Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1899 - Das Tagebuch
BeitragVerfasst: So 29. Okt 2023, 15:35 
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Folge 1899: Das Tagebuch

Spieltag: Donnerstag, 26.10.2023


Als Urszula sich am Morgen auf den Weg zur Arbeit machen will, steht überraschend Udo Bloch mit einem riesigen Blumenstrauß vor ihrer Tür.
„Was machst du denn um diese Zeit hier?“ fragt sie irritiert. „Hab ich eine Verabredung vergessen? Ich muss jetzt zur Arbeit!“
„Keine Sorge, ich will dich nicht lange aufhalten“, erklärt Bloch. „Ich wollte dich nur kurz wissen lassen, dass ich heute Abend eine Art… Termin habe.“
„Termin? Ich verstehe nicht…!“ Urszula ist vollkommen konfus.
„Ich habe über den Escort-Service für den heutigen Abend deine Tochter gebucht“, erklärt Udo strahlend.
Der Polin läuft es augenblicklich heiß und kalt den Rücken runter. Ja, Udo, hatte ihr diesen Gedanken bereits vor einer Weile mitgeteilt, um auf diese Weise möglicherweise herauszufinden, was Irina bei dieser Agentur konkret treibt und ob sie sich wirklich, bei entsprechendem Klientel, auch prostituiert… Dennoch klingen seine Worte, er habe ihre Tochter ‚gebucht´ so abartig und fühlen sich an, wie ein Tritt in die Magengrube…
„Wie… genau… soll denn das aussehen?“ stammelt Urszula nervös.
„Wir werden essen gehen“, erklärt Udo. „Ich bin ein alleinstehender, gut betuchter Geschäftsmann, der gerne mal in Begleitung einer jungen Dame in einem schicken Restaurant dinieren möchte.“
Urszula ist hin und her gerissen. Sie ist Udo dankbar, dass er versucht, etwas herauszufinden. Und sie glaubt tatsächlich auch, dass dies wohl der beste Weg ist, um der Sache auf den Grund gehen zu können. Und dennoch fühlt sie sich unwohl bei der ganzen Sachen; Unwohl bei dem Gedanken, dass Udo Bloch mit ihrer Tochter ausgehen wird, für Geld; unwohl dabei, dass er ihr dabei verheimlichen wird, dass er der neue Partner ihrer Mutter ist – und ganz besonders unwohl bei dem Gedanken daran, was er bei dieser ganzen Aktion eventuell rausfinden wird. Ja, dieser Gedanke, obwohl sie im Grunde ja sogar darauf brennt, endlich die ganze Wahrheit über Irinas Job zu erfahren, macht ihr nun nahezu Angst – denn sie glaubt nicht, dass ihr das, was Bloch rausfinden könnte, gefallen wird…
Aber das ist nicht alles, was der Polin schwer auf der Seele liegt: Der Scheidungstermin von Christian Brenner rückt näher und näher, aber bislang hat Urszula es immer noch nicht über sich gebracht, Artjom darüber in Kenntnis zu setzen. Zwar hat dieser mittlerweile Udo als neuen Freund seiner Mutter akzeptiert, dennoch, so befürchtet sie, wird er sich sicher schwer tun mit der Tatsache, dass ihre Ehe mit Christian endgültig vor ihrem Schlusspunkt steht. Auch wenn Artjom in den letzten Wochen weniger von Christian gesprochen hat, ist Urszula bewusst, wie sehr er immer noch an ihm hängt. Nach ihrer Trennung hat sie den Kontakt zwischen Artjom und Christian auf ein Minimum unterbunden, auch, weil sie wollte, dass Christian zunächst sein Leben und seine Spielsucht in den Griff bekommt. Aber nun, denkt sie, ist es vielleicht an der Zeit, diesbezüglich eine gemeinsame vernünftige Lösung zu finden, so, dass Christian und Artjom sich in Zukunft wieder regelmäßiger sehen können. Sie hofft, Artjom mit dieser Aussicht ein bisschen milder stimmen zu können und hat sich extra den Nachmittag frei genommen, in der Hoffnung, dass sie dann ein vernünftiges Mutter-Sohn-Gespräch führen können, bei dem Urszula alle Karten offen auf den Tisch legt. Doch als Artjom aus der Schule kommt, hat Urszula der Mut bereits wieder verlassen. Und bei einem gemeinsamen Essen mit ihrem Sohn, druckst sie nur rum und kriegt kein Wort bezüglich der Scheidung über ihre Lippen. Und je weiter der Nachmittag voranschreitet, desto schwerer fällt ihr, einen vernünftigen Ansatzpunkt zu finden, denn ihre Gedanken wandern immer häufiger zu Irina und Udo und was deren Treffen wohl bringen wird… Schließlich muss Urszula sich missmutig eingestehen, dass sie am heutigen Tag keine Gelegenheit mehr finden wird für ein offenes Gespräch mit Artjom…
Am Abend kommt Udo vor dem McAllister, einem Restaurant der gehobenen Klasse im Münchener Stadtteil Bogenhausen an. Und er muss nicht lange warten, ehe ein Taxi vorfährt, aus dem Irina aussteigt.
