Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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BeitragVerfasst: Sa 13. Mai 2023, 23:10 
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Folge 1880: Der Schlüssel steckt von innen

Spieltag: Donnerstag, 11.05.2023

Nico besucht an diesem Vormittag seine Großeltern und frühstückt mit ihnen in der Alten-WG.
„Ich find’s gut, dass dein Lehramtsstudium wieder aufnimmst im Herbst“, lobt Gabi ihn. „Des is’ dir richtige Entscheidung. Als Sportlehrer hast’s doch auf jeden Fall a berufliche Perspektive.“
„Was bleibt mir denn auch anderes übrig…“, murrt Nico, der mit der Entscheidung gar nicht so glücklich scheint.
„Und dieses … dieses SMS-Studio bleibt jetzt endgültig geschlossen?“, erkundigt sich Helga neugierig, die sich, wie auch Popo, einfach zum Zenkerschen Frühstück dazu gesellt hat.
„EMS“ korrigiert Nico sie. „Ja, das ist Geschichte. Bis zum Monatsende muss ich den Laden räumen. Immerhin habe ich einen Käufer für meine Ausstattung gefunden. Von dem Geld kann ich mir dann zumindest noch einen relaxten Sommer machen, ehe Uni im Herbst wieder los geht…“
„Oh, ich hätte auch very gern mal wieder eine relaxte Summer“, stöhnt Popo. „Aber leider ich muss schuften, weil meine Mum unser ganzes Geld hat in die Staub gesetzt…“
„In den Sand gesetzt!“, verbessert Helga sie gereizt.
„Ich finde ja, dass du, statt dir einen relaxten Sommer zu machen das Geld lieber auf die Seite legen solltest“, sagt Andy. „Dann hast du noch Rücklagen für dein Studium!“
„Oh, bitte, Opa!“, stöhnt Nico genervt. „Du redest schon wie Angelina. Jetzt gönn mir doch diesen einen Sommer in Freiheit. Wenn das Studium los geht, dann suche ich mir nebenbei einen Job. Keine Sorge, ich werde weder euch noch Mama noch Angelina auf der Tasche liegen…“
„Du könntest fragen deine Grandma, ob sie dir auch besorgt eine Job in die Bayer“, schlägt Popo glucksend vor. „This is very funny. Die Gäste sind hauptsächlich alte Frauen, die trinken ihre koffeinfreie Kaffee, essen ihre Kirschwälder Schwarztorte und dabei reden über Bluthochdruck und und die neueste Mode von Thrombose-Strümpfe. Und das in eine unglaubliche Lautstärke, weil sie alle sind halb taub. Und nebenbei, sie wickeln ihre dritte Zähne ein in ein Serviette und legen es neben die Tasse auf den Tisch…!“
Popo und Nico brechen in schallendes Gelächter aus, während sie erboste Blicke von Helga, Andy und Gabi ernten.
„Also Altwerden ist gar nicht so lustig, wie ihr euch das vorstellt!“, mosert Helga. „Plötzlich vergisst man die alltäglichsten Dinge!“
„Aber Sie doch nicht, Frau Beimer“, versucht Nico es nun auf die charmante Tour.
„Doch“, erwidert Helga. „Vorgestern war ich im Supermarkt einkaufen. Und ich weiß genau, dass ich auch ein kleines Rosinenbrot, eine Fleischwurst, ein Stück Emmenthaler und eine Schale Erdbeeren hatte. Stand auch alles auf dem Kassenbon. Aber die Sachen sind nie hier zuhause angekommen…!“
„Wie das denn?“ fragt Nico. „Sind die Ihnen unterwegs aus der Tasche gefallen?“
„Ich fürchte, ich hab sie gar nicht in den Korb gepackt, sondern an der Kasse liegen lassen“, erwidert Helga zerknirscht. „Aber als ich nochmal zurück bin, war da nichts mehr und keiner hat was gesehen…“
„Hat sie Ihnen vielleicht jemand geklaut?“, überlegt Nico.
