Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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BeitragVerfasst: So 25. Sep 2022, 07:21 
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Folge 1850: Schon bald, wenn uns das Leben winkt...

Spieltag: Donnerstag, 22.09.2022

Als Pat in den frühen Morgenstunden aus einem unruhigen Schlaf auf ihrer Campingliege erwacht, ist das Bett ihrer Tochter neben ihr leer. Pat quält sich von der Liege, schlappt in die Küche und setzt Wasser für einen Jasmin-Tee auf. In der übrigen Wohnung ist alles still, Popo ist auch nicht im Bad oder im Wohnzimmer, offenbar ist sie also gar nicht zuhause. Wann hat sie sich rausgeschlichen? Gestern Abend war sie doch noch da… So schlecht, wie sie dachte, scheint Pat wohl doch nicht geschlafen zu haben… In dem Moment, in dem Pat sich ihren Tee aufgießt, wird die Wohnungstür aufgeschlossen und jemand schleicht in den Flur. Pat stürzt aus der Küche, doch es ist nicht Popo, die nach Hause kommt, sondern Jekaterina
„Bist du auch früher Wurm?“ fragt die Ukrainerin erstaunt, als sie Pat entdeckt. „Das ich hätte jetzt nicht erwartet von dir…“
„Wo kommst du denn schon her so früh?“ fragt Pat, nicht minder erstaunt.
„Eher spät“, erwidert Jekaterina gähnend. „Von Arbeit. Barjob in Club.“
„Ist aber wohl eine sehr hotte Club“, meint Pat beim Anblick von Jekaterinas gewagtem Outfit.
„Ja, Nachtclub halt“, gibt Jekaterina zurück und verabschiedet sich ins Bett.
Als Pat wenige Minuten später vom Küchenfenster aus Tee trinkend auf die frühmorgendliche Lindenstraße hinaus blickt, entdeckt sie plötzlich ihre Tochter: Popo kommt in Begleitung von ´Socke`, dem heißen jungen Koch aus dem Akropolis die ansonsten noch menschenleere Straße entlang geschlendert. Vor dem Haus bleiben die beiden stehen und küssen sich innig, ehe Popo durch den Eingang verschwindet und Sokrates seinen Weg fortsetzt.
Als Popo die Wohnung betritt, empfängt Pat sie bereits im Flur.
„Fuck! Don’t scare me!“ zuckt Popo zusammen, als ihre Mutter im dunklen Flur plötzlich vor ihr steht.
„Wollen wir nicht lieber reden deutsch?“ schlägt Pat vor. „Nächste Woche ist die Prozess gegen Herr Hülsch. Die haben es sich lieber, wenn sie reden können deutsch mit dir.“
„Ich will jetzt gar nicht reden, sondern gehen in die Bett!“ motzt Popo.
„Hattest du Spaß heute Nacht?“ fragt Pat.
Popo starrt ihre Mutter an. „Das geht dich an gar nichts“, zickt sie schließlich.
Nachdem Popo ein paar Stunden später ihren verpassten Nachtschlaf nachgeholt hat, fragt Pat: „Bist du nervous wegen deine Prozess in the next week?“
Popo zuckt mit den Schultern.
„Sollen wir vielleicht versuchen, dich ein wenig zu lenken ab?“ fragt Pat. „Wir könnten gehen auf die Oktoberfest. I love die Oktoberfest, früher ich war immer dort, als ich deine Grandpa noch regelmäßig besucht habe hier in Munich.“
„Oh, Mom, please, I’ve no desire!“ stöhnt Popo.
„Du hast Angst vor die Prozess?“ hakt Pat nach. „Let’s talk about it?“
„Nein, Mom, ich will nicht darüber reden!“ wehrt Popo gereizt ab.
