Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1884 - Sommer in der Stadt
BeitragVerfasst: So 9. Jul 2023, 08:06 
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Folge 1884: Sommer in der Stadt

Spieltag: Donnerstag, 06.07.2023

„Üffüüüü!“ schreit Roland ganz aufgeregt und stürmt in die Wohnung.
„Mein Gott, wo warst du denn so lange?“, fragt Iffi gereizt. „Du musstest doch nur ins Bayer runter oder hast du die Brötchen draußen in Starnberg geholt?“
„Och, jötzt hob üsch de Brötschen vergessen“, stellt Roland zerknirscht fest.
„Bitte?“ entfährt es Iffi empört. „Dafür bist du doch überhaupt runter…“
Während Antonia genervt Brotscheiben in den Toaster steckt, da es heute ansonsten ja scheinbar nichts mehr wird mit Frühstück, erklärt Roland: „Nojo, da is mür wohl wos dazwischen gekommen…“
„Wie, dazwischen gekommen?“, fragt Iffi. „Was kommt einem denn beim Bäcker dazwischen?“
„Nojo, de Schlange woar holt zümlüsch lang“, berichtet Roland. „Und mitten inne Schlange, da steht de Simöne Stadler, de blöde Kuh. Und davor steht de Frau Schildknecht. Und da erzählt de Simöne der Schildknecht, dass dör Sökrates gekündigt hat!“
„Der wer?“ fragt Iffi.
„Na, der Koch vom Vasily“, erwidert Roland. „Hals über Kopf, von eenem Tach zum nöschsten, einfach weg. Hat wohl was Bösseres gefunden.“
„Und was hat das mit unseren Brötchen zu tun?“ mischt sich nun auch Antonia ein.
„Nojo, der Vasily sücht jötzt natürlüsch händerengind eenen neuen Koch, is doch klar“, sagt Roland. „Und do kömm dann üsch ins Spiel. Üsch wörde müsch ühm heute noch anbieten. Und dann bün üsch zurück im Akropolis und kann öndlüsch diesen beschissenen Kantinen-Job uffgeben!“
„Du glaubst aber nicht ernsthaft, dass das mit Vasily und dir nochmal funktionieren könnte!?!“, hinterfragt Iffi kritisch. „Nach allem, was zwischen euch vorgefallen ist…!“
„Dös is enne Notlage“, entgegnet Roland. „Dör Vasily braucht müsch jötzt, da kanner nüsch wählerisch sein. Aber jötzt hol üsch örst mal de Brötschen!“
Nach dem Frühstück begibt sich Roland tatsächlich zuversichtlich zum Akropolis. Noch hat das Lokal geschlossen, aber die Seitentüre zum Biergarten steht sperrangelweit offen und so marschiert Roland einfach rein, ruft einmal laut „Vasily“ durch den Gang und steuert dann geradewegs die Küche an. Dort trifft er auf eine dunkelhäutige junge Frau, die erschrocken zurückweicht…
„Oh, äh, entschüldigense“, sagt er überrascht. „Üsch such dön Vasily.“
„Chef nicht da“, erklärt die junge Frau. „Musste nochmal kurz weg.“
„Ünd wö sünd Sü?“ fragt Roland misstrauisch.
„Lemlem“, antwortet die Angesprochene.
„Wü bütte?“ entfährt es Roland.
„Ich Lemlem“, erklärt die Frau.
„Löm… wos? Und… was tün Sü hür?“
„Ich hier arbeiten“, erklärt Lemlem.
„Arbeiten? Sü…. sünd aber nüsch de neue… Köschin?“
„Oh! Nein! Nicht Köchin. Ich Küchenhilfe hier“, erwidert Lemlem.
„Ach“, staunt Roland. „Ünd seit wann arbeiten Se hür schon?“
„Seit letzter Monat“, erwidert Lemlem.
„Ünd dann lösst der Vasily Sü hür einfach schon alleene? Na, der hat Nerven. Wo kommen Se denn her?“ Roland wirkt der jungen Frau gegenüber zunehmend misstrauisch.
„Flüchtlingsunterkunft in Birkenweg“ antwortet Lemlem.
„Nöö, üsch meene ursprünglüsch!“
„Ursprünglüsch?“ fragt Lemlem verwirrt.
„Aus wölschöm Land kommen Se denn?“ hakt Roland nach.
