Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1886 - Das Ende der Unschuld
BeitragVerfasst: So 23. Jul 2023, 13:50 
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Folge 1886: Das Ende der Unschuld

Spieltag: Donnerstag, 20.07.2023

„Willst du jetzt wieder den ganzen Tag im Bett verbringen?“, fragt Helga gereizt, als sie Popos Zimmer betritt. „Und wie das hier mieft! Lüfte gefälligst mal! Und nun raus aus den Federn! Anna hat schon angerufen und nach dir gefragt, du hast Schicht im Bayer!“
„I’m sick“, stöhnt Popo und zieht sich die Decke über den Kopf.
„Ach, du bist krank?“ fragt Helga mit sarkastischem Unterton. „Dann geh gefälligst zu Frau Dr. Brooks und lass dich krank schreiben!“
„Ich geh zu keine Arzt!“, stöhnt Popo – und Helga zieht ihr mit einem Ruck die Bettdecke weg.
„Raus jetzt aus den Federn!“, schimpft sie. „Wer feiern kann, kann auch arbeiten. Und wenn du dazu keine Lust hast, dann kannst du von hier verschwinden, das hab ich dir schon mehrmals gesagt!“
Benommen richtet Popo sich auf und setzt sich auf die Bettkante, nachdem Helga ihr Zimmer verlassen hat. Sie fühlt sich beschissen – und das liegt nicht am Alkohol, der auch in der vergangenen Nacht wieder in Strömen geflossen ist, als sie erneut die Clubs der Stadt unsicher gemacht hat. Sie fühlt sich beschissen wegen dem, was ihr in der vergangenen Woche passiert ist. Doch so sehr sie sich auch bemüht, das alles einfach zu vergessen – oder zu verdrängen – so sehr sie sich auch ihr Leben schön zu trinken und schön zu feiern versucht… es will ihr einfach nicht gelingen. Ihre Erinnerung an den Rest dieser Nacht ist nach wie vor nicht zurückgekehrt. Das letzte, an das sie sich erinnert, ehe sie in dem fremden Hausflur aufgewacht ist, sind das Blue Bayou, Joris und der letzte Cocktail. Er muss ihr etwas in das Glas gemischt haben – K.O.-Tropfen oder sowas. Eine andere Erklärung findet sich nicht dafür. Aber dass sie in dieser Nacht, während der Zeit ihres Filmrisses, vergewaltigt wurde, da ist sie sich sicher. Aber warum sollte sie das irgendwem erzählen? Sie hat es versucht und ist bei Helga gnadenlos aufgelaufen. Und das wird bei jedem anderen Menschen, dem sie sich anvertraut, nicht anders sein. Warum die Kraft darauf verschwenden? Warum zum Arzt gehen? Was soll das bringen? Niemand wird ihr je wieder glauben … Nicht nach der Sache mit Herrn Hülsch… Also was bleibt ihr anderes übrig, als einfach weiterzumachen wie gehabt und das Ganze so schnell wie möglich hinter sich zu lassen…?!
Nachdem sie sich geduscht und angezogen hat, schleppt sie sich ohne Frühstück hinüber ins Bayer.
„Wo bleibst du denn so lange?,“ fragt Anna sie streng. „Du bist diese Woche noch kein einziges Mal pünktlich erschienen. Das geht so wirklich nicht weiter, Popo! Ein bisschen mehr Verlass auf dich muss schon sein. Wenn die Bayer das erfährt, wird sie dich hochkant rausschmeißen, das ist dir bewusst, oder?“
„Mir doch egal“, nölt Popo.
„Ach, ist dir egal, ja?!“ erwidert Anna gereizt. „Na, wenn dir das ohnehin alles egal ist, dann kannst du ja vielleicht gleich von dir aus kündigen.“
Popo ignoriert Annas Genörgel und macht sich missmutig an die Arbeit. Im Verlauf des Tages beobachtet Anna kopfschüttelnd, wie Popo die Gäste mehrfach unfreundlich abkanzelt, lieblos Tortenstücke auf Teller klatscht, falsche Bestellungen raus gibt und scheinbar nicht das geringste Interesse daran hat, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.
