Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
Aktuelle Zeit: Sa 27. Apr 2024, 08:06

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 2 Beiträge ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: Folge 1901 - Ein ganzes Leben
BeitragVerfasst: So 12. Nov 2023, 16:56 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: Di 14. Sep 2010, 16:04
Beiträge: 10221
Wohnort: Popihausen
Folge 1901: Ein ganzes Leben

Spieltag: Donnerstag, 09.11.2023


Tristan wirkt an diesem Morgen bereits beim Frühstück ruhig und in sich gekehrt.
„Stimmt irgendwas nicht?“ erkundigt sich Lea.
„Nee, also gut!“ entgegnet Tristan.
„Ach, komm, irgendwas ist doch!“
„Nein, es ist nur…“, druckst Tristan unschlüssig herum. „Ach… nun ja… also… meine Mutter hat heute Geburtstag!“
„Oh!“ entfährt es Lea.
„Irgendwie… fühlt es sich Scheiße an, wenn ich mich heute nicht bei ihr melde…“
„Na, dann mach das doch!“ fordert Lea ihn auf.
„Was?“ Tristan glaubt, sich verhört zu haben.
„Sie ist deine Mutter und sie hat Geburtstag!“ sagt Lea. „Nur weil sie und ich nicht miteinander klar kommen, heißt das nicht, dass du jetzt für den Rest ihres Lebens keinen Kontakt mehr mit ihr haben darfst. Ich wünschte, ich hätte noch eine Mutter, der ich zum Geburtstag gratulieren könnte…“
Tatsächlich ist Tristan zufrieden darüber, dass Lea ihm keine Steine in den Weg wirft und beschließt, seiner Mutter später einen Überraschungsbesuch abzustatten. Seit Monaten – seit sich die beiden überworfen hatten, nachdem Ortruns Intrigen gegen Lea aufgeflogen sind – herrscht absolute Funkstille zwischen Mutter und Sohn. Und obwohl Tristan das Verhalten seiner Mutter nach wie vor nicht gut heißt, ist es ihm doch schwer gefallen, diesen Kontaktabbruch aufrecht zu erhalten – schließlich haben sich die beiden Zeit seines Lebens sehr nahe gestanden…
Währenddessen geht Lea im Friseur-Salon ihrem Tagwerk nach, doch das Arbeitsklima ist alles andere als angenehm, denn hinter der rückwärtigen Wand des Salons brummt, dröhnt und rüttelt es seit Beginn der Woche pausenlos so laut und unerträglich, dass sowohl Kundschaft wie auch Belegschaft des Salons nur noch genervt sind.
„Das ist ja fürchterlich!“ klagt Helga unmittelbar, nachdem sie im Frisierstuhl Platz genommen hat. „Geht das den ganzen Tag so?“
„Seit Montag“, bestätigt Tanja.
„Wie hält man das denn aus?“ fragt Mutter Beimer unwirsch.
„Gar nicht“, stöhnt »Lotti«.
„Aber haben die anfangs nicht gesagt, diese Umbauarbeiten im Hinterhaus würden ganz dezent ablaufen?“ hakt Helga nach.
„Haben sie, ja“, erwidert Tanja. „Und anfangs war das ja auch so. Aber in den letzten Tagen…“
„Typisch!“ meint Helga schnippisch. „Schließlich steckt ja Marlenes Sohn mit in dieser Firma. Von dieser Mischpoke kann man nur wirklich nicht viel erwarten; versprechen einem das Blaue vom Himmel und halten dann doch nichts!“
„Und es ist niemand zu erreichen“, erklärt Tanja. „Ich hab schon ein paar Mal versucht, telefonisch Beschwerde einzulegen. Aber es ist dauernd besetzt. Und wenn man die Bauarbeiter direkt anspricht, verstehen die entweder kein deutsch oder sie wollen nichts verstehen…“
„Tristan hat schon ein Schreiben an Schmitt & Wessels aufgesetzt!“ berichtet Lea. „Der hört den Lärm ja schließlich auch in seiner Kanzlei oben. Aber ist noch keine Rückmeldung gekommen…“
„Na, wenn ein anwaltliches Schreiben dort eingeht, werden die das ja wohl nicht einfach ignorieren können!!“ befindet Helga.
