Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1867 - Schräge Vögel
BeitragVerfasst: So 29. Jan 2023, 13:39 
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Folge 1867: Schräge Vögel

Spieltag: Donnerstag, 26.01.2023


Dagmar hat heute einen Kontrolltermin im Krankenhaus bezüglich ihrer Aplastischen Anämie. Alle sechs Monate werden weiterhin verschiedene Blutproben entnommen, um sicher zu gehen, dass die Krankheit nicht zurück gekehrt ist. Und wie jedes Mal erfüllt die Begegnung mit der Ärztin Dr. Clara von der Marwitz sie mit Unbehagen. Dagmar kann einfach nicht umhin, Vorurteile zu haben gegen die Enkelin dieser furchtbaren alten Vogelscheuche Amelie von der Marwitz, die ihr damals so viele Schwierigkeiten bereitet hat. Die freundliche Konversation der Ärztin tut Dagmar daher mit knappen Bemerkungen ab. Und sie ist froh, als sie das Krankenhaus wieder verlassen darf und für das nächste halbe Jahr Ruhe vor dieser Person hat.
Dennoch macht sich auch Erleichterung in Dagmar breit, als sie sich auf den Heimweg begibt, denn alle Untersuchungen sind zufriedenstellend verlaufen. Sie ist aktuell gesund, die Aplastische Anämie ist bislang nicht zurückgekehrt, was angesichts der Prognosen, die sie zu Beginn ihrer Erkrankung hatte – und die bei dieser Art von Krankheit generell gestellt werden – alles andere als selbstverständlich ist. Es ist schon fast ein Wunder, dass es ihr heute wieder so gut geht. Und sie ist sich auch im Klaren darüber, dass sie dies auch Lisa und ihrer Knochenmarkspende zu verdanken hat.
Sie hat viele Fehler bei Lisa gemacht, dessen ist sie sich heute bewusst. Und sie würde sich wünschen, dass sie und ihre Tochter nochmal einen neuen Anfang machen könnten, sich von all diesem alten Ballast reinwaschen. Aber das ist wohl zu viel verlangt… Lisa hat für sie ihr Knochenmark gespendet und ihr damit das Leben gerettet. Das ist schon mehr, als sie jemals von ihr hätte verlangen können. Aber damit war für Lisa die Grenze auch schon erreicht, mehr als das wird sie für ihre Mutter nicht mehr tun und im Grunde ist es auch verständlich, wenn man bedenkt, was für eine Kindheit Dagmar Lisa beschert hat. Aber war das wirklich ihre Schuld? Dagmar kam ja zu dieser Zeit mit ihrem eigenen Leben kaum klar, war vollkommen überfordert mit all den täglichen Anforderungen, die sie auslaugten… Wie sollte sie denn da nebenbei noch Verantwortung für ein Kind übernehmen? Zudem für eins, das sie nie gewollt hatte…
In der Kastanienstraße angekommen, begibt sich Dagmar ins Café Bayer, wo sie sich zur Feier des Tages ein Stück Torte gönnen möchte. Am Nachbartisch sitzt die Ärztin aus der Lindenstraße, Lisas ehemalige Chefin, Iris, und nickt ihr freundlich zu. Und während Anna Dagmars Bestellung bearbeitet, betritt Sebastian das Café und setzt sich zu Iris. Zwangsläufig bekommt Dagmar in der relativen Stille des heute nicht sehr gut besuchten Lokals Teile der Unterhaltung mit. Es geht darum, dass der junge Mann für seine Freundin einen Termin in einer psychiatrischen Praxis gemacht hat, weil sie unter einer schweren Depression leidet und ihr Kind nicht annehmen will. Dagmar horcht auf. Sie weiß, um wen es hier geht, um die Inhaberin des italienischen Bistros in der Ulrike-Böss-Straße.
Heutzutage hat man für jedes seelische Leiden so schöne psychologische und psychiatrische Erklärungen, denkt sich Dagmar. Bei ihr hat damals keiner eine Wochenbettdepression diagnostiziert. Sie war einfach nur die überforderte alleinerziehende Mutter. Kinder sind nun mal nicht jedermanns Sache und Neugeborene machen viel Arbeit und kosten viele Nerven. Dagmar kann schon verstehen, dass die junge Italienerin in ihrer neuen Mutterrolle nicht glücklich ist. Aber muss man sie deshalb gleich zum Psychiater schleppen?
