Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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BeitragVerfasst: So 13. Aug 2023, 11:40 
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Folge 1889: Die Zeichen stehen auf Sturm

Spieltag: Donnerstag, 10.08.2023


Carl sitzt mit seinem Vater am Frühstückstisch.
„Was wollen wir denn heute unternehmen?“ möchte Niklas von seinem Sohn wissen.
Der zuckt mit den Schultern. „Weiß nicht!“
„Vielleicht nochmal schwimmen gehen?“ fragt Niklas.
„Keine Lust“, meint Carl.
„Was ist denn los, mein Großer?“ fragt Niklas.
„Ich bin nicht dein Großer“, murrt Carl. „Und irgendwie ist es doof, dass Frieda nicht mehr hier ist.“
„Ach komm, sonst streitet ihr doch dauernd“, erinnert Niklas ihn. „Und es ist doch auch mal ganz schön, wenn wir einfach nur ein paar Vater-Sohn-Dinge unternehmen können. So richtige Männersachen ohne Weiber!“
„Ich will keine Männersachen machen!“ mault Carl, springt vom Tisch auf und verschwindet ins Bad.
Niklas kann die schlechte Laune seines Sohnes im Grunde zu gut verstehen. Klar streiten er und Frieda dauernd – so, wie Geschwister das halt so machen. Aber dass Frieda in der Vorwoche tatsächlich wieder mit ihrer Mutter nach Hause gegangen ist, statt die ersten Ferienwochen wie geplant bei ihm zu verbringen, hat auch ihm einen Stich versetzt. Und dass Carl nun schlechte Laune hat, weil die Ferien anders verlaufen, als das ursprünglich angedacht war, ist nachvollziehbar…
„Ich will heute nix machen, ich geh gleich zu Phoebe“, verkündet Carl, nachdem er das Bad verlassen hat.
„Okay“, meint Niklas. Einerseits freut er sich darüber, dass sein Sohn in der Nachbarschaft seines Vaters so schnell Anschluss gefunden hat – schneller, als er selbst, der hier bislang noch mit kaum jemandem was zu tun hatte. Andererseits fände er es aber auch ganz schön, etwas mit seinem Sohn zu unternehmen, wenn der schon mal bei ihm ist…
Als Carl zu Phoebe rüber ist, versucht Niklas, seiner Tochter eine Sprachnachricht zu schicken und sich bei ihr erneut zu entschuldigen.
Frieda registriert die eingehende Nachricht natürlich, hat aber keine Lust, sie sich anzuhören. Sie ist gerade mit ihren Freundinnen Lotta und Finja unterwegs. Eigentlich wollten die Mädchen Inline skaten, aber nun zieht Regen auf und macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Also beschließen die drei Mädels, zu Frieda nach Hause zu gehen und ein paar Folgen ihrer neuen Lieblingsserie zu streamen. Als sie in der Wohnung ankommen, steht Friedas Mutter Nadine in der Küche und putzt den Kühlschrank aus.
„Huhuuuu!“ ruft sie überschwänglich. „Da seid ihr ja schon wieder! Wolltet ihr nicht skaten?“
„Gibt gleich Regen“, erklärt Lotta.
„Oh!“ macht Nadine mit Blick aus dem Fenster. „Jo, sieht so aus. Soll ich uns was kochen?“
Frieda, die die angebrochene Weinflasche und das halb leere Glas auf der Anrichte realisiert, sagt nur: „Später vielleicht. Wir wollen jetzt unsere Serie weitergucken.“
Als die Mädels Friedas Zimmer ansteuern, ruft Nadine ihnen nach: „Etwa auf dem Tablet? Geht doch ins Wohnzimmer! Auf dem Fernseher habt ihr doch ein viel größeres Bild!“
Lotta und Finja sind begeistert, Frieda hingegen würde lieber in ihr Zimmer gehen.
Kaum dass sie die erste Folge gestartet haben, gesellt sich Nadine mit einem neuen Glas Wein zu ihnen und lässt sich ebenfalls auf die Couch fallen.
„Lasst ihr mich ein bisschen mitgucken?“ fragt sie kichernd.