„Eritrea!“
„Sö sö… Und… wann kommt denn der Vasily wieder?“
„Ich nicht weißen genau“, sagt Lemlem. „Gleich irgendwann…“
„Ökay, dann kömm üsch später nochmal wüder!“ An der Tür dreht Roland sich nochmal misstrauisch zu der jungen Frau um, die wieder in der Küche zu hantieren beginnt, dann eilt er zurück nach Hause…
„Stöll dür vor“, berichtet er Iffi, die gerade im Home Office arbeitet, „da kömm üsch doa ün dü Küsche und da steht da plötzlich diese Negerin vor mir!“
„Sag das nicht!“, faucht Iffi leise. „Negerin ist politisch nicht korrekt. Wenn Toni das mitbekommt, dann sagt sie nachher nur wieder, dass du ein Nazi bist…“
„Jödenfalls stöht da diese schwarze Frau“, spricht Roland weiter. „Hat müsch was zu Töde erschröckt. Een Flüchtling aus Eri… dings… Eritrea. Arbeitet grad ma seit ´n paar Wochen da und der Vasily lässt es eenfach alleene. Stöll dür des mal vor. Ein Gottvertrauen hat der Mensch! Die könnt’ doch ihre Flüchtlingskumpanen aus’m Ayslantenheim herbei pfeifen und denn räumen se döm ma eben kömplett den Laden aus! Jödönfalls hab üsch schon gedacht, dü wöre jetzt de neue Köchin. Aber Küchenhilfe isse nur. Und stell dir vor: Die heest Lömmschönn.“
„Wie?“ fragt Iffi.
„Lömmschönn!“ wiederholt Roland. „So, wie ´n Lömmschönn.“
„Wie ein was?“ Iffi versteht mal wieder nur Bahnhof.
„Na, wie ein Lömmschönn!“
„Was ist ein… Lömmschönn?“ fragt Iffi.
„Na, ein Lömmschönn, Iffi, ein kleenes Schaf!“
„Ach, du meinst ein Lämmchen!“, freut Iffi sich darüber, Rolands Dialekt endlich übersetzt zu haben.
„Na, saach üsch doch die ganze Zeit, ´n Lömmschönn!“
„Und die heißt wirklich Lämmchen?“ wundert sich Iffi. „Bist du sicher, dass du da nicht irgendwas falsch verstanden hast?“
„Nee, die heest Lömmschönn“, beharrt Roland, „so wahr üsch hür vor die stöhe. Üsch hab doch nüschts annen Öhren!!!“
„Seltsam“, murmelt Iffi.
„Jooo“, sagt auch Roland.
Eine Weile später schlägt er erneut im Akropolis auf. Im Gastraum trifft er auf Simone, die ihm erklärt, dass Vasily in der Küche ist. Dort findet Roland ein ziemliches Chaos vor, denn Vasily ist nun mal kein professioneller Koch und Lemlem als Küchenhilfe eher eine Handlangerin.
„Hür kommt deene Rettung!“, ruft Roland fröhlich aus und beginnt sogleich, in irgendwelchen Töpfen zu rühren. „Vor dür stöht deen neuer alter Koch. Naaa, was saachste?“
Für einen Moment starren Vasily und Lemlem ihn irritiert an, doch dann bricht nahezu ein Gewitter aus dem griechischen Gastronomen hervor. „Was bildest du dir eigentlich ein?,“ poltert er los. „Wie kann man nur so arrogant und überhebliche sein, wie du?“ Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich je wieder für mich arbeiten lasse…!?!“
Zwischen Roland und Vasily entspinnt sich eine heftige Debatte, die damit endet, dass Vasily Roland zur Seitentür in den Biergarten hinaus bugsiert.
„Wör von üns üst hür arrögant und überhöblüsch!“, schimpft Roland. „Als ob dü’s dür leisten könntest, wählerüsch zü sein. Föhiges Persönal lüüscht ja nüsch grad uffe Straße! Aber bitte, dann geh doch vor de Hunde! Wör nüsch wüll. Der hat schon…!“
In diesem Moment erblickt Vasily auf der gegenüberliegenden Straßenseite Fabian, der mit seinem Fahrrad vor dem Haus in der Kastanienstraße hält und den Eingang betritt. Ein breites Grinsen macht sich auf dem Gesicht des Griechen breit und er sagt triumphierend: „Mach dir um mich nur keine Sorgen! Ich hab schon einen neuen Koch!“
Eine Weile später klingelt Vasily an der Tür von Fabians Dachgeschosswohnung und unterbreitet ihm ein Jobangebot.