Nach dem Café-Besuch stellt Dagmar fest, dass der Döner-Imbiss mal wieder geschlossen hat. Merkwürdig, dass Murat in letzter Zeit so häufig über Mittag zu macht, wo sich während der Mittagspausen in der Regel doch die ersten Stammkunden bei ihm einfinden...
Als Dagmar in ihre Dachgeschosswohnung empor steigt, begegnet sie im Treppenhaus Hermann Benodakt und ist wie immer sehr erfreut über die Begegnung mit ihrem Nachbarn. Glücklich berichtet sie ihn vom positiven Ausgang ihrer Untersuchungen und Hermann freut sich sichtlich mit ihr.
„Möchtest du mich später besuchen?“, fragt der pensionierte Lehrer. „Wir könnten ein paar alte Platten hören und uns ein wenig unterhalten. Und heute Abend könnten wir vielleicht gemeinsam eine Kleinigkeit essen.“
Dagmar nimmt die Einladung gerne an. Und so sitzen die beiden etwas später in Benodakts Wohnung, hören klassische Musik und unterhalten sich über Bücher, Musik, die Weltpolitik und das Wetter. Inzwischen fühlt sich für beide die Anwesenheit des jeweils anderen so unglaublich vertraut an. Und dennoch verhalten sie sich bei jeder zufälligen Berührung und bei jedem intensiveren Blickkontakt noch so schüchtern und unbeholfen wie zwei Teenies…
„Vielleicht… möchtest du ja heute Nacht bleiben?“ erkundigt sich Hermann zu späterer Stunde bei Dagmar.
„Ich… ich weiß ja nicht“, entgegnet diese zögerlich und läuft rot an.
„Wir… also… ich...wir… ich meine“, stammelt Benodakt unwirsch. „Also, ich meine… es ist… ja nicht notwendig, dass du und ich… also dass wir… es… es muss ja nicht zu einer… einer sexuellen Handlung kommen!“ Nun ist auch Hermann Benodakt knallrot im Gesicht und Schweißperlen stehen auf seiner Stirn.
„Ach, nicht?“ fragt Dagmar und wirkt fast erleichtert.
„Man… man kann ja auch einfach so… ohne… du weißt schon“, murmelt Hermann.
„Ja, das kann man“, lacht Dagmar verlegen. Nach erneutem Zögern fügt sie hinzu: „Weißt du, es ist nämlich so, dass ich… also, seit der Trennung von meinem Mann damals… habe ich nie mehr… das ist nun schon gut 40 Jahre her.“
„Ich habe seit dem Tod von meiner Marie-Louise auch nie wieder…“ Hermann Benodakt lässt den Satz unvollendet.
„Aha“, kichert Dagmar mit vorgehaltener Hand und wird erneut rot.
„Sex wird vollkommen überbewertet!“ sagt Hermann plötzlich entschlossen und mit fester Stimme. „Es gibt so viele andere Möglichkeiten, gemeinsame Zeit zu verbringen und sich seine Zuneigung zu zeigen!“
„Das stimmt!“ pflichtet Dagmar ihm bei. „Aber… trotzdem möchtest du, dass ich bei dir übernachte?“
„Ja, natürlich, es muss dabei ja nicht zu sexuellen Handlungen kommen“, sagt Hermann rasch. „Jedenfalls nicht so, wie man sich das landläufig vorstellt. Ein wenig… kuscheln. Küssen. Händchen halten… Ohne den eigentlichen… Geschlechtsakt. Das ist doch auch sehr… schön.“
„Oh ja. Ja ja“, haspelt Dagmar hektisch.
„Ich würde… so gerne an deiner Seite einschlafen und auch wieder aufwachen…“
„Das wäre wirklich schön“, lächelt Dagmar mit rotglühenden Wangen. „Nun denn… Dann gehe ich vielleicht nochmal kurz zu mir rüber und hole mir ein Nachthemd. Und meine Zahnbürste.“
Gesagt, getan.
Etwas später quetschen sich die beiden dann ungelenk in Benodakts viel zu schmales altes Bett und haben Probleme, genug Decke abzubekommen.
„Vielleicht sollte ich noch meine Bettdecke holen?“ fragt Dagmar.