„Wer denn? Wo denn?“ fragt Helga. „Ich war doch nirgendwo damit. Nur kurz unten im Keller. Ich hab den Korb dort im Flur abgestellt und war dann im Wäschekeller, um die Wäsche von der Maschine in den Trockner zu packen. Aber da unten im Keller läuft doch keiner rum und klaut mir die Einkäufe aus dem Korb...“
In diesem Moment klingelt es an der Wohnungstür und murrend erhebt sich Andy und schlurft in den Flur. Im Treppenhaus steht Tanja.
„Entschuldige bitte die frühe Störung“, begrüßt sie ihn. „Aber ich hab ein Problem. Ich wollte in den Hobbykeller, weil ich da vor ein paar Monaten was abgestellt habe. Aber ich krieg mit meinem Schlüssel die Tür nicht auf. Wurde da irgendwann mal das Schloss ausgewechselt?“
„Wieso?“ fragt Andy konfus. „Die Tür ist doch immer offen.“
„Nein, die ist verschlossen!“, versichert Tanja ihm. „Und mit meinem Schlüssel kriege ich sie nicht auf.“
„Merkwürdig…“, brummt Andy. „Ich komme gleich mal mit runter…“
Minuten später stehen Andy und Tanja vor der Tür des Wäschekellers und Andy muss irritiert feststellen, dass Tanja recht hat…
„Hat Angelina vielleicht das Schloss auswechseln lassen?“, überlegt Tanja.
„Das hätte sie uns ja wohl sagen müssen!“ motzt Andy. „Außerdem passt der Schlüssel ja rein, nur nicht vollständig, so, als ob da irgendwas drin stecken würde…“
Nun finden sich auch Helga, Popo und Nico neugierig im Keller ein, um zu sehen, was dort los ist. Lediglich Gabi zieht es mal wieder vor, den sicheren Schutz der Wohnung lieber nicht zu verlassen...
Andy späht durch das Schlüsselloch. Dann sagt er: „Es kommt mir fast so vor, als würde da ein Schlüssel von innen stecken…“
„Aber wie soll das denn gehen?“ fragt Helga verdattert. „Dann müsste sich da ja jemand eingeschlossen haben…“
Andy poltert und klopft rabiat gegen die Tür und brüllt: „HALLO!!! HALLO? IST DA WER DRIN?“
Keine Reaktion.
„Was ist hier denn los?“ Marcella erscheint mit verwundertem Gesichtsausdruck in der Tür zum Wäschekeller und sieht irritiert zwischen der Menschensammlung vor dem Hobbykeller hin und her. Und augenblicklich erntet sie wieder die Blicke, die sie seit Matteos Tod ständig abbekommt – eine nicht klar definierbare Mischung aus Abscheu und Verachten, Mitleid und Bedauern und einer merkwürdigen Faszination, so, als wäre sie ein fremdartiges Tier…
„Was machst du denn hier?“, fragt Andy in dem für ihn typischen schnoddrigen Tonfall.
„Wäsche waschen?“, erwidert Marcella – es klingt eher wie eine Frage als wie eine Antwort.
„Hast du nichts anderes zu tun?“, fragt Andy.
„Stell dir vor, meine Welt ist nicht stehen geblieben“, gibt die Italienerin pampig zurück. „Auch ich habe Schmutzwäsche!“ Wütend dreht sie sich um und verschwindet wieder im Wäschekeller, während Andy erneut mehrmals rufen an der Tür zum Hobbyraum klopft und rüttelt, doch drinnen rührt sich weiterhin nichts.