„Meinst du das wirklich ernst?“ fragt Fabian ungläubig.
„Natürlich“, erwidert Vasily. „Du hast doch damals schon bewiesen, was du drauf hast und dass du zuverlässig und ehrgeizig bist.“
„Aus meinem Job am Schnellimbiss komme ich problemlos raus“, versichert Fabian. „Die bezahlen mich unter Mindestlohn und ich habe nicht mal einen richtigen Arbeitsvertrag.“
„Na, prima“, sagt Vasily. „Dann Willkommen im Akropolis.“
Fabian kann sein Glück kaum fassen: Nun wohnt er nicht nur in unmittelbarer Nachbarschaft von Sarah und ihrer aktuellen Arbeitsstelle, nun arbeitet er auch selbst dort. Nun ist er quasi Tag und Nacht in Sarahs Nähe. Langsam tritt er an sein Dachfenster und wirft einen zufriedenen Blick hinüber zur Lindenstraße 3…
Roland tobt inzwischen durch seine Wohnung wie ein wild gewordenes Rumpelstilzchen und regt sich lautstark über den undankbaren Griechen auf. Während Antonia sich genervt in ihr Zimmer verzieht und Nina beschließt, Ida in die Badewanne zu stecken, versuchen Iffi und Valerie wie zwei Glucken, beruhigend auf den aufgewühlten Roland einzuwirken – leider ohne das gewünschte Ergebnis dabei zu erzielen...

„Ich fahre heute zurück nach Italien.“
Paolo besucht an diesem Morgen seine Tochter Marcella in ihrer Wohnung.
„Ich war schon viel zu lange nicht mehr zuhause, es wird höchste Zeit.“
„Schade“, erwidert Marcella. „Aber ich kann es verstehen. Du hast halt dein Leben da und ich hab meines hier.“
Paolo sieht seine Tochter lange nachdenklich an.
„Ist das denn so?“ fragt er. „Bist du glücklich hier?“
„Natürlich“, antwortet Marcella. „Ich hab hier meinen Laden, meine Wohnung, meine Freunde…“
„Freunde sieht man hier in letzter Zeit nicht allzu viele“, sagt Paolo bitter.
„Und in deinem Laden du agierst doch im Hintergrund.“
Marcella muss ihm insgeheim Recht geben. Gian-Luca schmeißt im Grunde den Laden, Marcella erledigt nur noch die Buchhaltung und den Bürokram.
„Das wird auch wieder anders werden“, entgegnet sie.
„Und Sebastiano?“ fragt Paolo. „Hat sich heute früh wieder still und ohne Abschied in die Praxis aufgemacht? Oder war er heute Nacht gar nicht hier?“
„Er war hier“, erwidert Marcella. „Er ist erst spät nach Hause gekommen und heute Morgen früh wieder los.“
„Und dann liegt ihr nebeneinander in die Bett, redet nicht miteinander, berührt euch nicht…“, mutmaßt Paolo traurig. „Marcellina, was ist denn das für eine Beziehung? Was ist denn das für eine Leben? Soll das jetzt für immer und alle Zeiten so weitergehen?“
„Ich weiß es doch auch nicht“, entgegnet Marcella und fällt ihrem Vater weinend in die Arme.
„Hast du nicht mal überlegt ... ob du nicht mitkommen willst?“, fragt Paolo vorsichtig. „Eine neue Leben. Bei mir in Italia.“
Marcella scheint tatsächlich für einen kurzen Moment über seine Worte nachzudenken. Doch dann sagt sie bestimmt: „Nein! Ich geh hier nicht weg! Ich gehöre hier hin! Auch wenn hier gerade alles Scheiße läuft!“
Als Marcella sich auf den Weg zu ihrem Bistro macht, sagt Paolo: „Ich werde hier noch ein bisschen aufräumen und dann werde ich mich hinlegen und versuchen zu schlafen. Heute Abend mache ich mich auf die Heimfahrt. Ich möchte die Kühle der Nacht ausnutzen. Bei der Hitze muss man tagsüber wirklich nicht über den Brenner.“
„Dann sehen wir uns ja wenigstens noch, bevor du fährst“, erwidert Marcella lächelnd.