Nach Feierabend stattet Anna ihrer Cousine einen Besuch ab und erzählt ihr davon, das Popo ihre Arbeit in den letzten Tag mehr schlecht als recht macht.
„Sie war ja nie die Motivierteste“, meint Anna, „aber was sie seit etwa einer Woche abliefert, ist nun wirklich absolut unterirdisch…“
„Das darf ja wohl nicht wahr sein!“ Helga – die ganz offenbar gelauscht hat – rauscht ins Wohnzimmer. „Das Mädchen bringt mich noch ins Grab. Ich sage euch, wenn sie nicht Erichs Enkeltochter wäre, hätte ich sie schon längst hochkant an die Luft gesetzt!!!“
Gabi bittet Anna, nachsichtig zu sein und Popo noch eine Chance zu geben, statt ihre schlechte Arbeitsweise bei Frau Bayer zu melden. Dies ist allerdings reiner Selbstschutz: Gabi weiß, wie schwer Personal zu finden ist, aber sie fühlt sich weiterhin nicht in der Lage, das geschützte Refugium ihrer Wohnung zu verlassen und selbst wieder am Café ihre Arbeit aufzunehmen. Daher muss man an Popo festhalten – um jeden Preis…
Popo will derweil um jeden Preis an ihrem unbeschwerten alten Leben festhalten, das sie vor der Vergewaltigung geführt hat. Daher hat sie nach Feierabend auch nichts Besseres zu tun, als sich gleich frisch zu machen und aufzustylen, um wieder auf die Piste zu gehen.
„Die blockiert schon wieder stundenlang das Bad, um hinterher rauszukommen wie ein bemalter Papagei“, mosert Andy.
Als Popo zum Aufbruch bereit ist, fängt Gabi sie im Flur ab.
„Gehst noch weg?“ erkundigt sie sich freundlich.
„Klar“, erwidert Popo. „It’s summer time! Ich bin jung! Ich will haben fun!“
Gabi betrachtet Popo eingehend. „Nach fun siehst aber net aus“, stellt sie fest. „Hasts Kummer?“
Popo hält einen Moment inne und überlegt, ob sie sich Gabi vielleicht anvertrauen sollte. Dann wischt sie diesen Gedanken jedoch beiseite und antwortet: „Nein, keine Kummer. Mir geht es gut. Ich will nur raus having fun!“ An der Wohnungstür hält Popo nochmal inne. Sie dreht sich zu Gabi um und fragt: „Willst du mitkommen?“
„Naaaa“, winkt Gabi schnell ab. „I bleib lieber hier!“
„Solltest mal wieder raus und unter Menschen“, meint Popo schulterzuckend und geht. Gabi blickt betreten auf die Tür, die hinter ihr ins Schloss gefallen ist. Die Tür, die nach draußen führt. In dieses „Draußen“, das ihr seit der Katastrophe im Hotel so viel Angst bereitet …
Popo fährt derweil mit dem Bus in die Innenstadt und steuert dort einen Club an. Nicht das Blue Bayou … dahin will sie nicht mehr. Aber einen ähnlichen Laden mit einem ähnlichen Publikum. Popo tanzt und trinkt wie immer – und versucht ihre negative Erfahrung einfach wegzutanzen und wegzutrinken. Doch das will ihr nicht wirklich gelingen. Immer wieder beäugt sie misstrauisch die Typen, die ihr zusehen und sie anflirten. Und sie traut sich keine Sekunde lang, ihren jeweiligen Drink aus den Augen zu lassen… Sie fühlt sich unwohl. Die Leichtigkeit und Unbeschwertheit sind weg. Irgendetwas in ihr ist kaputt gegangen. Dennoch versetzt sie alle Energie darin, den äußeren Schein zu wahren, sich nichts anmerken zu lassen und den Anschein zu erwecken, sie sei eine glückliche, ausgelassene, junge Frau, die den Sommer genießt, ihr Leben genießt und Spaß hat…

„Wo iste Marcella?“, erklingt schrill die Stimme von Gina, als sie an diesem Vormittag das Bistro ihrer Tochter betritt.
„Hinten im Büro“, erwidert Gian-Luca. Ohne weiteren Kommentar rauscht Gina hinter die Theke, an ihm vorbei und nach hinten.
