sie nur von hinten sieht, mit halblangen blonden Haaren, die nun ruckartig den Kopf in ihre Richtung dreht. Und Lisa glaubt endgültig, jegliche Bodenhaftung zu verlieren: Andrea!
Taumelnd weicht Lisa ein paar Schritte zurück! Nein, nein, nein! Das darf nicht wahr sein! Das kann nicht wahr sein! Wie aus weiter Ferne hört sie ein „Scheiße“ von Murat, dann gedämpft wie durch Watte irgendetwas Unverständliches von Andrea… Lisa stolpert zu ihrem Auto, stützt sich an der Fahrertüre ab und erbricht sich auf den Boden. Sie wischt sich Tränen, Haare, Kotzereste aus dem Gesicht und sieht – wie durch einen Schleier – wie Murat, barfuß und in Unterhose, unbeholfen in ihre Richtung stolpert und irgendwas ruft, während Andrea immer noch auf der Ladefläche sitzt – auf den Knien – und sich hektisch BH und Pullover anzieht. Lisa lässt sich ins Auto fallen, dreht den Zündschlüssel um und rast blindlings los, ungebremst vom Parkplatz auf die Straße, hört Hupen überall um sich herum und brettert wie in Trance, weiter Richtung Stadt…
Als sie in die Lindenstraße einbiegt, hat sie keine Ahnung, wie sie hier her gekommen ist.
Lisa steuert die einzige freie Parklücke vor dem Haus Nr. 3 an – das heißt, halbwegs freie. Denn in der Parklücke links daneben steht das Auto von Klaus, das von ihm mal wieder abgestellt wurde, als würde ihm die ganze Straße gehören: Völlig schief ragt der vordere Teil des Autos in die freie Parklücke hinein. Ungeachtet dessen parkt Lisa rasant ein und ignoriert dabei geflissentlich, dass sie mit der Fahrerseite an Klaus’ Beifahrerseite entlang schrammt, den Außenspiegel demoliert und schließlich mit einem knarzenden Geräusch ihren linken Blinker in seinen rechten bohrt.
Nachdem sie aufgrund des mangelnden Platzes ihre Fahrertüre nicht öffnen kann und mehrfach damit gegen Klaus’ Beifahrertür knallt, klettert sie schließlich fluchend über den Beifahrersitz aus dem Auto, umrundet dieses und beginnt hysterisch schreiend auf Klaus’ Auto einzutreten.
„Lisa! Um Gottes Willen, was machst du denn da?“, ertönt eine erschrockene Stimme hinter ihr. Als Lisa rumfährt, steht dort eine fassungslose Dagmar.
„Du hast mir gerade noch gefehlt!“, kreischt Lisa mit tränenerstickter Stimme und beginnt, wie eine Besessene auf ihre Mutter einzuschlagen. „Du alte Hexe! Du bist doch Schuld an meinem verpfuschten Leben! Ich hasse dich! ICH HASSE DICH!!!“
Lisa lässt wieder von ihr ab, dreht sich um und stürmt ins Haus. Dagmar blickt ihr entsetzt hinterher und betrachtet dann Klaus Beimers demoliertes Auto, während sie sich den schmerzenden Arm reibt. Schließlich stolpert sie konsterniert in Richtung Kastanienstraße, wo vor den Südländischen Spezialitäten der dazugehörige Lieferwagen quietschend zum Stehen kommt. Murat springt raus und eilt, Dagmar nicht weiter beachtend, an ihr vorbei in die Lindenstraße. Als er das Haus Nr. 3 betritt, hört er den Lärm schon im Treppenhaus. In der Wohnung ist Lisa gerade dabei, Teller, Tassen, Gläser, Töpfe, Pfannen, Besteck und Blumenvasen hysterisch schreiend aus der Küche hinaus in den Flur zu schleudern.
„Lisa! Hör bitte auf damit!“, fleht Murat verzweifelt.
„Verschwinde!“, kreischt Lisa schrill, schnappt sich ein großes Küchenmesser und geht damit auf Murat zu. Dieser weicht ängstlich ein paar Schritte zurück, während Lisa zetert: „Hau ab! Geh! Geh zu deinem Flittchen! Verpiss dich, du Scheißkerl!!!“ Dabei fuchtelt sie wie eine Furie mit dem Messer vor ihm herum.
„Lisa! Leg das Messer weg, bevor du jemanden verletzt!“, ruft Murat.
„Hau ab, oder ich bring dich um!!!“ brüllt Lisa. „Ich schneide dir die Kehle durch!“
Murat wird klar, dass es momentan zwecklos ist zu versuchen, an seine Frau heran zu kommen. Wie ein geprügelter Hund flüchtet er aus der Wohnung und weiß nicht so recht, wohin und wie es nun weitergehen soll. Lisa zerdeppert derweil noch ein paar Dekorationsgegenstände, ehe sie schließlich schluchzend inmitten ihres Scherbenmeeres zu Boden sinkt. Nicht nur ihre Wohnung, sondern ihr ganzes Leben liegt in Scherben – belogen, betrogen und hintergangen ausgerechnet von den beiden Menschen, die ihr, abgesehen von ihren Kindern,, am wichtigsten sind auf der Welt…
in diesem desolaten Zustand findet Deniz schließlich ihre Mutter, als sie später nach Hause kommt.
„Mama, was ist denn los?“, fragt sie und blickt sich entsetzt um. „Was ist denn hier passiert?“
In diesem Moment beginnt es an der Wohnungstür Sturm zu klingeln. Während Deniz der ganzen Situation, die sich ihr darbietet, immer noch vollkommen hilflos gegenübersteht und unfähig ist, irgendwie zu reagieren, rappelt Lisa sich auf, stolpert zur Tür – und sieht sich Klaus gegenüber.
„Bist du jetzt völlig bescheuert?“, schnauzt er. „Was hast du mit meinem Auto gemacht? Ein halbes Dutzend Leute hat gesehen, wie du…“ Klaus bricht mitten im Satz ab, als er Lisas verheultes Gesicht und das Chaos um sie herum bemerkt.
„Was zur Hölle…?“, murmelt er.
„Hölle! Ja! Hölle ist richtig!“, keift Lisa. „Und du Vollidiot lern doch endlich mal einzuparken!!! Dann passiert sowas auch nicht!“
Im selben Augenblick öffnet sich die Aufzugtür und Murat tritt hinaus.
„Lisa, bitte…“, sagt er verhalten, „wir müssen reden. Ich kann dir das alles erklären!“
„Erklären?!?“ Ihre Stimme überschlägt sich fast. „Was gibt’s denn da noch zu erklären? Was? Häh?“
Dann schlägt sie schwungvoll die Wohnungstür zu, während Murat und Klaus im Treppenhaus zurückbleiben und sich verunsichert ansehen…
„Mama? Was ist denn los?“, fragt Deniz noch einmal ängstlich. Doch statt zu antworten, sinkt Lisa lautlos schluchzend an der Wohnungstür herab zu Boden und vergräbt das Gesicht in den Händen…

