Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1890 - Ein Kinderspiel
BeitragVerfasst: So 20. Aug 2023, 08:56 
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Folge 1890: Ein Kinderspiel

Spieltag: Donnerstag, 17.08.2023

„Wo ist denn der Pesto-Käse hin, den ich gestern erst mitgebracht habe?“, fragt Tanja irritiert, während sie im Kühlschrank sucht.
„Den hab ich gegessen!“, sagt Simon schnell und stopft sich ein Stück seines Frühstückbrotes in den Mund in der Hoffnung, dann keine weiteren Fragen mehr beantworten zu müssen.
„Das ganze Stück?“, fragt Tanja ungläubig. „Seit wann magst du überhaupt Pesto-Käse?“
„Hatte Hunger“, knurrt Simon mit vollem Mund.
„Mmmmh“, macht Tanja. „Und wo ist die Leberwurst?“
„Hab ich auch gegessen“, kommt es kleinlaut von Simon.
Tanja fasst es nicht. Seit wann futtert ihr Sohn denn wie einen Scheunendrescher? Das muss die Pubertät sein. Jugendliche in dem Alter sind wirklich jeden Tag für eine neue Überraschung gut. Und Simon würde einen Teufel tun zuzugeben, wofür er die Sachen tatsächlich braucht. Nachdem sich Tanja auf den Weg zur Arbeit gemacht hat, packt Simon Tomaten, Weißbrot, zwei hartgekochte Eier, ein Paket Salami, eine Tafel Schokolade, eine Flasche Apfelsaft und ein Paket Milch für Tessa zusammen. Die dürfte jetzt zwar bei ihrem Praktikum sein, aber er will die Sachen schon mal im Hobbykeller deponieren, solange seine Mutter nicht zuhause ist und ihn dabei erwischen könnte, wie er Lebensmittel aus der Wohnung schafft. Wenn Tessa gegen Abend zurück kommt, wird sie sich sicherlich freuen, die Lebensmittel vorzufinden…
Doch Simon staunt nicht schlecht, als er kurze Zeit später den Hobbykeller betritt und dort auf Tessa stößt.
„Bist du nicht bei deinem Praktikum?“, fragt er verwundert.
„Ach, das war nicht das Richtige!“, erwidert Tessa mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Meine Chefin und ich sind gestern aneinander geraten und sie meinte, ich wäre wohl doch falsch in dem Bereich. Ehrlich gesagt, hat mich das alles da auch ziemlich gelangweilt.“
„Also fährst du jetzt zurück nach Rosenheim?“, mutmaßt Simon.
„Nö, warum?, meint Tessa. „Meine Eltern wissen ja nix davon, dass es mit dem Praktikum nicht geklappt hat. Also kann ich genauso gut noch den Rest der Ferien hier bleiben und den Sommer in München genießen.“
Simon fühlt sich ein wenig flau bei dem Gedanken. Er hat immer noch Angst davor, dass irgendwer von den Nachbarn Tessa im Keller entdecken könnte und dies dann auch für ihn Ärger bedeutet.
„Willst du jetzt den ganzen Tag hier im Keller hocken?“, fragt er.
„Natürlich nicht! Du hast doch auch Ferien, da können wir dann ja auch zusammen was unternehmen!“
Gesagt, getan. Kurz darauf sind die beiden zusammen in der Stadt unterwegs, doch Simon gehen Tessas morbide Art und die Gedankengänge, die sie ihm kund tut, zunehmend auf die Nerven und er weiß nicht so recht, was er von ihr halten soll.
„Ich könnte mir ja noch eine andere Praktikumsstelle suchen, solange ich hier in München bin“, überlegt sie. „Irgendwas Cooleres, was mir mehr Spaß macht.“
„Und an was denkst du da so?“, erkundigt sich Simon.
„Weiß nicht. Vielleicht in einem Bestattungsunternehmen! Oder in einem Schlachthof!“
Simon kippt die Kinnlade runter. „Bestattungsunternehmen? Schlachthof?“, fragt er ungläubig.
„Ja, warum denn nicht?“ fragt Tessa. „Da ist man dem Tod ganz nah!“ Verträumt blickt sie in die Ferne und wirkt plötzlich ganz abwesend. Simon fühlt sich immer weniger wohl in ihrer Gegenwart. Seitdem zuerst Yannik und dann Sunny gestorben sind, beschäftigt ihn das Thema Tod auch sehr. Aber die Faszination und Begeisterung, die Tessa dafür aufbringt, wird ihm allmählich doch mehr als unheimlich.