„Herr Bloch?“ fragt sie lächelnd und kommt auf ihn zu.
„Frau Moreau?“ erwidert Bloch ihre Frage.
„Sie können mich gerne Camille nennen“, sagt Irina…
Als Udo ein paar Stunden später in der Lindenstraße auftaucht, platzt Urszula vor Neugier.
„Wie war es? Was hat sie gesagt? Worüber habt ihr euch unterhalten? Was hast du rausbekommen?“ bombardiert sie ihn mit Fragen.
„Wir haben uns unterhalten“, berichtet Bloch. „Und gemeinsam gegessen. Die haben da wirklich einen ganz hervorragenden…“
„Udo, bitte!“ zischt Urszula. „Das Essen in diesem Laden interessiert mich nun wirklich nicht!“
„Entschuldigung! Also deine Tochter ist wirklich eine sehr charmante, junge Dame“, erzählt Udo Bloch weiter. „Wir haben uns über alle möglichen Dinge unterhalten, über Kunst und Kultur, über die politische Lage in der Ukraine und in Israel, über Gott und die Welt eigentlich…“
Urszula sieht ihn ungläubig an. „Irina war immer ein sehr oberflächlicher Mensch“, sagt sie irritiert. „Kunst und Kultur haben sie nie interessiert. Und von Politik hat sie überhaupt keine Ahnung. Sie hat sich eigentlich immer nur für Klamotten, Partys, Jungs und Musik interessiert.“
„Da scheint sie sich aber sehr verändert zu haben“, sagt Bloch. „Sie ist eine wirklich sehr weltgewandte und vielseitig interessierte junge Frau.“
„Bist du sicher, dass du nicht doch eine falsche… Hostess gebucht hast?“
Bloch zeigt ihr ein Foto von Irina, das er heimlich während des Essens gemacht hat und zerschlägt damit Urszulas Zweifel.
„Und hast du sie gefragt, ob sie auch… mehr...du weißt schon?“ kommt die Polin nun zu dem Teil, der ihr auf der Seele brennt.
„Ich habe sie am Ende des Abendessens gefragt, ob es eine Möglichkeit gäbe, auch andere Dienste als bloße Begleitung bei ihr zu buchen“, sagt Bloch.
„Und?“ bohrt Urszula, die seine dramatischen Pausen kaum ertragen kann.