„Das haben wir gleich“, brummt er. „Ich hole Werkzeug!“
Andy macht sich auf den Weg zurück zur Wohnung, die Prozession bestehend aus Nico, Helga, Popo und Tanja folgt ihm. Während Andy seinen Werkzeugkasten holt, erläutert Helga Gabi kurz die Situation im Keller, dann macht sich die ganze Prozession wieder auf den Weg nach unten – und erstarrt, als sie eine offene Hobbykellertüre vorfindet…
„Da war ja wirklich jemand drin!“ stellt Helga fassungslos fest.
„Marcella!?“ ruft Andy in Richtung Wäschekeller – und erhält keine Antwort. Als er in den Wäscheraum blickt, ist da niemand mehr. Lediglich eine Waschmaschine läuft.
„Glaubst du etwa, Marcella hat was damit zu tun?“, fragt Helga.
„Was weiß denn ich?“, murrt Andy. „Ganz dicht ist die ja nicht. Aber vielleicht hat sie zumindest jemanden weggehen sehen…“
„Was ist das denn hier für ein Auflauf?“ Anna erscheint mit einem Korb Schmutzwäsche im Keller.
„Hast du Marcella gesehen?“ fragt Andy sie. „Oder sonst wen?“
„Nein“, erwidert Anna verblüfft, während Helga den Hobbykeller betritt und dann aufstöhnt.
„Oh, hier stinkt es ja erbärmlich“, stellt sie naserümpfend fest. „Als ob hier jemand wochenlang im eigenen Mief vegetiert und nicht lüftet!“
„Hier hat jemand gehaust!“ poltert Andy, den nun auch den Raum betritt. „Und der ist jetzt vor uns getürmt!“
Diese Neuigkeit sorgt für helle Aufregung, erst recht, als man sich kurze Zeit später wieder in der Alten-WG einfindet und die ohnehin schon völlig verängstigte Gabi davon erfährt…
„Eine fremde Person, die in unserem Keller haust“, klagt sie. „Wer weiß, was des für a Mensch ist und was der im Schilde führt…“
„Vielleicht ja einfach nur ein Obdachloser, der nicht weiß wohin“, überlegt Tanja.
„Aber der muss ja nicht in unserem Keller wohnen!“, empört sich Helga.
„Nein, natürlich nicht“, erwidert Anna spitz. „Draußen auf der Straße ist es ja auch ganz nett…“
„Es gibt Unterkünfte für solche Menschen!“ entgegnet Helga gereizt. „Aber wenn du so ein großes soziales Herz hast, dann kannst du ihn ja gerne bei dir aufnehmen…“
Während sich zwischen Helga und Anna eine hitzige Diskussion entfacht, kommen Andy und Nico zu dem Schluss, dass der Obdachlose über kurz oder lang vermutlich in sein Versteck zurückkehren könnte, und beschließen, sich auf die Lauer zu legen.
„Seid’s bloß vorsichtig“, gibt Gabi ihnen mit auf den Weg.
Doch während Andy und Nico den ganzen Tag im Wäschekeller herumlungern – leicht irritiert beäugt von Mietern wie Lisa, Konstantin oder Urszula, die nach und nach mit ihrer Wäsche dort aufschlagen, passiert nichts…
Derweil sitzt Mechthild auf einer Bank im Park und genießt den milden Frühlingsabend mit seinem Vogelgezwitscher. Diesen Winter hat sie überstanden und den Sommer über wird sie auch draußen zurecht kommen – das hat sie schließlich schon viele Jahre geschafft. Sie betrachtet den Schlüssel und packt ihn schließlich zu ihren wenigen Habseligkeiten. Wenn der nächste Winter kommt, könnte ihr der nochmal von Nützen sein. Aber nun will sie lieber erstmal etwas Gras über die Sache wachsen lassen, bis die Mieter des Hauses ihr Misstrauen wieder ein wenig verloren haben. Wer weiß, vielleicht kehrt sie im nächsten Herbst ja nochmal in den Keller zurück und richtet sich dort ein Winterquartier ein…


Alex und Iris haben gerade ihr Frühstück beendet, als es an der Wohnungstür klingelt. Die ihnen unbekannte Frau stellt sich als Kommissarin Nuran Karademir vor, die im Fall der Rezept-Auffälligkeiten in der Praxis Brooks ermittelt.