„Ich denke, wenn wir uns nicht zu sehr bewegen, wird es auch so gehen“, erwidert Benodakt, während unter ihnen das alte Bettgestell knarzt und quietscht. Dagmar muss plötzlich kichern und auch Hermann stimmt in dieses Lachen ein. Dann liegen beide stocksteif und nahezu bewegungslos dicht an dicht nebeneinander. Hermann nimmt Dagmars Hand in die seine und flüstert: „Gute Nacht, liebe Dagmar.“
„Gute Nacht, lieber Hermann“, erwidert diese. Und als Hermann Benodakt unter dem energischen Knarren seines Bettes nochmal den Arm ausstreckt, um die Nachttischlampe zu löschen, verspüren alle beide in ihrer mehr als merkwürdigen Situation eine tiefe Zufriedenheit…

„Überraschung!!!!“
Sarah bleibt der Mund offen stehen, als Fabian am frühen Morgen mit einer riesigen Tüte verschiedenster Semmeln und einem Korb mit Marmelade, Honig, Käse, Aufschnitt, Saft und Milch vor der Wohnungstür steht.
„Was machst du denn schon so früh hier?“ fragt sie überrumpelt, während Fabian sich an ihr vorbei schiebt und beginnt, die Küche zu belagern.
„Ich wollte mit euch frühstücken!“ verkündet er strahlend und macht sich ungefragt an Schränken und Schubladen zu schaffen. „Ist deine Mutter nicht da?“
„Die hat Frühschicht im Bayer!“ erklärt Sarah zerstreut. „Ich hab jetzt auch echt keine Zeit. Ich muss sehen, dass Emil für die Schule fertig wird und dann muss ich mich selbst fertig machen, ich hab heute einiges zu tun in der Kanzlei.“
„Aber für ein ausgewogenes Frühstück vor der Schule hat Emil noch genug Zeit“, beschließt Fabian. „Und in deine Kanzlei kommst du heute eine Stunde später. Ich hab schon alles mit deinem Chef geklärt!“
„Du hast was?“ fragt Sarah fassungslos – während Emil strahlend in der Küche erscheint und sich über den Überraschungsgast und dessen opulentes Frühstück freut.
„Ich hab Herrn von Sassnitz gestern mitgeteilt, dass du heute später kommst, weil dein alter Freund wieder in München ist und du heute mit ihm frühstücken möchtest. Es war okay für ihn.“
Sarah bleibt die Spucke weg. „Das kannst du doch nicht einfach so machen!!!“
„Natürlich kann ich das, siehst du doch!“ Fabian hat die Kaffeemaschine in Gang gesetzt und Milch für warmen Kakao aufgesetzt. Nun beginnt er, die Brötchen zu halbieren. „Schade, dass deine Mutter schon weg ist. Ich hätte sie gerne bei unserem Frühstück dabei gehabt. Fast wie früher, als ich bei euch in der Kastanienstraße war. Weißt du noch?“
„Das ist total übergriffig!“ erwidert Sarah gereizt.
Fabian hält in seiner Bewegung inne, lässt das Messer sinken und blickt sie kühl an. „So siehst du das also?“ flüstert er betroffen. „Ich mach mir solche Mühe, um dich zu überraschen und dir einen schönen Start in den Tag zu ermöglichen … Und du… findest das übergriffig?!“
„Ich… werd halt nicht gern so überrumpelt“, versucht Sarah es etwas freundlicher.
„Ich hab schon verstanden!“ sagt Fabian energisch. Mit einigen schnellen Handbewegungen befördert er alles, was er gerade für das Frühstück ran geschafft hat in den Küchen-Mülleimer. Sarah kann es kaum fassen.
„Findest du deine Reaktion jetzt nicht ein bisschen… drüber?“ fragt sie. Statt einer Antwort wirft Fabian ihr einen bitterbösen Blick zu – und stürmt ohne weitere Kommentare aus der Wohnung. Emil steht verstört in der Küchentür und fragt: „Gibt es jetzt doch kein Frühstück?“
Auch zwei Stunden später, als Sarah in der Kanzlei längst ihre Arbeit aufgenommen hat, ist sie von Fabians überdramatischem und ziemlich unangebrachtem Auftritt noch ziemlich durch den Wind und muss immer wieder daran denken. Was, zur Hölle, war denn das?
In der Zwischenzeit taucht Fabian bei Anna im Café Bayer auf und klagt ihr sein Leid. Er berichtet, dass er Sarah am Morgen überraschen wollte und dass diese das anscheinend gar nicht wertzuschätzen wusste.
Während Fabians Ausführungen betritt Helga das Café und spitzt sofort neugierig die Ohren.