Bloch räuspert sich. „Sie hat gesagt… nun ja… also…“
„Also was?“ Urszula wird immer elektrischer. „Nun lass dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.“
„Sie sagte…. Dass sie für Stammklientel auch andere Dienste anbietet“, presst Bloch schließlich. „Also auch gemeinsame Nächte oder auch nur ein paar Stunden über Tag, in einem Hotel oder bei den Klienten zuhause, so, wie der Klient es wünscht…“
Urszula beginnt zu zittern. „Also doch“, seufzt sie. „Ich hab es gewusst. Und Artjom hatte recht. Mein Kind… geht anschaffen…“
„Ich weiß nicht so recht, ob man das wirklich ‚anschaffen‘ nennen kann“, sagt Bloch verlegen. „Das hört sich so nach… Straßenstrich an. Ich denke, dass das in Irinas Falle schon alles wesentlich… nun ja… auf einem wesentlich gehobenerem Niveau stattfindet. Das ist wirklich ein ausgewähltes Klientel. Deshalb wird das auch nur für Stammkunden angeboten. Die gucken sich die Herren schon sehr genau an und lassen nicht einfach jeden…“
„Meine Tochter schläft für Geld mit fremden Männern“, fällt Urszula ihm ins Wort. „Wie würdest du das nennen, wenn nicht Prostitution? Da können diese Männer aus einer noch so gehobenen Gesellschaft kommen!“
Bloch schweigt betreten, denn natürlich ist ihm bewusst, dass Urszula recht hat.
„Wo ist mein Kind da nur hinein geraten?“ jammert die Polin. „Wie konnte das nur passieren? Was hab ich nur falsch gemacht?“
„Aber das ist doch nicht deine Schuld!“ protestiert Bloch.
„Ich hab sie zu sehr verwöhnt und verhätschelt, als sie noch klein war“, jammert Urszula. „Immerzu habe ich sie durch die Gegend geschleppt. Und später, als Teenager, da war sie schon so schwierig. Alkohol und allerlei Dummheiten. Und jetzt… jetzt ist sie eine Prostituierte…“
„Sie ist erwachsen“, sagt Bloch. „Ich glaube kaum, dass irgendwer sie dazu zwingt, wie bei diesem Mädchen hier aus der Nachbarschaft, von der du mir erzählt hast. Die, die an diesen arabischen Loverboy geraten ist. Irina hat sich selbst für diesen Weg entschieden!“
„Aber sie macht einen Fehler!“ ruft Urszula. „Jetzt lockt sie das Geld, das sie damit verdient. Aber sie kann doch nicht… Wir müssen sie da rausholen! Irgendwie!“
„Aber wie willst du das anstellen?“ fragt Bloch.
„Ich weiß es nicht!!“ Urszula wischt sich die Tränen aus den Augen. „Aber wir müssen irgendwas unternehmen!!!“


David macht sich große Sorgen um Mandy. In den vergangenen Tagen hat sie eigentlich fast nur noch geschlafen und wenn sie zwischenzeitlich mal wach war, dann immer nur in einem sehr benommenen, kaum ansprechbaren Zustand.
„Wir müssen damit rechnen, dass es jederzeit soweit sein kann“, erklärt Iris ihm, nachdem sie ihren morgendlichen Routinebesuch bei Mandy absolviert hat. „Wahrscheinlich wird sie irgendwann in den nächsten Tagen einfach einschlafen… und nicht mehr aufwachen…“
David muss schlucken. Natürlich war ihm die ganze Zeit bewusst, dass dieser Tag in nicht allzu ferner Zukunft kommen wird, aber wenn er dann so unmittelbar bevorsteht, ist es doch ein Schock…
„Meinst du, sie wird… vorher nochmal… ansprechbar sein?“ erkundigt er sich zögernd. „Ich meine, so richtig und nicht nur in diesem… diesem Dämmerzustand…?“
„Das ist schwer zu sagen“, erwidert Iris. „Manchmal kommt es kurz vor dem Tod nochmal zu klaren Momenten. Aber… also, ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich es für wahrscheinlich halte. So weit, wie die Krankheit inzwischen fortgeschritten ist und dann die starken Morphin-Dosen, die Mandy mittlerweile bekommt… Es… ist eher unwahrscheinlich, würde ich sagen…“
David ist tieftraurig. Obwohl ihm die Hoffnungslosigkeit der Lage bereits seit Wochen bewusst ist, macht sie ihn vollkommen fertig. Iris hat David bereits mehrere Male angeboten, ihn krankzuschreiben, aber David hat dies bislang abgelehnt. Er kann einen Großteil seiner Arbeit im Home Office erledigen und wenn er tatsächlich in die Bank muss, dann immer nur für wenige Stunden am Stück und immer nur unter der Voraussetzung, dass Betreuung für Mandy vor Ort ist. So auch an diesem Tag. Als David nach knapp zwei Stunden in der Bank wieder nach Hause zurück kommt, begrüßt Lisa ihn mit einem fröhlichen: „Sie ist wach! Und sie ist sogar ansprechbar und richtig klar!“
„Wirklich?“ fragt David ungläubig.