Tristan kommt derweil bei der Villa seiner Mutter an. Als er die lange Zufahrt zum Haus hinauf fährt, entdeckt er einen schwarzen Mercedes, der vor den Stufen zur Haustür parkt. Entweder hat seine Mutter ein neues Auto oder sie hat bereits Geburtstagsgäste…
Als Tristan ohne zu klingeln das Haus betritt und in den Salon geht, sitzt Ortrun von Sassnitz dort mit einem älteren Herrn mit graumelierten Haaren und die beiden trinken Kaffee.
„Guten Morgen, Mutter!“ sagt Tristan zur Begrüßung.
„TRISTAAAAAN!“ ruft Ortrun begeistert aus. Sie fliegt förmlich von ihrem Stuhl und fällt dem verlorenen Sohn um den Hals.
„Alles Liebe zum Geburtstag!“ flüstert er und drückt seine Mutter lange und innig an sich.
„Was für eine schöne Überraschung!“ schluchzt Ortrun und wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Ach“, japst sie dann und dreht sich entschuldigend zu ihrem Gast um. „Du kennst noch Alfons? Alfons Brachvogel! Ein alter Freund deines seligen Vaters.“
Dr. Alfons Brachvogel, seines Zeichens Psychiater im Ruhestand, erhebt sie von seinem Stuhl und gibt Tristan zur Begrüßung die Hand.
„Ich kann mich dunkel erinnern“, sagt Tristan.
„Das ist auch schon Ewigkeiten her“, erwidert Dr. Brachvogel mit sonorem Brummbass. „Damals warst du höchstens zehn. Wahrscheinlich eher jünger. Oh, darf ich überhaupt noch du sagen?“
„Natürlich“, winkt Tristan ab.
Ortrun wird derweil nicht müde, ihrer Begeisterung über Tristans Auftauchen Ausdruck zu verleihen, die lange, entbehrungsreiche Zeit mit dramatischem Unterton zu bedauern und schließlich vorsichtig nachzufragen: „Hast du dich endlich von Lena getrennt?“
Tristans Miene versteinert augenblicklich. „Nein, Mutter, LEA und ich haben uns nicht getrennt!“
„Schad… äh… natürlich nicht“, stammelt Ortrun. „Wie komme ich nur darauf? Ich wollte auch nicht… Ich wundere mich nur. Du warst so wütend auf mich!“
„Wohl auch zurecht“, entgegnet Tristan. Dann erklärt er, dass Lea es war, die der Meinung war, dass Tristan seiner Mutter einen Besuch zum Geburtstag abstatten sollte.
„Ist das so?“ fragt Ortrun nasal.
„Mutter, ich würde gerne unseren Streit begraben…“, beginnt Tristan.
„Aber das war doch kein Streit!!“ fällt Ortrun ihm nahezu fassungslos ins Wort.
„Wie auch immer du es nennen willst, ich möchte das jedenfalls beenden“, erklärt Tristan. „Das setzt allerdings voraus, dass du Lea zukünftig als meine Freundin akzeptierst und tolerierst.“
Ortrun rümpft Sekundenbruchteile nahezu unmerklich die Nase. „Aber selbstverständlich doch“, sagt sie dann. „An mir soll es ganz bestimmt nicht scheitern!“
Tristan begibt sich zur Kaffeerunde seiner Mutter dazu, hat allerdings nicht den ganzen Tag Zeit, da er später noch Mandanten-Termine hat. Als er sich eine Weile später verabschiedet, verspricht er, bald wiederzukommen, womit er Ortrun sehr glücklich macht…
„Gab es Probleme zwischen euch?“ erkundigt sich Alfons bei seiner Gastgeberin, nachdem ihr Sohn die Villa wieder verlassen hat.
„Ach, er hat sich so eine ordinäre, kleine Freundin angelacht“, lässt Ortrun ihn mit wegwerfender Handbewegung wissen. „Ein ganz ungebildetes, primitives, kleine Ding. Lena! Eine Friseuse! Stell dir das mal vor! Ein Anwalt und eine Friseuse!!!“
Ortrun schüttet dem alten Freund ihres verstorbenen Mannes ihr Herz aus.