„Ach, passiert da jetzt doch nochmal was?“, fragt Iris gereizt. „Seit Wochen ist meine Praxis dicht. Meine Patienten müssen zu irgendwelchen Vertretungsärzten rennen. Meine Mitarbeiterinnen fragen mich ständig, wann es wieder los geht. Aber jedesmal, wenn ich bei der Ärztekammer nachfrage, kriege ich nur zu hören, dass die Polizei nun in der Sache ermittelt, aber wenn ich da nachfrage, fühlt sich auch keiner zuständig…“
„Es ist ja nicht so, dass wir in den letzten Wochen völlig tatenlos waren“, erwidert die Kommissarin giftig.
„Mit mir hat jedenfalls noch niemand gesprochen“, entgegnet Iris.
„Darum bin ich jetzt ja hier“, erklärt Nuran Karademir. „Darf ich reinkommen?“
Nachdem sie am Küchentisch Platz genommen hat, kramt die Kommissarin eine Mappe mit Fotos aus ihrer Tasche hervor, dem Anschein nach Screenshots von einer Kameraaufnahme. Sie schiebt Iris die Bilder rüber und fragt: „Kennen Sie diese Frau?“
Iris sieht sich die Bilder an. Die ersten Aufnahmen sind ein wenig unscharf, doch dann bleibt ihr der Mund offen stehen: Auf den Fotos ist ganz eindeutig Corinna Marx am Verkaufstresen einer Apotheke zu erkennen.
„Das ist meine Mitarbeiterin, Frau Marx“, erklärt Iris ungläubig.
„Dann würde ich doch sagen, dass wir den Fall gelöst haben“, erwidert Frau Karademir grinsend. „Diese Frau hat in mehreren Apotheken Rezepte eingelöst, die in Ihrem Namen ausgestellt wurden. Das belegen jedenfalls die Aufnahmen der Überwachungskameras aus den besagten Apotheken.“
„Das glaube ich einfach nicht“, entfährt es Iris.
„Ich hätte dann jetzt gerne die Adresse von dieser Frau Marx“, entgegnet die Kommissarin knapp.
Nachdem die Kommissarin sich verabschiedet hat, schafft Iris es kaum, ihr Fassungslosigkeit Luft zu machen.
„Die Marx“, sagt sie zu Alex. „Ich glaub das einfach nicht! Diese blöde Kuh! Was fällt der ein? Und ich hätte meine Hand für sie ins Feuer gelegt… Ich meine, okay, eine blöde Kuh war sie immer schon. Und trotzdem habe ich der voll und ganz vertraut. Und ich hab tatsächlich Lisa verdächtigt. Ach, Menno, das tut mir so leid…!“
Einige Stunden später steht Kommissarin Karademir erneut vor Iris’ Tür.
„Frau Marx hat ein umfassendes Geständnis abgelegt“, berichtet sie.
„Ich fasse es immer noch nicht“, sagt Iris kopfschüttelnd. „Aber warum hat sie das denn gemacht? Was sagt sie denn dazu? Wollte sie die Medikamente verkaufen, oder was?“
„So wie es aussieht, brauchte sie die wohl für sich selbst“, erwidert Frau Karademir.
Iris starrt die Kommissarin mit offenen Augen an. „Und wie geht es jetzt weiter?“ fragt sie.
„Ich werde meinen Bericht verfassen und die Ärztekammer informieren“, erklärt die Kommissarin. „Sie werden dann wohl in den nächsten Tagen von denen hören. Aber ich würde mal vermuten, dass Sie im vollen Umfang rehabilitiert werden und dass das jetzt alles sehr schnell geht. Sie können Ihre Praxis vermutlich schon sehr bald wieder aufmachen…“
Eine Stunde später trifft Iris sich mit Andrea im Marcellas.
