Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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BeitragVerfasst: So 8. Okt 2023, 12:03 
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Folge 1896: Angst hat eine kalte Hand

Spieltag: Donnerstag, 05.10.2023

Urszula hat an diesem Morgen Besuch: Ihr alter Freund »Käthe« ist mal wieder in der Lindenstraße, um mit ihr gemeinsam zu frühstücken. Bei dieser Gelegenheit schüttet die Polin ihm ihr Herz über ihre Sorge um Irina aus. Nachdem sie ihm alles erzählt hat, schauen die beiden sich im Internet gemeinsam die Website des Escort-Service an.
„Und Artjom glaubt, dass diese kleine Anmerkung hier, dass es für einen Aufpreis auch die Erfüllung spezieller Wünsche gibt, dafür spricht, dass… nun ja… dass es halt auch…“,die Polin senkt ihre Stimme, ehe sie weiterredet: „Sex… gegen Bezahlung gibt.“
„Na, Artjom muss es ja wissen!“, rutscht es »Käthe« erbost raus.
„Wie bitte?“, fragt Urszula konfus.
„Nichts!“, sagt »Käthe« schnell. Seine Aversion gegen den Adoptivsohn seiner alten Freundin gehört hier nun wirklich nicht hin. „Vielleicht… bedeutet das ja auch was ganz anderes, zum Beispiel … nun ja … keine Ahnung, was weiß ich…“
Urszula lacht bitter auf. „Glaub mir, ich hab mir auch schon den Kopf darüber zermartert, was für eine harmlose Erklärung dahinter stecken könnte. Aber um was, wenn nicht um Sex, sollte es denn sonst gehen?“
„Weißt du was?“, sagt »Käthe« nach einem kurzen Augenblick entschlossen und schnappt sich das Telefon. „Ich rufe da jetzt mal an und tue so, als ob ich ein potentieller Kunde wäre, der Interesse an diesen Zusatzdiensten hat!“
Doch das Telefonat verläuft ernüchternd und am Ende muss »Käthe« Urszula mitteilen, dass es zusätzliche Leistungen nur für Stammkunden gibt, die sich im System des Service registriert haben und die Dienste der Agentur regelmäßig in Anspruch nehmen.
„Ich werde da mal selbst hingehen und hoffen, dass ich Irina dort antreffe!“, beschließt Urszula. „Ich muss mit ihr persönlich reden!“
In diesem Moment klingelt es an der Wohnungstür. Als Urszula öffnet, steht Postbote Marian Petry mit einem Einschreiben im Treppenhaus.
„Mein Scheidungstermin“, erklärt die Polin »Käthe«, nachdem sie den Brief gelesen hat. „Nächsten Monat. Endlich!“
„Warum habt ihr so lange gewartet?“, erkundigt sich »Käthe«. „Ihr seid inzwischen doch schon eine halbe Ewigkeit getrennt. Das Trennungsjahr ist doch schon unlängst vorbei.“
„Christian hat so lange gebockt“, erwidert Urszula. „Und ich hatte auch so viel anderes um die Ohren. Aber nächsten Monat ist es endlich soweit. Danach ist meine Ehe Geschichte …“
Als Artjom am Mittag aus der Schule nach Hause kommt, verheimlicht Urszula ihm den bevorstehenden Scheidungstermin. Sie weiß ja, wie sensibel ihr Sohn auf dieses Thema reagiert. Hierbei muss sie ganz behutsam vorgehen. Aber das muss warten. Zunächst ist etwas anderes wichtig.
Und so schlägt Urszula später am Nachmittag bei der Escort-Agentur auf und betritt den stylishen Eingangsbereich.
„Kann ich irgendetwas für sie tun?“ Die Empfangsdame, die laut ihres Namensschildes Mingnon Heidkrüger heißt, sieht sie skeptisch an. Urszula fragt sich, ob das ihr echter Vorname ist oder ob sie hier auch unter einem französischen Pseudonym arbeitett.
