Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
Aktuelle Zeit: Sa 4. Mai 2024, 19:59

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde




Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 3 Beiträge ] 
Autor Nachricht
 Betreff des Beitrags: Folge 1878 - Klimakleber
BeitragVerfasst: So 30. Apr 2023, 16:42 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: Di 14. Sep 2010, 16:04
Beiträge: 10226
Wohnort: Popihausen
Folge 1878: Klimakleber

Spieltag: Donnerstag, 27.04.2023


Während Claudio und Enzo an diesem Vormittag ihre Pizzeria für das heutige Tagwerk fertig machen, beobachtet Claudio durchs Fenster Anna, die von der Lindenstraße kommend auf das Café Bayer zustrebt, wohl um dort ihre Schicht anzutreten.
„Geh doch mal zu ihr rüber“, ermutigt Enzo seinen Onkel, denn dessen Blick ist ihm natürlich nicht verborgen geblieben.
„Was du meinste?“ fragt Onkel Claudio gespielt ahnungslos.
„Du beobachtest die Ziegler ständig, wenn sie da draußen irgendwo ist“, bemerkt Enzo. „Aber dann gehst du ihr konsequent aus dem Weg. Wenn sie zu uns in den Laden kommt, dann verschwindest du im Hinterzimmer und ich muss sie bedienen… Warum machst du das? Du findest sie doch gut, das merkt selbst ein Blinder mit Krückstock…“
„Iche… iche…“, stammelt Claudio unwirsch.
„Ja, was denn?“ fragt Enzo.
„Iche komme einfach nichte damit klar, dass sie zwei Menschen hat… geschubst… getötet“, jammert Claudio.
„Aber das war doch keine Absicht“, gibt Enzo zu bedenken. „Sie ist ja keine kaltblütige Mörderin oder so. Und sie ist ja auch dafür bestraft worden. Sie hat im Gefängnis gesessen.“
„Eben!“ jammert Claudio. „Iche kann so etwas einfach nichte. Eine Mensch, die hat in die Gefängnis gesessen, weil sie hat begangen eine Straftate… Ich kanne nichte umgehen mit so etwas!“
„Ach, Onkel Claudio“, stöhnt Enzo. „Du bist einfach zu gut für diese Welt! Aber Menschen machen halt Fehler in ihrem Leben.“
„Aber wenn man dafür kommt in die Gefängnis, es iste schon gewesen eine große Fehler! Eine sehr große Fehler!!!“ Der italienische Onkel rauft sich verzweifelt die Haare. „Genauso wie auch bei Jenny. Als ich erfahren habe, dass sie war in die RAF… Ich kann sie einfach nichte mehr sehen mit die gleichen Augen wie früher.“
Wie aufs Stichwort erscheint in diesem Moment Jenny in ihrem Sichtfeld, als die beiden durch die große Fensterscheibe in Richtung Lindenstraße blicken und beginnt, vor dem Supermarkt Kisten mit Obst und Gemüse aufzustapeln.
„Aber sie ist auch bestraft worden, für die Fehler, die sie gemacht hat“, erinnert Enzo ihn.
„Aber sie hate getan schlimme Dinge“, erwidert Claudio. „Das… das hate etwas gemacht in mir, was es mir machte unmöglich, sie noch so zu sehen wie sie war die Jenny von früher…“
„Ach, Onkel Claudio, ich sag’s ja. Du bist einfach zu gut für diese Welt!“
Der Vormittag verstreicht und die Pizzeria öffnet für ihr Tagesgeschäft. Gegen Mittag steht dann plötzlich Jenny im Laden, um sich eine kleine Pizza für ihre Pause zu ordern. Wie bei Anna verzieht sich Onkel Claudio auch bei Jennys Besuchen in seinem Laden gerne ins Hinterzimmer und überlässt Enzo das Feld. Doch diesmal ist sein Neffe gerade nicht vor Ort und zudem steht Jenny so unvermittelt vor ihm, dass er gar keine Chance mehr zur Flucht bekommt.
„Hallo Claudio“, begrüßt sie ihn freundlich – und dem Italiener bricht sogleich der Schweiß aus.
Der Konversation der beiden verläuft äußerst monoton, denn während Claudio Jennys Bestellung zubereitet, antwortet er nur knapp und einsilbig auf ihre Fragen und Bemerkungen. Irgendwann kommt auch Enzo in den Laden zurück und beobachtet Claudios krampfhaftes Agieren mit einer Mischung aus Amüsanz und Mitleid.
Als Jenny sich verabschiedet und mit ihrem Pizza-Karton wieder in Richtung Supermarkt verschwindet, blickt Enzo ihr nachdenklich hinterher.
„Sie ist so klein und zierlich und wirkt so zerbrechlich“, überlegt er laut. „Man kann sich gar nicht vorstellen, dass sie mal bei der RAF gewesen sein soll…“