„Dein Rüdiger hätte bestimmt nicht solche Standesdünkel gegen dieses Mädchen gehegt, wie du“, meint Alfons anschließend nachdenklich.
„Mein Rüdiger war in dieser Hinsicht ja auch ein Narr!“ befindet Ortrun spitz. „Ich habe ja nichts gegen Menschen, die sich mit ehrlichem Handwerk ihr Geld verdienen! Ganz und gar nicht! Aber die sollen sich dann doch auch bitte sehr mit ihres Gleichen zusammentun. Tristan ist zu so viel besserem bestimmt!“
„Meinst du nicht, dass du ein wenig unangemessen reagierst?“ fragt Alfons schmunzelnd. „Wer im Glashaus sitzt… und so weiter und so fort…“
„Das lässt sich doch nun wirklich überhaupt nicht miteinander vergleichen!“ gibt Ortrun entrüstet von sich. „Ich habe nie in einem Handwerksberuf gearbeitet!“
„Nein, du hast lieber gleich reich geheiratet!“ erinnert Alfons sie. „Und dabei nicht unbedingt mit fairen Mitteln gespielt!“
Abrupt erhebt sich Ortrun und tritt ans Fenster. „Wenn du mir jetzt Vorhaltungen wegen meiner Schwester machen möchtest, dann kannst du auch gleich wieder gehen“, sagt sie pikiert mit ihm zugewandten Rücken.
„Nichts läge mir ferner!“ versichert Alfons. „Ich habe deine Schwester nie gemocht! Zumal warst du immer die attraktivere von euch beiden!“
Ortrun scheint versöhnlich gestimmt und nimmt wieder Platz. Schweigsam rührt sie in ihrer Kaffeetasse, deren Inhalt mittlerweile längst kalt sein müsste…
„Glücklich bist du definitiv nicht über die Wahl deines Sohnes“, stellt Alfons fest. „Ist dieses Mädchen den wirklich so schlimm? Mal abgesehen vom gesellschaftlichen Stand…“
„Sie ist furchtbar!“ seufzt Ortrun. „So etwas ordinäres. Ihre Eltern sind früh gestorben, dafür kann sie ja nichts. Dann ist sie bei ihrer sehr simpel gestrickten Großmutter aufgewachsen, so ein Typ altbackenes Hausmütterchen ohne jegliche Bildung.“
„Dafür kann sie aber auch nichts“, sagt Alfons. „Unsere Herkunft können wir uns nicht aussuchen.“
„Nein, natürlich nicht!“ sagt Ortrun schnell. „Trotzdem… Du müsstest sie mal sehen! Wie sie rumläuft. Wie sie sich bewegt. Wie sie redet! Durch und durch Gosse, sage ich dir! So etwas wie sie könnte auch vom Hasenbergl stammen…!“
Alfons atmet tief durch und schweigt einen Moment nachdenklich. „Wenn sie dir wirklich so ein Dorn im Auge ist...“, sagt er schließlich gedehnt, „...dann sollten wir eventuell ein wenig nachhelfen, um Tristan davon zu überzeugen, dass sie nicht die Richtige für ihn ist…“
Ortrun schaut auf. „Wie meinst du…?“
„Ein Mensch der unter einer schrecklichen Krankheit leidet, kann er enorme Belastung für eine Beziehung sein“, erklärt Alfons.
„Eine schreckliche Krankheit?“ fragt Ortrun irritiert.
„Eine psychische Krankheit verlangt selbst der intaktesten Beziehung einiges ab“, entgegnet Alfons. „Wenn ein junger Mensch nach und nach dem Wahnsinn heimfällt, dann ist das tragisch. Aber auch beim heutigen Stand der Medizin gibt es immer noch Menschen, die bereits in jungen Jahren so sehr den Bezug zur Realität verlieren, dass es keine andere Überlebenschance mehr gibt, als den Rest ihres Daseins in einer geschlossenen Unterbringung zu fristen…“
Und schlagartig hellt sich Ortruns verkniffener Gesichtsausdruck auf...
Tristan und Lea ahnen derweil nichts von den Plänen, die da gerade in der Villa von Sassnitz geschmiedet werden. Tristan freut sich über die Versöhnung mit seiner Mutter und darüber, dass Lea sich sogar danach erkundigt, wie es gelaufen ist…


