Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1904 - Held wider Willen
BeitragVerfasst: So 3. Dez 2023, 20:12 
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Folge 1904: Held wider Willen

Spieltag: Donnerstag, 30.11.2023

„Emma beeilst du dich bitte?! Der Bus wartet nicht auf dich!“ ruft Jack, die in der Küche gerade das Pausenbrot für ihre Tochter einpackt – doch die Aufforderung hält Emma in keinster Weise vom Trödeln ab… In diesem Moment klingelt es an der Wohnungstür.
„Wer ist das denn jetzt schon so früh?“ fragt Jack. „Kann mal einer aufmachen?“
„Bin am Kacken!“ ruft Ludde aus dem Bad.
„Ich geh schon!“ Sarah eilt zur Tür – und steht nach dem Öffnen überraschend Helga gegenüber, die mit einem Blumenstrauß, einem Kuchen und einem in Weihnachtspapier eingewickelten Päckchen ausgestattet ist.
„Hallo Sarahlein“, flötet Mutter Beimer. „Ich würde gerne zum… zu dem Dings… zu dem Bruder von Jack!“
„Der ist am Kacken“, erklärt Sarah.
„Wie bitte?“ fragt Helga erschrocken.
„Auf Toilette“, sagt Sarah. „Komm doch rein.“ Dann brüllt sie hinter sich: „Besuch für dich, Ludde!“
Helga blickt sich skeptisch in dem ziemlich chaotischen Flur um. Zu Dr. Dresslers Zeiten herrschte hier noch mehr Ordnung – und als Gung hier noch gewohnt hat, sicher auch.
Kurze Zeit später schlurft Ludde, nur mit Boxershorts und Socken bekleidet, aus dem Badezimmer.
„Ja?“ fragt er irritiert bei Helgas Anblick.
Diese betrachtet ihr gegenüber kurz skeptisch, platziert dann ihre Mitbringsel auf einer Kommode, fällt Ludde ohne jede Vorwarnung um den Hals.
„Waaa...äääh….wääääh!“ krächzt er überrumpelt.
„Sie sind ein Held!“ trällert sie. „Sie sind ein Engel in Menschengestalt. Es tut mir so unendlich leid, dass ich letzte Woche so abweisend zu Ihnen war. Menschen wie Sie, die braucht diese Welt. Menschen, die mit Herz und Tatendrang gutes tun und anderen helfen! Und ich weiß auch, dass das nicht Ihre erste Heldentat war! Sie haben auch die Studentin aus der Nummer 1 aus dem brennenden Hotel getragen und sie waren ganz maßgeblich an der Rettung von Antonia Zenker beteiligt. Das ist mir alles zu Ohren gekommen!“
„Könnten Sie mich den jetzt bitte wieder loslassen? Ich bekomm keine Luft“, keucht Ludde.
„Oh, Entschuldigung, Herr Aichinger!“ Helga löst sich von ihm.
„Mayer“, korrigiert Ludde.
„Was?“
„Ich heiße Mayer! Nicht Aichinger!“
„Aha… Aber… Sie und Jack sind doch Geschwister…!“
„Halbgeschwister“, erklärt Ludde. „Wir hatten die gleiche Mutter, aber verschiedene Väter. Und meine Mutter hatte halt den Hang, jeden Kerl gleich zu heiraten, mit dem sie mehr als zwei Nächte verbracht hat. Sie hatte vor Jack und nach mir noch ein paar andere Nachnamen. Allerdings glücklicherweise ohne Stammhalter!“
„Wie dem auch sei“, lächelt Helga verwirrt. „Ich hab Ihnen da ein paar Kleinigkeiten mitgebracht.“
„Was is’nn das?“ fragt Ludde und reißt neugierig das Geschenkpapier runter. Zum Vorschein kommt ein in Leder gebundener Terminkalender.
„Ich dachte, weil ihr jungen Leute doch immer so wahnsinnig viele Termine habt“, erklärt Helga. „Da können Sie dann 2024 alles eintragen, was Ihnen wichtig ist…“
„Aha“, macht Ludde. „Naja, für sowas hab ich eigentlich mein Smartphone. Aber trotzdem danke.“
„Aha“, erwidert Helga ein wenig bedröppelt.
„Heilige Scheiße, Sie sind aber schon früh unterwegs!“ stellt Ben fest, der gerade das Schlafzimmer verlässt.