„Ich müsste bitte Irina Winicki sprechen“, sagt Urszula – und als sie den fragenden Blick der Mitarbeiterin sieht, fügt sie schnell hinzu: „Camille Moreau.“
Die Empfangsdame schweigt eisern und Urszula erklärt: „Es ist etwas… Privates!“
Mingnon Heidkrüger nimmt sich ein Telefon von der Ladestation und verschwindet in einen angrenzenden Raum, wo Urszula sie leise reden hört. Kurz darauf kommt sie zurück und erklärt: „Sollten Sie Interesse an einer Begleitung durch Camille haben, möchte ich Sie bitten, diesen Service regulär online oder telefonisch zu buchen. Auf Wiedersehen!“
Urszula sieht die Frau konsterniert an. Dann sagt sie: „Ich hab kein Interesse an ihrem Service. Irina ist meine Tochter und ich muss sie dringend in einer privaten Angelegenheit sprechen!“
Mingnon sieht sie scharf an. Dann zischt sie: „Dann sollten Sie sie auch privat in ihrer Freizeit kontaktieren und nicht über unsere Agntur.“
„Ich habe leider keinen…. Ich habe ihre Kontaktdaten nicht“, erklärt Urszula zerknirscht.
„Das wird dann wohl seine Gründe haben“, entgegnet Frau Heidkrüger und deutet mit der Hand in Richtung Ausgang.
Urszula zögert kurz. Dann nimmt sie in einem champagnerfarbenen Ledersessel Platz und sagt: „Ich gehe hier erst weg, wenn ich mit meiner Tochter gesprochen habe.“
Mingnon Heidkrüger wirkt kurzzeitig überfordert. Dann schnappt sie sich erneut ihr Telefon und verschwindet damit wieder im Hinterzimmer. Als sie zurück an ihren Platz kommt, schenkt sie Urszula keinerlei Aufmerksamkeit mehr.
Einige Minuten später erscheint eine elegante Frau um die 50, die, obwohl zierlich und schlank, ein sehr resolutes Auftreten an den Tag legt. Sie wechselt ein paar Worte mit der Empfangsdame, dann tritt sie auf Urszula zu und stellt sich ihr als Thekla Oelschlaeger vor, die Inhaberin der Service-Agentur.
„Ich möchte doch nur mit meiner Tochter sprechen“, erklärt Urszula. „Ist es nicht möglich, dass Sie mir ihre Adresse oder ihre Handynummer geben?“
„Haben Sie schon mal was von Datenschutz gehört?“, fragt die Escort-Chefin gereizt. „Ich werde garantiert nicht einfach die Adressen oder Nummern meiner Damen rausgeben, da können Sie zehn mal die Mutter sein! Wo kommen wir denn da hin?! Wenn Camille keinen Kontakt zu Ihnen wünscht, denn wird sie wohl ihre Gründe dafür haben und wir müssen das akzeptieren. Auch Sie! Und nun möchte ich Sie bitten, meine Räumlichkeiten unverzüglich wieder zu verlassen!“
„Sie kommen sich wohl sehr erhaben vor!“ Urszula rümpft die Nase. „Sie tun hier so fein und so nobel. Aber das hier ist doch nichts anderes als ein besserer Puff! Oder wie habe ich das mit dem Extra-Service für Stammkunden zu verstehen?“
„Gehen Sie jetzt bitte oder ich werde den Security-Dienst informieren!“, fordert Thekla Oelschlaeger immer noch sachlich, aber nicht mehr ganz so freundlich und mit einer beängstigende Kälte in den Augen.
Urszula atmet durch. „Könnten Sie meiner Tochter wenigstens etwas von mir ausrichten…?“
„Raus!“, sagt die Oelschlaeger bestimmt und weist auf die Tür. Zermürbt erhebt Urszula sich und geht.
Am Abend spricht sie mit Udo über Irina.
„Ich würde ja so gerne glauben, dass das alles ganz harmlos ist und es nur um reine Begleitung geht“, jammert sie. „Aber wie habe ich den diesen kleingedruckten Satz sonst zu verstehen? Und warum machen die so Geheimnis um ihre… Dienstleistung? Ich fass das alles nicht! Meine Tochter verkauft sich für Geld! Was habe ich nur falsch gemacht?“
„Vielleicht sollten wir zunächst mal rausfinden, was es mit diesem Sonder-Service tatsächlich auf sich hat“, überlegt Udo. „Möglicherweise steckt ja wirklich nur etwas ganz Harmloses dahinter und du machst ganz umsonst die Pferde scheu!“
„Aber wie sollen wir denn das machen?“, fragt Urszula verzweifelt. „Sonderleistungen nur für Stamm-Klientel. Und ich kann mir da sowieso nicht mehr blicken lassen!!“
„Aber ich!“, sagt Bloch.