„Hast du Angst zu begegnen Herrn Hülsch vor die Gericht?“ fragt Pat. „Hast du Angst, dass alles wieder kommt hoch?“
Während Popo schweigend vor sich hin starrt, fügt ihre Mutter hinzu: „Du musst nicht haben Angst, er hat getan eine schlimme Sache und er wird bestraft dafür from the justice. Du bist hier die Opfer, er ist die Täter. So und nicht umgekehrt!“
Popo starrt ihre Mutter an, mit einem Blick, den Pat nicht recht zu deuten weiß. „Es ist doch so, oder?“ fragt Pat.
„Natürlich ist das so“, zischt Popo, dreht sich um und verschwindet im Bad – während Pat immer mehr Zweifel an Popos Variante der ganzen Geschichte kommen…
Und daher hat Pat auch da dringende Bedürfnis, mit jemandem darüber zu reden, am liebsten mit Helga oder Gabi, denn die beiden erscheinen ihr dafür souverän genug. Allerdings muss Pat im Laufe des Tages mehrere vergebliche Versuche unternehmen, um mit einer der beiden alleine sprechen zu können, denn ständig wuseln Andy oder Lola um sie herum – und diese beiden kann sie bei ihrem Vorhaben nun wirklich nicht gebrauchen.
Schließlich bietet sich doch noch eine Gelegenheit und Pat erwischt Helga alleine in der Küche.
„Kann ich mal reden mit dir?“ fragt die Kanadierin vorsichtig.
„Was gibt’s denn?“ fragt Helga knapp zurück und wirkt dabei ein wenig genervt.
„Es geht um Popo“, beginnt Pat schließlich zaghaft. „Ich weiß nicht, wie ich soll gehen um mit ihr. Sie… verhält sich … strange.“
„Wie meinst du das?“
„Ich will reden mit ihr über ihre Termin vor die Gericht in die nächste Woche und sie dreht sich um und geht.“
„Sie hat Angst vor dem, was sie da erwartet“, vermutet Helga.
„Of course“, stimmt Pat ihr zu. „But… also, ich weiß nicht, ob sie hat Angst, weil sie war die Opfer von eine Verbrechen oder sie hat Angst, weil sie ist… weil...perhaps… jemand anderer ist die Opfer.“
„Wie meinst du das denn jetzt?“ fragt Helga konsterniert. „Also, Pat, du warst ja schon immer etwas seltsam, aber im Moment redest du wirklich richtig wirres Zeug!“
Pat holt tief Luft, dann sagt sie: „Ich könnte mir vorstellen, dass Popo hat die Geschichte erfunden und Herr Hülsch ihr hat gar nichts getan.“
„Wie bitte?“ fragt Helga fassungslos. „Weißt du eigentlich, was du da gerade redest?“
Daraufhin erzählt Pat ihr von den Ungereimtheiten, die ihr aufgefallen sind, davon, dass Popo ihr zunächst erzählt habe, sie könne die Geschäftsführung einer George-Filiale übernehmen und wolle deshalb in Deutschland bleiben, was zu der eher arbeitsscheuen Popo eigentlich gar nicht passen würde, und davon, dass sie dies später dann revidiert habe.
„Ich könnte stellen vor mir, dass Popo sich gedacht hat, sie könnte als Boss schieben eine… wie sagt man… lahme Kugel und trotzdem verdient eine Menge Geld“, berichtete die Kanadierin. „Und als Herr Hülsch ihr dann nicht hat besorgt die gewünschte Stelle, sie hat sich dafür gerächt!“
„Ruhige Kugel heißt das“, verbessert Helga sie schnippisch. „Und bist du dir im Klaren darüber, was du da gerade sagst? Das sind schwere Anschuldigungen! Sehr schwere Anschuldigungen! Gegen deine eigene Tochter!“
„Of course, but… es ist so, dass Popo hat schon immer erzählt vielleicht Lügenmärchen“, sagt Pat schließlich. „Früher, ich habe gedacht, das ist normal für eine Kind. Und sie hat eine… brüllende Fantasy...!“
„… blühende Phantasie“, verbessert Helga.