Das Zusammenleben von Anna und Emil mit ihrem Mitbewohner Gung verläuft nach wie vor sehr harmonisch. Und dennoch hütet Gung seine Geheimnisse, den über seinen Besuch von neulich hat er Anna gegenüber nach wie vor kein Wort verloren – weder darüber, wer die Dame war, noch, in welchem Verhältnis er zu ihr steht. Und auch nicht, ob er sich wieder mit ihr trifft, wenn er manchmal für ganze Abende verschwindet. Anna hingegen platzt derweil fast vor Neugierde, findet es allerdings auch ein wenig übergriffig und plump, Gung direkt darauf anzusprechen – schließlich sähe das ja viel zu neugierig aus. Zudem wurmt es sie, dass sie sich sicher ist, die Frau von irgendwoher zu kennen, aber dass sie auch nach reiflicher Überlegung nicht darauf kommt, woher…
Heute Vormittag ist Anna mal wieder bei ihrer Cousine Gabi zu Besuch. Sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie diesen Kontakt in der letzten Zeit so sträflich vernachlässigt hat, obwohl sie doch genau weiß, wie schlecht es ihr geht.
Auch heute ist Gabi äußerst still und zurückhaltend und wirkt wieder sehr in sich gekehrt. Helga ist dafür umso redseliger, gesellt sich ungefragt zu den beiden und berichtet aufgeregt von dem Lärm, den die Bauarbeiten am Haus in der Ulrike-Böss-Straße inzwischen verursachen und wie unangenehm das für die angrenzenden Läden und Büros ist.
„Das hat Sarah mir schon erzählt“, versucht Anna, die so gar keine Lust auf Konversation mit Helga hat, die Sache abzukürzen. „Die bekommen das ja in der Kanzlei oben auch mit.“
Helga plappert ungehemmt weiter und merkt überhaupt nicht, dass Anna gerne etwas mehr Zeit zu zweit mit ihrer Cousine verbringen würde.
„Hast du nicht irgendwas anderes zu tun?“ fragt Anna schließlich irgendwann genervt. „Ein paar schwarze Raben backen oder so?“
Empört schnappt Helga nach Luft. „Dafür ist es noch viel zu früh im Jahr!“ entgegnet sie schnippisch. „Außerdem backe ich keine schwarzen Raben, ich backe Weihnachtsplätzchen! Dass die mir manchmal verbrennen, ist bestimmt nicht meine Absicht!! Willst du mich loswerden???“
„Neeiiiin! Wie kommst du denn nur darauf?“ erwidert Anna spitz.
„Tsss! Ich merke schon, wenn ich unerwünscht bin!“ Helga steht auf und verlässt beleidigt das Wohnzimmer.
Und kaum dass die beiden Cousinen alleine im Raum sind, wird Gabi etwas redseliger.
„Die Helga meint’s ja gut, aber sie is’ halt manchmal doch sehr… anstrengend!“ erklärt sie. Und dann erzählt sie Anna von dem misslungenen Wochenend-Trip mit Andy ins Voralpenland, davon, wie viel Angst ihr die Welt da draußen inzwischen macht – und von ihrer Begegnung mit Olaf Kling!
„I weiß, des er es war“, klagt Gabi. „Aber keine glaubt mir! Alle denken, meine Nerven haben mir einen Streich g’spielt! Aber i bin net verrückt!“
„Olaf Kling?!“ murmelt Anna nachdenklich.
„Die Welt da draußen, die… die macht mi fix und fertig!“ jammert Gabi. „Corona! Dieser furchtbare Putin! Und nun auch noch diese schlimme G’schicht mit der Hamas da unten…!“
„Jetzt weiß ich’s!!“ ruft Anna, die gerade eine Art Deja vú hatte, ungeachtet Gabis letzter Sätze aus.
„Was?“ fragt Gabi irritiert.
„Die Frau!“ ruft Anna. „Das ist die Ex vom Kling. Diese Pia Dingsdabumsda! Weißte noch?“
„Was meinst?“ Gabi ist völlig überrollt.
„Mit der trifft sich Gung jetzt!“ ruft Anna.
„Der Gung?“ Gabi versteht nur noch Bahnhof.