„Klar“, erwidert Finja. Auch sie sieht das Weinglas und wirft Lotta einen vielsagenden Blick zu. Frieda würde derweil am liebsten im Erdboden versinken.
Nadine hat derweil nichts besseres zu tun, als alles, was da auf dem Bildschirm vor sich geht lautstark zu kommentieren und nebenbei ihrer Tochter an den Haaren und den Klamotten rumzuzupfen.
„Oh, Mama, lass das doch mal!“ sagt Frieda irgendwann genervt.
„Oh, Mama, lass das doch mal!“ äfft Nadine sie kichernd nach und macht unbeirrt weiter.
Finja und Lotta blicken sich verlegen lächelnd an.
„Seid ihr auch von meinen Müttern immer so genervt wie meine Tochter?“ fragt Nadine die beiden, die nur schüchtern grinsend mit den Schultern zucken.
Nadine leert ihr Weinglas und fragt in die Runde: „Möchtet ihr einen Saft?“
Schulterzucken. Nicken.
Nadine geht in die Küche und kommt mit vier Gläsern O-Saft zurück. Frieda fällt sofort auf, dass in einem der Gläser der Saft heller und dünnflüssiger ist – und dass Nadine akribisch darauf achtet, dass sie selbst dieses Glas bekommt.
„Es wird wieder heller“, sagt Frieda mit Blick aufs Fenster. „Wir können doch noch raus!“
„Och nö!“ nöhlt Nadine. „Ist doch gerade so spannend!“
„Du kannst ja alleine weitergucken!“ sagt Frieda bestimmt und kippt sich auf ex ihren Saft in die Kehle. Ihre beiden Freundinnen tun es ihr gleich.
„Wiedersehen, Frau Sandmann!“
„Wiedersehen, Frau Sandmann!“
Und schon sind sie zur Tür hinaus. Nadine starrt auf ihren verdünnten Saft, trinkt ihn ebenfalls in einem Zug leer – und holt sich ein neues Glas Wein aus der Küche.
Derweil hat Carl in der Lindenstraße Phoebe mit zu sich nach Hause gebracht und Niklas holt für alle Eis aus dem Gefrierfach.
Nachdem Phoebe und Carl eine Weile im Gästezimmer, dass aktuell als Kinderzimmer dient, gespielt haben und Phoebe sich dann später verabschiedet hat, möchte Niklas von seinem Sohn wissen: „Was macht Mama denn eigentlich so, wenn sie nicht arbeitet?“
„Wie meinst du das?“ fragt Carl verdutzt.
„Hat sie mal Besuch? Freundinnen?“
„Willst du wissen, ob sie einen neuen Freund hat?`“ fragt Carl.
„Eigentlich möchte ich wissen, ob sie überhaupt Kontakt zu irgendwem hat, außer zu euch“, erklärt Niklas.
„Eigentlich nicht“,meint Carl schulterzuckend.
„Und was macht sie, wenn sie nicht arbeitet?“ fragt Niklas. „Also, wenn sie zuhause ist…“
„Putzen, kochen, waschen…“, zählt Carl auf.
„Und sonst?“
„Wie jetzt?“
Niklas räuspert sich. Dann fragt er vorsichtig: „Trinkt sie manchmal auch?“
„Man muss trinken, sonst verdurstet man!“ erklärt Carl.
„Ja ja. Klar. Ich meine Wein oder… was in der Art?“
„Kann sein“, meint Carl eher gleichgültig.