„Jenny hatte schon immer Biss…“, erwidert Onkel Claudio.
Unbemerkt von beiden hat Roland das Gespräch mit angehört, der gerade den Hauseingang betreten hat und vor der Tür zur Pizzeria verharrte, um sich seinen Schuh zuzubinden. Auch er starrt nun mit offenem Mund Jenny hinterher, die gerade im Supermarkt verschwindet…
Zwei Minuten später betritt Roland völlig aufgelöst seine Wohnung und trifft in der Küche auf Iffi, die gerade aufbrechen möchte.
„Üsch muss dür wos erzählen, mein Schmedderling“, keucht er aufgeregt.
„Oh, Roland, ich hab jetzt wirklich keine Zeit, ich will gerade los“, winkt Iffi hektisch ab. „Ich muss ganz dringend ins Labor!“
„Ober es üs wüschtusch!“ japst Roland. „Üsch hob gerade wos erfahren!“
„Ja, dann aber schnell. Um was geht’s denn?“
„Du könnst doch dü Frau Lüders…“, beginnt Roland.
„Die wen…?“
„Die Frau Lüders… Dü arbeitet drüben im Supermarkt, dü üs immer so freudlüsch…“
„Ja, keine Ahnung, außer Paul kenne ich niemanden von denen, die da arbeiten näher“, wehrt Iffi ungeduldig ab.
„Dös üs so ne kleene Zierlische, so um die 60, straßenköterblond…“, versucht Roland zu erklären.
„Ja… ja, ich glaub, ich weiß jetzt, wen du meinst“, versucht Iffi die Sache zu beschleunigen. „Wieso, was ist denn mit der?“
„Dü üs enne Dörrörüstin!“
Iffi starrt Roland vollkommen fassungslos an. „Eine was?“ fragt sie konsterniert.
„Enne Dörrörüstin!“ wiederholt Roland.
„Dü...Dürü…?“ presst Iffi verwirrt hervor.
„Jo, genau, enne Dörrörüstin!“ bestätigt Roland.
„Was soll denn das sein?“ fragt Iffi überfordert.
„Möööönsch, Üffi, enne Dörrörüstin!!!“
„Ich weiß nicht, was das ist, Roland!!!!“
„Enne Dörrörüstin, Iffi, enne Dörrörüstin!“
„Roland, ich finde deinen Dialekt ja wirklich ganz bezaubernd, aber könntest du es vielleicht für einen Moment doch mal mit hochdeutsch versuchen? Ich weiß wirklich nicht, was du meinst…“
„Jooo, enne Dörrörüstin, Iffi, hier, RAF, Baader-Meinhoff-Komplex und sö….“
„Eine Terroristin?“ fragt Iffi nun ungläubig.
„Joooo, saach üsch doch die ganze Zeit, enne Dörrörüstin!“
„Wie kommst du denn auf sowas?“ fragt Iffi kopfschüttelnd – und Roland erzählt ihr von dem Gespräch zwischen Claudio und Enzo, das er mitangehört hat.
„Da musst du irgendwas falsch verstanden haben“, winkt Iffi ab. „Und selbst wenn, geht uns das ja gar nichts an!“
„Des göht uns nüschts an???“ wiederholt Roland ungläubig. „Mönsch, Iffi, enne Dörrörüstin bewescht süsch unter uns, des is enne Gefahr für uns alle…!“
„Ja, aber da kann ich ja jetzt auch nichts dran ändern“, sagt Iffi. „Ich muss jetzt wirklich ins Labor…“
Während Iffi sich verabschiedet und die ganze Sache sie überhaupt nicht wirklich zu interessieren scheint, macht Roland sich ernsthafte Sorgen um die Nachbarschaft. Eine ehemalige RAF-Terroristin arbeitet im Supermarkt. Diese Frau ist doch womöglich immer noch zu allem fähig…
Die Sache lässt Roland den gesamten Tag nicht mehr los. Als Valerie später nach Hause kommt, erzählt er ihr von dem, was er heute erfahren hat – und ist heilfroh darüber, dass sie die Sache nicht so unbedarft sieht, wie ihre Schwester und mit aufrichtigem Entsetzen reagiert.
„Wir müssen die Leute hier in der Straße warnen“, beschließt Roland später beim Abendessen.
„Ja, unbedingt“, pflichtet Valerie ihm bei,
„Ist das nicht etwas übertrieben?“ fragt Iffi. „Okay, diese Frau hat früher mal Fehler gemacht, aber wenn sie eine Gefahr für die Allgemeinheit wäre, würde man sie doch nicht wieder frei rumlaufen lassen.“
„Sosche Mönschen öndern süsch nüscht!“ findet Roland und Valerie nickt zustimmend.
„Aber die RAF gibt es doch längst nicht mehr“, sagt Iffi.
„Donn sucht sü süsch halt was anderes“, poltert Roland. „Vülleischt göht se morgen zum Taliban oder zur Isis oder sö… Die muss hür wösch, dü üs enne Gefahr für uns alle!!!“
Iffi findet das Ganze ein wenig übertrieben, aber Roland und Valerie steigern sich im weiteren Verlauf des Abends zunehmend in die fixe Idee hinein, dass diese Jenny Lüders eine ernsthafte Bedrohung für ihre Nachbarschaft darzustellen scheint...