„Wie bitte?“ Urszula starrt ihn verwundert an.
„Ich bin ein alleinstehender Herr, nicht mehr ganz so taufrisch, aber durchaus mit Geld“, erzählt Udo. „Warum sollte ich da nicht eine solche Agentur aufsuchen, um mir eine nette Begleitung zu buchen, die mich mal zum Essen begleitet oder mit mir ins Theater oder in ein Konzert geht?! Und wenn ich dann erst einmal als Stammkunde akzeptiert bin, dann könnte ich mich ja mal erkundigen, ob es dort nicht auch noch andere Möglichkeiten für mich gibt!“
„Du willst…?“ beginnt Urszula zögernd.
„… mir einen Abend mit einer gewissen Camille auf der Seite der Agentur online buchen!“, erklärt Udo Bloch. „Vielleicht erzählt mir deine Tochter ja dann bei einem Abendessen in angenehmen Ambiente schon von sich aus ein bisschen über ihren Job!“

Gabi ist unendlich nervös: Die Vorstellung davon, gleich ihren sicheren Hafen, ihre Wohnung, zu verlassen und mit Ehemann und Enkel in den Wochenendurlaub aufs Land zu fahren, behagt ihr überhaupt nichst. Gabi steht im Badezimmer, betrachtet ihr Spiegelbild, atmet mehrmals tief ein und wieder aus und sagt dann zu sich: „Ganz ruhig, Gabriele Zenker, ganz ruhig! Es ist nur ein Wochenendtrip ins Grüne! Dir kann gar nix g’schehen…!“
Mit zittrigen Knien verlässt Gabi das Bad und zieht sich bei dem für Anfang Oktober recht milden Wetter nur eine dünne Übergangsjacke an. Andy wartet bereits ungeduldig in der Wohnungstüre, während Nico unten vorm Haus dabei ist, das Gepäck im Auto zu verstauen.
„Ich wünsche dir in schönes Wochenende!“, sagt Helga zum Abschied aufmunternd zu Gabi. „Du wirst sehen, das wird ganz wundervoll werden!“
Gabi nickt tapfer, doch als sie mit Andy die Stufen des Treppenhauses hinab steigt, fühlt sie sich wie im feindlichen, fremden Terrain. Und draußen vor der Haustür wird es noch schlimmer. Die Angst vor der Welt schnürt Gabi fast die Kehle zu. Doch Andy und Nico zuliebe will sie über ihren Schatten springen. Nachdem sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen, sich angeschnallt hat und mehrmals überprüft, dass die Autotür auch wirklich geschlossen ist und während der Fahrt nicht plötzlich aufspringen kann, fühlt sie sich fürs erste zumindest ein kleines bisschen sicherer. Dies ändert sich, als Nico den Motor startet.
„Fährst net so schnell, gell?“, versichert Gabi sich, als Nico von der Lindenstraße in die Ulrike-Böss-Straße abbiegt.
„Nein, Oma“, sagt dieser.
„Und wir fahren Landstraß’, gell? Keine Autobahn!“
„Versprochen!“, beruhigt Nico sie.
Doch die Fahrt Richtung Süden wird für Gabi dennoch zur Tortur. Ständig spielen sich Szenarien von Massenkarambolagen vor ihrem inneren Auge ab und sie kann sich einfach nicht entspannen. Jeder Lkw, jeder Traktor, der in die Nähe ihres Autos kommt, macht sie nervös und still und leise schickt sie mehrere stumme Stoßgebete gen Himmel …
Und irgendwann kommen sie dann tatsächlich unbeschadet und heil in Sankt Aloisbeuern an.