„… aber auch später, als sie wurde älter, sie hat es mit der Wahrheit nicht immer genommen so genau. Und sie hat sich die Dinge so gebogen zurecht, wie es gerade am besten passte!“
„Aber ob man mal ein bisschen flunkert oder ob man einen anderen Menschen einer Vergewaltigung beschuldigt“, überlegt Helga fassungslos, „das sind nun schon wirklich zwei völlig verschiedene Paar Schuhe! Das wäre ja wirklich skrupellos!“
„Und deshalb ich befürchte, sie könnte jetzt kriegen eine schlechte Gewissen, wo die Prozess rückt näher“, erklärt die Kanadierin. „Vielleicht… sie wird sich langsam klar darüber, wie schlimm das ist, was sie hat erzählt. Vielleicht sie hat aber auch einfach nur Angst, dass ihre Lügenmärchen könnte aufschwimmen und sie bekommt problems nun deswegen.“
„Auffliegen“, korrigiert Helga. „Aber das wäre ja wirklich… ungeheuerlich!“
Helga muss das verdauen, was Pat ihr gerade erzählt hat, aber auch so beobachtet Popo nun mit wachsendem Misstrauen. Die Tatsache, dass Popo, trotz der traumatischen sexuellen Erfahrung, die sie durch die vermeintliche Vergewaltigung gemacht hat, trotzdem immer noch auf der Suche nach neuen Männerbekanntschaften und neuen sexuellen Abenteuern ist, macht sie zusätzlich stutzig. Andererseits könnte es natürlich auch sein, dass sie sich gerade wegen ihres Traumas so verhält. Helga weiß nicht recht, wie sie die Sache sehen soll, schließlich ist sie keine Psychologin…
Aber wie dem auch sei, Helgas Gerechtigkeitssinn ist geweckt: Wenn Popo wirklich vergewaltigt wurde, dann muss Herr Hülsch dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Sollte Popo aber tatsächlich gelogen haben, dann darf sie mit dieser Lüge um nichts in der Welt durchkommen.
Als Helga am Nachmittag von einem Einkauf aus dem Supermarkt zurück kommt, entdeckt sie, wie Popo mit ´Socke` an der Straßenecke vor dem Akropolis steht und ganz offensichtlich intensivst flirtet. Mit wenigen Schritten ist Mutter Beimer bei den beiden Turteltäubchen angekommen.
„Sag mal meinst du nicht, dass du dich vielleicht mal ein wenig zurückhalten solltest?“ fragt Helga Popo schnippisch.
„Was meinst du, Helga-Darling?“ erwidert Popo die Frage und klingt dabei deutlich hörbar gereizt.
„Ich meine, dieses rumpoussieren in aller Öffentlichkeit!“
„Rumpo… what?“ entfährt es Popo versutzt.
„Was ist denn eigentlich Ihr Problem?“ möchte ´Socke` um höfliche Diplomatie bemüht wissen.
„Mein Problem ist, dass Popo sich vielleicht mal ein wenig zurückhaltender und weniger freizügig benehmen sollte!“ erklärt Helga streng. „Wenn man sich so… so… also so benimmt, wie du dich benimmst, dann ist es nicht weiter verwunderlich, wenn Männer… also… also wenn sich Männer… also… also…“
„Helga, was soll das?“ fragt Popo gereizt. „Kannst du bitte aufhören damit, goddamn!“
„Was meint sie denn?“ Sokrates ist inzwischen scheinbar ein wenig überfordert mit der Situation.
„Es reicht die wohl nicht, dass du bereits einmal… vergewaltigt wurdest“, zischt Helga und hofft, Popo damit aus der Reserve zu locken.
„Was???“ ruft der griechische Koch entsetzt aus.
„Ach, hat sie Ihnen das gar nicht erzählt?“ erkundigt sich Helga. „Ist erst ein paar Monate her. Nächste Woche ist der Prozess. Aber diese Erfahrung scheint sie ja nicht im geringsten vernünftiger gemacht zu haben.“
„Du wurdest vergewaltigt?“ fragt Sokrates leise.