Unzufrieden steht Lovis neben Annalena vor dem Badezimmerspiegel und betrachtet ihre braunen Locken. Warum nur kann sie nicht auch so schöne, glatte, blonde Haare haben, wie Annalena…?
Während diese ihre Prachtmähne bürstet, dreht Lovis genervt an einer ihrer Locken herum, als ein Vogelzwitscher-Ton vom Handy auf der Ablage eine eingehende Nachricht verkündet.
Heute um 11 Treffen. Standpunkt schick ich dir vorher zu“, schreibt Emanuel – und Lovis gerät sofort in helle Aufregung. In der 3.und 4. Stunde schreibt sie Mathe – ausgerechnet ihr einziges wirkliches Problemfach. Aber egal, das muss dann halt ohne sie stattfinden…
„Darf ich heute mit dem Fahrrad zur Schule fahren?“ fragen Lovis am Frühstückstisch. „Es ist so schönes Wetter heute. Und wenn ich schon sonst nirgendwo hin darf, muss ich doch nicht auch noch den Schulweg in diesem stinkenden Bus hocken…“
Nils und Kerstin sehen sich kurz unschlüssig an, geben ihr dann aber die Erlaubnis. Und während Annalena, Maite und Merle zur Bushaltestelle trotten, holt Lovis ihr Rad aus dem Keller und macht sich damit auf den Schulweg.
Die ersten beiden Stunden nimmt sie noch brav am Unterricht teil, in der großen Pausen entfernt sie sich dann aber heimlich in Richtung Fahrradstände, schließt ihr Rad auf und entfernt sich schnell aus Sichtweite der Schule. Auf einer Parkbank wartet sie ungeduldig auf die neue Nachricht von Emanuel. Und als der ihr endlich den Standpunkt schickt, macht sie sich aufgeregt auf den Weg dorthin…
Die Gruppe trifft sich im Keller eines leerstehenden Mietblocks in einer schäbigen Gegend, in dem es offenbar mehr Leerstand als was anderes gibt… Was für eine Verschwendung…
Mit klopfendem Herzen betritt Lovis den Kellerraum, in der sich eine Gruppe von sechs Personen befindet, die allesamt so um die 20 sein dürften. Emanuel lächelt ihr freundlich zu, aber irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck verrät Lovis, dass er sich immer noch nicht ganz sicher zu sein scheint, ob er ihr wirklich trauen kann. Ob sie es wirklich würdig ist, in seine Gruppe aufgenommen zu werden.
Dennoch heißt Emanuel sie Willkommen und stellt sie seinen Mitstreitern vor – Vincent, Nana, Robin, Kevin und Zoe. Sie alle hat Lovis bereits am Tag der Demo, nachdem sie verhaftet wurden, im Polizeibus und auf dem Revier gesehen. Aber wirklichen Kontakt hatte sie an diesem Tag eigentlich nur zu Emanuel – die übrigen haben sich im Hintergrund gehalten.
Als Emanuel Lovis offiziell mit den anderen bekannt macht, begrüßt Vincent sie auf der Stelle freundlich, der Rest der Gruppe gibt sich eher skeptisch-verhalten – und Nana begegnet ihr mit offensiver Feindseligkeit.
„Was soll die Scheiße, Manu?“ keift sie sofort los. „Was schleppst du die hier an? Das ist hier doch kein Fucking Kindergarten! Die macht doch nur Probleme!“
Ganz bestimmt nicht! Lovis wird uns heute beweisen, dass sie würdig ist, in unsere Gruppe aufgenommen zu werden!“ erklärt Emanuel gönnerhaft.
„Und wenn sie uns bei den Bullen anscheißt?“ fragt Nana skeptisch.
„Wird sie nicht“, entgegnet Emanuel. „Nicht wahr, Lovis?“
„N...nein“, stammelt diese.
„Dann wird sie sich zumindest vor Angst in die Hose machen?“ befindet Nana. „Jede Wette. Guck sie dir doch an! Die ist viel zu soft für sowas!“
„W...was soll ich denn überhaupt machen?“ fragt Lovis zunehmend nervös.
Und Emanuel weiht sie in die Pläne der Gruppe ein. Am späten Nachmittag, wenn der Berufsverkehr durch die Innenstadt rollt, wollen sie sich an einer viel befahrenen Kreuzung auf der Straße festkleben und so ein Verkehrschaos auslösen.
„Wir wollen wir das denn machen?“ fragt Lovis skeptisch.
„Sekundenkleber!“ ruft Robin und hält einen Eimer in die Höhe.
„Ist das nicht… gefährlich?“ fragt Lovis und in ihrer Stimme schwingt mehr Angst mit, als sie sich selbst eingestehen möchte.
„Da geht’s schon los!“ lacht Nana gehässig auf. „Die kleine Süße hat die Hosen voll!“