„Corinna braucht die Medikamente für sich selber?“, fragt Andrea ungläubig, nachdem sie bei Gian-Luca ein Glas heißes Wasser bestellt hat. „Ist sie tablettensüchtig, oder was?“
„So sieht es wohl aus“, murmelt Iris betrübt.
„Nicht zu fassen!“ Andrea schüttelt den Kopf. „Aber dann kannst du ja bald wieder aufmachen!“
„Ja“, sagt Iris leise und scheint mit den Gedanken ganz woanders.
„Sehr glücklich siehst du aber nicht gerade aus“, stellt Andrea verwundert fest.
Iris atmet einmal tief durch, dann sagt sie: „Ich werde die Praxis aufgeben, Andrea!“
„Wie bitte?“, fragt Andrea erschrocken.
„Ich werde natürlich erstmal wieder eröffnen“, erklärt Iris. „Und ich werde mich natürlich bemühen, einen Nachfolger zu finden. Und wenn ich einen finde, dann werde ich alles dran setzen, dass er dich übernimmt. Aber die Betonung liegt halt auf WENN. Du weißt ja selbst, wie es aussieht und wie viele Praxen keinen Nachfolger finden…“
„Aber wieso willst du die Praxis denn überhaupt aufgeben?“, fragt Andrea irritiert. „Was willst du denn stattdessen machen?“
Und so berichtet Iris Andrea, dass sie mit Alex und ihrem Vater nach Amerika auswandern will, dass sie sich in Pittsburgh/ Pennsylvania niederlassen wollen, weil Lara dort studiert, und dass Iris dort bereits eine Stelle als Ärztin in einer großen Klinik in Aussicht hat…
„Oh Mann“, seufzt Andrea. „Das kommt jetzt aber wirklich überraschend. Aber… wenn ihr das wirklich wollt… Ich finde das wahnsinnig mutig von euch, so ein kompletter Neuanfang… Aber ich werde dich vermissen…“
„Noch bin ich ja nicht weg“, lacht Iris. „Visum und das alles, das geht nicht so schnell. Und ich muss ja schließlich auch einen würdigen Nachfolger für mich finden…“
Als Iris am Abend mit Alex vor dem Fernseher liegt und – trotz des Schocks, so von ihrer Mitarbeiterin gelinkt worden zu sein – erleichtert ist, dass sich die ganze Sache nun endlich aufgeklärt hat, klingelt es an der Tür.
„Wer ist das denn jetzt noch?“ murrt Alex.
„Keine Ahnung“, erwidert Iris und erhebt sich von der Couch. Im Treppenhaus steht Corinna und sieht aus wie ein Häufchen Elend.
„Frau Marx…“ entfährt es Iris überrascht.
„Tut mir leid, dass ich Sie so überfalle“, begrüßt Corinna sie zerknirscht. „Ich… ich würde Sie gerne um Verzeihung bitten. Ich weiß, es ist nicht zu entschuldigen, dass ich Sie so hintergangen habe, aber… aber ich…. Ich….!“
In diesem Moment beginnt die Marx am ganzen Leib zu zittern wie Espenlaub und die Tränen laufen ihr übers Gesicht. Iris bemerkt, dass sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch steht, und bittet sie rein. Als Corinna am Küchentisch sitzt und von Iris ein Glas Wasser bekommt, das sie in gierigen Schlucken trinkt, scheint es ihr auch schon ein wenig besser zu gehen.
„Warum haben Sie das denn eigentlich gemacht?“, erkundigt Iris sich sachte.
„Können Sie sich das nicht denken?“, fragt Corinna mit unterdrückter Aggression in der Stimme.
„Sie… haben ein… Suchtproblem“, schlussfolgert Iris.