„Aber das ist doch eine Prostituierte!“ erinnert sich Anna.
„Herr Gung trifft sich mit einer Prostituierten?“ Helga ist wieder in der Wohnzimmertür erschienen.
„Haste schön gelauscht?“ fragt Anna sie scharf. Und dann an ihre Cousine gewandt: „Tut mir leid, Gabi! Aber das muss ich jetzt genauer wissen! Ich komme am Wochenende nochmal vorbei!“
Und mit wehenden Fahnen verlässt Anna die Alten-WG.
Wenig später trifft sie in ihrer Wohnung tatsächlich auf ihren Untermieter. Ein wenig redet sie noch um den heißen Brei herum, doch dann nimmt sie sich ein Herz und kommt zum Punkt: „Sag mal, Gung, dein Besuch neulich… das war doch die frühere Freundin vom Olaf Kling, oder? Diese Pia Dings…!“
„Lorenz“, erwidert Gung knapp.
„Was?“
„Pia Lorenz“, meint Gung nüchtern.
„Stimmt, Lorenz hieß die!“ erinnert sich Anna. „Wo hast du die denn aufgegabelt?“
„In einem Bordell“ sagt Gung ungerührt – und verlässt die Wohnung. Anna starrt ihm mit offenem Mund hinterher.
Eine Stunde später sitzt sie mit Sarah im Marcellas. Der Baulärm, der von hinten kommt, ist wirklich unerträglich, weshalb Gian-Luca heute auch nicht allzu viele Gäste zu bedienen hat.
„Ich hätte nie gedacht, dass Gung in einen Puff geht!“ sagt Anna, bemüht darum, einerseits den Lärm aus dem Hinterhof zu übertönen, aber andererseits nicht zu laut zu sprechen.
„Du weißt doch gar nicht, ob… naja, ob er sie dafür bezahlt“, meint Sarah.
„Aber er hat doch gesagt, dass er sie in einem Bordell aufgegabelt hat“, berichtet Anna.
„Aber das heißt ja nicht, dass er sie deshalb auch immer noch… wie nennt man das? Bucht? Mietet? Kauft?“
„Wie jetzt?“
„Vielleicht haben die beiden sich ineinander verliebt“, überlegt Sarah. „So wie in »Pretty Woman«.“
Anna prustet aus. „Aber Gung ist nicht Richard Gere“, gluckst sie. „Und diese Lorenz ganz sicher keine Julia Roberts.“
„Ist doch egal“, meint Sarah. „Das geht dich ja auch eigentlich gar nichts an.“
Anna muss ihrer Tochter im Prinzip recht geben – und dennoch: Ihre Neugier ist mittlerweile übermächtig.
Und so muss sie Gung am Abend nochmal auf das Thema ansprechen…
„Triffst dich in letzter Zeit häufiger mit dieser Pia, oder?“ fragt sie scheinbar nebenher.
Gung zögert kurz, dann nickt er.
Anna überlegt krampfhaft, wie sie dieses unangenehme Thema weiter vertiefen kann, ohne dabei zu indiskret zu werden.
„Ich liebä sie!“ sagt Gung plötzlich ganz unverhofft.
„Oh“, entfährt es Anna. „Das ist… schön“, setzt sie nach einem Schweigemoment fort.
„Sie arbeitet in einäm Bordell!“ erklärt Gung.
„Ja… das sagtest du“, erwidert Anna verlegen. „Und… bezahlst du sie?“ Noch im gleichen Moment beißt sie sich auf die Unterlippe. Wie peinlich…
„Nein!“ sagt Gung fest. „Sie mag mich nämlich auch!“
„Das ist schön“, sagt Anna erneut, weil ihr nichts besseres einfällt.
„Aber es ist nicht so schön, dass ich sie immär teilen muss mit andere Männer“, berichtet Gung – und Anna bereut es zunehmend, dieses Thema überhaupt angesprochen zu haben.
„Hast du ihr das mal… gesagt?“ fragt Anna vorsichtig.
„Ich liebä sie! Du muss man findän… Kompromissä!“
„Das ist bestimmt nicht so leicht…“, vermutet Anna.
„Ich liebä sie!“ sagt Gung erneut – und geht in sein Zimmer. Peinlich berührt und vollkommen überfordert mit der Situation bleibt Anna in der Küche zurück. Verliebt in eine Prostituierte… Das ist definitiv nicht leicht, denkt sie sich…