„Ich… ich meine ja nur“, murmelt Lovis. „Sekundenkleber pappt doch wie Sau. Wie kommen wir denn dann nachher wieder los?“
„Du musst ja nicht dabei sein!“ faucht Nana sie an. „Geh mal lieber schnell heim zu Mami!“
„Machst du mit oder nicht?“ fragt Emanuel fordernd. „Das ist echt noch eine der harmloseren Übungen. Wenn du kneifst, dann ist das hier nichts für dich, das kann ich dir gleich sagen!“
„Ich… ich mach mit!“ erklärt Lovis und sieht trotzig zu Nana hinüber.
„Na, fein!“ erwidert diese mit sarkastischem Unterton und spießt sie dabei fast mit ihren Blicken auf.
Nachdem ein Treff- und Zeitpunkt verabredet wurde, macht Lovis sich mit gemischten Gefühlen auf den Weg nach Hause. Und je näher die Stunde null rückt, desto mulmiger wird es ihr. Als es an der Zeit ist, aufzubrechen, schleicht Lovis sich aus ihrem Zimmer. Ihre Eltern unterhalten sich in der Küche, ihre Schwestern sind in ihren Zimmern. Ohne viel Aufsehens schleicht Lovis sich aus der Wohnung, wohl wissend, dass sie diese Aktion nicht vor ihrer Familie verheimlichen können wird – aber das ist jetzt zweitrangig…
Am Treffpunkt angekommen geht dann alles sehr schnell und Lovis lässt sich wieder von der gleichen Dynamik mitreißen, die sie auch schon bei der Demo verspürt hat. Als die Fußgängerampel an der Kreuzung grün anzeigt, stürmt die Gruppe auf den Fußgängerüberweg, verteilt sich dort in gleichmäßigen Abständen und klebt sich auf dem Asphalt fest. Alles geht so schnell, dass Lovis buchstäblich in einen Adrenalinrausch gerät. Sekunden später schlägt die Ampel wieder um – und nur wenige Augenblicke später beginnt ein ohrenbetäubendes Hup-Konzert…
„Lovis ist nicht da“, erklärt Maite etwas später in der Kastanienstraße ihrer Mutter. Sie sollte ihre Schwester zum Abendessen rufen.
„Wie, nicht da?“ fragt Kerstin irritiert.
„Sie ist nicht in ihrem Zimmer“, erklärt Maite.
„Lovis?“ ruft Kerstin in Richtung Bad, wo gerde die Klospülung zu hören ist.
„Ich bin das“, erklärt Merle beim Verlassen des Badezimmers.
„Aber wo ist Lovis denn?“ fragt Kerstin konsterniert.
„Tja, da ist sie wohl heimlich ausgeflogen“, kichert Annalena. „Die brave Lovis wird noch eine richtige Rebellin!“
„Das darf ja wohl echt nicht wahr sein!“ schimpft Nils empört.
Nachdem Lovis auch auf ihrem Handy nicht erreichbar ist, setzt sich die Familie schließlich ohne sie an den Abendbrot-Tisch…
Eine Weile später klingelt es an der Wohnungstür.
„Das ist sie bestimmt!“ ruft Kerstin und springt auf. Als sie die Tür öffnet, steht tatsächlich Lovis im Treppenhaus – allerdings in Begleitung zweier Polizisten.
Was in den nachfolgenden Stunden durch die Wohnung der Familie Wendland tobt, ist kein Donnerwetter, sondern ein wahrer Tornado.
„Du hast Hausarrest bis Weihnachten!“ brüllt Nils. „Mindestens! Was fällt dir eigentlich ein, bei so einer Scheiße mitzumachen?“
„Das ist keine Scheiße“, motzt Lovis mit Tränen in den Augen und reibt sich die wunden Handflächen, mit denen sie sich auf dem Straßenbelag festgeklebt hatte.
„Wie kommst du nur an solche Leute?“ fragt Kerstin fassungslos. „Woher kennst du die?“
„Du wirst dich nie wieder mit denen abgeben!“ wettert Nils. „Ab sofort bringen wir dich zur Schule und holen dich wieder ab! Dann müssen wir eben sehen, dass wir das mit unseren Arbeitsstellen irgendwie flexibler regeln. Du verlässt nicht mehr alleine die Wohnung!“
„Dann steckt mich doch gleich in ein Erziehungsheim!“ brüllt Lovis, springt auf und stürmt in ihr Zimmer, wo sie sich verbarrikadiert und die Kopfhörer aufsetzt.
Eine Weile später erhält sie eine Textnachricht von Annalena: „Hey, Outlaw-Sis! Was’nn mit dir plötzlich los?“ begleitet von den verschiedensten Emojis.
Lovis ignoriert die Nachricht. Doch ihr Herz schlägt höher, als kurz darauf eine Nachricht von Emanuel bei ihr eingeht: „Bravo! Feuerprobe bestanden! Willkommen in der Gruppe!!!“