Gerade noch apathisch an einen imaginären Punkt in der Luft starrend, ist Tessa dann plötzlich wieder im Hier und Jetzt.
„Wir spielen ein Spiel!“, sagt sie entschlossen.
„Was denn für ein Spiel?“ fragt Simon unbehaglich und muss wieder an Tessas Aktion auf dem Brückengeländer denken.
Tessa deutet auf die vielbefahrene Straße, an der sie stehen, und sagt: „Wer es als erstes schafft, mit geschlossenen Augen auf der anderen Seite anzukommen!“
„Was?“, fragt Simon fassungslos. „Bist du bekloppt? Das ist doch Selbstmord!“
Tessa blickt ihm in die Augen und wirkt dabei auf einmal völlig irre. „Es ist nur ein Spiel“, säuselt sie.
„Ein Scheiß Spiel!“, sagt Simon. „Das mache ich bestimmt nicht mit!“
„Schade“, meint Tessa. „Ich dachte, du machst den Anfang und beweist mir, dass du kein Feigling bist!“
„Ich bin kein Feigling!“, protestiert Simon.
„Wenn du meinst“, erwidert Tessa achselzuckend. „Dann mache ich es eben alleine!“
Sie nähert sich der Straße. Am Straßenrand dreht sie sich zu Simon um und sagt: „Ich bin gespannt, wie du es mit deinem Gewissen vereinbarst, wenn ich überfahren werde. Dann bin ich der zweite Mensch, den du auf dem Gewissen hast. Nach Yannik. Oder vielleicht sogar der dritte? Diese Sunny ist doch im Grunde auch nur gestorben, weil sie den Verlust ihres Sohnes nicht verkraftet hat. An dem du Schuld bist!“
„Wieso ist das meine Schuld, wenn du so einen Scheiß machst?“, fragt Simon empört. „Ich zwing dich ja schließlich nicht dazu!“
„Aber wenn du kneifst, zwingst du mich dazu, es alleine zu machen!“, erklärt Tessa.
„Was?“
„Lotse mich rüber!“, fordert Tessa ihn auf.
„Wie denn?“, fragt Simon beinahe panisch.
„Indem du mir zurufst, ob ich weitergehen kann, ob ich stehen bleiben soll, ob ich mehr links oder mehr rechts, vor oder zurück muss!“
Und ehe Simon irgendetwas erwidern kann, hat Tessa sich bereits mit einem Halstuch die Augen verbunden.
„Bereit?“ fragt sie – am Straßenrand stehend.
„Das ist Wahnsinn!“ schreit Simon.
„Wenn du mir nicht hilfst, mach ich es alleine!“, ruft Tessa ihm zu und setzt den ersten Fuß auf die Fahrbahn.
„Okay! Okay!“, ruft Simon atemlos – und beginnt, Tessa vom Fahrbahnrand aus mit gerufenen Anweisungen durch den dichten Verkehr über die Straße zu manövrieren. Autos hupen und weichen aus, man hört quietschende Bremsen und schimpfende Fahrer. Aber niemand hält an, um dem Ganzen ein Ende zu setzen, und Simon schwitzt Blut und Wasser – bis Tessa endlich unbeschadet auf der anderen Straßenseite ankommt.
„Das war GEIL!“, brüllt sie, nachdem sie sich das Tuch von den Augen genommen hat. „Und jetzt du!!!“
„Niemals!“, ruft Simon ihr atemlos zu. Und dann entfernt er sich schnellen Schrittes von ihr, ohne ihr weitere Beachtung zu schenken. Er will nur noch weg. Tessa blickt ihm einen Moment irritiert nach, dann folgt sie ihm auf der gegenüberliegenden Seite bis zur nächsten Fußgängerampel und kommt schließlich zu ihm rüber.
„Du bist echt so ein erbärmlicher Feigling!“, schimpft sie. „Das war der totale Kick! Du solltest das wirklich auch mal versuchen!“
Doch Simon weigert sich. Und überhaupt hat er keine Lust mehr darauf, weiterhin mit Tessa unterwegs zu sein. Im Grunde hat er nicht mal mehr Lust drauf, sie im Hobbykeller zu beherbergen, und würde sich wünschen, dass sie lieber heute als morgen nach Rosenheim zurück kehrt – und ganz sicher nicht, dass sie noch bis zum Ende der Sommerferien in München bleibt…
Am Abend sitzen er und Tanja vor dem Fernseher und zappen ziellos durch die Programme.