Corinna beißt sich auf die Unterlippe und starrt grimmig vor sich hin. „Ja, verdammt“, entfährt es ihr schließlich. „Seit Jahren geht das nun schon so! Ich kann abends nicht einschlafen, ich kann morgens nicht aufwachen, ich komme nicht durch den Tag. Ich kriege mein ganzes beschissenes Leben nicht auf die Reihe, wenn ich nicht ein paar Pillen zur Unterstützung nehme…“
Iris schweigt einen Moment. Dann fragt sie: „Wie geht es denn jetzt weiter mit Ihnen? Was hat die Kommissarin denn gesagt?“
Corinna zuckt die Schultern. „Könnte sein, dass ich eine Bewährungsstrafe bekomme. Vielleicht zwingen sie mich auch, einen Entzug zu machen…“
„Denn müssen Sie auf jeden Fall machen“, befindet Iris. „Freiwillig. Ohne dass Ihnen das irgendein Richter auferlegt. Es kann doch nicht ewig so weiter gehen. Ich kann Ihnen helfen, wenn Sie möchten. Ich hab Kontakte. Zu einer guten Klinik…“
Corinna blickt sie unwirsch an. Ihr Blick schwankt irgendwo zwischen Panik und Resignation. „Mal sehen“, sagt sie schließlich. Dann springt sie auf und verlässt nahezu fluchtartig die Wohnung…


Mandy hat die ganze Nacht schlecht geschlafen. Nachdem sie in den vergangenen Tagen mehrere Untersuchungen über sich ergehen lassen hat, hat sie heute einen Termin bei ihrer Onkologin Dr. Hiltrud Lopinski.
„Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm“, versucht David sie aufzubauen.
„Meine Frauenärztin hat gesagt, dass es sehr schlecht aussieht“, erwidert Mandy bitter – sie ist auf das Schlimmste vorbereitet.
Und diese Befürchtung bestätigt sich, als Mandy und David eine Weile später im Behandlungszimmer der Onkologin im Krankenhaus sitzen. Im Grunde bestätigt die Ärztin nur das, was eine Woche zuvor bereits die Frauenärztin Dr. Unruh angedeutet hat. Mandy hat ein hochaggressives Rezidive, das beide Eierstöcke befallen hat und laut der Blutuntersuchungen bereits dabei ist, Metastasen zu bilden.
„Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren, Frau Peschke“, erklärt Dr. Lopinski. „Wenn wir eine Chance gegen den Krebs haben wollen, müssen wir sofort mit der Behandlung beginnen.“
Mandy schluckt. „Und wie soll die aussehen?“ fragt sie bitter.
„Zunächst müssen wir bestrahlen, um das befallene Gewebe einzudämmen und dann müssen wir schnellstmöglich mit der Chemo beginnen“, sagt die Ärztin.
Mandy sieht auf ihren Bauch. „Aber… ich bin schwanger.“
Dr. Lopinski atmet tief und schwer ein. „Und genau das ist ein Problem“, sagt sie heiser. „Ich habe bereits mit Ihrer Frauenärztin gesprochen. Es werden noch heute Untersuchungen stattfinden, um festzustellen, wie lebensfähig ihr Kind bereits ist. Sollte das Kind bereits kräftig genug sein, um die nächsten Wochen im Brutkasten zu überleben, dann wird so schnell wie möglich die Geburt eingeleitet, damit wir ebenfalls so schnell wie möglich mit Ihrer Krebstherapie beginnen können…“
Die folgenden Stunden werden für Mandy zur Strapaze. Nach eingehenden Untersuchungen in ihrer Frauenarztpraxis erhält sie von Dr. Diane Unruh das Ergebnis, dass ihr ungeborenes Kind zum momentanen Zeitpunkt noch zu schwach ist, um außerhalb des Mutterleibs zu überleben – eine frühzeitige Entbindung wäre, nach aktuellen Untersuchungsergebnissen, in vielleicht vier oder fünf Wochen denkbar…
Zurück in der Onkologie werden die Ergebnisse mit Dr. Lopinski besprochen.