Urszula ist irritiert, als es bereits am frühen Morgen an der Wohnungstür klingelt. Da sie halbfertig vor dem Waschbecken steht, ruft sie Artjom auf: „Machst du bitte mal auf?!“
Mürrisch schlurft Artjom durch den Flur zur Tür und rechnet damit, die Zeugen Jehovas oder ein ähnliches Gesindel vorzufinden – und erstarrt, als der fette Typ im Treppenhaus steht, der mit seiner Mutter bereits einmal essen war. Was will der hier? Und dann hat er auch noch einen Blumenstrauß dabei…!
„Guten Morgen“, räuspert sich Udo Bloch, der mit Artjom allem Anschein nach nicht gerechnet hat. „Ist deine… Ihre… deine… ist die Frau Mama zu sprechen?“
Artjom funkelt Bloch böse an. Dann brüllt er Richtung Bad: „Besuch für dich!“ und verschwindet in der Küche.
„Wer ist es denn?“ fragt Urzsula aus dem Badezimmer.
„Ein Mastschwein!“ ruft Artjom aus der Küche – und Udo Bloch bekommt vor überraschter Empörung einen Hustenanfall.
Irritiert kommt Urszula aus dem Bad – und ist bei Blochs Anblick nicht minder überrascht, als ihr Adoptivsohn… allerdings im positiven Sinne…
„Du?!“ flötet sie irritiert und verteilt hektisch den Rest ihrer Creme im Gesicht. „Das ist aber wirklich… eine Überraschung. Was verschlägt dich denn schon so früh hier hin?“
„Ich hab gleich einen Termin in der Nähe“, erklärt Bloch leicht verlegen. „Und da… da wollte ich dich fragen, ob du, also ob… ob wir… also ob ich… ob ich dich heute Abend nochmal zum Essen in das Akropolis einladen darf?! Oder gerne auch woanders hin!“
Bloch streckt ihr die Blumen entgegen und Urszula nimmt sie zögernd an. „Ich… ich muss mich für meinen Sohn entschuldigen“, flüstert sie verlegen. „Pubertät…“
„Ist doch gar kein Problem“, lacht Bloch. „Wenn du wüsstest, wie ich in dem Alter war…“
Die beiden tauschen noch ein paar Floskeln aus, in deren Folge die Polin die Einladung des Knopf-Fabrikanten sehr gerne annimmt – während Artjom hochgradig erregt hinter der Küchentür lauscht, die beiden still und leise nachäfft und dabei einen Laib Brot mit den Händen malträtiert.
Als Urszula sich auf den Weg zur Arbeit begibt, freut sie sich auf den Abend. Sie mag Udo Bloch, sie fühlt sich wohl in seiner Gegenwart und ein Abendessen mit ihm erscheint ihr wie ein Farbtupfer im tristen Alltag. Urszula arbeitet inzwischen in einem Billig-Friseursalon, in einer Gegend, in der Start-up-Unternehmen wie Pilze aus dem Boden schießen und die Ladenlokale allerhand Billig-Ketten Tür an Tür liegen. Die Arbeit verläuft hier wie am Fließband, schnell und unpersönlich wird der Kundschaft für wenig Geld ein neuer Haarschnitt verpasst – Urszula hasst es, so arbeiten zu müssen…
Als sie sich in ihrer knapp bemessenen Mittagspause auf den Weg zu einem kleinen Fast-Food-Laden macht, um schnell einen Salat und einen Kaffee runterzustürzen, glaubt sie plötzlich, ihren Augen nicht zu trauen. Dort, auf der anderen Straßenseite, das ist doch…
„IRINA!“ ruft Urszula über die Straße. Zunächst reagiert ihre Tochter jedoch nicht. Erst nachdem Urszula drei oder vier Mal ihren Namen gerufen hat, bleibt Irina stehen und dreht sich zu ihr um. Eilig überquert Urszula die Straße…
„Hast du mich denn nicht gehört?“ fragt Urszula atemlos. „Was machst du denn hier?“
Erledigungen“, antwortet Irina einsilbig und wirkt kein Stück weit erfreut darüber, unerwartet ihre Mutter hier zu treffen.