„Unglaublich“, sagt Tanja mit Blick auf ihr Handy.
„Was denn?“ fragt Simon, eher desinteressiert.
„Auf Spacehorst schreiben sie, das heute wohl irgendwelche Jugendlichen mit verbundenen Augen eine Schnellstraße Richtung Innenstadt überquert haben“, sagt Tanja.
Simon verschluckt sich. „Und… gibt es dazu… Videos?“ fragt er vorsichtig. „Oder Pics?“
„Nein“, sagt Tanja und legt ihr Handy bei Seite. „Und wenn, dann würde ich mir das bestimmt nicht auch noch angucken.“
Tanja zappt weiter und bleibt bei den Nachrichten eines bayerischen Regionalsenders hängen, wo der Nachrichtensprecher gerade verliest: „… fehlt seit nunmehr einer Woche jede Spur der 17-jährigen Tessa aus Rosenheim. Die Polizei will mittlerweile nicht mehr ausschließen, dass die junge Frau einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, und bittet die Bevölkerung weiterhin um Mithilfe!“
Simon starrt fassungslos auf das Bild von Tessa, das nun überlebensgroß auf dem Bildschirm zu sehen ist.
„Wie schrecklich“, sagt Tanja kopfschüttelnd. „Was für ein Albtraum für die armen Eltern!“
„Ich muss nochmal weg!“, ruft Simon und springt auf.
„Wohin denn?“, fragt Tanja konfus.
„Hab vergessen, mein Fahrrad reinzustellen“, ruft er und ist schon zur Tür hinaus.
Als er eine Minute später in den Hobbykeller poltert, zuckt Tessa erschrocken zusammen. Sie sitzt im Schneidersitz auf ihrem Nachtlager und ist gerade dabei, etwas in ein Notizbuch zu kritzeln.
„Spinnst du?“, faucht sie ihn giftig an und versteckt das Buch schnell hinter ihrem Rücken.
„Von wegen, deine Eltern wissen, wo du bist!“ sagt Simon wütend. „Du wirst gesucht! Du bist sogar im Fernsehen. Die Polizei meint sogar schon, dass du vielleicht einem Verbrechen zum Opfer gefallen bist. Du bist abgehauen!“
Tessa schweigt einen Moment. „Na, und wenn schon“, zischt sie schließlich.
„Und das Praktikum war auch nur erfunden, stimmt’s? Du warst von Anfang an nicht bei dieser Agentur, das war nur ein Vorwand, damit du hier unterschlüpfen kannst!“
„Ich hab das halt zuhause nicht mehr ausgehalten“, murrt Tessa. „Ist doch egal. Wenn die Ferien zu Ende sind, komme ich zurück und behaupte, dass ich in Italien war. Oder in Portugal.“
„Interessiert dich das denn nicht, dass deine Eltern sich Sorgen machen?“, fragt Simon.
„Sollen sie doch! Dann merken sie wenigstens mal, dass es mich überhaupt noch gibt!!“
Simon setzt sich zu ihr und einen Moment lang schweigen sie sich an.
„Verpfeifst du mich jetzt?“, fragt Tessa.
Simon zögert und schüttelt dann den Kopf.
„Sorry wegen heute Mittag“, sagt Tessa zerknirscht. „War vielleicht doch nicht so cool!“
„Was is’nn das?“ fragt Simon und deutet auf das Buch hinter ihrem Rücken.
„Nichts“, erwidert Tessa.
„Wie nichts?“
„Mann, sei nicht so neugierig!“, faucht Tessa gereizt. „Das geht dich nichts an! Das geht keinen was an! Das ist mein Tagebuch!“
„Tagebuch?“, fragt Simon ungläubig. „So richtig altmodisch auf Papier!“
„Ja, normalerweise meißel ich alles noch altmodischer in eine Höhlenwand“, grinst Tessa und lässt das Buch in ihrem Rucksack verschwinden.
Nun muss auch Simon grinsen. Zum Abschied verspricht er Tessa nochmal, sie nicht zu verraten, schlägt ihr aber vor, ihren Eltern vielleicht mal eine Kurznachricht zu schicken, damit sie zumindest sicher sein können, dass ihr nichts passiert ist.