Nachdem Lisa sich verabschiedet und die Wohnung verlassen hat, geht David zu Mandy. Und Lisa hat Recht: Mandy wirkt zu völlig erschöpft und ausgelaugt und ihre Stimme klingt verwaschen. Aber ihr Blick ist dennoch klar und sie ist wacher als in den vergangenen Tagen und Wochen.
„Heute ist der… 26. Ok...tober“,sagt sie leise.
„Das stimmt!“ bestätigt David.
„Nächste… Woche… hat… Je… Jeremy… Ge… Geburtstag!“ Jedes einzelne Wort strengt sie wahnsinnig an.
„Ja, ich weiß!“ erwidert David.
„Ich hätte nicht gedacht… dass… ich… das noch… erleben… werde.“
David ist skeptisch. Eine Woche erscheint ihm doch sehr lang, bei den Prognosen, die die Ärzte inzwischen stellen. Dennoch blüht in Mandy plötzlich eine enorme Zuversicht, dass sie den bevorstehenden Geburtstag ihres Sohnes erleben und mit ihm feiern will, so gut ihr das noch möglich ist. Ein Ziel, das sie sich gesetzt hat und auf das sie nun hinarbeiten möchte…
Auch Jeremy und Phoebe sind freudig überrascht, als sie aus der Schule kommen und ihre Mutter in einem so guten Zustand vorfinden, wie schon seit langem nicht mehr. Und sie können es kaum fassen, als Mandy von Jeremy wissen möchte, wie er seinen bevorstehenden Geburtstag verbringen will.
„Heißt das, dass wir meinen Geburtstag feiern werden?“ fragt Jeremy ungläubig.
„Aber natürlich, mein Schatz“, sagt Mandy matt. „Vielleicht… nicht ganz so groß wie… früher. Also, du solltest vielleicht… nur ein paar… Freunde einladen und… nicht gleich… deine… halbe Klasse!“
Mandy fällt das Sprechen sichtlich schwer und sie muss immer wieder Pausen machen, aber in ihrem Blick liegt eine lange nicht gesehene Wachheit und Energie.
„Jeremy würde gerne auf der Bowling-Bahn feiern“, plappert Phoebe drauf los. „Wie damals, als er zehn geworden ist!“
„Halt die Klappe!“ fährt Jeremy seine Schwester an.
„Aber hast du doch letztens mal so gesagt!“ erinnert sich Phoebe.
„Aber nicht so gemeint“, brummt Jeremy. „Das geht nicht!“
„Bowlingbahn werde ich… wohl nicht schaffen“, lächelt Mandy müde.
„Okay, ich mach euch einen Vorschlag“, meldet David sich zu Wort. „Wir feiern erst hier ein bisschen zu viert. Und danach gehe ich mit euch und deinen Freunden Bowlen und anschließend noch Pommes oder Pizza essen. Ich frage Iris oder Lisa, ob sie so lange hier bleiben kann.“
„Echt jetzt?“ fragt Jeremy.
„Ja, warum nicht?!“ meint David.
„Ich finde, … das ist… eine tolle Idee“, sagt Mandy.