„Aha, hier in diese Kabuff versteckste du dich!“ zetert sie gleich los, während Marcella genervt die Augen verdreht. „Was machste du hier? Dich vor der Welt da draußen verstecken? Warum arbeitest du nicht vorne zusammen mit Gian-Luca?“
„Ich mach die Buchhaltung“, erklärt Marcella, sichtlich bemüht, ruhig zu bleiben.
„Die Buchhaltung, die Buchhaltung!“, plärrt Gina. „Warum nimmst du dafür nicht eine Buchhalter oder wie man sowas nennt? Willste du jetzt deine Leben lang diche einigeln wie eine Eremit? Von eine Schneckenhaus in die nächste kriechen?“
„Mama, was willst du denn?“, fragt Marcella genervt.
„Ich will, dass du deine Leben wieder in die Hand nimmst!“, erklärt Gina bestimmt. „Ich will, dass du dich hier nicht versteckst! Ich will, dass du selbst wieder hinter die Tresen stehst und deine Gäste bedienst. Und vor allem will ich, dass du deine schrecklichen Fehler wieder gut machst und Sebastian zurück holste!!!“
In Marcella zuckt es. „Sebastian und ich… das ist Vergangenheit“, sagt sie bitter.
„Papperlapp!“, zetert Gina weiter. „So eine Unsinn! Von die Vergangenheit du kannste reden, wenn du 93 biste wie Tante Tiziana in Kampanien! In deine Alter, man redet noch von die Zukunfte. Ich will, dass du kämpfst um Sebastian und dich nichte so hängen lässt!“
„Mama, bitte!“
„Nix Mamma bitte!“, zetert Gina weiter. „Soll das jetzte ewig so weitergehen? Willste du wirklich noch enden als alte Jungfer wie Tante Concetta in Umbrien? Madonna, Marcella, eine Dentista!!! Du kannste doch nicht gehen lassen eine Dentista!!! So eine gute Partie du findest doch nie, nie wieder!!!“
„Darum geht’s dir also!“ Marcella blitzt ihre Mutter böse an. „Dass ich es mir mit dem Zahnarzt vermasselt habe. Das ist natürlich ein herberer Verlust, als wenn er jetzt, keine Ahnung,… Bauarbeiter und Kanalreiniger gewesen wäre…“
„Darum geht es doch gar nicht!“, zetert Gina weiter. „Es geht darum, dass du eine gute Mann gefunden hast und für deine Liebe kämpfen musste!“
„Kannst du jetzt bitte endlich damit aufhören, dich in mein Leben einzumischen?“, fährt Marcella ihre Mutter wütend an.
„Nicht so laute“, zischt diese und sieht sich verstohlen um. „Was sollen denn deine Gäste denken?“
„Das ist mir ehrlich gesagt scheißegal!“, brüllt Marcella. „Ich möchte, dass du mich jetzt in Ruhe lässt und verschwindest.“
„Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst, Gina!“ sagt Gian-Luca, der inzwischen ebenfalls in das kleine Büro getreten ist.
Pikiert sieht Gina zwischen den beiden hier und her. „Wenn ihr meint“, sagt sie schließlich trotzig und marschiert hocherhobenen Hauptes hinaus.
„Alles okay?“, erkundigt Gian-Luca sich und Marcella nickt zaghaft. Innerlich fühlt sie sich dabei allerdings so aufgewühlt, dass im Grunde gar nichts okay ist.
Auch für Gina ist nichts okay. Sie ist wütend auf Marcella – darüber, dass sie einen Zahnarzt einfach ziehen lässt. Darüber, dass sie sie so abblockt. Und dann mischt sich auch noch Gian-Luca ein. Was geht den die Beziehung zu ihrer Tochter an – selbst wenn er zehn Mal Micheles Sohn ist…
Gina sucht zunächst ihre andere Tochter auf und klagt Giovanna ihr Leid, doch diese hat mal wieder keine Zeit, scheint nichts von ihr hören zu wollen und serviert sie genauso ruppig ab, wie Marcella es getan hat.