„Arbeitest du hier irgendwo?“ fragt Urszula.
„Nee“, entgegnet Irina maulfaul.
„Warum meldest du dich denn nie bei mir, mein Schatz?“ fragt Urszula und versucht, ihrer Tochter über die Wange zu streichen, doch dies dreht energisch den Kopf weg.
„Hab ich ehrlich gesagt keinen Bock darauf“, mault Irina abfällig.
„Aber warum denn nicht?“ fragt Urzsula traurig.
„Du hast doch deinen Artjom“, motzt Irina. „Da will ich euer Glück ja nicht stören…“
U/rszula starrt Irina ungläubig an. „Es kann doch nicht ernsthaft angehen, dass du immer noch eifersüchtig auf ihn bist?“ fragt sie fassungslos. „Irina, das ist Unsinn, das hat doch nichts mit unserer Beziehung zu tun, du bist doch meine Tochter!“
„Davon hab ich aber nicht mehr viel gemerkt, nachdem der da war“, erwidert Irina schnippisch. „Es gab doch nur noch Artjom, Artjom und nochmal Artjom! Ich konnte dir doch gar nichts mehr recht machen!“
„Dass das mit uns so schwierig war, das hatte nicht das Geringste mit Artjom zu tun“, widerspricht Urszula erregt. „Das war ganz allein deinem eigenen Verhalten geschuldet. Du hast die Schule geschmissen, du hast jede Ausbildung abgebrochen… Du hast doch alles abgeblockt!“
„Ach, lass mich einfach in Ruhe!“ motzt Irina und setzt zum Gehen an.
„Besuch uns doch mal!“ hält Urszula sie zurück. „Wir wohnen jetzt wieder in der Lindenstraße.“
Irina hält inne. „Dein Ernst?“ fragt sie ungläubig.
Urszula schluckt. „Nach der Trennung von Christian… Wir mussten das Haus verkaufen und… ´Käthe´ hat mir seine Wohnung vermittelt. Er und Carsten haben sich nämlich auch getrennt, weißt du… Und dann wollte er raus aus der alten Wohnung…“
„Schön für euch“, erwidert Irina knapp und setzt dann wirklich ihren Weg fort.
„Was machst du denn jetzt?“ ruft Urszula ihr nach. „Hast du einen guten Job? Einen Freund?“
Doch Irina antwortet nicht mehr und ist im Handumdrehen um die nächste Straßenecke verschwunden. Zermürbt über das schlechte Verhältnis zu ihrer Tochter, begibt Urszula sich endlich in ihre Mittagspause. Und während ihre Gedanken die ganze Zeit nur um Irina kreisen, vergisst sie völlig die Zeit und kommt mit fast zehn Minuten Verspätung zurück in den Salon.
„Kann es sein, dass du nicht so ganz begriffen hast, wie lang deine Mittagspause eigentlich dauert?“ wird sie sofort von ihrem Chef Hakan Kida angepfiffen. „Denk dran, dass du immer noch in der Probezeit bist! Und du bist weder die Jüngste, noch die Schönste, noch die Schnellste! Für dich finden wir hier ganz schnell Ersatz!“
„Es tut mir leid, ich hab meine Tochter getroffen…“, versucht Urszula sich zu erklären.
„Und ich hab meine Tante Nazan getroffen!“ fährt ihr cholerischer Chef ihr über den Mund. „Und trotzdem bin ich pünktlich aus der Mittagspause zurück gekommen!“
„Das Verhältnis zu meiner Tochter ist nicht ganz unproblematisch…“, beginnt Urszula.
„Das interessiert mich nicht!“ fällt Kida ihr erneut ins Wort. „Jeder von uns hat Familie! Aber wenn du deinen Privatscheiß auf die Arbeit trägst, dann hast du hier nichts verloren! Klar?!“
Frustriert bringt Urszula den Rest ihres Arbeitstages hinter sich, schneidet im Akkord die Haare, setzt sich mit unfreundlichen Kunden und unfreundlichen Kollegen auseinander und denkt an die guten alten Zeiten, als sie noch mit Tanja und ´Lotti´ im Salon in der Ulrike-Böss-Straße gearbeitet hat, an ihr luxuriöses Leben mit Christian – und an die Zeit, als Irina noch ihr kleiner Sonnenschein war…