Und somit ist es beschlossene Sache, wie Jeremys Geburtstag ablaufen soll – falls Mandy wirklich noch solange durchhält…
Kurze Zeit später sucht David Iris in ihrer Praxis auf und erzählt ihr von Mandys momentan verhältnismäßig so gutem Zustand und von ihren Plänen, mit Jeremy dessen Geburtstag feiern zu wollen. Iris weiß als Ärztin, dass dieses kurzzeitige ‚Aufleben‘ eines Patienten vor seinem nahenden Tod keine Seltenheit ist, aber dass dies in vielen Fällen auch ebenso schnell wieder vorüber ist, wie es kommt – und dass dann oft der endgültige Abstieg beginnt. Dennoch will sie David seiner augenblicklichen Euphorie nicht berauben. Vielleicht ist Mandy ja doch noch stark genug und schafft es, dieses letzte Ziel, das sie sich gesetzt hat, noch zu erreichen…
David fühlt sich heute jedoch so positiv, wie schon seit längerer Zeit nicht mehr und begibt sich nach dem Praxis-Besuch nahezu beschwingt auf den Heimweg. Auf der Straße kommt ihm Andy entgegen, der sich nach Mandys Zustand erkundigt und ernsthafte Freude zeigt, als David ihm berichtet, dass es ihr momentan etwas besser geht.
„Sag mal, warum hast du mir eigentlich nichts von Wastis Problem erzählt?“ fragt Andy ihn unvermittelt. „Also ehrlich, David! Die Teilnahme an einem Stammtisch… das ist unter den Voraussetzungen doch nun wirklich das völlig Falsche!“
„Ich versteh nicht so ganz…“ David ist irritiert und begreift tatsächlich nicht, worauf Andy hinaus will.
„Ein trockener Alkoholiker an einem Stammtisch!“ poltert Andy weiter. „Und ich wollte ihn schon zum Einstand zu irgendwelchen Trinkspielchen animieren…“
„Trockener Alkoholiker?“ David scheint aus allen Wolken zu fallen.
„Du wusstest nichts davon?!“ stellt Andy überrascht fest.
In der Tat nicht. Diese Informationen ist für David vollkommen neu. Und so sucht er kurze Zeit später seinen alten Kumpel auf, um ihn selbst auf das Thema anzusprechen.
„Aber wann hat das denn angefangen?“ fragt David völlig ungläubig, nachdem Wasti ihm den Wahrheitsgehalt dieser Neuigkeit bestätigt hat. „Ich meine, okay, du warst früher schon immer ein Feier-Biest. Aber dass du ein Alkoholproblem haben könntest, hätte ich nie im Leben für möglich gehalten…“
„Im Studium“, erklärt Wasti. „Damals warst du ja schon längst in Israel. Zu der Zeit ist das Trinken zu einer, ich sag mal, sehr, sehr regelmäßigen Gewohnheit geworden. Aber dass ich wirklich ein Problem habe, ist mir erst Jahre später bewusst geworden.“
„Aber warum hast du mir denn später nie etwas davon erzählt?“ fragt David. „Nachdem ich wieder zurück in Deutschland war…“
Wasti zuckt mit den Schultern. „In der Therapie und auch später bei den Anonymen Alkoholikern habe ich im Grunde gelernt, offen damit umzugehen“, erklärt er. „Trotzdem ist das natürlich nicht das ruhmreichste Kapitel meines Lebens und es ist nichts, was ich gerne an die große Glocke hänge…“
„Hey, wir waren doch immer die besten Freunde…“
„Ja, ich weiß!“ bestätigt Wasti. „Aber es hat sich irgendwie halt nie die passende Gelegenheit ergeben…“
„Jetzt verstehe ich auch, warum du kein Bier mehr mit mir trinken willst“, sagt David. „Weiß Giovanna davon?“
„Noch nicht“, gibt Wasti zu. „Aber ich werde mit ihr reden!“
„In Zukunft keine Geheimnisse mehr zwischen uns?“ fragt David.
„Klar“, erwidert Wasti. Doch als die beiden sich verabschieden, blickt er David missmutig hinterher. Denn ein Geheimnis gibt es noch. Eins, über das er mit niemandem sprechen kann, nicht mal mit David...