„Naja, vielleicht bist du da ja ein bisschen übers Ziel hinaus geschossen“, meint Anna. „Ich meine, am frühen Morgen unangemeldet Besuch zu bekommen, ist vielleicht nicht unbedingt die entspannteste Weise, in den Tag zu starten. Und Sarah hat beruflich gerade auch echt viel um die Ohren.“
Das ist nicht die Antwort, die Fabian hören wollte. Er hat eher darauf gehofft, dass Anna sich auf seine Seite stellt. Dass sie Sarah eventuell sogar den Kopf zurecht rückt und ihr verklickert, wie toll das ist, was er für sie tun wollte, und dass sie eine solche Geste doch mit mehr Dankbarkeit quittieren sollte. Leicht zermürbt verlässt Fabian das Café wieder.
„Bandelt Sarah etwa wieder mit Fabian an?“ erkundigt sich Helga und reckt den Hals, um ihm besser nachsehen zu können.
„Hier bandelt überhaupt niemand mit irgendwem an, Helga! Was darf’s denn sein?“
„Das war ja immer ein merkwürdiger Junge, dieser Fabian“, sagt Helga und schaut ihm weiter hinterher. „Nett und höflich, aber merkwürdig. Also ich würde den ja nicht unbedingt als Schwiegersohn haben wollen…“
„Pass auf, dass dir nicht gleich ein Halswirbel rausspringt“ erwidert Anna sarkastisch. Doch Helga nimmt die Bemerkung gar nicht wahr und redet einfach weiter: „Andererseits ist Sarah ja jetzt auch schon Mitte 30. Wenn sie sich nicht vorsieht und bald einen Partner findet, wird sie noch als alte Jungfer enden… Will Sarah eigentlich Kinder haben? Dann sollte sie sich aber wirklich sputen. Ihre biologische Uhr tickt auch schließlich schon. Tick Tack. Also allmählich wird es Zeit…“
„Deine Marion ist ja auch kinderlos und unverheiratet, nicht wahr, Helga!?“ stellt Anna bissig fest – und unterbricht damit endlich Mutter Beimers Redefluss…
Als Anna und Sarah nach Feierabend in ihrer Wohnung aufeinander treffen, erzählen sie sich von ihren jeweiligen Begegnungen mit Fabian. Zwar finden beide, dass Fabian sich durchaus dezenter hätte verhalten können, aber irgendwie finden sie seine Bemühungen auch süß. Daher plagt Sarah nun auch das schlechte Gewissen ein wenig und sie ringt sich schließlich dazu durch, Fabian anzurufen, sich für ihr Verhalten zu entschuldigen und für den Abend mit ihm zum Essen im Akropolis zu verabreden.
„Könntest du dir eigentlich vorstellen, dass das nochmal was wird mit euch beiden?“ erkundigt Anna sich, als Sarah gerade zu ihrer Verabredung aufbrechen will.
„Nee, definitiv nicht!“ winkt Sarah schnell ab. „Das ist alles rein freundschaftlich. Was vor fast 20 Jahren schon nicht funktioniert hat, muss jetzt auch echt nicht im zweiten Anlauf aufgewärmt werden…“
„Ich hoffe, Fabian sieht das genauso“, murmelt Anna skeptisch, nachdem Sarah die Wohnung verlassen hat…
Im Akropolis freut sich Fabian derweil nicht nur über seine Verabredung mit Sarah, sondern auch über das Wiedersehen mit seinem früheren Chef Vasily. Dessen Laune ist heute ebenfalls blendend, denn nach wochenlangen Querelen hat er sich just wieder mit seiner Simone versöhnt, nachdem alle Defizite über deren Umgang mit Sandra endlich bereinigt werden konnten.
Auch der Abend von Sarah und Fabian verläuft zunächst entspannt. Die beiden plaudern über Gott und die Welt und Fabian kann es nicht lassen, seine eigenen Verbesserungsvorschläge kund zu tun, die er gerne am Essen des Griechen vornehmen würde, würde er wieder in der Küche des Akropolis stehen.
„Hast du eigentlich nochmal was von diesem… Stalker gehört?“, flüstert Fabian irgendwann.