„Ich… that… das geht dich nichts an“, erwidert Popo verzweifelt. Dann fährt sie Helga an: „Halt jetzt die Klappe! Willst du mir alles machen kaputt?!“
Während Popo wütend die Straße in Richtung Haus Nr. 3 überquert, möchte ´Socke` von Helga wissen, was genau vorgefallen ist – und sie erzählt ihm unverblümt die ganze Geschichte von Popo und Herrn Hülsch…
„Sie hat kein Wort davon zu mir gesagt“, erklärt Sokrates im Anschluss zerstreut. „Und sie macht auch nicht den geringsten Eindruck, dass… also dass sie so etwas durchleben musste…“
Als Helga später nach Hause kommt, findet sie Popo schmollend auf ihrem Bett.
„Was sollte das?“ faucht Popo sie an. „Bist du jetzt völlig crazy? Was geht es dich an, mit wem ich flirte und mit wem nicht?“
Helga atmet tief durch, fasst sich ein Herz und fragt: „Popo… Bist du wirklich vergewaltigt worden?“
„What???“
„… oder hast du dir das nur ausgedacht, weil… weil du Herrn Hülsch eins auswischen wolltest?“
Popo blitzt Helga böse an, doch lange kann sie Helgas Blick nicht standhalten und sieht weg – für Helga fast schon ein Schuldeingeständnis.
„Es ist also wahr!“ stellt sie fassungslos fest. „Das ist alles eine Lüge! Du beschuldigst Herrn Hülsch zu unrecht dieses… abscheulichen Verbrechens!“
„Stop it!“ kreischt Popo. „Mom hat dir das persu… also eingeredet!“
„Popo, das ist… ich kann das nicht glauben! Wie kannst du nur?“ Helgas Stimme ist voller Empörung und Fassungslosigkeit.
„Warum glaubst du mir nicht?“ fragt Popo.
„Weil man dir vom Gesicht ablesen kannst, dass du lügst“, schimpft Helga. „Wie konnte ich nur die ganzen Monate so blind sein?!“
Popo springt auf und rennt ins Bad.
„Du musste das richtig stellen!“ ruft Helga ihr nach. „Du musst der Polizei die Wahrheit sagen!!!“
In diesem Moment betritt Pat die Wohnung und sieht Helga mit fragendem Blick, aber insgeheim doch wissend, an.
„Ich fürchte, du hattest recht“, sagt Helga. „So, wie sie sich benimmt… Es spricht so vieles dafür, dass sie wirklich gelogen hat…“
„Was wir machen jetzt?“ will Pat wissen.
„Na, wir müssen sie zur Vernunft bringen“, erwidert Helga. „Sie darf nächste Woche auf gar keinen Fall gegen Herrn Hülsch vor Gericht aussagen.“
„Aber sie hat gelogen“, sagt Pat. „Was passiert mir ihr, wenn die Wahrheit kommt raus?“
„Das weiß ich doch nicht“, entgegnet Helga. „Aber für die Konsequenzen muss sie nun selber grade stehen, das hätte sie sich vorher überlegen müssen!“


Marcella verbringt seit einer Woche den größten Teil ihrer Tage damit, entweder auf dem Sofa oder im Bett herumzuliegen und sich zu schonen. Und sie langweilt sich dabei entsetzlich. Abgesehen davon macht sie sich große Sorgen um die Zukunft ihres Lokals. In den letzten Tagen hat Laura den Laden quasi im Alleingang geschmissen, aber die muss sich nun auf das letzte Semester ihres Studiums konzentrieren und Gian-Luca soll jetzt das Ruder übernehmen. Heute ist Marcella mit ihm verabredet, um ihm alles wesentliche zu erklären. Als Gian-Luca vor ihrer Wohnungstür steht, hat er seinen Vater Michele und Marcellas Mutter Gina im Schlepptau – auch das noch, egal wie beschissen gerade alles ist, es kann tatsächlich immer noch ein bisschen schlimmer werden…
„Hey, Marcella, lange nicht gesehen!“ begrüßt Gian-Luca seine Stiefschwester freundlich – und wirkt dabei nicht einmal unsympathisch. Trotzdem will Marcella zu Micheles Sohn kein gutes Verhältnis und es stinkt ihr gewaltig, dass ihr nun quasi seine Hilfe aufgedrängt wird und sie in ihrer momentanen Situation nicht mal die Möglichkeit hat, diese auszuschlagen.