Schließlich entscheidet sich Gina zu einem weiteren Schritt und sucht Sebastian persönlich in der Gemeinschaftspraxis auf, in der er arbeitet. Ihr Auftritt ist gewohnt unsensibel. Bereits an der Anmeldung macht sie einen riesigen Aufstand und verlangt, ihren zukünftigen Schwiegersohn sprechen zu dürfen, auch wenn dieser gerade Patienten habe. Als Sebastian Gina dann zwischen zwei Terminen tatsächlich für ein paar Minuten Gehör schenken will, wirkt er alles andere als erfreut, sie zu sehen. Gina ignoriert diese Tatsache jedoch in gewohnter Manier. Sie klagt lautstark über den schmerzhaften Verlust ihres ersten und einzigen Enkels, klagt dann weiter über ihre missratenen Töchter und vor allem über ihre Älteste, die scheinbar einfach nicht zu begreifen scheint, was gut für sie ist und bekniet Sebastian dann förmlichst, Marcella nicht so einfach aufzugeben… Doch Gina beißt auf Granit: Sebastian zeigt sich genauso unerbittlich wie Marcella und fordert sie auf, nun zu gehen, da er seinen nächsten Patienten behandeln muss.
Derweil bekommt Marcella in ihrem Bistro Besuch von ihrer Schwester. Giovanna berichtet ihr von Ginas heutigem Besuch und beide Schwestern sind sich einig, wie schwer die penetrante Einmischerei ihrer Mutter zu ertragen ist.
„Sie ist einfach nur schrecklich!“, befindet Giovanna.
„Ist sie immer schon gewesen“, pflichtet Marcella ihr bei. „Sie ist ihre eigene Sonne. Alles dreht sich nur um sie. Es geht ihr doch gar nicht um mich. Oder um Sebastian. Es geht ihr darum, dass sie jetzt keinen Zahnarzt zum Schwiegersohn bekommt, mit dem sie sich schmücken kann.“
„Ach, scheiß’ auf Gina!“ sagt Giovanna. „Wie geht’s dir denn eigentlich?“
Marcella zuckt nachdenklich die Schultern. „Weiß nicht“, murmelt sie.
Giovanna denkt einen Moment nach, dann sagt sie entschlossen: „Weißt du was? Du brauchst mal einen Tapetenwechsel!“
„Tapetenwechsel? Soll ich jetzt umziehen, oder was?“
„Nee! Aber Urlaub machen!“, beschließt Giovanna.
„Ich weiß nicht…“, brummelt Marcella.
„Aber ich!“ Giovanna scheint plötzlich Feuer und Flamme. „Ich organisiere uns ein Auto und dann fahren wir zusammen weg! Nacht Italien! Papa besuchen! Oder meinetwegen auch woanders hin. An die Adria. Oder in die Toskana. Von mir aus auch runter bis nach Sizilien. Hauptsache weg hier, Hauptasche Italien! Nur du und ich! Ich hatte dieses Jahr noch gar keinen Urlaub. Und Gian-Luca kommt hier auch ein oder zwei Wochen ohne dich zurecht! Der macht das schon!“
Einige Sekunden lang zögert Marcella noch, doch dann lässt sie sich von der Begeisterung ihrer Schwester mitreißen. „Also schön“, lacht sie. Wenn du unbedingt willst!
„Also abgemacht?“ vergewissert Giovanna sich nochmal. „Ich besorge uns einen fahrbaren Untersatz und dann ab Richtung Süden?“
„Ja, ja, abgemacht!“, erwidert Marcella lachend.
„Ja, nicht, dass du es dir im letzten Moment noch anders überlegst!“
„Mach ich nicht!“, verspricht Marcella. „Ich freu mich drauf! Ehrlich!“
„Das wird schön!“, freut sich Giovanna und verabschiedet sich. Und tatsächlich hat auch Marcella plötzlich ein so optimistisches Gefühl wie schon lange nicht mehr – und freut sich auf den bevorstehenden Urlaub mit ihrer Schwester. Giovanna hat vermutlich recht: Sie muss hier mal raus! Und vermutlich wird es wirklich schön…!

Als Romy gerade die Wohnung verlassen will, steht Ludde vor der Tür.