„Ist sie denn manchmal… komisch drauf? Irgendwie lustig. Oder überdreht?“
„Du bist heute komisch drauf“, stellt Carl fest. „Was fragst du denn die ganze Zeit für komisches Zeugs?“
Niklas wird klar, dass er nicht mit wirklich brauchbaren Informationen rechnen kann. Aber dass Nadine in der Vorwoche nach Alkohol gerochen hat, hat er sich definitiv nicht eingebildet. Und auch früher hat Nadine immer wieder in Stresssituationen sehr regelmäßig zu alkoholischen Getränken gegriffen. Er würde jetzt nicht behaupten, dass Nadine eine Alkoholikerin ist… Oder doch…? Niklas ist sich nicht sicher. Jedenfalls findet er, dass ihr Alkoholkonsum doch über ein Normalmaß hinaus geht…
Als Frieda später nach Hause kommt, grölt Nadine aus dem Wohnzimmer: „Ich hab die ganze Serie durch, alle acht Folgen. Das ist ja wirklich total spannend!“
Mit Blick auf die leeren Flaschen auf dem Wohnzimmertisch sagt Frieda: „Ja, und was anderes hast du offenbar auch durch.“
„Boah, jetzt sei doch nicht so spießig!“ lallt Nadine. „Komm, setz dich zu mir. Wollen wir uns Pizza bestellen und dann noch einen Film gucken?“
„Mama, du bist echt peinlich!“ sagt Nadine und verharrt in der Tür.
„Warum bin ICH peinlich?“
„Meinst du, meine Freundinnen merken das nicht?“ fragt Frieda. „Meinst du, die denken sich nix dabei, wenn du mittags schon Wein trinkst? Meinst du, die sehen nicht, wenn du deinen Saft mit irgendwelchem Schnapszeugs auffüllst?“
„Was soll das denn jetzt?“ lallt Nadine gereizt. „Fängst du jetzt auch schon an wie dein Vater? Meinst du jetzt auch, mir irgendwelche Vorhaltungen machen zu müssen?“
„Ich mach mir ein Brot und geh in mein Zimmer“, sagt Frieda eilig. Wenn ihre Mutter erstmal den vorwurfsvollen Weg einschlägt, ist sowieso nicht mehr mit ihr zu reden, dann geht man ihr am besten aus dem Weg…
In ihrem Zimmer hört Frieda schließlich doch noch die Sprachnachricht ihres Vaters an. Kurz überlegt sie, darauf zu reagieren oder ihn vielleicht anzurufen, entscheidet sich aber dann doch dagegen. Stattdessen zieht sie sich die Bettdecke über den Kopf und beschließt, so schnell wie möglich einzuschlafen…

Simon ist an diesem Morgen bereits früh auf den Beinen, denn er ist mit Tessa am Bahnhof verabredet, wo sie mit dem Zug aus Rosenheim eintreffen will. Zum Glück hat Tanja keinen Urlaub und ist im Salon, so dass sie keine Fragen stellen kann, warum er in den Ferien bereits so früh auf ist und wohin er geht. Du da hat er sich verrechnet, denn als er um kurz vor halb zehn das Haus verlässt, kommt seine Mutter gerade aus dem Supermarkt, wo sie Kaffee für den Salon gekauft hat und ruft ihm von der anderen Straßenseite aus zu. Und nun kommen genau die Fragen, vor denen er sich drücken wollte: Wie es sein könne, dass er bereits unterwegs sei, wo er in den Ferien doch von 10 sonst kaum aus dem Bett käme und wohin er wolle.
„Ich will Herrn Finkelstein in der Seniorenresidenz besuchen“, lügt Simon schnell.
„Oh, das ist aber schön!“ findet Tanja. „Dann bestell ihm mal einen lieben Gruß.“
Simon nickt knapp und eilt zur Bushaltestelle an der Kastanienstraße. Ein bisschen blöd kommt er sich zwar schon vor, wegen seiner Lüge, aber er hat keine Lust darauf, dass seine Mutter von Tessa erfährt. Sie würde nur unnötige und nervige Fragen stellen, woher die beiden sich kennen, ob sie seine Freundin wäre… Und wenn sie dann noch erführe, dass Simon sie aus einem Internetforum kennt, das sich mit Themen wie Tod und Selbstmord beschäftigt… nicht auszudenken! Nein! Es ist definitiv besser, wenn Tanja nichts von Tessa weiß!
Als Simon am Bahnhof ankommt und dort auf Tessa trifft, ist er erstmal sprachlos in Anbetracht des Gepäcks, das sie bei sich hat.
„Bleibst du länger?“ fragt er irritiert. „Ich dachte, du bist nur heute in München.“
Tessa erklärt ihm, dass sie den Rest der Sommerferien bleiben wird, da sie ab der nächsten Woche ein Praktikum in einer Marketing-Agentur machen wird.