„Nun ja, ich dachte, um diese Zeit treffe ich hier noch jemanden an“, sagt Helga. „Später sind Sie dann ja alle wieder ausgeflogen. Aber ich will jetzt auch gar nicht länger stören. Wiedersehen! Und einen schönen Tag noch!“
Und damit ist sie schon wieder verschwunden…
„Mein lieber Schwan, da hast du ja ein richtiges Fan-Girl!“ kichert Jack, die das ganze Szenario von der Küchentür aus verfolgt hat.
„Ach, leck mir die Füße…“, murrt Ludde und verschwindet wieder im Bad.
Doch die Lobeshymnen auf ihn sollen für den heutigen Tag noch nicht beendet sein: Als Ludde später im Café Bayer ein paar Brötchen kaufen möchte, strahlen ihn Kerstin vor und Anna hinter der Theke ihn sofort freudig an – und beginnen lauthals, ihn für seine Heldentat zu feiern.
„Das war ja jetzt nichts besonderes, das hätte jeder andere auch gemacht“, winkt Ludde genervt ab.
„Lea hat mir erzählt, dass alle anderen, die da auf der Straße standen, nur geglotzt und geschrien haben“, sagt Anna. „Sie sind der einzige, der gehandelt hat.“
Ludde ist das ganze Brimborium um seine Person satt. Wieso können die Leute ihn nicht einfach in Ruhe lassen?
Als er sich später mit Romy in deren WG trifft, erzählt er auch ihr, wie sehr ihn das alles nervt.
„Naja, aber sie haben ja schon recht, mit dem, was sie sagen“, findet Romy. „Und bei allem, was du diesbezüglich schon geleistet hat, würde es mich nicht wundern, wenn du bald heilig gesprochen wird. Sankt Ludde I.“
Beide müssen lachen und bestellen sich etwas zum Essen beim thailändischen Lieferservice.
Als sie eine Weile später Nudeln und Gemüse in sich hineinschaufeln, wird Ludde plötzlich nachdenklich.
„Ich kenne das Mädchen“, sagt er plötzlich.
„Ja, die wohnt im Haus nebenan“, bestätigt Romy. „In der 3.“
„Ja, nee, das meine ich nicht“, erwidert Ludde. „Ich hab schon mal mit der gesprochen. Vor zwei Jahren, als hier in der Straße der Weihnachtsmarkt war und ich den Weihnachtsmann gegeben habe. Da hat sie mich angequatscht und mir erzählt, dass ihre Mutter krank ist. Sie hat mich gefragt, ob sie dann ein Engel wird, wenn sie stirbt und ob sie als Engel für mich, also für den Weihnachtsmann arbeiten kann…“
„Oh Gott“, sagt Romy. „Und was hast du ihr gesagt?“
„Ich weiß gar nicht mehr so genau“, überlegt Ludde. „Ich glaube, sowas von wegen, dass ich persönlich dafür sorgen würde, dass sie einen Job als Weihnachtsengel bekommt oder so einen Quatsch. War wahrscheinlich reichlich bescheuert von mir, oder?“
„Warum?“ fragt Romy. „Sie ist ein Kind. Kinder können solche Dinge wie Tod und sterben sicher besser auf diese Weise… verpacken.“
„Ja, schon, aber ist ja irgendwie auch Scheiße, dass ich sie angelogen habe…“
„Du hast ja nicht wirklich… gelogen, in dem Sinne…“
„Meinste nicht?“
Dennoch lässt der Gedanke an das kleine Mädchen ihn nicht los. Und so klingelt Ludde eine Weile später bei Krämer im Haus Nr. 3. Jeremy öffnet ihm die Tür.
„Hi“, begrüßt Ludde ihn. „Ist dein Vater vielleicht da?“
„Mein Vater ist tot!“ sagt Jeremy kalt und blitzt Ludde böse an.
„Wie… was?“ fragt Ludde irritiert. „Aber Herr Krämer…“
„David ist nicht mein Vater“, erwidert der Junge scharf. „Der war halt einfach nur mit meiner Mutter verheiratet.“
„Okay… äh… aber ist er denn trotzdem da?“
Einen Moment später erscheint David im Flur.