„Vielleicht können wir heute Abend vorher noch kurz auf die Friedhof gehen zu Matteo?“, schlägt Paolo zaghaft vor. Als sie schweigt, fügt er hinzu: „Du biste noch keine einzige Mal an seine Grab gewesen…“
„Bis heute Abend!“, sagt Marcella und zieht schnell die Tür hinter sich ins Schloss…
Als Marcella später in ihrem kleinen Büro sitzt und am Dienstplan für den nächsten Monat bastelt, betritt Gian-Luca den Raum. Zunächst druckst er ein wenig unschlüssig herum, doch dann erzählt er Marcella von einem Vorschlag, den er ihr im Auftrag seines Vaters unterbreiten soll. Michele bietet ihr neben dem teuren Wein, den sie ja nun schon bereits seit längerer Zeit im Marcellas vertreibt, nun auch noch ein hochwertiges italienisches Olivenöl an und hält ihr auch sogleich eine Flasche unter die Nase.
„Riecht gut“, sagt Marcella, nachdem sie den Verschluss abgeschraubt hat. „Aber ich weiß ja nicht, ob das wirklich so geeignet ist für unsere Salate und Snacks.“ Sie betrachtet noch einmal das Etikett. „Wenn wir das edle Zeugs verwenden, müssen wir die Preise für alles, was wir damit aufpeppen wahrscheinlich gleich verfünffachen. Mindestens…“
„Mein Vater hat vorgeschlagen, dass wir das Öl hier im Laden direkt zum Verkauf anbieten sollten“, erklärt Gian-Luca.
„Wir sind doch kein Lebensmittelmarkt“, erwidert Marcella stirnrunzelnd.
„Er meint, wenn die Leute das Öl in ihrem Salat-Dressing oder sonst wo schmecken, dann werden sie Interesse haben und der ein oder andere wird hinterher sicher eine Flasche davon mitnehmen wollen“, entgegnet Gian-Luca.
„Aha! Also erst anfüttern und ihnen das Zeug dann aufschwatzen“, meint Marcella schmunzelnd. „Aber ich weiß ja nicht so recht. So ein edles, teures Öl. Das ist ja schon Feinkost. Ich glaube kaum, dass unsere gängige Kundschaft dafür Geld ausgibt.“
„Das hast du bei dem Wein auch gedacht“, erinnert Gian-Luca sie.
„Na gut, vom Wein trinkt der ein oder andere hier mal ein Glas“, gibt Marcella ihm recht. „Aber das macht den Braten nicht wirklich fett. Das meiste davon geht doch an diese Bonzen raus, die hier ab und an aufschlagen, sich nicht ins Lokal setzen, sondern einfach gleich eine ganze Kiste davon kaufen und wieder verschwinden. Du kannst mir erzählen, was du willst, aber diese Leute schickt uns doch dein Vater vorbei. Früher sind die nie hier gewesen.“
„Nun ja, es spricht sich halt rum, dass wir so einen guten Tropfen anbieten“, erwidert Gian-Luca.
„Wahrscheinlich will Michele mir eher einen Gefallen tun“, sagt Marcella. „Von Anfang an… Dass er mir den Vorschlag mit dem Wein überhaupt gemacht hat, war doch nur eine Art Freundschaftsdienst. Das hier ist doch eigentlich gar nicht der Laden für sowas…“
„Dann will er dir mit dem Olivenöl halt noch einen Gefallen tun. Ich finde, du solltest das gar nicht groß hinterfragen, sondern das Angebot einfach annehmen“, schlägt Gian-Luca vor. „Schaden wird es dem Geschäft bestimmt nicht. Und wenn wir merken, dass es gar nicht läuft, dann nehmen wir das Öl halt wieder raus. Aber einen Versuch ist es wert.“
„Eigentlich hast du recht“, findet nun auch Marcella. „Sag deinem Vater, dass ich einverstanden bin.“
Der Arbeitstag verstreicht und Marcella beschließt, heute früher Feierabend zu machen, um sich noch angemessen von ihrem Vater verabschieden zu können. Als sie nach Hause kommt, ist auch Giovanna da, die Paolo ebenfalls noch auf Wiedersehen sagen möchte.