Als sie endlich Feierabend macht, freut sie sich zumindest auf den Abend mit Udo. Doch als sie sich dafür zuhause zurecht macht, kommt das nächste Problem in Form von Artjom auf sie zu.
„Gehst du heute Abend noch weg?“ möchte ihr Adoptivsohn wissen.
„Nur ins Akropolis rüber“, erklärt sie. „Mit einem Freund.“
„Mit dem Fettsack?“ fragt Artjom grimmig.
„Artjom, bitte“ herrscht Urszula ihn an.
Für eine Weile lässt der Junge sie in Ruhe. Doch dann tritt er wieder an sie ran und sagt: „Mir geht es nicht gut, Mutter!“
„Was hast du denn?“ fragt Urszula besorgt.
„Ich habe Bauchkrämpfe und mir ist schlecht“, behauptet Artjom. „Das habe ich in letzter Zeit öfter.“
„Das hast du öfter? Dann sollten wir vielleicht mal einen Termin beim Arzt machen…“
„Gehst du trotzdem?“ fragt Artjom.
„Ich kann jetzt nicht mehr absagen, Udo wartet doch schon auf mich! Ich bin doch nur gegenüber beim Griechen. Du kannst mich jederzeit anrufen und ich bin in 3 Minuten wieder da!“
„Udo…“, wiederholt Artjom murrend und verschwindet Türe knallend in seinem Zimmer…
Mit gemischten Gefühlen macht sich Urszula auf zu ihrer Verabredung. Doch als sie mit Udo im Akropolis sitzt und sich von Vasily ein köstliches Essen servieren lässt, ist ihre Stimmung auf der Stelle ausgeglichen und gelöst, nach dem langen, zermürbenden Tag… Die Polin genießt Udo Blochs Gegenwart sehr und unterhält sich ausgiebig mit ihm.
Währenddessen blickt Artjom zuhause immer wieder aus dem Fenster über die Straße zum Akropolis rüber, doch bei keinem der Gäste, die das Lokal verlassen, handelt es sich um Urszula.
Artjom kann seine Wut auf seine Mutter und dieses fette alte Schwein kaum noch zügeln. Wie eine Raubkatze im Käfig tigert er in der Wohnung auf und ab. Irgendwann hört er Schritte im Treppenhaus, doch als er durch den Spion lugt, kommt lediglich Konstantin von gegenüber nach Hause…
Frustriert tigert Artjom weiter umher und hält irgendwann vor dem Regal im Badezimmer inne. Er betrachtet sich die verschiedenen Flaschen und Tuben eingehend. Schließlich schnappt er sich eine Flasche Shampoo, setzt sie sich an den Mund und kippt den gesamten restlichen Inhalt in sich hinein…
Eine Weile später betritt Urszula mit Bloch im Schlepptau die Wohnung.
„Vielen Dank für den schönen Abend“, flüstert sie. „Und danke, dass du mich auch nach Hause gebracht hast.“
„Ich könnte noch ein wenig bleiben“, erwidert er.
Verstohlen blickt Urszula sich in der Wohnung um. „Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.“
„Nur ein Weilchen“, beharrt Bloch.
„Ich… ich muss erst nachsehen, ob mein Sohn schon schläft“, flüstert die Polin.
Wie aufs Stichwort ertönt in diesem Moment dessen Stimme aus seinem Zimmer. Das „Mutter“, das er von sich gibt, klingt mehr als kläglich.
„Wohl nicht“, brummt Bloch.
Besorgt über die Stimm- und Tonlage ihres Sohnes eilt die Polin auf dessen Zimmer zu. „Ihm ging es vorhin nicht gut“, erklärt sie und stößt eilig die Tür auf. Was sie zu sehen bekommt, ist ein Bild des Entsetzens. Der gesamte Fußboden ist voll mit Erbrochenem, Artjom kniet vornüber gebeugt auf seinem Bett, presst sich die Hände gegen den Bauch, ist kreidebleich und hat Schaum vor dem Mund.
„Wo warst du so lange?“ stöhnt er vorwurfsvoll und wehleidig. „Ich glaube, ich sterbe…“