In Anbetracht dieser Tatsache kommt Marcella auch gleich zur Sache und macht Gian-Luca unverblümt klar, dass sie erwartet, dass er ihr Bistro genau in ihrem Sinne weiterführt und keine Fisimatenten veranstaltet. Das Marcellas soll nicht zu irgendeinem protzigen Luxus-Schuppen mutieren, die Stammgäste sollen sich auch während ihrer Abwesenheit wohlfühlen und den Laden wiedererkennen. Gian-Luca versichert ihr, dass dies für ihn eine Selbstverständlichkeit sei, doch Marcella weiß nicht recht, ob sie der Sache wirklich trauen kann – nicht, dass Michele am Ende auf den Gedanken kommt, seinem Sohn noch andere Dinge als den überteuerten Wein, den sie ohnehin schon anbietet, für ihr Lokal unterzujubeln…
Nach seinem Gespräch mit Marcella sucht Gian-Luca das Lokal persönlich auf und lässt sich von Laura alles zeigen und erklären. Marcella wäre liebend gerne mitgekommen und hätte das selbst übernommen, aber sowohl Gina wie auch Sebastian bestehen darauf, dass sie liegen bleibt und sich schont – Marcella kann gar nicht mehr in Worte fassen, wie sehr sie das alles nervt…
Da sie im liegenden Schonzustand zumindest noch telefonieren kann (und darf) ruft sie auch unverzüglich ihre Schwester Giovanna an und bittet sie zu sich.
In der Lindenstraße angekommen, wird Giovanna von Marcella nochmal eindringlich darum gebeten, ein Auge auf Gian-Luca zu halten.
„Ich bitte dich da wirklich nicht gerne drum“, erklärt Marcella bedauernd. „Ich weiß ja, dass du mit deinem eigenen Job genug um die Ohren hast. Aber du bist meine letzte Rettung!“
„Hey, mach dir keinen Kopf. Ich hab versprochen, dir zu helfen, also tue ich das auch“, versichert Giovanna. „Ich bin flexibel. Ich werde das mit meinem Job auf jeden Fall vereinbaren können!“
Zum Abschied verspricht Giovanna, gleich mal rüber ins Marcellas zu gehen und nachzuschauen, ob Gian-Luca noch dort ist. Und tatsächlich findet sie den Stiefbruder dabei vor, wie er sich gerade in die Geschäftsbücher des Lokals einarbeitet.
„Du warst halt schon immer ein Streber“, sagt Giovanna zur Begrüßung. „Und einen schicken Anzug trägst du da! Aber findest du das nicht ´n bisschen overdressed? Das ist hier ja schließlich nicht das Bella Casa Irgendwas…“
„Giovanna!“ lacht Gian-Luca. „Erst sehe ich beide Varese-Sisters jahrelang gar nicht und dann direkt an einem Tag!?!“
„Tja, wir müssen ja jetzt schließlich dafür sorgen, dass du hier keine Scheiße baust, gell?“ kichert Giovanna.
„Ihr seid ja beide nicht auf den Mund gefallen, aber du hattest definitiv schon immer die größere Klappe von euch beiden“, stellt Gian-Luca fest.
„Daran wirst du dich wohl gewöhnen müssen“, erwidert Giovanna. „Ab sofort arbeite ich nämlich auch hier, zumindest in Teilzeit.“
„Dann bist du also so etwas wie meine moralische Unterstützung?“ erkundigt sich Gian-Luca.