„Ich… ähm… wollte mich schon längst persönlich bei Ihnen bedanken“, sagt David verlegen. „Für das, was sie für Phoebe getan haben.“
Ludde macht eine wegwerfenden Handbewegung und erkundigt sich, wie es Phoebe geht.
„Sie spricht nicht“, berichtet David. „Sie ist jetzt seit einer Woche in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und sagt dort kein Wort. Reagiert auf keine Fragen, keine Ansprache, lässt niemanden an sich ran. Schweigt einfach…“
„Scheiße“, sagt Ludde, der sich zunehmend überfordert fühlt und dem plötzlich bewusst wird, dass er eigentlich gar nicht so genau wissen will, was hier nun konkret Sache ist. Im Grunde will er nur noch weg von hier.
„Okay, dann wünsche ich mal gute Besserung und alles Gute und so“, sagt er hastig und verabschiedet sich übereilt…
Am Abend sitzt er mit Romy im Akropolis, als auch Vasily ihn noch auf seine Heldentat ansprechen muss.
„Mir geht das so dermaßen auf den Sack“, flüstert er Romy zu, als der griechische Wirt außer Hörweite ist. „Seit ich hier hergezogen bin, werde ich von allen nur abfällig und misstrauisch angeglotzt. Keiner von den ganzen Spießern hier hat vorher auch nur einen Satz mit mir gewechselt. Aber dann hilft man mal und plötzlich feiern sie dich alle, als ob du Batman oder Superman persönlich wärst…“
In diesem Moment betreten Paul und Mika das Lokal. Während die beiden auf die Theke zusteuern, nickt Mika Romy kurz zu und schenkt Ludde einen abschätzigen Blick.
„Bei ihm musst du dir keine Sorgen machen, dass er dich abfeiert“, grinst Romy und deutet mit ihrem Kopf in Mikas Richtung. „Er wird dich immer hassen.“
„Halleluja, na wenigstens einer“, lacht Ludde.
Als er eine Weile später nach Hause geht und die Villa betritt, brennt im Erdgeschoss noch Licht. In den Praxisräumen hört man Dr. Birthe Tenge-Wegemann rumoren, die ab morgen den Praxis-Betrieb offiziell übernehmen wird. Im Augenblick allerdings telefoniert sie mit jemandem – und zwar so laut, dass ihre energische, stakkatohafte Stimme bis in den Eingangsbereich zu hören ist…
„… ein schöne Praxis ist das auf jeden Fall, ja, ja, die kenne ich ja noch von früher (…) ich bin ja inzwischen auch 50, da will man vielleicht mal ein wenig sesshafter werden und nicht ständig von Entwicklungsland zu Entwicklungsland jetten (…) doch, die Praxis ist schön, wie gesagt (…) naja, früher wohnte halt der alte Dressler der oben, der beste Freund von meinem Paps (…) Nee, der ist ja schon so lange tot, ich glaub, das sind jetzt wir Jahre (…) na, solche Asozialen halt, irgendwelche Proleten mit nervenden Blagen, die ihren ganzen Scheiß ständig hier unten in den Eingang stellen (…) ja, diese Frau war früher mal ein Straßenkind, aber der alte Dressler hatte wohl irgendwie einen Narren an ihr gefressen und ihr die Bude vermacht( …) Karin, ich muss Schluss machen…“
Ludde ist in die Praxisräume getreten und steht der Ärztin nun gegenüber.
„Guten Abend“, sagt er knapp.
„Würden Sie bitte diese Räumen verlassen!“ fordert Birthe ihn bestimmt auf. „Wir teilen uns den Eingangsbereich, aber in den Praxisräumen haben Sie nichts zu suchen, es sei denn, sie kommen als Patient, aber dafür sind Sie einen Tag zu früh!“
„Wir sind also Asoziale, ja?“ fragt Ludde.
„So wie ich Sie wahrnehme, ja!“ sagt Birthe nüchtern.
„So so“, erwidert Ludde und mustert sie kalt. „Und so wie ich Sie wahrnehme, sind Sie eine spießige, spaßbefreite, unhöfliche, alte Schrulle!“
„Ich muss mich von Ihnen nicht beleidigen lassen! Gehen Sie jetzt oder ich rufe die Polizei!“
Ludde mustert sie von oben bis unten und Birthe weicht unwillkürlich einen Schritt zurück.
„Vielleicht sollten Sie einfach mal den Stock rausziehen, der in Ihrem Arsch steckt und bis zum Rachen hinauf reicht“, sagt Ludde grinsend.