„Nein, schon länger nichts mehr“, erwidert Sarah, der bei dem bloßen Gedanken an diese Sache wieder ein Schauer den Rücken runterläuft. „Scheinbar hat er sein Interesse an mir verloren.“
„Hast du eigentlich einen Freund?“ erkundigt Fabian sich. „Oder hast du in letzter Zeit mal was Ernsthaftes gehabt?“
„Nein. Und du?“
„Nein.“
„Aber ich finde es eigentlich ganz gut so, wie es ist“, sagt Sarah schnell, um zu verhindern, dass sich Fabian ansonsten womöglich falsche Hoffnungen machen könnte. „Mein Job spannt mich ziemlich ein, aber er macht mir auch großen Spaß. Für eine Beziehung habe ich gerade gar keine Zeit.“
Nach einem kurzen Moment des Schweigens sagt Fabian anerkennend: „Ich finde es ja wirklich beeindruckend, dass du das so konsequent durchgezogen hast!“
„Das Jura-Studium? Ja, das war nicht ohne. Aber ich finde das auch wahnsinnig spannend!“
„Jura-Studium?“ wiederholt Fabian irritiert. „Ach so, ja, das natürlich auch. Aber ich meinte jetzt eigentlich deine Enthaltsamkeit.“
„Enthaltsamkeit?“ Sarah ist irritiert.
„Ja. Damals, als du nicht mit mir schlafen wolltest, da hast du mir gesagt, dass du keinen Sex vor der Ehe haben möchtest“, erinnert Fabian sie. „Und da du ja meines Wissens nach nie verheiratet warst…“
Sarah starrt Fabian einige Sekunden fassungslos an. Dann kann sie nicht mehr an sich halten und beginnt lautstark zu lachen.
„Was ist denn daran jetzt so komisch?“, fragt Fabian.
„Ach, Fabian, ich war damals 18 und reichlich naiv“, kichert Sarah. „Aber das heißt ja nicht, dass ich mich mein Leben lang an die keuschen Vorsätze meiner Jugend halten muss. Natürlich habe ich in der Zwischenzeit auch mal Sex gehabt. Auch ohne den Kerl zuerst zu heiraten.“
Während Sarah immer noch belustigt vor sich hin gluckst, wechselt Fabians Gesichtsfarbe im Sekundentakt zwischen weiß und rot.
„Das ist jetzt aber nicht dein Ernst?!“ ruft Fabian gereizt aus, nachdem er seine Fassung wiedergefunden hat. „Du hast mich verarscht? Du hast mit meinen Gefühlen gespielt und hast mir die biedere Jungfrau vorgespielt! Und kaum bin ich weg, verhältst du dich wie eine Schlampe!!!“
Sarah hat das Gefühl, dass sämtliche Unterhaltungen im Gastraum des griechischen Restaurants verstummt und alle Blicke auf sie gerichtet sind. Am liebsten würde sie im Erdboden versinken.
„Fabian… ich…“ beginnt sie mit belegter Stimme zu flüstern. „Mein Gott, ich meine… du… du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, dass ich mit 35 Jahren noch nie… Ich meine,… das… das wäre doch… du… du hast doch sicher auch…!“
„Nein! Habe ich nicht!!“ keucht Fabian erstickt. „Mich hat deine Entschlossenheit damals sehr beeindruckt. Und ich hab gedacht, wenn du das willst und wenn du das schaffst… dann will ich das auch schaffen. Seit mehr als 15 Jahren warte ich jetzt darauf, dass die Richtige kommt. Die, die es wert ist, dass ich sie heirate und wir gemeinsam… Und… und dann hab ich gemerkt, dass ich die Richtige schon längst gefunden habe. Dass du das bist. Und dass ich immer nur dich gewollt habe…“
Sarahs Gedanken überschlagen sich und sie braucht etwas Zeit, um sich zu sammeln. Dann fragt sie: „Fabian, bist du… hast… hast… du… mich gestakt?“
Fabians erregter Blick schwankt zwischen Entsetzen und Empörung. „Das ist wirklich das Allerletzte!“ spuckt er schließlich wütend aus. „Hast du vergessen, dass dein Scheiß Stalker mich auch zusammengeschlagen hat? Und jetzt soll ich das gewesen sein? Ist ja klar! Mit dem blöden Fabian kann man’s ja machen. Den können alle verarschen. Auf dem können alle rumtrampeln! Das war ja schon immer so!!!“
„Fabian… ich…!“
„Weißt du was? Eine billige Schlampe wie du, die sich jedem an den Hals wirft und die wild in der Gegend rumvögelt, die muss sich ja auch nicht wundern, wenn sie irgendwann an einen Perversling gerät, der sie stalkt!“
„Das muss ich mir echt nicht länger anhören!“ Empört springt Sarah auf und verlässt fluchtartig das Lokal. Nun sind alle Blicke auf Fabian gerichtet: Vasily und Simone am Tresen, Andy und Gung als kläglicher Rest des früheren Stammtisches, Nils und Kerstin, die an einem Nachbartisch ein Essen zu sich nehmen, sowie jede Menge fremder Gäste. Fabian wird knallrot, räuspert sich und bemüht sich um eine feste, souveräne Stimme. Doch als er Vasily „Zahlen, bitte!“ zuruft, kommt nur ein sich überschlagendes Kieksen zum Vorschein…
Sarah kommt derweil völlig von der Rolle zuhause an.