„Mal sehen“, meint sie kurz angebunden. „Gute Nacht!“
„Nacht!“, sagt Simon. Er fühlt sich nach wie vor nicht wohl bei der ganzen Sache…
„Hast du wieder geraucht?“, fragt Tanja streng, als Simon in die Wohnung zurück kommt.
„Und wenn schon“, brummt Simon.
„Diesen Scheiß hast du von Yannik gelernt“, murrt Tanja, hält dann aber inne und beschließt, nicht weiter auf das Thema einzugehen.
„Ich geh schlafen“, sagt Simon. „Gute Nacht!“
„Simon?!“ ruft Tanja ihm nach.
„Ja?“
„Ich bin froh, dass du da bist. Und dass es dir gut geht!“
Simon lächelt ihr zu und verschwindet in sein Zimmer. Nun ist sein schlechtes Gewissen Tessas Eltern gegenüber noch größer als zuvor…

„Was machst du denn da?“ fragt Nils, als er am Morgen die Küche betritt und Kerstin hektisch auf ihrem Laptop rumhacken sieht.
„Ich such das Buch“, erklärt Kerstin.
„Welches Buch?“ fragt Nils.
„Diesen Sexratgeber“, sagt sie mit etwas gesenkterer Stimme. „Den von meiner Kollegin. Der ist ja nie wieder aufgetaucht.“
„Der war doch blöde“, meint Nils. „Willst du jetzt doch so einen haben?“
„Ich nicht“, winkt Kerstin ab. „Aber meine Kollegin. Die ist echt angefressen, weil ich den verloren habe. Sie würde mir nie wieder was leihen, hat sie rumgetönt. Und ich hab ihr nun versprochen, dass ich ihr einen neuen besorge…“
„Ja, meine Güte, so ein dummes Buch“, erwidert Nils. „Das wird man ja wohl neu beschaffen können.“
„Sag das bloß nicht!“, Kerstin rauft sich verzweifelt die Haare. „Das Ding ist nicht mehr auf dem Markt…“
„Warum wohl nicht!?!“ ,lacht Nils.
„Im Einzelhandel ist es komplett vergriffen und im Internet zahlt man dafür ein Vermögen. Hier…!“ Kerstin deutet auf den Monitor. „Das günstigste gebrauchte Exemplar, das ich finde, kostet per Sofort-Kauf 279 Euro!“
„Was?“, entfährt es Nils. „Ja sind die denn bekloppt?“
„Das ist noch echt günstig. Andere Verkäufer verlangen teils fast das Doppelte!“
„Wo kann denn dieses Buch abgeblieben sein?“, fragt sich Nils. „Meinst du, eins von den Mädels hat sich das gekrallt?“
„Weiß nicht“, meint Kerstin schulterzuckend. „Aber ich werde jetzt ganz bestimmt nicht meine Töchter fragen, ob sie sich eines perversen kleinen Sexual-Ratgebers bemächtigt haben, der ihnen nicht gehört!“
Nils grinst. „Hast du dich mal dezent in ihren Zimmern umgesehen?“
„In diesen Räuberhöhlen? Vergiss es. Ich will gar nicht wissen, was ich da sonst noch so alles finden würde…“
Eine Weile später unternimmt Kerstin einen weiteren Versuch, irgendwie an dieses verdammte Buch zu kommen: Sie sucht die Buchhandlung Engel in der Lindenstraße auf. Im Laufe der letzten Monate hat sie sich hier bereits das ein oder andere Buch besorgt – allerdings war das bisher immer aus der Kategorie »Krimi» oder »Liebesroman« . Etwas so Spezielles hat Kerstin hier bislang nicht erstanden …
„Hallo, Frau Wendland!“, begrüßt Robert Engel sie freundlich, als sie seinen Laden betritt – und ihr ist danach, gleich rückwärts wieder rauszugehen. Vielleicht sollte sie lieber in eine andere kleine Buchhandlung dieser Größenordnung ihr Glück versuchen, irgendwo am anderen Ende der Stadt, wo sie anonym ist und man sie nicht als Stammkundin kennt…
„Kann ich Ihnen helfen oder schauen Sie sich nur um?“, fragt Engel.