„Und wo wohnst du?“ fragt er.
„Ich hab ein Zimmer zur Untermiete für die Zeit“, erklärt Tessa. „Haben meine Eltern organisiert. Aber erst ab heute Abend. Vorher haben wir noch Zeit, die Stadt unsicher zu machen.“
Tessa verstaut ihr Gepäck erstmal in einem der Schließfächer am Bahnhof und die beiden gehen in die Stadt. Simon sieht die Sache eher zwiegespalten. Einerseits freut er sich über das Wiedersehen mit Tessa, andererseits erinnert er sich mit ungutem Gefühl daran, wie schräg sie sich bei ihrem letzten Besuch in München aufgeführt hat. Und auch die Tatsache, dass sie ihm verschwiegen hat, dass sie mehrere Wochen in der Stadt bleiben will, findet er merkwürdig.
Dennoch verläuft der Tag mit Tessa entspannt. Die beiden ziehen durch die Geschäfte, gehen Eis essen und haben Spaß. Kein irres Rumklettern auf einem Brückengeländer, keine anderen verrückten Aktionen…
Am späten Nachmittag bringt Simon Tessa zum Bahnhof zurück und bietet ihr an, ihr dabei zu helfen, das Gepäck zu ihrer Unterkunft zu bringen, doch Tessa lehnt ab. Sie meint, ihre Zimmerwirtin wäre schon etwas älter und es würde sicher keinen so guten Eindruck bei ihr hinterlassen, wenn sie gleich einen Jungen anschleppen würde. Außerdem hätten ihre Eltern ihr Geld für ein Taxi gegeben.
Als Simon eine Weile später mit Tanja beim Abendessen sitzt, fragt diese „Wie geht es Herrn Finkelstein?“
Simon schießt die Röte ins Gesicht – an diese Ausrede hat er gar nicht mehr gedacht. „Ganz gut“ , sagt er schnell, ohne von seinem Teller aufzusehen.
Nach dem Abendessen zieht Simon sich in sein Zimmer zurück, als es an der Wohnungstür klingelt.
„Kannst du mal aufmachen?!?“ ruft Tanja aus dem Badezimmer. „Ich wasche mir gerade die Haare!“
Simon geht zur Tür – und erstarrt vor Schreck und Überraschung, als er Tessa mit Sack und Pack im Treppenhaus erblickt.
„Was machst du denn hier?“ fragt er.
„Meine Zimmerwirtin liegt im Krankenhaus“, erklärt Tessa. „Herzinfarkt oder Herzanfall oder so.“
„Ach, Shit! Und jetzt?“
„Jetzt brauche ich eine andere Unterkunft“, erklärt Tessa.
„Ja und wo?`“ fragt Simon.
„Ich dachte… hier!“ meint Tessa.
„Was?“ fragt Simon fassungslos. „Wie stellst du dir das denn vor? Ich kann dich ja schlecht in meinem Zimmer verstecken, ohne dass meine Mutter davon was mitkriegt. Wir haben eine Mietwohnung, keine Villa!“
„Gibt’s hier bix anderes? Dachboden oder so?“ Tessa blickt fragend nach oben.
Simon denkt kurz nach, dann sagt er: „Es gibt unten einen Hobbykeller. Der gehört aber allen Mietern und….“
„Und was?“ fragt Tessa, als Simon nicht weiterspricht.
„Naja, da hat wohl ein Obdachloser überwintert“, erklärt Simon. „Danach waren die Mieter hier ein bisschen in Aufregung und haben etwas genauer hingesehen, was da unten passiert. Mittlerweile haben sie sich, glaub ich, wieder ein bisschen eingekriegt, aber seitdem wird immer abgeschlossen.“
„Und du hast keinen Schlüssel?“ mutmaßt Tessa.
„Doch, jede Mietpartei im Haus hat einen Schlüssel“, erklärt Simon.
„Und der Raum wird oft genutzt?“ erkundigt Tessa sich.
„Eigentlich kaum.“
„Dann ist doch alles klar“, sagt Tessa schulterzuckend.