Vor dem Gasthof Schlagwein ist Gabi in ihrer Angst mal wieder hin und her gerissen. Einerseits ist sie froh, die Fahrt hierher heil überstanden zu haben, andererseits möchte sie aber das Auto nun auch ungern verlassen, um sich wieder der großen feindlichen Welt dort draußen zu stellen …
Als Gastwirtin Zensi Schlagwein den Zenkers ihre Zimmerschlüssel aushändigt, hat Gabi bereits wieder Pudding in den Beinen und ihr Herz schlägt bis zum Hals.
„Is Eana ned guat?,“ fragt Zensi besorgt, als sie Gabis blasses, verschwitztes Gesicht bemerkt.
„Is sehr schwül heut“, keucht Gabi. „I glaub, i muss mi kurz hinlegen.“
„Ja, ma merkt an scho, den Klimawandel“, findet auch Zensi. „So warm war’s friaha ned im Oktober. Aber für heut Abend meldens G’witter und denn kühlt sichs ab, gell!“
Andy und Gabi beziehen ein Fremdenzimmer, Nico das gleich nebenan. Die Information der Wirtin, dass sich das Bad mit Toilette am Ende des Ganges befindet, behagt Gabi überhaupt nicht. Für den Rest ihres Aufenthaltes würde sie eigentlich ungern die schützenden vier Wände ihres Zimmers nochmal verlassen müssen. Und am liebsten wäre sie jetzt ohnehin zuhause in ihrer Wohnung…
„Herrlich, diese Aussicht auf den Wald und die Berge“, jubelt Andy am Fenster und hofft, Gabi so aus der Reserve zu locken. Das altbayerische Ambiente des Gasthofs ist eigentlich ganz und gar nicht nach seinem Geschmack, dennoch hofft er, dass Gabi daran Gefallen findet. „Und wie urig das hier alles ist! Wie auf diesem Wiesengruberhof, wo du früher immer so gern Urlaub gemacht hast!“
„Wiesenhuber“, keucht Gabi. „Ja, da war’s schön!“
„Wollen wir ein bisschen raus gehen und uns die Gegend anschauen?“, fragt Andy.
„Naaa, i will a bissl schlafen! Die Fahrt hat mich so angestrengt.“
Andy verdreht die Augen – so hat er sich diesen Trip nicht vorgestellt. Währenddessen hat Nico sein Zimmer bereits wieder verlassen und sieht sich im Dorf um. Ziemlich tote Hose hier… Aber wenn es Gabi gut tut… Er wird auf ein paar junge Leute aufmerksam, die auf der Motorhaube eines Autos auf dem Dorfplatz an der Kirche abhängen.
Fabrizio Morelli, seine Freundin Johanna Jenninger und ihr gemeinsamer Kumpel Jojo Loibl betrachten Nico mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis, als er sich ihnen nähert.
„Seit ihr hier aus dem Dorf?“, erkundigt Nico sich.
„Nein, wir kommen nur immer her, weil hier so viel los ist“, erwidert Fabrizio sarkastisch.
„Was kann man denn hier abends so machen?“, fragt Nico.
Fabrizio deutet in die verschiedenen Ecken der Dorfstraße und erklärt: „Da vorne ist ein Club, da drüben das Kino, da ist das Spaßbad, da die Bowlingbahn und dahinter das Gym.“
Jojo prustet los. „Außer Billard oda Dart im Gasthof gäd do nix!“, lacht er.
„Verstehe“, murmelt Nico.
„Was verschlägt dich denn hierher?“, fragt Johanna.
„Bin übers Wochenende mit meinen Großeltern hier“, antwortet Nico.
Nun bricht Fabrizio in schallendes Gelächter aus. „Braver Enkel!“, grölt er. „Darfst du denn ohne Oma und Opa alleine hier rumlaufen?“
Johanna wirft ihrem Freund einen mahnenden Blick zu. Dann sagt sie: „Bisschen außerhalb ist ein See, da kann man schwimmen. Wenn du willst, kannst du mitkommen, wir wollen da gleich noch hin. Heute ist noch so schön warm, aber es soll ja noch Gewitter geben und dann abkühlen.“
Man merkt Fabrizio deutlich an, dass es ihm nicht passt, als Nico seine Badehose aus dem Gasthof holt und sich den Dreien anschließt.