„Du bist schon da?“ wundert sich Anna. „War es nicht schön?“
„Ich glaube nicht, dass ich den nochmal wiedersehen will“, keucht Sarah. Und dann setzt sie sich zu ihrer Mutter aufs Sofa, um ihr alles zu erzählen…

Lea bemüht sich seit einer Woche, das unverschämte Angebot zu ignorieren, das Ortrun ihr gemacht hat, damit sie sich zukünftig von Tristan distanziert. Zuerst wollte sie Tristan brühwarm erzählen, was seine Mutter ihr vorgeschlagen hat. Dann hat sie sich jedoch dagegen entschieden, da sie befürchtet, dass es nur erneut böses Blut geben würde, wenn Lea erneut etwas Negatives über seine Mutter sagt. Er hat ihr ja auch nicht geglaubt, dass Lea Ortrun nicht auf der brennenden Dachterrasse im Stich gelassen hat. Womöglich würde er ihr nun auch nicht glauben, wenn sie ihm von dem unmoralischen Angebot erzählt, das Frau von Sassnitz ihr gemacht hat. Also hat Lea beschlossen, dass es das Beste ist, die Sache einfach so schnell wie möglich zu vergessen. Wenn sie sich diesbezüglich einfach nicht mehr bei Ortrun von Sassnitz melden würde, würde diese früher oder später schon selbst begreifen, dass Lea kein Interesse an ihrem Geld hat…
Doch Lea hat nicht mit Ortruns Hartnäckigkeit gerechnet, denn an diesem Vormittag steht sie plötzlich mitten im Salon.
„Guten Morgen, Lena!“ begrüßt sie sie höflich. „Dürfte ich bitte mal kurz mit dir sprechen?“
„Nein, ich habe gerade zu tun!“ entgegnet Lea knapp.
„Ach, geh nur, wir kommen auch kurz ohne dich zurecht“, sagt Tanja und hinter ihr nickt `Lotti´ zustimmend. Auch das noch… Nun bleibt Lea nichts anderes übrig, als Frau von Sassnitz hinaus zu folgen.
„Ich habe nichts mehr von dir gehört“, sagt Ortrun. „Hast du dir mein Angebot durch den Kopf gehen lassen, meine Liebe!“
„Ich bin nicht Ihre Liebe“, entgegnet Lea schnippisch. „Und Ihr Angebot können Sie sich in Ihre adeligen vier Buchstaben stecken!“ Damit dreht sich Lea auf dem Absatz um und will in den Salon zurück.
„Nicht so hastig!“ ruft Ortrun ihr nach. „Ich wäre bereit, mein Angebot zu verdoppeln!“
„Verdoppeln?“
„Ja, verdoppeln! 100.000 Euro, meine Liebe. Und nun sei ehrlich. Das ist nun wirklich mehr als großzügig, nicht wahr?! Also das wirst du nun wirklich nicht ablehnen können!“
Lea atmet tief durch. Dann sagt sie:“ Ich denke drüber nach!“ Und schnell geht sie wieder in den Salon zurück.
Na bitte, denkt sich Frau von Sassnitz zufrieden. Jeder hat seinen Preis. Man muss nur bereit sein, genug zu zahlen, dann knicken sie alle ein. Ortrun weiß, dass Lea dieses neue Angebot nicht ausschlagen wird – nicht ausschlagen kann…!
Doch Lea schäumt innerlich vor Wut über die Selbstgefälligkeit, mit der diese Frau davon ausgeht, dass alles und jeder nach ihrer Pfeife zu tanzen hat. Den ganzen Nachmittag lang kann Lea kaum an was anderes denken. Und schließlich trifft sie die Entscheidung, Tristan doch die Wahrheit über seine Mutter zu erzählen.