„Aber macht es dir nichts aus, dass da unten… ein Penner gewohnt hat?“ fragt Simon skeptisch.
„Nö“, erwidert Tessa gleichgültig.
„Simon, wer ist denn da?“ ruft Tanjas Stimme aus dem Bad.
„Geh schon mal runter in den Keller“, flüstert Simon schnell. „Ich bin in fünf Minuten unten.“
„Wer war da?“ fragt Tanja, die just in dem Moment aus dem Bad kommt, in dem Simon die Türe hinter Tessa geschlossen hat.
„Zeugen Jehovas“, behauptet Simon.
„Was?“ fragt Tanja. Sie reißt die Wohnungstür auf, aber von unten sind nur noch verhallende Schritte zu hören und als Tanja sich über das Geländer beugt, ist niemand mehr zu sehen. Kopfschüttelnd kehrt sie in die Wohnung zurück. Derweil hat Simon ein paar alte Zeitschriften und Prospekte in seinen Papierkorb gestopft und sagt zu seiner Mutter: „Ich bring nochmal eben schnell meinen Müll raus. Bin gleich zurück.“ Auch den Kellerschlüssel hat Simon sich eilig eingesteckt und ehe Tanja etwas erwidern kann, ist Simon schon auf dem Weg nach unten.
„Wow, das ist ja total cool hier“, stellt Tessa fest, als Simon ihr Minuten später den Hobbykeller aufschließt.
„Willst du nicht lieber deine Eltern fragen, ob sie das was anderes besorgen?“ erkundigt sich Simon.
„Ich musste meine Eltern total belabern, um dieses Praktikum überhaupt machen zu dürfen“, erklärt Tessa ihm. „Wenn die jetzt hören, dass meine Zimmerwirtin krank ist und ich da nicht bleiben kann, pfeifen sie mich sofort zurück nach Hause.“
„Okay“, meint Simon zögernd. „Ich besorg dir dann gleich noch was zu essen und zu trinken. Brauchst du sonst noch irgendwas?“
„Hab alles“, grinst Tessa.
Simon hat ein ungutes Gefühl, als er wieder in die Wohnung hinauf geht. Jetzt will die wochenlang da unten hausen… Wenn das irgendjemand von den anderen Hausbewohnern mitbekommt, wird es sicher Probleme geben…

Mandy bekommt an diesem Vormittag im Krankenhaus nicht nur Besuch von David, sondern auch von Iris. Grund dafür ist, dass Mandy Onkologin Dr. Hiltrud Lopinski deren aktuelle Untersuchungsergebnisse ausgewertet und bereits mit Iris als Mandys behandelnde Hausärztin besprochen hat. Die beiden Ärztinnen suchen nun gemeinsam Mandys Krankenbett auf – und ihre Gesichtsausdrücke verheißen nichts Gutes. Mandys Allgemeinzustand ist nach wie vor miserabel. Ihre Chemo-Therapie muss immer wieder unterbrochen werden, da sie wie aus dem Nichts hohes Fieber bekommt. Aber auch in den Therapie-Pausen geht es ihr schlecht. Sie wird von Tag zu Tag schwächer, verliert an Gewicht und selbst das Sprechen fällt ihr mittlerweile schwer.
Frau Dr. Lopinski bemüht sich zwar um Empathie, will aber auch nichts beschönigen und kommt so schonend wie möglich zur Sache: Sie lässt Mandy wissen, dass die Therapie keinerlei Wirkung gezeigt hat, obwohl Mandy bereits die größtmögliche Dosierung der stärkstmöglichen Behandlung erhält. Der Tumor wird nicht kleiner, im Gegenteil: er wächst und es gibt immer neue Metastasen.
„Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen nichts positiveres sagen kann“, erklärt die Lopinski. „Aber das einzige, was ich Ihnen noch sagen kann ist, dass Sie austherapiert sind.“
Betroffenes Schweigen setzt ein und die Onkologin fährt nach einem kurzen Moment fort: „Wir werden sämtliche Maßnahmen ergreifen, um Ihnen Ihren weiteren Weg so leicht wie möglich zu machen. Sie werden Schmerzmittel bekommen…“
„Wie lange noch?“ unterbricht Mandy die Ärztin. Ihre Stimme ist kraftlos und es fällt ihr schwer, zu reden.