„Bevor es losgeht in Richtung Italia, fahre ich noch kurz am Friedhof vorbei“, erklärt Paolo. „Ich möchte mich noch von Matteo verabschieden. Bist du sicher, dass du nicht doch mitkommen willst, Marcella?“
Diese zögert, schüttelt dann aber den Kopf. Nachdem Paolo seine Töchter noch ein letztes Mal fest an sich gedrückt hat, fährt er schließlich los und verlässt hupend die Lindenstraße…
„Bist du tatsächlich noch nie an Matteos Grab gewesen?“, möchte Giovanna von ihrer Schwester wissen.
„Nein“, antwortet diese knapp. „Und nun mach du mir nicht auch noch Vorwürfe!“
„Tu ich doch gar nicht“, erwidert Giovanna empört…
Kurze Zeit nachdem auch diese sich verabschiedet hat, kehrt Sebastian nach Hause zurück.
„Ich soll dir noch einen lieben Gruß von meinem Vater bestellen“, sagt Marcella und Sebastian nickt knapp. Die Stille zwischen den beiden ist mal wieder extrem unangenehm. Und nun ist nicht einmal mehr Paolo da, der etwas dagegen unternimmt.
„Ich schlaf dann jetzt nachts auf der Couch, wo Papa die nicht mehr braucht“, erklärt Marcella. „Ab heute Nacht hast du das Bett für dich alleine.“
„Du kannst das Bett behalten“, erwidert Sebastian.
„Nein, ich will nicht, dass du auf dem Sofa schläfst“, protestiert Marcella. „Du bekommst das Bett!“
Sebastian atmet tief durch, dann sagt er: „Marcella, ich ziehe aus!“
Marcella starrt ihn mit offenem Mund an.
„Ich komme zunächst bei einem alten Studienfreund unter und was Neues hab ich auch schon in Aussicht“, berichtet er. „Viel Kram hab ich hier ja eh nicht. Meine Möbel und so hab ich ja alle eingelagert, du wolltest ja nie, dass wir uns was Größeres suchen.“
„Aber, aber…“, beginnt Marcella.
„Das hat doch keinen Zweck mehr mit uns“, erwidert Sebastian knapp.
Und tatsächlich beginnt er bereits kurz danach, schweigend seine wenigen Habseligkeiten zu packen, während Marcella ihm ebenfalls schweigend dabei zusieht. Krampfhaft überlegt sie, ob sie was sagen sollte, doch sie weiß nicht was… Kurz fragt sie sich, ob sie einen Versuch unternehmen sollte, um ihn zu kämpfen, doch im Grunde hat er ja recht: Hätte das noch einen Zweck?
Sebastian legt ihr schließlich Haustür- und Wohnungsschlüssel auf die Kommode. Dann stehen sich beide schweigend gegenüber.
„Im Grunde hat sich bei dir immer alles nur um dich selbst gedreht“, sagt er bitter – und geht.
Marcella schnappt empört nach Luft, findet aber weder die Kraft noch die Worte, um irgendetwas zu erwidern. Stattdessen sieht sie einfach nur zu, wie die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss fällt. Dann tritt sie ans Küchenfenster und beobachtet, wie er in sein Auto steigt, ohne sich dabei noch einmal in ihre Richtung umzudrehen.
„Mach’s gut…“, flüstert sie leise, während sie zusieht, wie sein Auto die Lindenstraße hinunter fährt...

Völlig übernächtigt fährt Gung aus einem unruhigen Dämmerschlaf hoch, als Emma und Elias im Flur lautstark über irgendetwas zu streiten beginnen. Es war eine schreckliche Nacht. Nicht nur, dass es, trotz des geöffneten Fensters, unerträglich schwül und stickig in seinem Zimmer war, auch die Mücken haben ihn die ganze Nacht gnadenlos terrorisiert. Und dann ist irgendwann zu später Stunde Ben von einem längeren Afrika-Aufenthalt heimgekehrt und hatte zunächst gefühlt stundenlangen Wiedersehens-Sex mit Jack – und das in einer Lautstärke, als wohnten die beiden alleine hier…
Als in deren Schlafzimmer dann endlich Ruhe eingekehrt war, kam Ludde spät des Nachts nach Hause gepoltert, in Begleitung von dieser Romy aus der Wohngemeinschaft vom Haus Nr. 1 . Die beiden haben sich dann in der Küche offenbar irgendwas zu Essen zubereitet und dies anschließend im Wohnzimmer verzehrt – beides nur geringfügig leiser als der vorangegangene Sex von Jack und Ben… Und nun das Gezanke der Kinder in aller Frühe, die offenbar keiner zur Raison zu bringen gedenkt… Mürrisch erhebt sich Gung aus dem Bett. Die streitenden Kinder im Flur ignorierend, schlurft er in die Küche – und fällt beinahe wieder rückwärts zur Tür hinaus, als ihm das dortige Chaos entgegen schlägt: Schmutzige Töpfe, Pfannen, Schüsseln, Teller, Gläser, Nachttischschalen und Besteck auf der Anrichte, dem Herd, der Spüle und sogar der Fensterbank…! Während Gung noch nach Atem ringt, tapert Ludde von hinten an ihm vorbei in den Raum. Lediglich mit einer Boxershorts bekleidet.