„Hey!“ begrüßt er sie.
„Oh“, entfährt es ihr überrascht. „Was willst du denn schon so früh hier?“
„Nachsehen, wie es dir geht“, antwortet er. „Man hört und sieht ja seit Tagen nichts mehr von dir!“
„Ich hatte… zu tun“, erklärt Romy ausweichend.
„Zu tun?“, fragt Ludde. „Was denn?“
„Dies… und das?“ Romy wird rot. „Ach, Scheiße, Ludde, ich… ich hab einfach keinen Bock auf…“
„Auf was?“, fragt er und seine Stimme wird um eine Nuance gereizter. „Auf mich?“
„Auf diesen Scheiß“, erwidert Romy. „Auf diese… Ausbrüche. Ey, Mensch, was war das letzte Woche. Du hättest Mika fast ersäuft!“
„Ja, leider nur fast“, knurrt Ludde.
„Wie bitte?“
„Ey, der Arsch hat mich provoziert!“
„Ja, da muss man aber doch nicht gleich so ausrasten!!!“
„Mein Gott, es tut mir leid“, verteidigt sich Ludde.
„Überleg dir sowas halt vorher, ich hab da echt keinen Bock drauf, dass du wegen jeder Kleinigkeit so austickst!“ Sowohl Romys Wort wie auch ihr Blick lassen keinen Zweifel zu.
„Na, dann kann ich ja gehen“, erwidert Ludde, dreht sich auf dem Absatz um und verschwindet.
Romy starrt ihm von der Wohnungstür aus hinterher, bis er durch die Haustüre verschwunden ist. Im nächsten Moment ertönt hinter ihr ein Klatschen. Als Romy sich umdreht, steht Mika, nur in Unterhose bekleidet, in der Tür seines Zimmers und applaudiert ihr.
„Bravo!“ sagt er. „Endlich hast du begriffen, dass der Idiot nix für dich ist!“
Romy betrachtet ihren Mitbewohner abschätzend von Kopf bis Fuß. „Bist du aus dem Bett gefallen?“, fragt sie. „Du stehst doch sonst nie vor Mittag auf!“
„Paul ist schon arbeiten“, erklärt Mika. „Mein Bett ist einsam, kalt und leer. Willst du mir nicht ein bisschen Gesellschaft leisten?“
„Vergiss es!“, zischt Romy, wirft ihm einen letzten wütenden Blick zu und verschwindet in ihr Zimmer. Sie ist genervt davon, dass Mika ständig an ihr rumgräbt, obwohl er mit Paul zusammen ist. Sie ist genervt von seiner Eifersucht auf Ludde, den er bei jeder Gelegenheit provozieren muss. Aber sie ist auch genervt von Ludde. Sie mag ihn. Und sie ist ihm immer noch dankbar für das, was er im Hotel für sie getan hat. Aber sie kann einfach nicht mit diesen ständigen Ausrastern umgehen. Damit, dass er immer gleich an die Decke geht und völlig die Kontrolle über seine Beherrschung verliert. Manchmal denkt sie darüber nach, ob es nicht besser wäre, aus der WG auszuziehen und sich etwas anderes zu suchen…
Paul ahnt derweil nichts von alledem, weder von Romys Missstimmung noch davon, dass sein Freund bereits seit längerer Zeit ein doch sehr deutliches Interesse an der Mitbewohnerin entwickelt. Er ist im Augenblick einfach nur zufrieden, denn nach seiner bestandenen Abschlussprüfung zum Einzelhandelskaufmann kann er heute zum Ende seiner Schicht endlich bei Supermarktleiter Christopher Fröhlich seinen neuen Vertrag unterschreiben: Vom Auszubildenden zum unbefristeten Festvertrag!
Pauls gute Laune schwindet jedoch, als er nach Feierabend zu dem Geldautomaten schlendert, der sich seit einiger Zeit an der Häuserfassade zwischen Friseur-Salon und Astor-Kino befindet – und kein Geld abheben kann. Paul wird die Information angezeigt, dass er für diesen Monat seinen Dispo überzogen hat. What the fuck?!? Wie zum Teufel konnte das nun wieder geschehen? Und der Monat hat doch noch 11 Tage – das neue Gehalt wird vermutlich erst in gut einer Woche auf seinem Konto sein. Paul glaubt, dass es sich um ein Missverständnis handeln muss. Er eilt nach Hause, um seine Bankbewegungen zu überprüfen. Als er sein WG-Zimmer betritt, räkelt sich Mika im Bett und gähnt herzhaft.