„Das ist wirklich sehr schwer vorauszusehen“, räuspert sich die Onkologin. „Aber wenn ich das aktuelle Fortschreiten Ihrer Krankheit betrachte… Ein paar Wochen? Vielleicht zwei bis drei Monate? Ich kann es nicht genauer sagen.“
„Werde ich…. Weihnachten noch erleben?“ fragt Mandy heiser.
Dr. Lopinski tauscht einen betroffenen Blick mit Iris. Dann sagt sie: „Das ist… sehr unwahrscheinlich.“
Mandy und David sehen sich schweigend betroffen an, als Iris vorsichtig einwirft: „Es gibt da noch eine andere Sache, die wir mit euch besprechen müssten…“
Als sie Mandys und Davids fragende Blicke sieht, zögert Iris. Dr. Lopinski ergreift erneut das Wort: „Es sieht leider so aus, dass sich auch Ihr Allgemeinzustand nicht mehr bessern wird, eher im Gegenteil. Die Schmerzmittel werden dafür sorgen, dass Sie keine Schmerzen haben werden, aber Ihr Körper kann sich dennoch nicht mehr gegen die Krankheit stemmen, Sie werden immer schwächer werden und… Ich würde es als unverantwortlich bezeichnen, Sie nach Hause zu entlassen. Sie brauchen rund um die Uhr medizinische Betreuung…“
„Das heißt, ich muss jetzt hier im Krankenhaus bleiben, bis ich sterbe“, flüstert Mandy bitter.
„Aber wir haben doch Frau Liebrecht zur Unterstützung“, wirft David ein. „Und ich könnte Sonderurlaub nehmen oder versuchen, einen Teil meiner Arbeit von zuhause aus zu machen. Wenn ich mit meinem Chef rede, hat er bestimmt Verständnis…“
„Frau Liebrecht ist Familienpflegerin“, erklärt Iris. „Natürlich kann sie eich weiter im Haushalt und bei der Kinderbetreuung unterstützen. Aber sie ist weder Ärztin noch Krankenpflegerin.“
„In Ihrem Zustand kann es jederzeit zu einem medizinischen Notfall kommen“, sagt Fr. Dr. Lopinski. „Zu akutem Organ-Versagen oder zu einem Anfall, Sie könnten ins Koma fallen… Es muss wirklich rund um die Uhr eine engmaschige medizinische Versorgung für sie gewährleistet sein…“
„Ich möchte nicht im Krankenhaus sterben“, sagt Mandy mit Tränen in den Augen.
„Eine Option wäre ein Hospiz“, meint Iris.
„Ach du Scheiße“, entfährt es David und im nächsten Augenblick hält er sich erschrocken die Hand vor den Mund angesichts seines Ausrutschers.
„Natürlich klingt Hospiz erstmal ganz schrecklich“, findet auch Hiltrud Lopinski. „Aber das ist wirklich eine Alternative, in der man würdig und in einem angenehmen Umfeld seine letzten Wochen verbringen kann.“
Dr. Lopinski erzählt noch einiges, was es über Hospize zu wissen gibt, aber sowohl David wie auch Mandy hören kaum zu. Mandy war bereits seit längerem klar, dass dieser Moment kommen würde, in dem sie erfährt, dass sie keine Chance mehr hat. Aber jetzt, wo man ihr dies von Angesicht zu Angesicht mitteilt, wirft es sie doch aus der Bahn. Und David hat eigentlich bis zum letzten Moment gehofft, dass doch noch alles gut werden würde…
„Sie sollten sich das nun in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen“, sagt Dr. Lopinski zum Abschied und lässt einiges an Broschüren und Informationsmaterial über ein Hospiz in der Nähe zurück.