Mandy kämpft weiterhin mit dem Tod. Sein einer Woche liegt sie nun quasi im Sterben und jeder neue Tag, den sie noch erlebt, scheint fast ein Wunder zu sein – nur, dass an ihrem Gesundheitszustand im Grunde nicht wunderbares mehr zu finden ist. Mit Schmerzmitteln vollgepumpt befindet sie sich in einem Dauerdelirium und sobald das Morphium an Wirkung verliert, leidet sie Höllenqualen. Und dennoch lebt sie. Iris erklärt David, dass sterbende Menschen trotz aller Aussichtslosigkeit ihrer Lage oftmals dennoch ein so starkes Herz haben, das einfach weiter schlägt.
Das Verhältnis zwischen David und Jeremy ist inzwischen wieder ähnlich angespannt wie zu Beginn der Beziehung von David und Mandy. Der Junge lehnt seinen Stiefvater rigoros ab und lässt ihn seine ganze Verachtung spüren.
Als Lisa später in der Wohnung ist und Mandys Tropf eine neue Morphium-Dosis zufügen will, hat diese gerade einen wachen Moment.
„Lass… das bitte“, sagt sie matt und mühsam. „Ich…. Möchte heute...kein Mo… Mop...phium. Das …. vernebelt mir…. total…. die Sinne...“
Lisa hält inne. „Du wirst unerträgliche Schmerzen haben“, sagt sie skeptisch.
„Das… ist mir… egal“, krächzt Mandy. „Ich… will … will heute… klar bleiben.“
Lisa zögert. „Das kann ich nicht so einfach machen“, sagt sie schließlich. „Da muss ich erst mit Iris drüber sprechen.“
Lisa verlässt das Zimmer und ruft in der Praxis an. Wenige Minuten später taucht auch Iris in der Wohnung auf. Und nach einem kurzen Gespräch mit Mandy ist der Ärztin klar, dass der Zeitpunkt des Abschieds gekommen ist. Und dass Mandy diesen so klar und mit so vollem Bewusstsein wie möglich erleben möchte…
David ist derweil in der Stadt unterwegs. Er war kurz in seiner Bank und hat anschließend noch ein paar Besorgungen gemacht. Auf dem Weg nach Hause kommt er an dem Parkplatz vorbei, auf dem vor einer Weile Mandys Bruder kampiert hat – doch dessen Auto ist nicht mehr zu sehen, offenbar ist er inzwischen weitergezogen. Wo er sich jetzt wohl aufhält? David wird nachdenklich. Man darf Ronny eigentlich nicht über den aktuellen Zustand seiner Schwester im Unklaren lassen. Andererseits ist er sich nicht sicher, ob Mandy überhaupt will, dass ihr Bruder erfährt, wie schlimm es inzwischen um sie steht… Und selbst wenn… Wenn Ronny tatsächlich noch obdachlos ist, kann er sich sonst wo rumtreiben, wie sollte man ihn da ausfindig machen…?
David trifft zeitgleich mit Jeremy und Phoebe zuhause ein, die gerade aus der Schule kommen. Während Phoebe ihn gewohnt freudig begrüßt, straft Jeremy ihn auch diesmal mit einem vernichtenden Blick, ohne ihn danach weiter zu beachten.
Doch der schwelende Konflikt tritt plötzlich in den Hintergrund, als die Drei gemeinsam das Zimmer betreten, in dem Mandy in ihrem Bett liegt. Denn in einem so klaren Bewusstseinszustand wie im Augenblick haben sie sie in den vergangenen Tagen im Morphin-Nebel nicht mehr erlebt. Allerdings ist Mandy die körperliche Qual auch deutlich ins Gesicht geschrieben. Trotz ihrer offenbar unerträglichen Schmerzen bemüht sich Mandy darum, tapfer durchzuhalten und diesen Nachmittag mit ihrer Familie ohne jede Betäubung zu erleben.
Was folgt, sind Stunden, die ganz ihnen gehören. Mandy zusammen mit Baby Hope in ihrem Bett, David, Jeremy und Phoebe gemeinschaftlich an ihrer Seite. Es wird geredet, sofern Mandys Kräfte es zulassen. Es wird gestreichelt und liebkost und umarmt. Und allen ist bewusst, was diese gemeinsamen Stunden der Zärtlichkeit bedeuten und wie dieser Tag enden wird.