„Unter gewissen Umständen ist auch noch ein Spätabbruch einer Schwangerschaft möglich“, erklärt die Onkologin. „Und im Falle Ihrer schweren Erkrankung sind diese Umstände auf jeden Fall gegeben. Ich weiß, dass sich das schrecklich anhört, aber es geht hier schließlich um Ihr Leben, Frau Peschke!“
„Sie wollen, dass ich mein Kind töte?“, fragt Mandy fassungslos.
„Wir reden hier nicht von töten, sondern von einem Abbruch aufgrund…“, beginnt die Onkologin und wird von Mandy unterbrochen: „Das ist ein fast vollständig entwickeltes Kind! Das ist kein Fötus im Schwangerschaftsfrühstadium. Das ist für mich Mord!“
„Ich verstehe Ihren Standpunkt, Frau Peschke, aber unter diesen besonderen Umständen…“, beginnt die Ärztin erneut.
„Vier bis fünf Wochen hat Frau Dr. Unruh gesagt“, unterbricht Mandy sie erneut. „Was sind schon vier bis fünf Wochen. Warum können wir nicht noch so lange warten und dann mit der Therapie beginnen?“
„Weil es dann zu spät sein wird“, erklärt Frau Dr. Lopinski. „Diese Rezidive ist so aggressiv, dass wir sofort mit der Behandlung beginnen müssen, wenn wir nur eine kleine Chance haben wollen. Es zählt jetzt jeder Tag!!!“
„Ich werde mein Kind nicht töten“, sagt Mandy leise.
„Frau Peschke, Ihnen muss bewusst sein, dass alles andere Ihr Todesurteil wäre“, erklärt Dr. Lopinski.
„Und alles andere wäre das Todesurteil für mein Kind!“, sagt Mandy.
„Sie müssen nicht sofort eine Entscheidung treffen“, sagt die Ärztin. „Schlafen Sie noch eine Nacht drüber.“
„Das muss ich nicht!“, erwidert Mandy. „Ich habe meine Entscheidung schon getroffen!“
Als David und Mandy nach Hause zurück kommen, sind beide fix und fertig mit der Welt.
„Ist dir klar, was das bedeutet?“, hinterfragt David Mandys Entscheidung. „Wenn du das nicht machst, dann…. Dann wirst du… sterben.“
„Wenn ich es mache, wird unser Kind sterben“, erklärt Mandy entschlossen. „Bevor es überhaupt eine Chance hatte, zu leben…“
David zögert einen Moment. Dann sagt er: „Wenn… wenn du wieder gesund bist, dann… dann können wir noch viele Kinder kriegen…“
Mandy starrt ihn fassungslos an. „Ist dir eigentlich klar, was du da gerade redest?“, fragt sie empört. „Wir reden hier von einem Kind. Von UNSEREM Kind! Von einem Menschen. Nicht von einer Topfpflanze. Da holt man sich eine neue, wenn die alte eingeht. Das ist auch kein Fötus mehr in der vierten Schwangerschaftswoche oder so. Es ist ein nahezu vollständig entwickeltes Kind!“
„Aber noch nicht so vollständig, dass es schon eigenständig leben könnte“, erinnert David sie an die Worte der Ärztinnen.
„Und das rechtfertigt jetzt, dass wir es töten?“ fragt Mandy aufgewühlt.
„Nein, aber… ansonsten wirst DU sterben“, sagt David. „Denk doch mal an Jeremy und Phoebe…“
Wie aufs Stichwort wird in diesem Augenblick die Wohnungstür aufgeschlossen und Mandys Kinder stürmen herein und berichten aufgedreht von ihrem Nachmittag, den sie bei Schulfreunden verbracht haben.