„Ich suche heute mal etwas… anderes“, erklärt Kerstin leise und blickt verstohlen in Richtung Tür, in der Hoffnung, dass keine weiteren Kunden in Anmarsch sind.
„Okay, und was?“, fragt Robert interessiert.
Mit verkniffenem Gesichtsausdruck kramt Kerstin einen Internet-Ausdruck aus ihrer Handtasche und legt ihn Robert auf die Theke. Der überfliegt das Blatt und beginnt zu grinsen.
„Oh lá lá, Frau Wendland“, sagt er mit süffisantem Unterton. „Ich hätte jetzt nicht erwartet, dass Sie auf so etwas stehen.“
„Das ist für eine Kollegin“, erklärt Kerstin hektisch und räusperst sich verlegen. Sie spürt buchstäblich, wie die Röte ihr das Gesicht hoch kriecht…
„Ja, das habe ich bereits vermutet“, schnurrt Robert Engel, immer noch breit grinsend. „Aber leider ist dieses Buch inzwischen völlig vergriffen und gilt bereits als Sammlerstück.“
„Das weiß ich“, sagt Kerstin heiser. „Aber ich dachte… also ich hab gehofft… Sie...hätten da vielleicht Kontakte oder so…?“
„Sie meinen zur Literatur-Mafia oder was?“ Engel kann sich ein lautes Auflachen nicht verkneifen.
„Naja, was weiß denn ich?“, Unwirsch fährt Kerstin sich durchs Haar. „Ich dachte, Sie hätten halt vielleicht ein paar… Connections?“
„Ich wüsste jetzt nicht, wen ich da fragen könnte… Aber warten Sie mal!“ Robert Engel verschwindet in seinem Hinterzimmer und Kerstin hofft inständig, dass ihm gerade eingefallen ist, wo dort doch noch ein Exemplar liegen könnte. Nach ein paar Minuten kehrt er mit drei anderen Büchern zurück.
„Schauen Sie mal“, schnurrt er mit einem sonderbar erotischen Unterton. „Das ist jetzt zwar nicht genau das, was Sie suchen, aber es geht in eine ähnliche Richtung, wenn Sie verstehen, was ich meine…“ Er zwinkert Kerstin verschwörerisch zu und nun wird sie endgültig knallrot und wischt sich hektisch eine Strähne aus dem Gesicht.
„Die Bücher sind auch vergriffen und eigentlich nicht mehr zu bekommen“, erklärt Robert. „Allerdings sind sie nicht gaaaanz so begehrt, wie das, was Sie suchen. Sie sind auch nicht gaaaanz so schmutzig, haben aber auch durchaus ihren Reiz und ein paar schöne Ideen zu bieten. Sehen Sie nur mal…“ Robert blättert durch die Seiten und zeigt ihr einige Abbildungen, wobei er ihr unangenehm nah auf die Pelle rückt.
„Ääääh, nein danke!“ Hektisch weicht Kerstin zwei Schritte zur Seite. „Das ist jetzt nicht das, was ich suche. Aber vielen Dank für Ihre Bemühungen!“
Fluchtartig verlässt sie das Geschäft.
„Aber immer wieder gerne, Frau Wendland!“, ruft Robert ihr nach. „Für eine geschätzte Kundin wie Sie gibt man sich doch gerne ein bisschen mehr Mühe!“
Robert tritt nun ebenfalls aus seiner Buchhandlung auf den Bürgersteig. Dort zündet er sich eine Zigarette an und blickt Kerstin süffisant grinsend nach, bis sie in ihrem Hauseingang in der Kastanienstraße verschwunden ist…
Eine Weile später sitzt Kerstin wieder vor ihrem Laptop und überlegt, ob sie nicht doch die 279 Euro in das Buch investieren soll, um ihre Kollegin zufrieden zu stellen, als Lovis die Küche betritt.
„Du sag mal…“, beginnt Lovis vorsichtig. „Ich… hab ja noch bis nach den Sommerferien Hausarrest… Aber es ist ja so, dass Mathe das einzige Fach ist, in dem ich wirklich ein paar Probleme habe… Und… ich hätte da jemanden gefunden, der mir Nachhilfe in Mathe geben könnte… Ein Student… Nur… also das Problem ist halt, dass der nicht zu seinen Nachhilfeschülern nach Hause geht, weil ihm das wohl zu stressig ist… Er will, dass seine Schüler zu ihm kommen, in seine WG…“
„Versuchst du mich hier gerade auszutricksen?“, fragt Kerstin.