Zwischenzeitlich sehen Iris und Lisa immer wieder kurz nach dem Rechten, aber die meiste Zeit über sind die Fünf alleine. Als Familie. Ohne Streit oder Missgunst.
Dennoch ist dieses stundenlange Beisammensein kräftezehrend für Mandy und auch ohne betäubende Schmerzmittel kommt sie irgendwann an den Punkt, an dem sie immer wieder wegdämmert.
„Ich… möchte…, dass...ihr… glücklich seid“, sagt sie plötzlich, nachdem sie aus einem kurzen Schlaf erwacht. „Ihr…. alle!“
Kraftlos und schmerzerfüllt hält sie inne, ehe sie fortsetzt: „Ihr… seid… eine… Familie! Meine… Familie!“
Mühsam legt sie links und rechts ihre Arme um Jeremy und Phoebe: „Ich… wünsche mir, dass… ihr euer … Leben lebt. Und… immer gut aufeinander… aufpasst!“
„Und du?“ fragt Phoebe.
„Ich…. bin immer… bei euch“, presst Mandy mühsam hervor.
„Dann wirst du doch wieder gesund?“ fragt Phoebe plötzlich hoffnungsvoll.
„Phoebe!“ zischt Jeremy seine Schwester an.
„Ich darf doch wohl fragen!“ Phoebe sieht zunächst ihren Bruder empört, dann ihre Mutter erneut hoffnungsvoll an. Doch diese schüttelt langsam und müde den Kopf.
„Aber du hast gesagt, du bleibst jetzt immer bei uns!“ erwidert Phoebe mit leichtem Trotz in der Stimme.
„Das… werde ich auch“, sagt Mandy. „Aber… anders!“
„Wie anders?“ fragt Phoebe und klingt dabei nun richtig bockig.
„Ich bin überall… wo ihr seid. Solange ihr mich nicht… vergesst“, versucht Mandy zu erklären. „Auch… wenn ihr… mich nicht sehen könnt…“
„Aber ich will dich sehen können!“ sagt Phoebe trotzig und Tränen steigen ihr in die Augen.
„Das… geht leider… nicht“, versucht Mandy zu erklären.
„Dann hab ich auch keine Lust mehr, dass du da bist!“ schnauzt Phoebe. „Wenn ich dich sowieso nicht mehr sehen kann, dann… dann hau doch ab!!!“
„Phoebe!“ zischt Jeremy seine Schwester gereizt an. Doch diese springt auf und stürmt aus dem Zimmer. Jeremy folgt ihr. Auch David will ihnen hinterher, aber Mandy greift mit letzter Kraft seine Hand.
„Es… tut mir… leid, dass… ich dir das… zumute“, flüstert sie.
„Du mutest mir gar nichts zu“, erwidert er. „Du bist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist.“
Im nächsten Moment kommen die Geschwister gemeinsam ins Zimmer zurück.
„Tut mir leid, Mami!“ heult Phoebe und fällt ihrer Mutter um den Hals.
„Dir… muss...gar nichts… leid tun!“
Einige weitere Minuten des Schweigens verstreichen, bis David plötzlich sagt: „Mir tut es leid, dass wir nur so wenig Zeit hatten!“
Für Sekundenbruchteile streift ihn wieder Jeremys vernichtender Blick, ehe der Junge sich von ihm abwendet.
„Das war ...die beste Zeit…. in... meinem Leben“, flüstert Mandy. Erneut flackert kurz Zorn in Jeremys Augen auf und es brennt ihm auf der Seele, seine Mutter an die Zeit mit seinem Vater zu erinnern. Doch ehe er die passenden Worte findet, sagt Mandy zu ihm und Phoebe: „Und...ihr seid… das Beste, was… mir in… meinem Leben… passieren konnte...Ich liebe euch!“
Jeremy schluckt jegliche weitere Bemerkung herunter und bricht still in Tränen aus.
„Ein viel zu kurzes Leben“, flüstert David.
Mandy blickt ihm nachdenklich in die Augen.
„Vielleicht“, flüstert sie müde. „Aber ...es …. war ja…. trotzdem… ein ganzes Leben… Mein...ganzes Leben…“
Und dann schließt sie die Augen und Sekunden später sinkt ihr Kopf fast unmerklich ein Stück zur Seite.
„Mami?“ flüstert Phoebe in die plötzlich eintretende Stille hinein – doch von Mandy kommt keine Reaktion mehr...
„Mami…“, flüstert Phoebe ein weiteres Mal…