„Ein Stock im Arsch, der bis in den Rachen reicht ist anatomisch betrachtet vollkommen unmöglich“, erwidert Birthe trocken.
Ludde schnaubt, schüttelt grinsend den Kopf, dreht sich um und geht. Birthe, die bis eben nicht mit der Wimper gezuckt hat, atmet nun hörbar aus und tupft sich ein paar kaum sichtbare Schweißtropfen von der Stirn...

Für Alex, Iris und William ist der Tag der Abreise gekommen. Die Wohnung ist mittlerweile leer geräumt, die letzten paar Tage haben Alex und Iris nur noch aus ihrem Reisegepäck gelebt.
Ehe heute Nachmittag ihr Flug Richtung USA startet, wollen sie für ihre engsten Nachbarn noch einen Abschieds-Brunch im Marcellas geben. Während Iris zur Seniorenresidenz fährt, um ihren Vater und dessen Gepäck abzuholen, macht Alex sich schon mal auf den Weg zum Bistro.
Als Iris und William dort eintreffen, sitzt Alex bereits mit Murat, Lisa, Paul, Jack und Elias am reservierten Tisch. Auch David ist anwesend, obwohl ihm keineswegs nach feiern zumute ist. Aber verabschieden möchte er sich dennoch angemessen, nach allem, was Iris für ihn und Mandy getan hat.
Unmittelbar nach Iris und William betreten auch Helga und Klaus das Lokal und setzen sich.
„Was haben die denn hier zu suchen?“ zischt Lisa Murat abfällig zu.
„Keine Ahnung!“ Murat zuckt die Schultern. „Vielleicht, weil Alex früher für Frau Beimer gearbeitet hat? Und weil er beinahe mal die Tochter von Frau Beimer geheiratet hat?“
Tsss“, macht Lisa. „Als ob das ein Grund wäre…“
„Wir können euch übrigens hören“, knurrt Klaus spitz zu Lisa hinüber.
„Na, und wenn schon“, erwidert diese kaltschnäuzig.
„Beachte sie doch einfach nicht, mein Hase“, beruhigt Helga ihren Sohn. „Diese Frau war doch schon als Kind völlig verdreht. Wenn man an den armen Herrn Steinbrück denkt. Auch wenn das ja angeblich ein Unfall war. Aber diese Abgebrühtheit, das dann wie einen Selbstmord aussehen zu lassen… Oder was sie mit der armen Frau von der Marwitz angestellt hat… Danach war sie ja sogar eine Weile in der Klapsmühle…“
Helga presst sich die Hand vor den Mund und sieht schuldbewusst zu David hinüber – schließlich befindet Phoebe sich seit letzter Woche auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Doch David schenkt ihr gar keine Beachtung…
„Wo ist Andrea denn?“ fragt Iris – und Murat wird es sofort heiß und kalt…
„Keine Ahnung“, wundert sich auch Lisa. „Ich schreib ihr mal…“
Aber kaum, das Lisa ihr Handy rausgekramt hat, schneit Andrea zu Tür herein und entschuldigt sich für ihre Verspätung. Sie sieht sich suchend nach einem freien Platz um, setzt sich dann neben Lisa und versucht, Murat zu ignorieren, der an der anderen Seite seiner Frau sitzt.
Doch während Iris und Alex einige Abschiedsfloskeln zum besten geben und William so gut drauf ist, wie ihn noch nie einer der Anwesenden erlebt hat, werden sich Andrea und Murat über Lisas Kopf hinweg immer wieder verstohlene Blicke zu, nur um dann gleich wieder wegzusehen… Doch die Spannung zwischen den beiden liegt buchstäblich in der Luft…
Nach einem schönen Vormittag ist dann der Zeitpunkt des Abschieds gekommen.
„Ich fühle mich immer noch schuldig, weil Mandy in dem Glauben gestorben ist, dass ich euch jederzeitig unterstützen werden“, sagt Iris zerknirscht zu David.