CLIFFHANGER auf: Urszula Winicki-Brenner

Mitwirkende Personen
Artjom Brenner
Urszula Winicki-Brenner
Irina Winicki
Udo Bloch
Nils Wendland
Kerstin Wendland
Annalena Wendland
Lovis Wendland
Maite Wendland
Merle Wendland
Jenny Lüders
Claudio Russo
Enzo Buchstab
Konstantin Landmann
Roland Landmann
Iffi Zenker
Valerie Zenker
Vasily Sarikakis
Anna Ziegler
Emanuel Armbruster
Nana Schütt
Vincent Wolff
Robin Bremer
Zoe Menninger
Kevin Fielmann
Hakan Kida

© popo wolfson, 2023

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags:
Verfasst: So 30. Apr 2023, 16:42 


Nach oben
  
 
 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1878 - Klimakleber
BeitragVerfasst: So 30. Apr 2023, 16:59 
Offline
Benutzeravatar

Registriert: Mi 15. Sep 2010, 12:37
Beiträge: 10009
Eine wunderbare Folge, Popo, die sind alle so herrlich durchgeknallt :lol: Aber Roland schießt echt den Vogel ab mit seiner Dörrörüstin :lol:


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1878 - Klimakleber
BeitragVerfasst: So 30. Apr 2023, 22:30 
Offline

Registriert: Mi 29. Sep 2010, 00:11
Beiträge: 11591
Absolute Psychofolge... :lol: :lol: :lol:
Ja, der Dialog zwischen Roland und Iffi war ganz wunderbar. V.a. ein Strang, in dem (erstmal) NICHTS weiter passiert ist und trotzdem sehr sehr schön! :D
(Das Duo Roland und Valerie....ich ahne Schlimmes :lol: ).

Ach schön, dass Irina mal wieder aufgetaucht ist. Wer weiß, was sie da auf der Straße gemacht hat.
Aber Artjom....der löst in mir wirklich Albträume aus :shock: . Ich sehe schon Udo Blochs nackte Leiche. Ich fürchte mich.


Nach oben
 Profil  
Mit Zitat antworten  
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:  Sortiere nach  
Ein neues Thema erstellen Auf das Thema antworten  [ 3 Beiträge ] 

Alle Zeiten sind UTC + 1 Stunde


Wer ist online?

0 Mitglieder


Du darfst keine neuen Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst keine Antworten zu Themen in diesem Forum erstellen.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht ändern.
Du darfst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du darfst keine Dateianhänge in diesem Forum erstellen.

Suche nach:
Gehe zu:  
cron
Powered by phpBB® Forum Software © phpBB Group


Bei iphpbb3.com bekommen Sie ein kostenloses Forum mit vielen tollen Extras
Forum kostenlos einrichten - Hot Topics - Tags
Beliebteste Themen: Quelle, NES, Haus, Erde, Liebe

Impressum | Datenschutz