„Nein, ehrlich nicht!“, versichert Lovis schnell. Sie erzählt, dass sie den Kontakt zu dem Studenten über eine Schulfreundin bekommen hat, die auch Nachhilfe bei ihm hatte und es von einer Fünf auf eine Drei geschafft hat.
„Ihr könnt ihn auch kennenlernen, bevor ich euch entscheidet“, sagt Lovis.
„Müssen wir dann auch in seine Studenten-WG, um ihn kennenzulernen?“, fragt Kerstin.
„Nein nein, natürlich nicht“, antwortet Lovis. „Dafür würde er dann schon ausnahmsweise zu uns kommen.“
„Okay, meinetwegen gucken wir ihn uns mal an“, verspricht Kerstin und widmet sich wieder ihrem Laptop.
Am Abend sitzt Lovis mit ihren Eltern beim Essen. Ihre Schwestern sind allesamt ausgeflogen, Annalena hat Schicht im Marcellas und die Zwillinge besuchen die frühe Kinovorstellung. Als es an der Wohnungstür klingelt, springt Lovis auf und tritt kurz darauf mit Emanuel in die Küche.
„Das ist Manu“, stellt Lovis ihn ihren Eltern vor.
„Manu?“ fragt Nils.
„Mein neuer Nachhilfelehrer“, erklärt Lovis.
„Nachhilfelehrer?, fragt Nils, der bislang noch von gar nichts weiß.
„Hast du ihm nichts davon erzählt?“, fragt Lovis ihre Mutter empört.
„Nein, wir sind noch nicht dazu gekommen“, erwidert Kerstin. „Ich hätte jetzt aber auch nicht gedacht, dass das so schnell gehen würde.“
Lovis berichtet ihrem Vater schließlich von ihren Mathe-Problemen und dass sie mit ihrer Mutter bereits darüber gesprochen habe, trotz Hausarrest zumindest für Nachhilfe in Mathe ab und an die Wohnung verlassen zu dürfen. Emanuel präsentiert sich derweil als höflicher und engagierter Vorzeige-Student und kann die Eltern schließlich überzeugen. Als Kerstin ihm anbietet, etwas mitzuessen, lehnt er höflich ab – er habe nachher noch einen Termin mit einem anderen Nachhilfeschüler. Als Lovis ihn zur Tür begleitet, sehen die beiden sich verschwörerisch an…
Später am Abend sitzen Nils und Kerstin vor dem Fernseher, als es erneut an der Tür klingelt. Kerstin hat auf ihrem Smartphone wieder den Online-Händler geöffnet, der den Sexualratgeber anbietet, und ringt immer noch damit, so viel Geld für solch ein Buch auszugeben.
„Wer ist das denn jetzt noch?“, fragt Nils. „Noch ein Nachhilfelehrer?“
Kerstin erhebt sich – und staunt nicht schlecht, als Robert Engel bei ihr auf der Matte steht.
„Guten Abend, Frau Wendland, entschuldigen Sie bitte die späte Störung“, begrüßt er sie in seinem schnurrenden Tonfall. „Aber ich hätte da etwas für Sie, was Sie vermutlich interessieren dürfte.“
Er hält ihr ein Exemplar des gesuchten Buches unter die Nase.
„Wo haben Sie das denn her?“, fragt Kerstin überrascht.
„Tja, ich habe dann unter meinen Connections zur Literaturmafia…“ (er lacht kurz auf) doch noch jemanden finden können, der mir ein Exemplar besorgen konnte.“
„Und… was verlangen Sie dafür?“, fragt Kerstin und rechnet schon mit einer horrenden Summe.
„Weil Sie es sind, als treue und geschätzte Stammkundin, schenke ich es Ihnen“, flüstert Engel augenzwinkernd.
„Oh mein Gott!“, entfährt es Kerstin begeistert. „Sie sind meine Rettung!!! Vielen Dank dafür!!!“
Robert überreicht ihr das Buch und säuselt dann: „Na, dann wünsche ich Ihnen damit ganz viel Spaß und Freude!“
Erneut zwinkert er ihr zu und steigt dann pfeifend die Treppen hinunter.
Oh Gott, denkt Kerstin und verdreht die Augen, als sie in die Wohnung zurück kehrt, er denkt tatsächlich, dass sie es für sich selbst gesucht hat…
„Wer war das denn?“, fragt Nils, als Kerstin zurück ins Wohnzimmer kommt.