„Ist irgendwas nicht in Ordnung?“ fragt Jeremy plötzlich. „Hattet ihr Streit?“ Misstrauisch schielt er zu David hinüber. Obwohl er diesen mittlerweile weitestgehend als den Freund seiner Mutter akzeptiert hat, kann er doch immer noch nicht ganz umhin, ihm insgeheim die Schuld in die Schuhe zu schieben, wenn beziehungstechnisch zwischen den beiden irgendetwas nicht rund läuft…
„Nein, alles gut“, sagt Mandy schnell.
Dennoch wird sie nachdenklich. Aus lauter Sorge um ihr ungeborenes Kind hat sie im Eifer völlig ausgeblendet, dass sie ja noch zwei weitere Kinder hat. Und als sie Phoebe später eine Gute-Nacht-Geschichte vorliest, fühlt sie sich innerlich nahezu völlig zerrissen…
Später, als sie und David im Bett liegen, kreisen ihre Gedanken und sie findet keine Ruhe.
„Mandy, ich finde das auch schlimm“, sagt David neben ihr. „Aber… ich finde, wir müssen jetzt in erster Linie an dich denken…“
„Wenn ich mir vorstelle, ich hätte Jeremy oder Phoebe damals abgetrieben…“, flüstert sie.
„Das steht doch jetzt hier gar nicht zur Debatte“, sagt David. „Aber du kannst doch kein Kind in die Welt setzen, das dann ohne Mutter aufwachsen muss, weil die Mutter stirbt…“
Mandy starrt an die Zimmerdecke und knetet mit den Fingern die Spitze ihrer Bettdecke. „Ich hab Angst“, flüstert sie. „Ich hab solche Angst! Und ich weiß nicht, was richtig ist und was falsch…!“

CLIFFHANGER auf: Mandy Peschke

Mitwirkende Personen
Mechthild Walther
Andy Zenker
Gabi Zenker
Nico Zenker
Helga Beimer
Popo Wolfson
Anna Ziegler
David Krämer
Mandy Peschke
Jeremy Peschke
Phoebe Peschke
Dr. Iris Brooks
Alex Behrend
Corinna Marx
Andrea Neumann
Lisa Dagdelen
Tanja Schildknecht
Gian-Luca Conti
Marcella Varese
Konstantin Landmann
Urszula Winicki-Brenner
Dr. Hiltrud Lopinski
Dr. Diane Unruh
Nuran Karademir

© ´popo wolfson` 2023

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: Sa 13. Mai 2023, 23:10 


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BeitragVerfasst: So 14. Mai 2023, 09:32 
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Registriert: Mi 15. Sep 2010, 12:37
Beiträge: 10009
Ohje, die arme Mandy, das ist wirklich schlimm.


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BeitragVerfasst: So 14. Mai 2023, 10:26 
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Registriert: Mi 29. Sep 2010, 00:11
Beiträge: 11591
Mandy ist ja eine Figur, die es in der "echten" Lindenstrasse nicht gab. Diese Rollen haben es ja sehr viel schwerer hier, weil man mit denen noch nicht so verbunden ist und auch keine konkreten Bilder dazu hat. Aber nach und nach werden sie immer präsenter. Bei Mandy passiert das gerade. Ihre Geschichte ist sehr hart. Das Problem ist, dass man ja auch nicht weiß, wie und ob Mandy überlebt, bzw. wie es mit dem Krebs weitergeht.
Als ich angefangen zu studieren habe, gab es auch eine Studentin, (ich habe sie nie gesehen), die schwanger war und währenddessen Krebs ausgebrochen ist. Sie hat die Therapien abgelehnt und sich dafür entschieden, ihr Kind auf die Welt zu bringen. Das hat sie geschafft. Danach ist sie gestorben. Auch wenn ich sie nie kennengelernt habe habe, habe ich das nie vergessen. Das muss eine sehr schlimme Situation für ihren Partner und ihre Familie gewesen sein.
Mandys Geschichte erinnert mich sehr daran.


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