„Moin“, brummt er heiser und blickt sich suchend um. „Noch kein Kaffee fertig?“
Ohne Gungs Antwort abzuwarten, fingert er sich eine Zigarette aus der Schachtel neben dem Herd und zündet sie an.
„Seit wann darf geraucht werden in Wohnung?“, fragt der Vietnamese erbost.
„Ja, sorry, Mann, aber wir haben nun mal keinen Balkon“, verteidigt sich Ludde. „Und für jede Kippe immer gleich nach unten latschen.“
Ludde unternimmt einen kurzen Versuch, das Fenster zu öffnen, sieht von all dem dreckigen Unrat auf der Fensterbank allerdings sofort wieder davon ab. Stattdessen schaltet er die Dunstabzugshaube über dem Herd ein und bläst den Rauch seiner Zigarette in den Abzug.
„Was ist hier passiert?“, fragt Gung gereizt und lässt seinen Blick durch den Raum schweifen.
„Wir haben gekocht“, erklärt Ludde beiläufig. „Romy hatte Bock auf Spaghetti Bolognese. Und danach haben wir noch Eierkuchen gemacht. Aus den ganzen Eiern im Kühlschrank, bevor die noch schlecht werden bei der Wärme…“
Blankes Entsetzen erscheint in Gungs Gesicht und er reißt die Kühlschranktüre auf.
„Daraus ich wollte heute machen einen Eiersalat“, erklärt er bebend.
„Oh“, macht Ludde. „Na, dann musste wohl umdisponieren. Oder nochmal los und neue Eier besorgen.“
Gungs Blick fällt in einen vollkommen angebrannten Topf.
„Was ist das?“ fragt er.
„Wir wollten Pudding kochen“, antwortet Ludde. „Ist ´n bisschen schief gelaufen. Lass einfach alles liegen, ich mach das heute Abend sauber.“
In diesem Moment betritt Jack, nur in Schlüpfer und BH bekleidet, die Küche und ruft fröhlich:“Mooorgeeen! Oh! Gibt’s heute keinen Kaffee?“
Gung lässt seinen Blick kurz zwischen den leicht bekleideten Geschwistern hin und her schweifen und knurrt dann: „Nein!“
„Okay“, erwidert Jack. „Übrigens geht Emma heute nicht in die Schule. Sie hat ein bisschen Fieber. Vielleicht kannst du ein bisschen ein Auge auf sie haben? Aber Ben ist ja auch da. Der wollte nur erst ausschlafen, ist müde vom Flug.“
„Das bin ich auch“, murrt Gung unverständlich vor sich hin – doch keiner nimmt Notiz davon.
Als Jack und Ludde zur Arbeit in die Werkstatt sind, geht Gung erstmal einkaufen. Es braucht schließlich neue Eier für den geplanten Eiersalat. Zurück aus dem Supermarkt, sieht er, dass Emma es sich mit einer Tüte Gummibärchen vor dem Fernseher bequem gemacht und durch die Sender zappt – krank wirkt sie kein bisschen. Gung wirft ihr einen verhaltenen Blick zu. Dann bringt er seine Einkäufe in die Küche und trifft dort auf den in einer knappen Unterhose bekleideten Ben, der gerade Kaffee kocht und dabei das Pulver großzügig zwischen all dem Dreck und Chaos verstreut.