Derweil versucht Andy mit Engelszungen, Gabi zum Verlassen des Zimmers zu bewegen, doch er stößt weiterhin auf Granit – Gabi will einfach nicht raus. Also beschließt er, dass Gabi sich erstmal ausruht und macht sich alleine zur Erkundung des Dorfes auf. Das Wochenende ist ja noch nicht rum, vielleicht ist Gabi ja morgen zugänglicher
Am See findet Fabrizio derweil doch noch Gefallen an Nico, als er erfährt, dass dieser die Varese-Schwestern kennt und dass er und seine Großeltern von Marcella überhaupt erst den Tipp von Sankt Aloyisbeuern als Reiseziel bekommen haben. Fabrizio ist plötzlich ganz aufgeschlossen und erkundigt sich haarklein, wie es den Schwestern geht und was Nico so in München treibt…
Andy betrachtet im Dorf derweil die Auslagen im Schaufenster der Bäckerei Jenninger, als sich ihm Friseurin Sissi Kraus unbemerkt von hinten nähert.
„Na, schau an, was hama denn doa für a Mannsbuid“, trällert sie ungeniert. „Sinds auf der Durchreise oder blems länger?“
Andy fährt zu ihr herum – und sein Blick bleibt prompt in ihrem weiten Ausschnitt hängen, der die drallen Brüste kaum verbirgt. Sissi lächelt ihm mit ihren knallroten Lippen an, betrachtet ihn von Kopf bis Fuß und sagt: „Fesch!“
„Ich?“, entfährt es Andy irritiert. „Ach, ich… bin doch viel zu alt.“ Ihm schießt das Blut in den Kopf.
„I mog Männer mit Lebenserfahrung“, flötet Sissi.
„Du magst jeden Mann zwischen 18 und 98!“, ertönt eine ruppige Frauenstimme. Fanny Jenninger steht in der Tür ihrer Bäckerei und blickt Sissi böse an.
„Wennst moanst“, winkt diese genervt ab.
„Ich muss jetzt mal nach meiner Frau sehen“, sagt Andy hastig. „Sie liegt im Gasthof im Bett. Migräne!“
Schon nimmt er die Beine in die Hand und eilt davon. Sissi blickt ihm interessiert nach.
„Schäma soitest du di!“, fährt Fanny sie an. „Hasts du g’hört! Vaheiratet issa! Und du übrigns aa! Da arme Ferdi!!!“
Nach einem letzten missbilligenden Blick dreht Fanny sich um und verschwindet wieder in ihrem Laden. Sissi blickt ihr ebenfalls böse nach und reckt arrogant die Nase gen Himmel. Dabei bemerkt sie, dass es sich plötzlich sehr schnell zugezogen hat…
Als Andy zeitgleich mit Nico beim Gasthof ankommt, ist von den Bergen her bereits das erste Donnergrollen zu hören.
„Warst du schwimmen?“, fragt Andy seinen Enkel beim Anblick von dessen nassen Haaren.
Während die beiden zu den Fremdenzimmern hinaufgehen, erzählt Nico ihm von dem See mit dem kristallklaren Wasser und von den jungen Leuten, die er hier kennengelernt hat.
Als Andy und Nico zu Gabi ins Zimmer kommen, liegt diese zusammengekauert auf dem Bett.
„Hast du dich ein wenig ausgeruht?“, erkundigt Andy sich.
Gabi richtet sich auf, kreidebleich und mit verweintem Gesicht.
„Ist was passiert?“, fragt Nico beim Anblick seiner Oma besorgt.
„I möcht nach Haus“, schluchzt Gabi. „I fühl mich hier net wohl. Es tut mir leid, aber ich halt’s net aus hier.“
Das Donnergrollen rückt näher. Der Himmel über dem nahen Wald ist pechschwarz und erste Blitze zucken in der Ferne. Nervös sieht Gabi zum Fenster.
„Okay“, sagt Andy, der inzwischen einsieht, dass es keinen Zweck hat. „Ich begleiche unten unsere Rechnung und Nico holt das Auto direkt vor den Eingang.“
„Ich pack dann schon mal unser Gepäck ein und dann holen wir dich“, erklärt Nico. „Ich park wirklich direkt vor der Tür, du musst keinen Schritt mehr als nötig nach draußen machen.“
Andy packt seine und Gabis Sachen zusammen, Nico verschwindet nach nebenan in sein Zimmer, um seinen Kram zu packen. Kurz darauf erscheint er wieder mit seiner geschulterten Reisetasche, nimmt auch die Koffer seiner Großeltern in Empfang und verschwindet Richtung Treppe.