Tessa ist fest entschlossen, heute endlich Simon zu besuchen und ihm zu erklären, warum sie untertauchen musste und sich so lange nicht mehr bei ihm gemeldet hat.
Und so wartet Tessa den Vormittag in ihrem Versteck ab. Als sie nachmittags davon ausgehen kann, dass Simon inzwischen aus der Schule zurück ist, begibt sie sich nach oben und klingelt an der Tür der Schildknechts…
Ahnungslos öffnet Simon ihr – und erstarrt…!
„Du?“ entfährt es ihn nach einer Schrecksekunde.
„Überraschung!!!“ trällert sie fröhlich. „Hättest du jetzt wahrscheinlich eher nicht mehr mit gerechnet, oder? Tut mir so leid, dass ich mich so lange nicht bei dir gemeldet habe, aber ich musste untertauchen. Bist du alleine?“
Simon nickt zaghaft, bereut es aber schon im nächsten Augenblick. Es wäre wohl besser gewesen, wenn er behauptet hätte, seine Mutter sei auch zuhause. Aber schon hat Tessa sich in den Wohnungsflur geschoben und die Tür hinter sich geschlossen. In eiligen Sätzen berichtet sie ihm von dem, was seit ihrer letzten Begegnung geschehen ist. Als sie mit ihren Ausführungen geendet ist, bemerkt sie irritiert Simon Gesichtsausdruck.
„Du siehst jetzt aber nicht besonders begeistert aus“, stellt sie irritiert fest. „Freust du dich nicht, dass ich wieder da bin?“
„Äh...d...doch“, stößt Simon endlich hervor. Doch sein Zögern hat ein paar Sekunden zu lange gedauert und hat Tessas Misstrauen befeuert.
„Du lügst!“ sagt sie hart. „Du warst froh, dass ich weg war, stimmt’s?!“
„N...n...nein!“ entgegnet Simon hastig. „Ich bin halt nur voll überrascht, weil… ich nicht damit gerechnet hatte, dass du nochmal auftauchst!“
„Du bist echt ein verdammt schlechter Lügner!“ Tessa funkelt ihn böse an. „Ein gottverdammt schlechter Lügner!“
„Ich… ich lüge nicht!“ Simon wird knallrot. „Aber du musst jetzt gehen! Meine Mutter kommt gleich nach Hause. Wir können uns vielleicht heute Abend treffen. Ich komme dann runter zu dir, okay?“
Tessa starrt ihn misstrauisch an und Simon läuft es bei der Kälte in ihrem Blick eiskalt den Rücken runter.
„Okay“, sagt sie schließlich. „Bis heute Abend!“
Während Simon die Wohnungstür hinter ihr schließt und zunächst mal tief durchatmen muss, überschlagen sich in Tessas Kopf die Gedanken. Langsam steigt sie die Stufen hinab, verlässt das Haus und geht ein Stück die Lindenstraße entlang in Richtung Ulrike-Böss-Straße. Als sie dem Salon so nahe ist, dass sie durch die Schaufenster ins Innere blicken kann, sieht sie sowohl `Lotti ´und Lea, wie auch Tanja. Alle drei sind noch so intensiv mit ihrer Kundschaft beschäftigt, dass wohl nicht zu erwarten ist, dass Tanja allzu schnell Feierabend machen wird… Dieser kleiner Arsch hat sie also tatsächlich belogen…! So ein hinterfotziger Mistkäfer! Eilig kehrt Tessa ins Haus Nr. 3 zurück und holt sich den Generalschlüssel aus dem Keller. Dann huscht sie wieder hinauf zur Schildknecht-Wohnung und betritt leise den Flur. Sie hört Simons Stimme gedämpft aus seinem Zimmer und nähert sich vorsichtig der Tür. Als sie durch den Türspalt späht, sieht sie Simon an seinem Schreibtisch sitzen, vor sich ein aufgeklappter Laptop. Simon ist in einem Video-Chat und auf dem Bildschirm erkennt sie dieses blonde Mädchen. Nicht zu fassen! Simon, der Junge, dem sie am meisten vertraut hat auf der Welt, steckt mit diesem kleinen Miststück unter einer Decke!