„Morgen!“ sagt Ben fröhlich und stößt dabei mit dem Arm versehentlich eine halbleere Weinflasche auf der Anrichte um, deren Inhalt sich über den Herd verteilt.
„Oops“, macht Ben, während Gung die Zähne zusammenbeißt…
Kurze Zeit später hat Ben es sich mit seinem Kaffee bei Emma vor dem Fernseher bequem gemacht und legt seine nackten Füße auf den Wohnzimmertisch. Gung beobachtet dies missbilligend durch die Wohnzimmertür, schluckt eine entsprechende Bemerkung runter und geht in die Küche. Er nimmt einen Putzlappen und einen Scheuerschwamm in die Hand, betrachtet eingehend das Schlachtfeld – und pfeffert seine Putzutensilien dann wieder wütend zurück. Er will nicht mehr! Er kann nicht mehr! Er hält das nicht mehr aus! Ständig machen alle um ihn herum nur Lärm und Dreck. Die Kinder streiten und lügen, die Erwachsenen rennen ständig halbnackt durch die Wohnung… Keiner nimmt Rücksicht auf ihn, keiner fragt ihn, wie es ihm geht oder wie er sich fühlt. Eigentlich nehmen sie ihn alle kaum zur Kenntnis. Aber sie setzen es wie selbstverständlich voraus, dass die Wohnung geputzt und aufgeräumt wurde, wenn sie nach Hause kommen, dass der Kühlschrank voll ist und das Essen auf dem Tisch steht. Er hat es so satt! Wehmütig denkt er an Dresslers Lebzeiten zurück. Wie schön, wie ruhig, wie sauber sie es immer hatten … damals…
Er schätzt Jack sehr, gerade auch, weil sie dem alten Doktor so nahe stand. Und er liebt ihre Kinder – auch wenn Emma mit zunehmender Pubertät immer verlogener zu werden scheint. Aber mit Ben und Ludde kann Gung nach wie vor nicht allzu viel anfangen. Das sind zwei völlige Chaoten ohne jedwedes Verantwortungsbewusstsein. Und auf all das hat er einfach keine Lust mehr … Gung sollte sich wirklich eine eigene Wohnung suchen. Nur, wo soll er in München was Bezahlbares finden. Außerdem will er auch nicht unbedingt weg aus der Lindenstraße – nur weg aus diesem chaotischen und lauten Haushalt…
Zumindest beschließt er zunächst, heute keinen Finger zu rühren, weder zu putzen, zu kochen, einzukaufen oder aufzuräumen. Sollen sie doch selbst sehen, wie sie den Haushalt gemeistert kriegen – vielleicht merken sie dann wenigstens mal, dass er überhaupt da ist…
Gung versucht den Tag über, ein wenig Schlaf nachzuholen, was nicht so einfach ist, denn die Hitze brütet über der Villa und zudem spielen Ben und die scheinkranke Emma irgendein wahnsinnig lautes Spiel…
Gegen Abend begibt Gung sich in Richtung Akropolis, um den Stammtisch zu besuchen. Die Runde besteht heute neben ihm lediglich aus Andy, Alex, Klaus und Nils. Roland hat nach seinem heutigen Disput mit Vasily keine Lust mehr, das Akropolis an diesem Abend nochmal zu besuchen David hat sich wegen Mandys gesundheitlicher Situation auf unbestimmte Zeit völlig aus dem Stammtisch-Geschehen ausgeklinkt.
Während sich die Gespräche am Tisch um alle möglichen Themen drehen, sitzt Gung zunächst schweigend daneben und starrt in sein Bier.
„Was is’nn los mit dir, Gung?“, fragt Andy irgendwann. „Ist dir ´ne Laus über die Leber gelaufen?“
Und plötzlich sprudelt es aus Gung nur so hervor und er schildert den anderen in allen Einzelheiten seine Unzufriedenheit über seine Wohnsituation und darüber, wie unbefriedigend sein Leben generell verläuft.
„Ich vermisse die Zeit mit Doktor Drääässler!“, sagt er. „Immer nur laut und häktisch ist es jätzt in der Villa! Ich bin zu alt für so etwas. Konfuse sagt, wer Ruhe findet, kann überlegen, wer überlegt, kann verbessern!“
„Vielleicht solltest du zu uns in die Wohnung ziehen“, überlegt Andy. „Wir müssten vorher nur diese furchtbare Popo ausquartieren und schon hätten wir ein Zimmer frei.“
In der Villa herrscht derweil große Aufregung, denn Ludde, Jack und Ben haben inzwischen festgestellt, dass heute weder das Chaos in der Küche beseitigt noch etwas zu Essen gemacht wurde. Außerdem ist der Kühlschrank quasi leer! Und wo steckt Gung?