„Musst du nicht“, erwidert dieser. „Du hast mehr als genug für uns getan. Und wir kommen schon klar. Wenn es Phoebe erstmal wieder besser geht…“
Schließlich umarmen die Auswanderer alle nochmal zum Abschied und man wünscht sich alles Gute. Paul hatte angeboten, die drei zum Flughafen zu fahren, doch sie wollten keinen Abschiedszirkus am Gate und nehmen sich lieber ein Taxi. Als dieses dann um die Ecke fährt, stehen Helga, Klaus, David, Andrea, Murat, Lisa und Paul winkend auf dem Bürgersteig…
Zeitgleich kommt Urzsula des Weges und erinnert sich, als sie das abfahrende Taxi sieht an den Wegzug von Iris und Alex. Blitzschnell zückt sie ihr Handy und drückt eine Kurzwahltaste. Dann sagt sie in das Gerät: „Christian, ich bin’s! Können wir uns heute noch treffen? Ich muss was wichtiges mit dir besprechen…“
Ein paar Stunden später sitzen Urszula und Christian dann gemeinsam im Akropolis. Die Polin kommt auch sogleich zur Sache. „Ich habe Interesse daran, in unsere Wohnung zu ziehen“, erklärt sie. „Jetzt, wo Alex und Frau Dr. Brooks weggezogen sind…“
„Das ist immer noch meine Wohnung“, entgegnet Christian beiläufig.
„Jetzt sei doch nicht so spitzfindig“, erwidert Urszula. „Du sollst sie mir ja nicht schenken. Ich will nur mit Artjom dort einziehen. Unsere Wohnung oben unterm Dach ist viel zu eng mit all den Schrägen und den kleineren Räumen. Und sie hat auch viel weniger Zimmer…“
„Das tut mir leid, aber die Wohnung ist bereits wieder vermietet“, erklärt Christian.
„Wie bitte???“
„Ab Januar“, sagt Brenner. „An einen alleinerziehenden Vater mit zwei halbwüchsigen Söhnen.“
„Das hättest du vorher mit mir absprechen müssen“, beklagt sich die Polin.
„Wie gesagt; es ist meine Wohnung!“
„Du hättest mich wenigstens fragen können, ob ich nicht eventuell Interesse habe“, motzt Urszula. „Wir wohnen so beengt da oben und das weißt du!“
„Hättest du dir denn die Miete überhaupt leisten können?“ fragt Christian.
Empört schnappt die Polin nach Luft. „Du hättest sie uns ja wohl zu günstigeren Konditionen vermieten können!“
„Das geht nicht“, widerspricht Christian. „Tut mir leid, aber ich brauch das Geld gerade dringend.“
„Du denkst immer nur an dich!“ zischt Urszula.
„Zieh doch zu deinem Knopffabrikanten, wenn du dich vergrößern willst“, sagt Christian sarkastisch. Wütend schnappt Urszula sich Tasche und Jacke und rauscht aus dem Lokal…


Pia hat die Nacht bei Gung in der Lindenstraße verbracht. Als sie sich am Morgen ins Bad begeben möchte, stößt sie an der Tür mit Anna zusammen.
„Oh, ich dachte Sie schlafen noch“, sagt Pia entschuldigend.
„Kein Problem, alles gut“, erwidert Anna.
„Ist Ihnen das überhaupt recht, wenn ich hier bei Ihnen übernachte?“ erkundigt sich Pia.
„Natürlich, kein Problem“, lacht Anna. „Gungs Gäste sind auch meine Gäste.
Einen Augenblick lang stehen sie sich unschlüssig gegenüber.
„Ich wollte gerade Kaffee machen“, sagt Anna. „Möchten Sie vielleicht auch einen?“
„Gerne“, erwidert Pia.
Ein paar Minuten später treffen sich die beiden Frauen in der Küche. Und wieder ist da dieses unangenehme Schweigen zwischen. Schließlich räuspert Anna sich und legt die Karten offen auf den Tisch.
„Ist das eigentlich ein Problem in Ihrer Beziehung zu Gung, dass Sie… also… also dass Sie Ihr Geld… also Sie sind doch…“, stammelt sie verlegen und bereut es schon, überhaupt den Mund aufgemacht zu haben.
„...Dass ich anschaffen gehe, sagen Sie es ruhig“, platzt es aus Pia raus.
„Entschuldigung“, murmelt Anna und wird rot.