CLIFFHANGER auf: Mandy Peschke-Krämer im Bett liegend, umringt von David Krämer, Hope Krämer, Jeremy Peschke und Phoebe Peschke

Mitwirkende Personen
Mandy Peschke-Krämer
Jeremy Peschke
Phoebe Peschke
Hope Krämer
David Krämer
Dr. Iris Brooks
Lisa Dagdelen
Ortrun von Sassnitz
Tristan von Sassnitz
Lea Stark
Helga Beimer
Anna Ziegler
Sarah Ziegler
Emil Ziegler
Gabi Zenker
Gung Pham Kien
Tanja Schildknecht
Peter »Lotti« Lottmann
Gian-Luca Conti
Dr. Alfons Brachvogel

© ´popo wolfson´ 2023

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags:
Verfasst: So 12. Nov 2023, 16:56 


Nach oben
  
 
 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1901 - Ein ganzes Leben
BeitragVerfasst: Mo 13. Nov 2023, 08:06 
Offline

Registriert: Mi 29. Sep 2010, 00:11
Beiträge: 11587
Danke Popo.


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 2 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde


Wer ist online?

0 Mitglieder


Du darfst keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du darfst keine Dateianhänge in diesem Forum erstellen.

Suche nach:
Gehe zu:  
cron
Powered by phpBB® Forum Software © phpBB Group


Bei iphpbb3.com bekommen Sie ein kostenloses Forum mit vielen tollen Extras
Forum kostenlos einrichten - Hot Topics - Tags
Beliebteste Themen: Quelle, NES, Haus, Erde, Liebe

Impressum | Datenschutz