„Liegst du immer noch im Bett?“, fragt Paul ungläubig.
„Was machst du denn schon hier?“ knurrt Mika verwundert und zündet sich den halb gerauchten Joint an, der auf einer Untertasse neben dem Bett liegt.
„Es ist Nachmittag, ich hab Feierabend!“ Paul ist ein wenig missgelaunt. Ständig diese Kifferei in ihrem Zimmer. Und dann die Tatsache, dass Mika so ziellos in den Tag hineinlebt, dass er teilweise jedes Zeitgefühl vergisst. Aber als Mika aus dem Bett springt und ihn umarmt und küsst, ist Pauls Zorn bereits genauso verflogen wie der Rauch von Mikas Joint.
„Was machen wir denn jetzt Schönes?“, erkundigt sich Mika.
„Ich muss erstmal was checken“, erklärt Paul und scrollt sich durch die Homebanking-Seite.
Er überfliegt mehrfach die ihm angezeigten Vorgänge – und verliert die Fassung. „Was ist das denn hier alles für eine Scheiße?“, flucht er. „Ich kenne diese Läden nicht mal.“
„Ooops“, macht Mika, der seinem Freund über die Schulter blickt.
„Hast du das hier etwa alles bestellt?“, fragt Paul ungläubig.
„Mmmm“, murrt Mika und sucht nach seinen Papers und dem Beutel mit dem Gras, um sich einen neuen Joint zu drehen.
„Was ist das denn alles???“ Paul kann es nicht fassen.
„Klamotten, Bücher, Platten, Elektroartikel…“, zählt Mika gemütlich auf.
„Für mehr als 500 Euro?“, fragt Paul erregt.
„Hab da wohl nicht so ganz auf die Preise geachtet“, murmelt Mika kleinlaut.
„Du kannst doch nicht einfach allen möglichen Scheiß bestellen und dann meine Daten für den Bankeinzug anbieten“, schimpft Paul.
„Aber bei meinen Bankdaten gibt’s nicht viel zum Abbuchen“, meint Mika. „Du verdienst doch jetzt gut, so nach Ende der Ausbildung.“
„Mein erstes richtiges Gehalt kriege ich erst Ende August“, erklärt Paul gereizt. „Und selbst dann… Ich bin Einzelhandelskaufmann in einem Supermarkt, nicht Bänker oder Rechtsanwalt so so etwas in der Art!“
„Mmmmh“, meint Mika nur und zündet sich den Joint an. „Sorry!“
„Das muss aufhören!“ bestimmt Paul. „Keine solchen Alleingänge mehr. Du musst vorher mit mir darüber sprechen, wenn du was auf meinem Namen bestellst!“
„Versprochen“, erwidert Mika und küsst Paul so leidenschaftlich, dass der augenblicklich wieder milde gestimmt ist.
Als die beiden kurze Zeit später das Haus verlassen, um gemeinsam in die Stadt zu gehen, kommt ihnen – energischen Schrittes – Lisa entgegen.
„Stimmt was nicht?“, erkundigt sich Paul. „Du siehst ein bisschen… erregt aus.“
Mika bricht in prustendes Gelächter aus. „Erregt, aber nicht im positiven Sinne“, gackert er.
Lisa blickt ihm böse in die Augen. „Bist du wieder bekifft?“, zischt sie. Und dann an Paul gewandt: „Ich muss zu Murat rüber. Der hat sich mal wieder einlullen lassen, der Vollidiot!“
Lisa marschiert weiter in Richtung Imbiss. Paul und Mika verwerfen kurzerhand ihre ursprünglichen Pläne und folgen ihr.