„Kein Problem“, winkt Pia ab, man merkt ihr aber dennoch an, dass sie unterschwellig genervt ist von dem Problem. „Nun, sagen wir mal so: Ich habe im Laufe der vergangenen Jahre wiederholt versucht, mein Geld auf andere Weise zu verdienen. Wie Sie vielleicht mitbekommen haben, ist das jedes Mal gründlich in die Hose gegangen. Ich befürchte, ich werde in diesem Leben nicht mehr aus diesem Job rauskommen…“
Anna malmt mit den Kiefern und starrt verbissen in ihren Kaffee. Schließlich sagt sie: „Wissen Sie, ich will Ihnen nicht zu nahe treten. Aber Gung und ich, wir sind wirklich uralte Freunde, die sich seit Ewigkeiten kennen. Ich will einfach nicht, dass man ihn… verletzt.“
Pia knallt die Tasse auf den Tisch. „Nichts liegt mir ferner, als Gung verletzten zu wollen“, sagt sie gereizt. „Aber wissen Sie, ich denke, Gung ist alt und klug genug, um selbst zu entscheiden, was er sich zumuten kann und was nicht! Vielen Dank für den Kaffee!“
Damit steht Pia auf und rauscht aus der Küche.
„Ich stelle mir das halt ziemlich schwierig vor…“, ruft Anna mir nach. „Also, eine Beziehung zu führen auf dieser Basis!“
Aber Gungs Zimmertür ist bereits wieder ins Schloss gefallen und Anna verflucht sich innerlich selbst. „Halt doch beim nächsten Mal einfach die Klappe und misch dich nicht ein“, scheltet sie sich selber. „Du bist doch nicht Helga…“
Doch Pia ist nach ihrem Gespräch mit Anna ein wenig aufgewühlt. Sollte diese Frau recht haben und sie mutet Gung mit ihrer Tätigkeit zu viel zu? Als sie den Vietnamesen auf das Thema anspricht, schweigt dieser kurz, ehe er antwortet: „Konfuse sagt, Liebe bedeutet auch Toleranz.“
„Aber es ist kein schönes Gefühl für dich, dass ich auch mit anderen Männern Sex habe“, vermutet Pia.
„Es ist ein Gäschäääft“, sagt Gung. „Du tust es für Gäääld und nicht aus Liebä!“ Dann schweigt er einen weiteren Moment und gibt schließlich zu: „Aber schööön ist es nicht für mich!“
Pia ist bestürzt. Natürlich ist das nicht schön. Ihr ist klar, dass das Wissen, der Partner oder die Partnerin wird, wenn auch aus beruflichen Gründen. Noch mit anderen Menschen sexuell aktiv, sehr belastend. Trotzdem hat Pia bislang mehr oder weniger erfolgreich ausgeblendet, was das für Gung wirklich bedeutet. Seine Ruhe und Genügsamkeit haben ihr das Gefühl gegeben, dass er über dieser Sache steht.
„Ich muss nur leider irgendwie meinen Lebensunterhalt bestreiten“, erklärt sie zerknirscht. „Alle Versuche, das auf andere Weise zu tun, sind kläglich gescheitert. Und leider ist mir auch nicht das Glück zuteil geworden, dass ich einen reichen, alten Mann in den letzten Jahren seines Lebens umsorgt habe, der mir dann nach seinem Tod eine solch stattliche Geldsumme hinterlassen hat, dass ich davon dann selbst mein restliches Leben sorgenfrei gestalten kann.“ Pia hält inne. „Tut mir leid, ich wollte jetzt nicht zynisch klingen…“
Gung wird nachdenklich. Im Grunde hat Pia ja recht. Sie hat es in ihrem Leben wirklich nie leicht gehabt. Er selbst auch nicht, aber die Tatsache, dass er Dressler beerben konnte, hat ihm zumindest einen sorgenfreien Lebensabend beschert und er weiß das Glück zu schätzen, dass er, bescheiden wie er ist, einfach in den Tag hineinleben kann, ohne sich finanzielle oder existentielle Sorgen machen zu müssen…
Als Pia kurz darauf an ihrem Arbeitsplatz im Bordell auftaucht, vertraut sie sich ihrer besten Freundin und Kollegin Vivian bezüglich ihrer misslichen Situation in der Beziehung zu Gung an.