„Kann ich heute ein bisschen früher Feierabend machen?“ möchte sie von Tanja wissen. „Ist ja heute nicht viel los und ich hab keine Termine mehr.“
Nachdem sie Tanjas Segen erhalten hat, eilt Lea geradewegs ein Stockwerk höher in Tristans Kanzlei. Und der ist sehr erfreut über den unerwarteten Besuch.
Lea sucht zunächst nach den richtigen Worten, um Tristan reinen Wein einzuschenken. Doch dann platzt es aus ihr raus: „Deine Mutter hat mir Geld dafür angeboten, dass ich dir den Laufpass gebe.“
„Wie bitte?“ fragt Tristan, der glaubt, sich verhört zu haben.
„100.000 Euro“, sagt Lea.
Tristan braucht einen Moment, um die Information sacken zu lassen. Dann erwidert er: „Sag mal, geht’s noch?“
„Wie bitte?“
„Ich weiß ja, dass meine Mutter manchmal etwas speziell sein kann, aber jetzt musst du sie nicht auf Teufel komm raus in ein schlechtes Licht rücken, nur weil sie dir fälschlicherweise unterstellt hat, dass du sie oben auf dem Hoteldach im Stich gelassen hast.“
„Du glaubst mir nicht?“ fragt Lea empört.
„Nein, tue ich nicht“, sagt Tristan entschlossen. „Als ob meine Mutter so etwas machen würde, das ist doch wirklich absolut lächerlich!“
„So, ist es das?“ fragt Lea. „Dann bin ich mal gespannt, was du dazu sagst!“ Mit einer schnellen Handbewegung zieht sie ihr Handy aus der Jackentasche, wählt Ortrun von Sassnitzs Nummer und stellt das Gerät auf Lautsprecher.
„Lena, meine Liebe, wie schön von dir zu hören!“ scheppert Sekunden später die Stimme von Tristans Mutter blechern aus dem Lautsprecher. „Bist du endlich zur Vernunft gekommen? Ich wusste doch, dass du dieses mehr als großzügige Angebot nicht ausschlagen wirst. 100.000 sind schließlich eine ganze Menge Geld für ein junges Ding wie dich, nicht wahr?!“
„Ich finde, wir sollten nochmal über alles reden!“ erwidert Lea abgebrüht. „Tristan dürfte uns beiden wohl ein bisschen mehr wert sein, als 100.000. Ich möchte das Doppelte: 200.000 und wir kommen ins Geschäft!“
Am anderen Ende der Leitung hört man Ortrun von Sassnitz nach Luft schnappen.
„Also ich muss schon sagen, dass ich das jetzt doch reichlich unverschämt finde!“ presst sie mit empörter Stimme hervor. „Das ist immerhin das Vierfache von dem, was ich dir ursprünglich angeboten habe!!!“
„Take it or leave it, für weniger mach ich’s nicht“, entgegnet Lea schnippisch.
Ortrun atmet erneut laut aus, dann sagt: „Gut, gut! Aber für eine solche Summe musst du mir schon ein paar Tage Zeit lassen. Ich muss zunächst mit meinem Finanzberater reden, es ist ja nicht so, dass ich hier irgendwo einen großen Geldschrank stehen hätte wie Onkel Dagobert, nicht wahr?! Ich melde mich, sobald ich das Geld hat!“
Damit drückt sie das Gespräch weg. Tristan sitzt fassungslos da und starrt Lea an. Doch statt Genugtuung darüber, dass er nun endlich begreifen muss, wie sie Mutter tickt, verspürt sie nur Mitleid mit ihm.
„Tut mir leid!“ sagt sie.
„Komm mit!“ fordert Tristan sie auf und stürmt in Richtung Tür.
„Was hast du vor?“ fragt Lea, erhält allerdings keine Antwort und folgt Tristan schließlich einfach…
Im rasanten Tempo fahren die beiden durch die Stadt, bis Tristans Auto mit quietschenden Reifen auf dem Vorplatz der Villa von Sassnitz zum Stehen kommt.
„Das ist aber eine Überraschung!“ freut sich Ortrun, als sie in der Haustür erscheint. In dem Moment bemerkt sie, dass ihr Sohn nicht alleine gekommen ist, sondern auch Lea aus dem Auto steigt ,und hält verunsichert inne.