CLIFFHANGER auf: Lisa Dagdelen


Mitwirkende Personen
Lisa Dagdelen
Murat Dagdelen
Deniz Dagdelen
Andrea Neumann
Dr. Birthe Tenge-Wegemann
Jenny Lüders
Andy Zenker
Gabi Zenker
Antonia Zenker
Wasti Huber
David Krämer
Hope Krämer
Jeremy Peschke
Phoebe Peschke
Tanja Schildknecht
Simon Schildknecht
Lea Starck
Peter ´Lotti` Lottmann
Klaus Beimer
Angelina Dressler
Dagmar Hoffmeister
Nina Zöllig
Goodehard Gundlach
Martha Liebrecht

© ´popo wolfson` 2024

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: So 4. Feb 2024, 13:18 


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 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1907 - Die Hölle sind wir
BeitragVerfasst: So 4. Feb 2024, 13:35 
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Beiträge: 10004
Puh, jetzt tut mir Lisa doch tatsächlich leid :|


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 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1907 - Die Hölle sind wir
BeitragVerfasst: So 4. Feb 2024, 14:31 
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Registriert: Mi 29. Sep 2010, 00:11
Beiträge: 11587
Das es JETZT passiert. Damit hätte ich gerade nicht gerechnet.
Ich habe so eine "wieder reinkommen" Folge erwartet, plättschernd, soweit man das von der generell hochdramatischen Lindenstraße erwarten kann...

Borr, ich bin soo gespannt, wie es weitergeht. Bzgl. Andrea, also die hat sich ja bisher sehr zurückgehalten und noch nicht hervorgetraut. Ich glaube ja fast, dass Lisa eher damit klarkommt, dass Murat sie betrogen hat - als Andrea.

Ich hatte auch eher gedacht, dass Lisa es herausfindet, ohne dass Murat und Andrea davon Wind bekommen und dass Lisa dann einen bösen Plan bastelt.
Aber so ist es auch gut, vielleicht sogar besser, jetzt ist Lisa erstmal erschöpft. :? :geek: - die Überlebenschancen höher.
Und alle können (erstmal) durchatmen.


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