„Es tut mir so leid“, sagt Iris, als die Onkologin das Zimmer verlassen hat. Und zeitgleich nagt an ihr wieder das Gewissen bezüglich des Versprechens, das sie Mandy gegeben hat. Denn immer noch hat sie es nicht geschafft, ihr und David mitzuteilen, dass sie in wenigen Monaten in die Vereinigten Staaten auswandern wird und somit nicht zu Davids Unterstützung bei der Erziehung der Kinder zur Verfügung steht. Und wieder denkt sie sich, dass es allerhöchste Zeit ist, die Karten offen auf den Tisch zu legen. Und wieder hält sie den Augenblick für grundfalsch – und kneift…
Nachdem auch Iris sich verabschiedet hat, sagt Mandy zu David, dass ihre Kinder nun baldmöglichst über die Wahrheit ihres Zustandes informiert werden müssen – aber dass sie ihnen dies selbst mitteilen möchte…
Als David sich eine Weile später auf dem Heimweg befindet, fühlt er sich wie betäubt. Plötzlich hat er das Gefühl, kaum noch Luft zu bekommen. Einige Kilometer vor der Lindenstraße fährt er auf einen öffentlichen Parkplatz und steigt aus, um durchzuatmen. Während er dort steht und sich allmählich sammelt, fällt ihm ein Mann auf, der einige Meter entfernt parkt, einen Schlafsack ausschüttelt und in sein Auto zurück legt, dann mehrere leere Fast-Food-Verpackungen in einen Mülleimer entsorgt und sich anschließend wieder ins Auto setzt, den Sitz zurückstellt und sich eine Zigarette anzündet. David muss einen Moment lang überlegen, wer dieser Typ ist, der ihm so seltsam bekannt vorkommt. Und dann fällt der Groschen: Das ist eindeutig Mandys Bruder Ronny. Ist der immer noch in der Stadt? Und wohnt er etwa in seinem Auto? David denkt kurz darüber nach, zu ihm zu gehen und ihn anzusprechen, lässt es dann aber bleiben. Stattdessen steigt er wieder in sein eigene Auto ein und fährt nach Hause.
Martha Liebrecht hat gerade dass Essen für Jeremy und Phoebe auf den Tisch gestellt und gibt Hope ihr Fläschen.
„Meng Sie aa woas mitessn?“ erkundigt sie sich. Als David verneint, fragt sie: „Wia gäht`s denn Ihrer Frau heid?“
David sagt nichts und verschwindet erstmal im Bad. Später, als Hope in ihrem Bettchen liegt und auch Jeremy und Phoebe in ihren Zimmern verschwunden sind, kommt er zu Frau Liebrecht in die Küche und berichtet ihr von seinem heutigen Besuch bei Mandy. Die bayowanische Matrone beginnt sogleich, lauthals zu schluchzen und zu jammern, fängt sich dann aber und kriegt sich schnell wieder in den Griff, aus Angst, dass die Kinder etwas mitbekommen könnten…
„Sie könna sich voi und ganz auf meine Hilf valossen“, versichert sie David, als sie Feierabend macht.
Etwas später bekommt David nochmal Besuch von Iris. Die Ärztin hat sich vorgenommen, wenigstens ihm schon mal die Wahrheit über ihre Zukunftspläne zu erzählen, aber als David wie ein Häufchen Elend vor ihr steht und ihr wieder Fragen zum Thema Hospiz stellt, bringt sie es wieder nicht über sich…
Spät am Abend tritt David ans Bett seiner schlafenden Tochter und blickt sie an.
„Hope! Hoffnung“, flüstert er und seufzt schwer. „Hat ja leider alles nichts gebracht, die ganze Hoffnung nicht. Alles umsonst, alles vorbei…“

CLIFFHANGER auf: David Krämer


Mitwirkende Personen
David Krämer
Hope Krämer
Mandy Peschke-Krämer
Jeremy Peschke
Phoebe Peschke
Dr. Iris Brooks
Niklas Sandmann
Nadine Sandmann
Frieda Sandmann
Carl Sandmann
Tanja Schildknecht
Simon Schildknecht
Tessa Anzberg
Dr. Hiltud Lopinski
Ronny Köpke
Martha Liebrecht
Finja Noske
Lotta Nelleßen

© »popo wolfson« 2023

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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