„Ich bezahle und dann holen wir dich gleich! Ruh dich solange noch aus“, sagt Andy zu Gabi und verschwindet ebenfalls.
Gabi beobachtet beunruhigt das Gewitter, das näher rückt, und bekommt einen erneuten Angstschub. Ein Auto ist bei Gewitter ja im Grunde einen sicherer Ort. Aber möglicherweise gibt es Starkregen oder Sturm. Nicht, dass sie ihretwegen noch einen Unfall haben… Gabis Herz schlägt bis zum Hals. Ihr gefällt es gar nicht, dass Nico sie nun durch das Unwetter fahren muss, aber andererseits will sie nur weg von hier. Und nun drückt auch noch ihre Blase.
„Ja mei, Sie sands doch grad erscht ankemmen“, wundert sich Zensi unten in der Wirtsstube.
„Meiner Frau geht es nicht gut“, erklärt Andy knapp.
„Jo mei, des tuat ma leid. Soll i an Oarzt ruafa?“, erkundigt sich die Wirtin. „Hier im Ort gibt’s freili koanen, der müsst dann vom Nachbardorf kemma …“
„Nicht nötig“, winkt Andy ab.
Nico verstaut derweil draußen das Gepäck im Kofferraum, als Fabrizio und Johanna plötzlich hinter ihm stehen.
„Reist ihr schon wieder ab?“, ruft Johanna gegen den auffrischenden Wind an, der sich zu einem Sturm zu entwickeln scheint. Die dunkle Wolkendecke ist nun gleich über ihnen. Bald wird es regnen.
„Meiner Oma geht es nicht so gut“, erklärt Nico.
„Vielleicht können wir dich ja mal in München besuchen“, schlägt Fabrizio vor, den es mal wieder raus aus der Einöde und in die große Stadt lockt.
„Klar“, meint Nico. „Wir können ja noch Nummern tauschen…“
Gabi wird derweil immer nervöser. Mittlerweile ist es fast stockdunkel im Zimmer und die Nachttischlampe, die sie eingeschaltet hat, bringt nur spärliches Licht. Der Druck ihrer Blase wird immer größer, sie hält es kaum noch aus und ihre Nervosität tut ihr übriges. Dass diese verdammte Toilette aber auch nicht direkt im Zimmer sein kann …
Gabi erhebt sich vom Bett und öffnet die Zimmertür ein Stück. Der Flur ist noch dunkler als das Zimmer, ein paar spärliche Lampenschirme an den Wänden spenden nur schwaches Licht. Von Andy und Nico ist nichts zu hören, keine nahenden Schritte auf der Treppe. Gabi blickt zur Badezimmertür, die am Ende des langen, dunklen Ganges liegt.
„Des schaffst!“, redet sie sich selber Mut zu. Dann verlässt sie das Zimmer und geht langsam, immer eine Hand an der Wand, den Flur in Richtung Bad, so vorsichtig und bedächtig, als würde sie über einen Abgrund balancieren. Ihr Herz klopft wie wild und sie hört ihr Blut in den Ohren dröhnen. Bei jedem Donner zuckt sie zusammen. Plötzlich flackert das Licht im Flur. Für Sekundenbruchteile wird es dunkel, dann geht das Licht wieder an. Gabi stößt einen zischenden Laut aus. Nur noch wenige Schritte… Und dann öffnet sich plötzlich die Badezimmertüre vor ihr und ein Mann tritt heraus – und erstarrt bei ihrem Anblick... Gabi wird es heiß und kalt… Diese Gesicht. Er trägt jetzt einen Vollbart. Und älter ist er geworden. Aber das ist doch… Olaf Kling
Gabi öffnet den Mund und schnappt nach Luft. In dem Moment zuckt ein greller Blitz, der das ganze Szenario in ein unheimliches Licht taucht und im selben Augenblick gibt es einen so ohrenbetäubenden Donnerschlag, dass das ganze Wirtshaus zu vibrieren scheint. Der Mann kommt einen Schritt auf Gabi zu, hebt beschwichtigend die eine Hand und hält sich mit der anderen den Zeigefinger an die Lippen – und aus Gabis Hals bricht sich ein markerschütternder, hysterischer Schrei seinen Weg, der sogar den Donner übertönt. Dann dreht sich alles um sie und ihr wird schwarz vor Augen…
Als sie wieder zu sich kommt, sitzt Andy mit besorgtem Gesicht neben ihr und tätschelt ihre Wangen. Hinter ihm stehen Nico, die Wirtin Zensi und deren Mann Leopold Schlagwein.