„Ach, Schätzchen“, sagt Vivian bedauernd. „Ganz ehrlich… mir ist noch keine von uns begegnet, die eine intakte Beziehung führt. Ehrlich gesagt wollen die meisten von uns, die ich kenne, so etwas wie eine Beziehung überhaupt nicht. Und wen wundert’s… Wenn man ständig für alle möglichen Typen die Beine breit macht, dann ist man doch froh, wenn man nach Feierabend einfach seine Ruhe hat und für sich sein kann…“
„Ich hab mich wirklich in diesen Kerl verliebt“, sagt Pia über Gung.
Vivian grinst sie breit an.
„Waaas?“ fragt Pia.
„Früher hab ich ja immer davon geträumt, dass irgendwann mal ein Freier auftaucht, der sich als absoluter Traumprinz entpuppt und mich aus diesem ganzen Dilemma rettet“, erzählt Vivian. „Ganz so wie Richard Gere im »Pretty Woman«. Aber den Traum hab ich längst begraben. Mich rettet keiner mehr. Und den Traumprinzen gibt’s nur in Hollywood. Oder im Märchen… Ich bin ja schon froh, wenn mich an meinem Alter überhaupt noch einer ficken will, damit ich die Miete bezahlen kann. Das große Glück bleibt mir wohl erspart… Wenn du das jetzt gefunden hast, auch wenn dein Vietnamese sicherlich auch definitiv nicht der klassische Traumprinz ist, dann lass es nicht mehr los. Vielleicht schaffst du es ja doch noch hier raus…“
„Oder unsere Beziehung geht dran kaputt“, sagt Pia traurig.
„Womöglich“, meint Vivian schulterzuckend. „Aber vielleicht ja auch nicht… Man weiß doch nie, was kommt…“
„Wie lange machst du heute?“ wechselt Pia das Thema. „Gehen wir heute Abend noch was trinken?“
„Ja, aber erst später“, sagt Vivian. „Bin heute Abend noch mit ´nem Freier verabredet. Außerhalb.“
„Außerhalb?“ fragt Pia.
„In so ´nem schmuddeligen kleinen Stundenhotel“, sagt Vivian.
„Du weißt aber schon, dass die das hier nicht gerne sehen!“ erinnert Pia ihre Freundin. „Wenn du dich außerhalb vom Bordell triffst…“
„Du weißt aber schon, dass das mehr Kohle bedeutet“, erwidert Vivian. „Da kann ich einfach alles für mich einstecken, hier muss ich den Löwenanteil abdrücken. Und ich kann jeden Penny gebrauchen, wenn ich dem Scheiß hier eines Tages doch noch den Rücken kehren will.“
„Also doch noch nicht so ganz ausgeträumt, der Traum vom Glück“, stellt Pia grinsend fest. „Was is’nn das für einer? Kennst du den wenigstens?“
„Ganz komische Type“, meint Vivian. „Beim letzten Mal wollte er nur reden. Genau wie dein Vietnam-Heini am Anfang.“ Vivian lacht auf.
„Vielleicht entpuppt der sich ja auch noch als Traumprinz“, meint Pia lachend.
„Der?“ Vivian lacht schrill auf. „Näää! Bestimmt nicht. Dafür ist das ein echt zu komischer Vogel.“
„Sei bloß vorsichtig“, warnt Pia.
„Bin ich doch immer“, meint Vivian lässig. „Wir sind um acht im Hotel Flora verabredet. Spätestens um zehn bin ich da wieder raus. Treffen wir uns dann in der Coconut-Bar? Is´ da ja quasi gleich um’s Eck!“
Pia willigt ein und die beiden trennen sich, um ihrem Tageswerk nachzugehen.
Später am Tag sucht Gung Pia erneut auf und unterbreitet ihr eine Idee. Er berichtet ihr davon, dass Dressler stets von seinen Kochkünsten geschwärmt und ihn dazu ermutigt hat, eines Tages ein vietnamesisches Restaurant zu eröffnen und dass Gung einmal sogar kurzzeitig mit dem Gedanken gespielt hat, diese Idee in die Tat umzusetzen, indem er das Akropolis übernehmen und umgestalten wollte.
„Eine ganzes Räästaurant ist vielleicht einä Nummär sssu grooß für mich“, sagt er. „Aber ich überläge, sssu eröffnen einän vietnamesischen Imbiss bei dän neuen Geschäftsräumen im Hinterhof in der Ulrike-Böss-Straße.“
Gung berichtet, dass dort durchaus einige Räumlichkeiten entstehen sollen, die sich für ein solches Projekt anbieten würden.