Vor dem Hauseingang zwischen Döner-Bude und Pizzeria steht ein Kastenwagen mit der Aufschrift »Südländische Spezialitäten Kastanienstraße« und darunter die Telefonnummern vom Döner-Imbiss und von der Pizzeria. Auf dem Bürgersteig vor dem Imbiss stehen Murat, Claudio und Enzo und betrachten das Gefährt.
„Na, Baby, was sagst du?“, fragt Murat mit zufriedenem Gesichtsausdruck.
„Was soll das?“, fragt Lisa giftig.
„Das ist unser neues Lieferfahrzeug“, sagt Murat und guckt sie treu-doof an.
„Das habe ich schon verstanden“, zetert Lisa. „Das hast du mir schließlich schon am Telefon erzählt.“ Dann wendet sie sich an Claudio und Enzo: „Ihr hattet doch ein Pizza-Taxi! Was ist denn damit?“
„Iste kaputt!“ erklärt Claudio knapp.
„Die alte Schleuder habe ich damals ganz günstig von einem alten Kumpel geschossen, als wir eröffnet haben“, erklärt Enzo. „Aber die war nun echt auf, da war nix mehr zu machen.“
„Und was hat dieses Ding hier gekostet?“, fragt Lisa mit Blick auf das neue Gefährt. Ohne eine Antwort abzuwarten, fährt sie Murat an: „Und warum musstest du dich überhaupt daran beteiligen? Du weißt doch, dass wir sparen müssen!“
„Aber wir benutzen das Auto doch auch für unsere Auslieferungen“, erklärt Murat. „Das ist nun unser gemeinsames Lieferfahrzeug.“
Lisa zeigt sich jedoch unzufrieden und zetert weiter. Murats Argumentation, dass mittlerweile viele Kunden telefonisch nach Hause bestellen, zieht nicht wirklich – Lisa ist der Meinung, dass man das auch mit dem Fahrrad ausliefern könnte.
„Aber dann wird doch alles kalt“, wirft Enzo ein.
„Hab ich dich gefragt?!“, giftet Lisa ihn an und Enzo hebt beschwichtigend die Hände. „Das ist eine Diskussion zwischen meinem Mann und mir. Wenn ihr für eure Lieferungen ein Auto braucht, ist das eure Sache, aber für unsere Lieferungen reicht ein Fahrrad.“
„Ich finde es nur richtig, dass Murat sich an dem neuen Auto beteiligt hat“, wirft Paul ein. „Er hat das alte von Enzo und Claudio ja schließlich auch mitbenutzt!“
Lisa bleibt jedoch unerbittlich und lässt ihrem Frust freien Lauf. Und obwohl Murat ihr vehement versichert, dass die Investition in den Wagen sich rechnen wird, reitet Lisa weiterhin darauf herum, dass er dies vorher mit ihr hätte besprechen müssen, statt einfach über ihren Kopf hinweg eine solche Entscheidung zu treffen.
„Die kriegt sich auch wieder ein“, versichert Murat Claudio und Enzo, nachdem Lisa von dannen gezogen ist.
„Sag mal, können wir uns den Wagen nicht mal ausleihen?“, möchte Mika von Murat wissen, als er und Paul kurze Zeit später in seinem Imbiss einen Döner essen.
„Ausleihen?“, fragt Murat irritiert.
„Ja, für eine kleine Spritztour ins Grüne, mal am Wochenende oder so“, antwortet Mika. „Paul hat ja endlich den Führerschein, aber wir haben gar keine Gelegenheit, mal wohin zu fahren.“
„Na, dann müsst ihr euch ein Car-Sharing-Auto nehmen“, sagt Murat.
„Aber damit darf man ja die Stadtgrenze nicht verlassen“, wendet Mika ein.
„Dann kann ich euch auch nicht helfen“, wehrt Murat ab. „Das Auto ist für unsere Essensauslieferungen, das kann ich euch nicht für irgendwelche Ausflüge zur Verfügung stellen!“
Mika ist mit dieser Antwort jedoch nicht sonderlich zufrieden. Als er und Paul später den Imbiss verlassen, sagt er zu seinem Freund: „Schatz! Warum haben wir eigentlich noch kein Auto?“
„Wovon willst du das denn noch bezahlen?“, fragt Paul genervt. „Du wirfst doch eh schon immer mein ganzes Geld mit vollen Händen zum Fenster raus!“
„Na, ich meine ja nur… Ist doch voll blöd. Das hast du einen Führerschein und wir haben irgendwie nix davon, so ohne Auto…“
Während Mika der Gedanke an ein eigenes Auto, mit dem Paul ihn dann überall hinfahren kann, zunehmend gefällt, taucht Romy bei Ludde in der Villa auf, um sich mit ihm auszusprechen – und zu versöhnen.