„Ist das dein Ernst, Mutter?“ fragt Tristan wütend. „Hast du so etwas wirklich nötig?“
„Was… äh… meinst du denn?“ spielt Ortrun die Unschuldige.
„Hör auf mit diesem Schmierentheater!“ brüllt Tristan seine Mutter an.
„Ich… verstehe wirklich nicht“, versucht Ortrun weiterhin, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Doch ihre Fassade bröckelt gewaltig.
„Du bietest Lea Geld dafür, dass sie mich abserviert!“ bringt Tristan es endlich auf den Punkt.
„Hat sie dir das eingeredet?“ Ortrun deutet mit gespielter Empörung in Leas Richtung. „Und du glaubst ihr diese Lügenmärchen, die sie dir auftischt? Das macht sie doch nur, um mich schlecht zu machen, weil sie eifersüchtig ist, weil wir so ein gutes Verhältnis zueinander haben und weil sie es mir nicht gönnt, dass wir…“
„Hör endlich auf mit dieser gottverdammten Scheiße, Mutter!“ schreit Tristan Ortrun an.
„Also wie redest du denn eigentlich mit mir?“ empört diese sich atemlos. „So habe ich dich definitiv nicht erzogen!“
„Ich habe euer Telefongespräch mit angehört, Mutter! Ich stand daneben, als Lea dir gesagt hat, dass sie 200.000 Euro haben will!“
Erneut ringt Ortrun um Fassung. Dann wittert sie eine neue Chance und zetert los: „Ja… siehst du es nun endlich? Dieses kleine Biest! Sie hat mich angebettelt. Sie ist zu mir gekommen und hat um 100.000 Euro gebeten. Sie sagte, wenn ich ihr die zahle, dann verschwindet sie endlich aus unserem Leben… Und ich… ich war bereit, mich darauf einzulassen, weil… weil ich dich schützen wollte vor ihr. Und… und dann… dann hat sie plötzlich noch mehr verlangt, diese miese kleine Natter. Sie will mich aussaugen wie ein Blutegel… sie… sie...!“
„Hör endlich auf damit!“ schreit Tristan. „Merkst du eigentlich nicht, wie lächerlich du dich machst?“
„Aber...aber ich…!“
„Los, wir verschwinden!“ fordert er Lea auf. Diese setzt sich wieder auf den Beifahrersitz.
„Wo… wo willst du jetzt hin?“ kreischt Ortrun hysterisch, als Tristan auf die Fahrertür zugeht.
„Es ist besser, wenn wir uns vorerst nicht mehr sehen, Mutter!“ erwidert Tristan kühl, steigt ein und fährt so rasant los, dass der ordentlich geharkte Kies nur so durch die Luft wirbelt.
Ortrun steht da, Mund und Augen weit aufgerissen, und sieht fassungslos zu, wie die roten Rücklichter ihre Grundstücksgrenze passieren und in der Dunkelheit verschwinden…

CLIFFHANGER auf: Ortrun von Sassnitz

Mitwirkende Personen
Dagmar Hoffmeister
Hermann Benodakt
Anna Ziegler
Sarah Ziegler
Emil Ziegler
Fabian Feldmann
Ortrun von Sassnitz
Tristan von Sassnitz
Lea Starck
Helga Beimer
Vasily Sarikakis
Simone Stadler
Tanja Schildknecht
Peter ´Lotti` Lottmann
Dr. Iris Brooks
Dr. Sebastian Ritter
Andy Zenker
Gung Phan Kien
Nils Wendland
Kerstin Wendland
Dr. Clara von der Marwitz

© ´popo wolfson` 2023

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: So 29. Jan 2023, 13:39 


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 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1867 - Schräge Vögel
BeitragVerfasst: So 29. Jan 2023, 14:10 
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Beiträge: 10009
Schön, schön, danke Popo!


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 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1867 - Schräge Vögel
BeitragVerfasst: So 29. Jan 2023, 15:37 
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Registriert: Mi 29. Sep 2010, 00:11
Beiträge: 11591
Ich habe noch gedacht: Lea, drück auf Record! :lol:

Und Fabian war wieder dabei :D . Mir hätte es ja gefallen, wenn Fabian sich noch eine Weile bei Sarah einschleimt anstatt schon hinter seine Fassade blicken zu lassen. Aber er muss sich in Acht nehmen, Sarah ist schließlich Juristin.
Armer Emil, der hatte sich schon auf das Frühstück gefreut...


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