„Eher deine Gouvernante“, kontert Giovanna. „Wie gesagt, Marcella und ich wollen nicht, dass du hier Scheiße baust.“
„Okay“, meint Gian-Luca schulterzuckend und angelt sich eine Weinflasche aus dem Regal. „Dann sollten wir vielleicht erstmal auf unsere Zusammenarbeit anstoßen!?“
„Aber doch nicht mit dem teuren Edel-Gesöff von deinem Vater!“ winkt Giovanna ab. „Haben wir hier keinen Schampus? Zur Not tut’s auch handelsüblicher Sekt. Aber nicht dieses komische Edel-Gedöns…“
Gian-Luca stellt den Wein zurück und greift sich eine Flasche Champagner aus der Kühlung. Als die beiden anstoßen, wirkt das Ganze freundschaftlich, doch insgeheim weiß keiner der beiden so recht, was er vom jeweils anderen und der Tatsache, dass man hier zukünftig nun Hand in Hand zusammenarbeiten wird, halten soll…


Robert freut sich auf den heutigen Abend: Seit Wochen weisen mehrere Werbe-Flyer in der Umgebung der Lindenstraße darauf hin, dass Simone Stadler aus ihrer Biographie über den KZ-Überlebenden Ibraim Finkelstein vorlesen wird – und das auch noch in dessen Begleitung. Robert hofft auf zahlreiche interessierte Gäste, die anschließend dann auch noch das eine oder andere Exemplar des Buches kaufen und seinen Umsatz ankurbeln werden.
Auch Simone freut sich auf die Lesung, hat aber nebenbei noch ein ganz anderes Problem: Da Nachdem sie in der vergangenen Woche ihrem Verleger vorgeschlagen hat, ein Enthüllungsbuch über die Society-Sekte zu schreiben, war dieser sofort Feuer und Flamme von ihrer Idee und hat ihr für das Projekt grünes Licht gegeben. Nun zeigt sich allerdings das Problem, dass das, was Simone bei ihrem Gespräch mit Klaus zu dem Thema aufgeschnappt hat zwar aus einer großen Fülle an Informationen besteht, diese aber eher vage in ihrem Kopf herumspuken und sich nicht so recht zu etwas strukturieren lassen wollen, was dann am Ende auch zu einem richtigen Buch werden könnte. Simone befürchtet bereits, dass sie den Mund mal wieder zu voll genommen. Irgendwie müsste sie an das Material herankommen, das Klaus bisher dazu zusammengetragen hat… Nur wie…? Heute hat sie jedenfalls keine Zeit, sich darüber weitere Gedanken zu machen, im Moment muss sie sich auf ihre heutige Vorlesung konzentrieren…
Währenddessen sind Tanja und Simon auf dem Heimweg von einem Einkauf im Supermarkt.
„Was ist das denn für eine Scheiße?“ entfährt es Simon beim Anblick von einem der Werbeplakate, die für die heutige Lesung aushängen.
Auch Tanja ist entsetzt, als sie die Schmiererei sieht: Irgendwer hat quer über das Plakat in knallroten Buchstaben das Wort JUDENSCHWEIN gesprayt.
„Hört das denn nie auf?“ fragt Tanja kopfschüttelnd. „Wir sollten das entfernen, bevor Herr Finkelstein das später noch sieht!“ Mit diesen Worten reißt sie das Plakat runter und zerknüllt es.
In der Buchhandlung laufen derweil die Vorbereitungen. Simone trifft gemeinsam mit Ibraim Finkelstein etwa eine Stunde vor dem Start der Lesung ein und die beiden werden von Robert überschwänglich begrüßt.
Kurz vor Beginn füllen sich die fünf Stuhlreihen, die in dem eher kleinen Verkaufsraum des Ladens aufgestellt wurden. Auch einige Lindensträßler finden sich dort ein. In der vordersten Reihe haben neben Tanja und Simon noch ´Lotti´, Lea und ´Käthe` Platz genommen. In der zweiten Reihe sitzen Sarah, Anna, Gabi und Gung. In der dritten Reihe finden sich Alex und Iris in Begleitung von Iris’ Vater William und dessen Bekanntschaft Gerdi aus der Seniorenresidenz ein. In vierter Reihe sitzen Nina, Andrea, Vasily und Enzo sowie David und Mandy. Und in der letzten Reihe nehmen neben den Wendlands Nils und Kerstin noch Dagmar Hoffmeister und Hermann Benodakt Platz. Auf den letzten Drücker platzt noch Sarahs Chef Tristan rein, begrüßt seine Mitarbeiterin kurz, lächelt Lea zu, die sich sogleich genervt wegdreht und nimmt hinten neben Herrn Benodakt Platz.