„Ich würde sagen, wir haben ein Problem weniger!“ Sie hält ihm das Buch unter der Nase und erzählt ihm, dass Robert Engel ihr hiermit zu guter Letzt aus der Patsche helfen konnte…

David besucht Mandy an diesem Morgen gemeinsam mit Iris im Krankenhaus. Iris lässt sie wissen, dass sie für die nächste Woche einen Besichtigungstermin in einem Hospiz in der näheren Umgebung vereinbaren konnte. Und dass auch ein Krankentransport dorthin organisiert ist.
„Du musst ja nichts sofort entscheiden, aber du kannst es dir ja wenigstens mal angucken“, sagt Iris schnell, als sie merkt, wie sehr Mandy sich wieder dagegen zu sträuben beginnt. Eher widerwillig nickt diese schließlich dazu …
Nach dem Krankenbesuch kehrt David kurz ins Marcellas ein, wo Marcella und Giovanna an einem Tisch sitzen, während Gian-Luca die Kundschaft bedient. David setzt sich zu den Schwestern und erstattet ihnen Bericht über Mandys aktuellen Gesundheitszustand.
„Oh Scheiße“, murmelt Marcella betroffen.
„Du siehst aber auch nicht wirklich fit aus!“, stellt David mit Blick auf Giovanna fest.
„Ich glaube, ich brüte irgendwas aus“, meint Giovanna etwas heiser. „Sommergrippe oder so. Ich fühl mich seit ein paar Tagen so schlapp und hab ständig Kopf- und Gliederschmerzen und so.“
In diesem Moment betritt Davids Kumpel Wasti das Lokal und setzt sich zu ihnen. Nachdem am Tisch noch eine Weile über Hospize im Allgemeinen und Mandys Gesundheitszustand im Besonderen diskutiert wird, sagt Wasti plötzlich: „Ich hatte vorhin meinen Prozess. Wegen der Hotel-Sache!“
Alle drei starren ihn fassungslos an. Marcella und Giovanna wussten zwar, dass dieser Termin in absehbarer Zeit anstehen würde, aber davon, dass es bereits soweit ist, hatten sie keine Ahnung. Und David hat diese Sache komplett verdrängt…
„Scheiße, das hatte ich überhaupt nicht mehr auf dem Schirm!“, gibt David schuldbewusst zu.
„Du hast ja aktuell auch echt eigene Sorgen“, erwidert Wasti verständnisvoll.
„Und was haben die gesagt?“ erkundigt sich Giovanna.
„Berufsverbot“, erklärt Wasti in einem Wort.
„Was?“ entfährt es Marcella. „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“
Wasti erklärt, dass der Richter der Auffassung war, dass er bei Übernahme des Hotel-Projekts hätte prüfen müssen, wie die bisherigen baulichen Substanzen aussahen, und über alles den Vorschriften nach erledigt worden ist. „Unter welchem Zeitdruck das damals alles gehen musste, weil das Hotel ja so schnell fertig werden sollte, interessiert keinen. Und aus dem alten Unternehmen vom Lohmaier kann man auch niemanden mehr dafür belangen. Der Lohmaier selbst ist tot und die Leute, die für ihn gearbeitet haben, sind in alle Winde verstreut. Und von den wenigen, die greifbar sind, will keiner was gewusst haben.“
„Aber der Lohmaier muss doch damals auch eine Bauleitung gehabt haben“, wirft David ein.
„Das hat der Herr angeblich selbst übernommen“, erklärt Wasti.
„Glaubst du das?“ fragt David.
„Ist doch egal, was ich glaube“, winkt Wasti ab. „Die Leute, die damals für den gearbeitet haben, haben das alles einhellig bestätigt.“
„Und du darfst jetzt nie wieder als Bauleiter arbeiten?“, erkundigt sich Giovanna.
„Ich darf generell überhaupt nicht mehr in der Baubranche arbeiten“, erklärt Wasti.
„Scheiße. Und was willst du jetzt machen?“, fragt Marcella.
„Ein paar Monate werde ich wohl mit meinen Rücklagen über die Runden kommen“, erklärt Wasti. „In der Zeit werde ich mir mal Gedanken machen, wie ich mich beruflich neu orientieren könnte…“
„Also, ich kann hier immer zuverlässiges Personal gebrauchen“, witzelt Marcella.