„Soi i oan Arzt ruafa?“, erkundigt dieser sich.
„Es geht scho“, erklärt Gabi mit matter Stimme. „Was is’nn passiert?“
„Du hast geschrien wie am Spieß und als wir rauf sind, lagst du hier auf dem Boden und warst bewusstlos“, erklärt Andy nervös.
Ruckartig reichtet Gabi sich auf. „Der Kling is’ hier!“, ruft sie aus.
„Was?“ fragt Andy.
„Olaf Kling!“, ruft Gabi. „Er hat jetzt einen Vollbart!!!“
„Sie haben sicher den Alois Kampmann g’seng!“ vermutet Zensi. „Des is’ unser Dauergast hier!“
„Und wo ist der Kerl jetzt, dass er meine Frau hier einfach so liegen lässt?“, schimpft Andy erbost.
„Des war der Olaf Kling!“ keucht Gabi. „I will hier weg!“
„Wir fahren jetzt auch!“, sagt Andy und hilft seiner Frau beim Aufstehen. Er hat ein wahnsinnig schlechtes Gewissen, dass er ihr diesen Trip zugemutet hat – er hätte von Anfang an akzeptieren sollen, dass das zu viel für sie ist.
„Sicher koan Doktoa?“, vergewissert die Zensi sich nochmal, doch Andy und Gabi winken ab.
Als sie auf der Rückfahrt Richtung München sind, entschuldigt sich Andy zerknirscht für die Strapazen, die er ihr zugemutet hat.
„Des war der Olaf Kling!“, flüstert Gabi und ist weiß wie ein Laken. „Ganz sicher!“
Andy und Nico werfen sich im Innenspiegel vielsagende Blicke zu – sie sind sich absolut sicher, dass Gabis überspannte Nerven ihr in dem schummrigen Flur nur einen dummen Streich gespielt haben...

Der Zimmertausch von Gung und Sarah ist inzwischen problemlos über die Bühne gegangen und Sarah fühlt sich pudelwohl in ihrer neuen WG in der Villa bei Jack.
Auch Gung hat sich bei Anna und Emil bereits gut integriert und wie in alten Zeiten in Dresslers Villa hat er auch hier gleich das Zepter in puncto Haushalt und Küche übernommen und ist sehr froh darüber, diesbezüglich bei den Zieglers auf mehr Dankbarkeit zu stoßen. Auch Anna freut sich, Entlastung im Haushalt zu haben und somit mehr Zeit für ihren Job im Café Bayer zu haben, wo sie aus Personalmangel und durch Gabis anhaltenden Wegfall zahlreiche Überstunden machen muss.
Gung treibt derweil allerdings noch etwas anderes um: Er kann Pia einfach nicht vergessen…
Und so taucht er an diesem Abend wieder in dem Bordell auf, in das Andy ihn vor ein paar Wochen bereits geschleppt hat.
Doch als er an Pias Tür klopfen will, hängt dort das »Bitte nicht stören«-Schild, das auf einen anderen Kunden hindeutet. Nervös und unentschlossen drückt Gung sich auf dem Flur herum. Soll er warten oder sollte er lieber wieder gehen?
„Na, Süßer, Lust auf eine Nummer?“, fragt plötzlich eine Prostituierte an der Tür des Nachbarzimmers. Sie mag noch ein paar Jahre jünger sein als Pia, dürfte aber durchaus auch schon die 40 überschritten haben.
„Ich warte auf Frau Lorenz!“, erklärt Gung und wendet sich verunsichert ab.