„Wo ist sie denn die ganze Zeit gewesen?“ fragt Mila gerade. „Und wie ist sie denn wieder in den Keller gekommen ohne dich? Der wird doch jetzt immer abgeschlossen, seit der Obdachlose da überwintert hat.“
DIE Obdachlose, schießt es Tessa durch den Kopf, aber nicht mal das wisst ihr, ihr Hirnis!“
„Keine Ahnung, dass hat sie mir nicht gesagt“, berichtet Simon. „Vielleicht ist sie eingebrochen.“
Wenn ihr wüsstet, denkt Tessa und streichelt mit den Fingern über den Generalschlüssel.
„Okay, du musst die Polizei informieren“, beschließt Mila. „Geh zu Nina und sag ihr, dass du zufällig entdeckt hast, dass das vermisste Mädchen sich unten im Keller versteckt. Nina wird sich dann um alles weitere kümmern.“
„A… aber wenn Tessa der Polizei erzählt, dass ich ihr am Anfang geholfen habe?“ fragt Simon skeptisch.
„Ich glaube kaum, dass die Polizei ihr mehr glaubt als dir“, lacht Mila. „Und selbst wenn, du hast doch nichts Schlimmes gemacht. Du wolltest ihr nur helfen, du hast am Anfang ja gar nicht gewusst, wie sie wirklich tickt. Weißt du was? Am besten sagst du Nina einfach die ganze Wahrheit. Ja, ich glaube, das wäre wirklich das Allerbeste.“
Simon schluckt nachdenklich, als Mila sagst: „Oder geh erst zu Antonia und weihe sie ein. Die wird dir helfen! Dann könnt ihr vielleicht zusammen zu Nina gehen.“
Simon überlegt noch einen Moment. „Okay“, sagt er schließlich. „Wahrscheinlich hast du recht!“
Simon beendet den Video-Call. Eilig verlässt Tessa die Wohnung und rennt runter in ihr Versteck. So ein verdammter Mist! Sie ist am Arsch. Sie muss von hier verschwinden, bevor dieser kleine Verräter sie ans Messer liefert. Hastig packt Tessa ihren Kram zusammen, während Simon in die Kastanienstraße geht und Antonia aufsucht. Mila hat gesagt, Antonia könne er vertrauen. Und Simon vertraut Mila, also weiß er, dass die recht hat.
Nachdem Simon Antonia über die jüngsten Geschehnisse in Kenntnis gesetzt hat, schlägt diese vor: „Wir können ja einfach mal zusammen runter in den Keller gehen und nachsehen, ob sie wirklich da ist.“
„Bist du sicher?“ fragt Simon nervös.
„Vielleicht blufft sie ja nur und versteckt sich in Wirklichkeit ganz woanders“, gibt Antonia zu bedenken. „Bevor wir jetzt Nina Bescheid geben und die ihre Kollegen einschaltet, sollten wir zumindest wissen, dass sie wirklich da ist. Was soll sie denn schon machen, wenn wir zu zweit sind?“
Und so gehen die beiden gemeinsam rüber in den Keller vom Haus Nr. 3, mit dem Plan, dass Simon so tut, als wolle er, wie angekündigt, Tessa dort besuchen, während Antonia sich unbemerkt im Flur aufhält und zur Not eingreifen kann, falls Tessa in irgendeiner Form unangenehm werden sollte. Wenn Simon es schafft, Tessas Vertrauen aufrecht zu erhalten und die beiden sich sicher sein können, dass sie den Hobbykeller nicht so schnell wieder verlassen wird, dann können sie auch die Polizei informieren.
Als Simon an die Tür des Raumes klopft, bleibt alles still darin, auch dann, als er flüstert, dass er es ist. Schließlich betritt er vorsichtig den Kellerraum, doch drinnen ist alles leer, still und dunkel, nichts deutet darauf hin, dass Tessa hier Unterschlupf gefunden hat.