„Ich denk mal drüber nach“, lacht Wasti. Sein Hauptinteresse in diesem Augenblick gilt aber mehr Giovanna. Nachdem die beiden sich ja vor mehreren Monaten schon ein paar Mal verabredet hatten, ist das Ganze in Anbetracht der unübersichtlichen Lage nach der Hotel-Katastrophe wieder zum Erliegen gekommen. Vielleicht sollte Wasti die nächste Zeit nicht nur für eine berufliche Neuorientierung nutzen, sondern
auch für die schönen Dinge des Lebens…
Spontan verabredet er sich mit Giovanna für den Abend fürs Kino.
Als die beiden sich am Abend vor dem Astor treffen, fühlt sich Giovanna noch schlapper als am Vormittag. Irgendetwas steckt ihr in den Knochen. Hoffentlich wird sie jetzt nicht wirklich krank, denkt sie. Als Wasti auftaucht, freut sie sich über die Verabredung und an sich gefällt ihr sowohl seine Gesellschaft wie auch der Film, den sie sich ansehen. Dennoch fühlt sie sich zunehmend schlapp und muss einige Male mit sich kämpfen, um während der Vorstellung nicht einzuschlafen…
„Mein Bein ist eingeschlafen“, stellt Giovanna fest, als der Film zu Ende ist und reibt sich über die linke Wade, um das taube Gefühl wegzubekommen.
„Hast du noch Lust auf einen kleinen Absacker im Biergarten?“, erkundigt Wasti sich. Eigentlich sehnt Giovanna sich inzwischen nach ihrem Bett, aber sie will Wasti nicht vor den Kopf stoßen und im Biergarten zu sitzen, ist ja definitiv keine anstrengende Aktivität…
Als Vasily an ihren Tisch kommt, bestellt Giovanna ein Glas Weißwein und Wasti eine Cola.
„Cola?“, fragt Giovanna amüsiert und fühlt sich wie bei einem Date als 13jährige.
„Ich muss noch fahren“, sagt Wasti.
„Naja, aber ein Glas Wein?“, meint Giovanna schulterzuckend. Im gleichen Moment denkt sie aber, dass sie sich vielleicht auch eine Cola hätte bestellen sollen, das Koffein und der Zucker würden sie vielleicht wieder etwas munterer machen. Ihr Bein ist immer noch taub und nun beginnt auch noch das andere Bein zu kribbeln… Dennoch versucht Giovanna, ihre Unpässlichkeiten zu überspielen und genießt im Grunde genommen den Abend mit Wasti. Doch irgendwann meldet sich ihre Blase.
„Ich muss mal kurz zur Toilette“, sagt sie. Doch statt aufzustehen, verharrt sie an ihrem Platz, stützt die Hände an der Tischkante ab und starrt vor sich hin.
„Geh ruhig, ich lauf nicht weg“, lacht Wasti.
„Wasti, irgendwas stimmt nicht“, sagt Giovanna.
„Was ist denn?“ erkundigt er sich.
„Ich weiß nicht… Ich kann nicht aufstehen… Ich spüre meine Beine kaum noch!“ Panik beginnt in Giovanna aufzusteigen. „Wasti, was ist das?“, schreit sie hysterisch und hat plötzlich die Blicke aller anderen Biergartenbesucher auf sich gerichtet. „Was ist das??? Ich kann meine Beine nicht mehr spüren!!!“

CLIFFHANGER auf: Giovanna Varese

Mitwirkende Personen
Wasti Huber
Giovanna Varese
Marcella Varese
Gian-Luca Conti
David Krämer
Mandy Peschke-Krämer
Dr. Iris Brooks
Tanja Schildknecht
Simon Schildknecht
Nils Wendland
Kerstin Wendland
Lovis Wendland
Robert Engel
Vasily Sarikakis
Tessa Anzberg
Emanuel Armbruster

© »popo wolfson« 2023

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Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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BeitragVerfasst: So 20. Aug 2023, 10:47 
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Beiträge: 10005
Da war der Zeckenbiss wohl doch nicht so harmlos.

Aber warum verschenkt der Engel so ein teures Buch? Das wird sicher irgendwann auch noch Folgen haben.

Diese Tessa ist total durchgeknallt, die gehört in eine geschlossene Abteilung.


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