„Ich weiß ja, dass ich drüber war“, gibt Ludde zu. „Aber dieser Mika… Der reizt mich einfach bis aufs Blut. Wenn ich diese dämliche Hackfresse von dem nur schon sehe…“
„Mich nervt er ja auch“, sagt Romy.
„Im Ernst?“
„Ja. Er ist halt… nicht ehrlich. Er nutzt Paul aus und…“ Romy überlegt kurz, ob sie Ludde davon erzählen soll, dass Mika sie ständig hinter Pauls Rücken angräbt, behält es dann aber lieber für sich, um Luddes Frust auf Mika nicht noch zu schüren. „Ach, er ist einfach ein blöder Pisser! Ich denke echt immer öfter darüber nach, mir ein anderes Zimmer zu suchen. Nicht wegen Paul. Ganz sicher nicht. Aber wegen Mika.“
„Und wie wäre es, wenn du bei mir einziehst?“, schlägt Ludde unvermittelt vor.
„Wie jetzt?“ fragt Romy überrumpelt.
„In meinem Zimmer finden wir noch ein Eckchen für dich“, meint Ludde. „Und Jack und Ben haben bestimmt nichts dagegen. Na, was sagste?“
Romy wird es binnen Sekundenbruchteilen heiß und kalt. Sie mag Ludde ja … Aber gleich mit ihm zusammenziehen? Das geht ihr nun definitiv zu schnell. Aber kann sie das Ludde einfach so sagen, ohne dass er das direkt wieder irgendwie vollkommen persönlich nimmt und womöglich den nächsten Wutausbruch bekommt…?

CLIFFHANGER auf: Romy Brinkmann

Mitwirkende Personen
Romy Brinkmann
Ludde Mayer
Mika Arlen
Paul Dagdelen
Lisa Dagdelen
Murat Dagdelen
Enzo Buchstab
Claudio Russo
Marcella Varese
Giovanna Varese
Gian-Luca Conti
Dr. Sebastian Ritter
Popo Wolfson
Helga Beimer
Anna Ziegler
Andy Zenker
Gabi Zenker
Gina Conti
Christopher Fröhlich

© ´popo wolfson` 2023

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: So 23. Jul 2023, 13:50 


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BeitragVerfasst: So 23. Jul 2023, 14:53 
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Registriert: Mi 29. Sep 2010, 00:11
Beiträge: 11591
Habe gerade wieder in aller Gemütlichkeit mit Eiskaffee in der Hand, Deine Folge gelesen.
Für einen Moment dachte ich, es kommt zum Showdown betreffend Lisa, indem sie Murat und Andrea, im Beisein von Paul, Mika, Onkel Claudio und Enzo inflagranti erwischt. Aber dann fiel mir ja ein, dass sich Murat und Andrea nicht mehr im Imbiss treffen.
Das hat auch was, wenn die geheime Affäre der Beiden sich noch über Jahre hinzieht.

Dass Romy vor Ludde Angst hat, erstaunt mich etwas. Ok, er hat letzte Woche Mika fast ersäuft. Irgendwie hatte ich das schon wieder verdrängt. Aber ist Romy der Typ Mensch, der keine klare Linie zieht? Wir kennen Romy noch gar nicht so richtig, merke ich.
Stattdessen habe ich die Story um Popo viel klarer im Gedächtnis. Bin gespannt, wie es hier weitergeht. Sie steuert da ziemlich auf einen Abgrund zu.

Dass Sebastian noch nicht so ganz verschwunden ist, finde ich auch gut. Mal sehen, ob da noch was kommt. Andererseits ist da zu viel passiert, dass er und Marcella nochmal zusammenkommen.

Freue mich auf die nächste Folge!


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