Gung hat im Akropolis mittlerweile ordentlich getankt (wie der Rest der Stammtischrunde auch) und kommt dabei zunehmend aus sich raus. Der sonst so ausgeglichene und in sich ruhende Vietnamese ist in Plauderlaune geraten und erzählt plötzlich Geschichten aus seiner Jugend, von denen noch nie zuvor einer seiner Nachbarn aus der Lindenstraße gehört hat. Als er von einem Mädchen aus seinem Heimatdorf berichtet, in das er als 14jähriger unsterblich verliebt war, fragt Andy – ebenfalls schon sehr angeheitert – plötzlich: „Sag mal, Gung, hattest du eigentlich schon mal Sex?“
Gung verschluckt sich und spuckt sein Bier im hohen Bogen über den Tisch. Hustend kommt er wieder zu Atem und keucht: „Der Glückliche kann schweigend genießen…“
„Ist das auch von Konfuzius?“ erkundigt sich Nils.
„Nein, das ist von mir“, erklärt Gung.
„Also mit deinem vianesischen Dorfmädchen bist du bestimmt nicht zur Sache gekommen, damals mit 14!“ lallt Andy.
„Vietnamesisch heißt das!“ erklärt Alex mit ebenfalls zunehmend schwerer werdenden Zunge. „Nicht vianesisch…!“
„Aber es gibt ja so Gerüchte, dass du mal mit unserer kleinen Polin rumgemacht hast“, gröhlt Andy so laut, dass sich die Gäste an den Nachbartischen schon zu ihnen umblicken. „Mit der guten Urszula. Die war ja nie ein Kind von Traurigkeit. Hahaha! Und… sag mal, war da nicht auch mal was mit Anna?“
„Mit Anna?“ fragt Klaus fassungslos. „War das vor oder nach meinem Dad?“
„Anna und ich waren immer nur gute Freunde“, erklärt Gung.
„Freunde mit gewissen Vorzügen“, lacht Alex.
„Weißt du was, Gung?“, fragt Andy plötzlich. „Weißt du, was du brauchst? Weißt du, was du dringend brauchst, um mal wieder ein bisschen Sonne in dein Leben zu bringen?“
„Eine eigene Wohnung?“, fragt Gung.
„Das auch!“ stimmt Andy ihm zu. „Später! Aber zunächst brauchst du mal Sex!!!“
Gung verschluckt sich erneut. Dann röchelt er: „Ich bin szu alt für….“ er senkt die Stimme: „Sääx!“
„Man(n) ist nie zu alt für Sex“, erläutert Andy. „Frau vielleicht schon irgendwann, da bin ich mir nicht sicher. Aber Mann definitiv nie!“
Gung wirkt plötzlich ganz hibbelig und die Stammtischbrüder sind amüsiert. Sollte der ruhige Vietnamese tatsächlich nie ernsthaft in Erwägung gezogen haben, dass auch er ein sexuelles Wesen ist und jetzt erst jetzt mit diesem Gedanken zu tragen?
„Aber… mit wäm sollte das sein?“, fragt Gung unwirsch.
Andy denkt einen kurzen Moment nach. Dann breitet sich ein süffisantes Grinsen auf seinem Gesicht auf und er lallt: „Ich hab da schon eine Idee…!“

CLIFFHANGER auf: Andy Zenker

Mitwirkende Personen
Dr. Sebastian Ritter
Paolo Varese
Marcella Varese
Giovanna Varese
Gian-Luca Conti
Simone Stadler
Fabian Feldmann
Gung Pham Kien
Roland Landmann
Iffi Zenker
Antonia Zenker
Valerie Zenker
Andy Zenker
Klaus Beimer
Alex Behrend
Nils Wendland
Vasily Sarikakis
Emma Sarikakis
Elias Aichinger
Jack Aichinger
Ben Hofer
Ludde Mayer
Romy Brinkmann
Nina Zöllig
Ida Zöllig
Lemlem Berhane

© ´popo wolfson` 2023

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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