Simone stellt zu Beginn ihrer Autoren-Lesung Herrn Finkelstein vor. Der alte Mann erklärt, dass er im weiteren Verlauf des Abends gerne für Fragen zur Verfügung steht.
Simone beginnt schließlich damit, ein Kapitel vorzulesen, das auf beklemmende Art und Weise Finkelsteins Zeit im Konzentrationslager in Bergen-Belsen beschreibt. Die Zuhörer lauschen gebannt und betroffen der Lesung. Die Tatsache, dass der Mann, der diese schrecklichen Dinge erleben musste, ihnen leibhaftig gegenübersitzt, sorgt für eine nahezu andächtige Stimmung in der kleinen Buchhandlung, die allen Anwesenden einen Schauer über den Rücken treibt.
Nachdem Simone geendet hat, herrscht zunächst eine Stille im Raum, die so intensiv ist, dass alle nichts weiter als den eigenen Herzschlag hören können.
„Wenn Sie Fragen an mich haben oder irgendetwas… Ich stehe Ihnen nun gerne zur Verfügung“, durchbricht die knarzige Altmännerstimme Finkelsteins irgendwann das Schweigen.
Doch die Stille hält an. Alle Anwesenden scheinen in stiller Übereinkunft der Meinung zu sein, dass das, was dieser uralte Mann, der ihnen gegenüber sitzt, in seinem Leben durchlitten hat, so unvorstellbar traumatisch ist, dass es einer Todsünde gleich käme, ihn nun auch noch mit Fragen nach dieser schrecklichen Zeit zu konfrontieren. Die Tatsache, dass er in seinem hohen Alter überhaupt noch seine Vergangenheit in dieser Form aufgearbeitet hat und ihnen hier nun auch noch gegenüber sitzt und das alles quasi ein weiteres Mal über sich ergehen lässt, erscheint ihnen allen als das äußerste, was man diesem Menschen zumuten kann…
„Der Titel Ihres Buches“, wagt Andrea es schließlich doch, sich zu Wort zu melden, „ ´Schon bald, wenn uns das Leben winkt!`… Haben Sie damals tatsächlich… Ich meine, in dieser aussichtslosen Situation… Das muss sich doch angefühlt haben wie… wie… wie die… Endstation… Haben Sie da wirklich noch gewagt, drauf zu hoffen, dass das Leben bald winken wird?“
Als Andrea merkt, dass offenbar alle anderen im Raum sie anstarren, bekommt sie einen hochroten Kopf und murmelt verlegen: „Entschuldigung…“
„Sie brauchen sich nun wirklich nicht zu entschuldigen“, erwidert der alte Mann milde lächelnd. „Ich finde, dass Ihre Frage durchaus berechtigt ist. Wir waren da in diesem Dreck, in diesem Elend. Krank, verlaust, schwach. Entkräftet. Jeden Tag damit rechnend, dass dies unser letzter sein könnte. Und, und damit kann ich letzten Endes nur für mich selbst sprechen, trotzdem war da jeden Tag aufs neue die Hoffnung, dass wir es schaffen werden. Dass da draußen noch ein besseres Leben auf uns wartet. Dass dieses Grauen nicht unser Ende sein wird und wir… wir es überleben werden.“ Er schweigt einen Moment, dann sagt er: „JA! Trotz allem habe ich Tag für Tag darauf gehofft, dass das nicht das Ende sein wird. Und dass das Leben bald winken wird…“
Nahezu andächtig sitzen die Zuhörer im Raum und wissen nicht so recht, wie man sich einem KZ-Überlebenden gegenüber angemessen verhält.