„Hier ist niemand“, flüstert er Antonia zu und auch sie betritt den Raum. Die beiden blicken sich suchend um. Auf den ersten Blick deutet nichts darauf hin, dass hier in jüngster Vergangenheit jemand gehaust hat, doch dann entdeckt Antonia in einer Ecke des Kellers ein Notizbuch, das so gar nicht zu dem anderen Krempel passen will, den die Mieter hier untergestellt haben.
„Guck mal!“ ruft sie und deutet darauf.
Und Simon erkennt es sofort wieder. „Das ist ihres“, sagt er.
Antonia nimmt es und blättert es flüchtig durch. „Sieht aus wie ein Tagebuch“, meint sie.
„Also war sie doch hier!“ sagt Simon.
Die beiden nehmen das Tagebuch mit, in der Hoffnung, dadurch vielleicht mehr über Tessa zu erfahren. Als sie es in Simons Zimmer gemeinsam durchlesen, sind sie fassungslos. Alles, aber auch alles in diesem Buch dreht sich nur um Tod und Sterben. Tessa beschreibt lang und breit irgendwelche morbiden Todesphantasien und ähnliches.
Tessa, die sich derweil im Park aufhält, hat beim durchwühlen ihres Rucksacks inzwischen festgestellt, dass das Buch nicht da ist. Fuck! Sie muss es im Keller vergessen haben, eine andere Erklärung findet sie nicht. Hoffentlich warten dort noch nicht die Bullen auf sie. Vorsichtig schleicht sie sich zurück ins Haus Nr. 3. Zum Glück ist es draußen mittlerweile dunkel genug, um sich im Schutz der Dunkelheit anschleichen zu können… Der Hobbykeller ist nach wie vor menschenleer. Doch auch von ihrem Tagebuch fehlt jede Spur! Fuck! Fuck! Fuck! Wo könnte es nur abgeblieben sein? Dieses Buch darf auf gar keinen Fall in die falschen Hände gelangen. Es darf in überhaupt keine anderen Hände gelangen, es ist ihr größter Schatz. Und es beinhaltet ihr größtes Geheimnis...
Antonia und Simon kommen beim lesen des Buches mittlerweile zu einem Punkt, an dem Tessa vom Tod ihrer Freundin berichtet, von der Tessa Simon bereits damals im Internet-Forum berichtet hat; die Freundin, die vor Tessas Augen Suizid begangen haben und sich vor einen Zug geschmissen haben soll. Und was sie da lesen, lässt ihnen buchstäblich das Blut in den Adern gefrieren. Wenn das stimmt, was Tessa hier schreibt, dann ist ihre Freundin nicht vor den Zug gesprungen. Wenn Tessa in ihrem Tagebuch von der Wahrheit berichtet, dann hat sie ihre Freundin mit voller Absicht vor die Bahn gestoßen…
Fassungslos sehen sich die beiden Teenager an.
„Simon, wir müssen damit zur Polizei gehen“, flüstert Antonia. „Unbedingt!“

CLIFFHANGER auf: Simon Schildknecht


Mitwirkende Personen
Wasti Huber
David Krämer
Mandy Peschke-Krämer
Jeremy Peschke
Phoebe Peschke
Dr. Iris Brooks
Lisa Dagdelen
Andy Zenker
Antonia Zenker
Tanja Schildknecht
Simon Schildknecht
Mila Beimer
Lea Starck
Peter ´Lotti` Lottmann
Urszula Winicki-Brenner
Artjom Brenner
Irina Winicki
Udo Bloch
Tessa Anzberg

© ´popo wolfson` 2023

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: So 29. Okt 2023, 15:35 


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 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1899 - Das Tagebuch
BeitragVerfasst: So 29. Okt 2023, 18:48 
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gleich 2 Geheimnisse
Das ist ja wie im Advent: jeden Tag öffnet sich ein Türchen :D


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