„Wänn ich das wirklich mache“, sinniert er. „Dann könntest du mit einsteigen. Du als Geschäftsführung, ich in där Küche.“
Pia sieht ihn ungläubig an. „Du meist das ernst, oder?“ stellt sie nach einem Augenblick fest. „Das ist jetzt nicht bloß eine Spinnerei!“
Und Pia entdeckt plötzlich ein leidenschaftliches Feuer in Gungs Augen flammen, das sie bei dem ruhigen Mann so noch nie gesehen hat. In den folgenden Stunden spinnen die beiden ungeniert rum, wie die Umsetzung dieses Planes konkret aussehen könnte und Pia lässt sich dabei voll und ganz von Gungs Feuer anstecken…
Als Pia und Gung später auseinander gehen, ist Pia ganz euphorisch. Nachdem sie noch zwei Freier abgearbeitet hat, kann sie es kaum erwarten, Vivian von der neuen Entwicklung zu erzählen. Vielleicht klappt es ja doch noch mit dem Traum vom besseren Leben. Und vielleicht kann Vivian ja sogar mit einsteigen in ihrem Imbiss…
Punkt 22 Uhr trifft Pia im Coconut ein – von Vivian noch keine Spur. Pia bestellt sich einen Drink. Und wartet. Und wartet. Und wartet… Zwischenzeitlich versucht sie, Vivian auf dem Handy zu erreichen. Vergebens…
Nach 23 Uhr macht sie sich schließlich auf den Weg zum Hotel Flora. Als sie um die Straßenecke biegt, entdeckt sie drei Polizeiwagen mit Blaulicht vor dem Haus. Scheiße, was ist denn da passiert? Sollte Vivian in Schwierigkeiten sein, weil sie sich hier mit einem Freier getroffen hat? Allerdings treffen sich in solch einem Hotel doch ständig Leute zum Sex… Und Vivian trägt schließlich kein Schild um den Hals, auf dem geschrieben steht, dass sie eine Professionelle ist… Und wegen unerlaubter Prostitution würde ja auch nicht so ein Polizeiaufgebot anrücken… Aber warum erreicht sie Vivian nicht? Plötzlich beschleicht Pia ein ungutes Gefühl. Als sie sich dem Hotel nähert, bemerkt sie auch das rot-weiße Flatterband am Eingang. Ehe der uniformierte Polizist auf dem Bürgersteig sie aufhalten kann, ist Pia schon unters Band ins Innere des Hotels geschlüpft.
„Ich glaub, Sie dürfen hier jetzt nicht rein!“ hält ein dickbäuchiger, aufgelöster Rezeptionist sie zurück. „Haben die Bullen Sie einfach durchgelassen?“
„Was ist denn passiert?“ fragt Pia besorgt.
„Da oben in Zimmer 26 haben se einen umgebracht“, keucht der Mann. „Erwürgt!“
Pia wird kurz schummerig. Dann eilt sie die Treppen hinauf in den 2. Stock. Die ganzen Menschen, sie sich auf dem Gang aufhalten und deren Rufe ignorierend hetzt sie auf das Zimmer 26 zu.
„Ey, wer ist das? Was macht die hier?“ brüllt ein Mann im weißen Overall mit der Aufschrift Spurensicherung. Pia ignoriert auch ihn. Die aufgebrachte Stimmen in ihrem Rücken hört sie, wie durch Watte. Sie spürt, wie ihre Beine weich werden, als sie auf dem Bett, rücklings liegend, Vivian entdeckt – mit weit aufgerissenen, leblosen Augen und einem Draht um den Hals…

CLIFFHANGER auf: Pia Lorenz

Mitwirkende Personen
Alex Behrend
Dr. Iris Brooks
William Brooks
Andrea Neumann
Murat Dagdelen
Lisa Dagdelen
Paul Dagdelen
Mika Arlen
Romy Brinkmann
Ludde Mayer
Jack Aichinger
Elias Aichinger
Emma Sarikakis
Vasily Sarikakis
Ben Hofer
Dr. Birthe Tenge-Wegemann
Helga Beimer
Klaus Beimer
Anna Ziegler
Sarah Ziegler
Gung Phan Kien
Pia Lorenz
Kerstin Wendland
David Krämer
Jeremy Peschke
Christian Brenner
Urszula Winicki
Vivian Singendonk

© `popo wolfson` 2023

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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