„Die Pia braucht wahrscheinlich noch ein Weilchen“, erklärt ihre Kollegin. „Aber ich bin frei! Ich heiße Vivian. Und du?“
„Danke, aber ich will nur Frau Lorenz“, erklärt Gung.
„Naja, wie du meinst! Wenn du es dir anders überlegst; einfach klopfen!“ Vivian zwinkert ihm zu und verschwindet wieder in ihrem Raum.
Gung steht sich derweil im Flur die Beine in den Bauch. Immer wieder kommen Frauen den Gang entlang und umwerben ihn, aber Gung lehnt jedes Angebot stoisch ab.
Irgendwann öffnet sich die Tür zu Pias Zimmer und ein Mann kommt raus und verschwindet. Gung zögert kurz, dann klopft er an Pias Tür.
„Jetzt nicht!“, ruft sie von innen.
Ein weiterer Moment des Zögerns, dann tritt er ungebeten rein.
„Ich hab gesagt…“ Dann erkennt Pia ihn und sagt: „Ach, du!“ Tatsächlich wirkt sie plötzlich erfeut.
„Soll ich wieder gähen?“ fragt der Vietnamese.
„Ich brauch eigentlich mal eine halbe Stunde für mich“, erklärt Pia. „Bisschen frisch machen und so. Ich hatte nämlich gerade schon… Du verstehst?!“
„Ich will nicht…“, Gung räuspert sich. „Ich will nur rädän!“
„Ach was?!“, kichert Pia. „Du willst immer nur reden! Bist du sicher, dass du mich nicht mit der Telefonseelsorge verwechselst?“
„Wie bittä!“
„Schon gut!“, lacht Pia. „Ich rede ja auch gerne mit dir, aber eigentlich bin ich für andere Dienstleistungen zuständig. Und ich hab noch viel mehr drauf, als nur reden!“
Pia lässt den Träger ihres BH’s ein Stück rutschen.
„Konfuze sagt, die Liebe ist das Gewürz des Läbäns! Sie kann es versüßen, aber auch versalzen“, zitiert Gung.
„Wie bitte?“ fragt Pia irritiert.
„Liebe man sollte nicht kaufen!“, erklärt Gung. „Liebe man sollte geschähen lassen und genießen!“
Pia schüttelt verdattert den Kopf. „Worauf willst du hinaus?“, fragt sie verunsichert.
Gung atmet tief durch, zögert kurz. Dann sagt er: „Ich glaube, ich habe mich värliebt! In dich värliebt! Und ich würde dich gärne träffen. Außerhalb von dem hier. Ohne Bezahlung. Nicht geschäftlich. Privat!“
„Ääääh…“, entfährt es Pia überrumpelt und sie starrt ihn fassungslos an und schiebt ihren BH-Träger wieder nach oben…

CLIFFHANGER auf: Pia Lorenz

Mitwirkende Personen
Gabi Zenker
Andy Zenker
Nico Zenker
Zensi Schlagwein
Leopold Schlagwein
Olaf Kling
Fabrizio Morelli
Johanna Jenninger
Fanny Jenninger
Johann »Jojo« Loibl
Sissi Kraus
Helga Beimer
Gung Phan Kien
Pia Lorenz
Anna Ziegler
Sarah Ziegler
Emil Ziegler
Jack Aichinger
Urszula Winicki-Brenner
Artjom Brenner
Georg »Käthe« Eschweiler
Udo Bloch
Marian Petry
Vivian Singendonk
Thekla Oelschlaeger
Mingnon Heidkrüger

© »popo wolfson« 2023

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: So 8. Okt 2023, 12:03 


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BeitragVerfasst: Mo 9. Okt 2023, 08:28 
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Beiträge: 11587
arme Gabi.
Opandi hat man damals auch belächelt, als er ein Skelett hinter dem Lenkrad gesehen hat. Oder saß das auf dem Beifahrersitz?

Ich hätte schon eine Idee, wie es weitergehen könnte und da vielleicht sogar weitergeht.

Aber es sind noch andere in Gefahr. Der arme Udo Bloch...glaubt eine große Unterstützung zu sein...


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