„Hat sonst noch jemand eine Frage?“ möchte Finkelstein knarzend wissen.
In diesem Moment hört man draußen auf der Lindenstraße quietschende Reifen und ein großes Auto, anscheinend ein Geländewagen, brettert den Bürgersteig vor der Buchhandlung hinauf und bleibt unmittelbar vor dem Schaufenster stehen. Die Scheinwerfer leuchten grell ins Innere des Ladens und blenden alle Vorlesungsbesucher, die sich irritiert umgedreht haben. Im nächsten Moment gibt es einen lauten Knall und der Schaufensterscheibe zerbricht in tausend kleine Scherben. Anwalt Tristan, der dem Fenster am Nächsten ist, wird von etwas hartem am linken Arm getroffen und spürt einen dumpfen Schmerz, der von der Schulter bis in die Hand hinunter zieht. Immer noch geblendet vom Scheinwerferlicht, sieht er neben sich auf dem Boden einen Ziegelstein liegen, auf den jemand das Wort ´JUDENSAU´ geschmiert hat. Im nächsten Augenblick fliegt etwas leuchtend und zischend durch die zerborstene Scheibe ins Innere des Ladens. Es gibt einen hellen Lichtblitz, begleitet von einem lauten Knall erfüllt und innerhalb von Sekunden füllt sich der gesamte Raum mit einem beißenden Nebel. Nun lösen sich alles aus der irritierten Starre und es bricht Panik auf – alle stürzen in Richtung Ausgang.
Tristan stellt fest, dass er vor lauter Schmerz den linken Arm überhaupt nicht mehr bewegen kann.
„Brauchen Sie Hilfe?“ fragt Lea plötzlich neben ihm und sieht aufrichtig besorgt auf. Tristan sieht den alten Herrn Finkelstein hilflos neben dem Verkaufstresen entlangstolpern und sagt: „Helfen Sie lieber dem Mann!“
Doch ehe Lea reagieren kann, sind Robert und Simone bereits zur Stelle, haken sich links und rechts bei Ibraim Finkelstein ein und bugsieren ihn zur Tür, Lea und Tristan stolpern hinterher…
Der Geländewagen setzt derweil zurück auf die Straße und rast mit durchdrehenden Reifen in Richtung Ulrike-Böss-Straße, wo er nach rechts um die Ecke biegt.
Alle Anwesenden der Autorenlesung stehen mittlerweile mehr oder weniger wohlbehalten, aber vollkommen verstört auf dem Bürgersteig und auf der Straße und blicken fassungslos durch das kaputte Schaufenster in die brennende Buchhandlung …

CLIFFHANGER auf: die brennende Buchhandlung Engel

Mitwirkende Personen
Robert Engel
Simone Stadler
Vasily Sarikakis
Peter ´Lotti` Lottmann
Georg ´Käthe` Eschweiler
Tanja Schildknecht
Simon Schildknecht
Helga Beimer
Anna Ziegler
Sarah Ziegler
Tristan von Sassnitz
Lea Starck
Konstantin Landmann
Lola Zenker
Andy Zenker
Gabi Zenker
Pat Wolfson
Popo Wolfson
Dr. Sebastian Ritter
Marcella Varese
Giovanna Varese
Gian-Luca Conti
Williams Brooks
Dr. Iris Brooks
Alex Behrend
Andrea Neumann
Dagmar Hoffmeister
Hermann Benodakt
Nina Zöllig
Enzo Buchstab
David Krämer
Mandy Peschke
Nils Wendland
Kerstin Wendland
Gung Phan Kien
Gina Conti
Michele Conti
Laura Steinke
Ibraim Finkelstein
Jekaterina Litwinski
Gerdi Kanietzky
Sokrates ´Socke` Thessaloniki

(c) popo wolfson´ 2022

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: So 25. Sep 2022, 07:21 


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BeitragVerfasst: So 25. Sep 2022, 08:12 
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Registriert: Mi 15. Sep 2010, 12:37
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Wow, das ist eine klasse Folge!


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