Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1836 - Bürgerwehr
BeitragVerfasst: So 5. Jun 2022, 07:23 
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Folge 1836: Bürgerwehr

Spieltag: Donnerstag, 02.06.2022


Konstantin geht voller Unbehagen in die Schule, denn ihm ist bewusst, dass der heutige Tag ihm Schwierigkeiten bescheren wird. Er kann den erpresserischen Schülern Cedric und Lenny nicht die geforderten Unterlagen für die Geschichtsprüfung bereit stellen – und ihm ist klar, dass die beiden das nicht hinnehmen werden… Kurz hat Konstantin darüber nachgedacht, sich einfach krank zu melden – so kurz vor den Pfingstferien wäre das an sich kein großer Akt. Allerdings hätte das ja nicht sein Problem gelöst. Selbst wenn Cedric und Lenny dann nicht gleich zu Klöckner gerannt und ihr das verhängnisvolle Video präsentiert hätten, wäre das ganze Drama doch spätestens nach den Ferien weitergegangen… Also der Wahrheit ins Auge blicken und auf in den Kampf! Konstantin weiß nicht, wie der heutige Tag enden wird – aber ihm ist bewusst, dass es kein gutes Ende sein kann…
Und kaum dass Konstantin sich in seinem Büro eingefunden hat, fliegt auch schon die Türe auf und Cedric und Lenny stürmen den Raum.
„Ey, Pädo-Päda“, begrüßt Cedric ihn gehässig. „Hast du nicht was vergessen? Wir hatten einen Deal. Heute in der Fünften schreiben wir Geschichte, du erinnerst dich? Wir warten noch auf unsere Unterlagen. Bis zur großen Pause hast du den Scheiß da. Oder wir sind bei der Klöckner!“
„Na, prima!“ sagt Konstantin, um Coolness bemüht. „Dann können wir ja gleich zusammen hingehen und ich lasse eure schmutzige kleine Erpressung auffliegen!“
Einen Augenblick lang sehen sich Cedric und Lenny leicht verunsichert an. Dann hat Cedric sich jedoch auch schon wieder im Griff und sagt: „Ey, du bluffst doch, Alter, du reitest dich doch nicht selbst in so eine Scheiße! In der großen Pause sind wir wieder hier. Wir brauchen ja schließlich noch ein bisschen Zeit, um unsere Spicker zu schreiben.“
Damit verlassen die beiden selbstsicher das Büro…
„Ich steck doch schon bis Oberkante Unterlippe in der Scheiße“, murmelt Konstantin. Er wartet, bis der Unterricht begonnen hat und sich der Trubel auf den Schulfluren legt, dann atmet er tief durch und sucht das Rektorat von Dr. Brigitte Klöckner auf.
„Was kann ich für Sie tun?“ fragt sie mit ihrer tiefen Stimme und dem gewohnt eisigen Blick.
„Es gibt da etwas, worüber ich mit Ihnen reden müsste“, sagt Konstantin – und liefert seine Beichte ab, angefangen bei seiner sexuellen Neigung und der damaligen Geschichte mit Antonia über den Vorfall unter der Dusche in der Lehrer-Umkleide bis hin zu der Erpressung von Cedric und Lenny…
Nachdem Konstantin seine Ausführungen abgeschlossen hat, starrt die Klöckner ihn an. Lange, intensiv. Ohne ein Wort zu sagen. Mit ausdrucksloser Miene und bohrendem Blick. Konstantin läuft es eiskalt den Rücken hinunter…
„Warum haben Sie mir die Information über Ihre sexuelle Neigung bei Ihrem Vorstellungsgespräch verheimlicht?“ fragt die Direktorin schließlich mit Grabesstimme.
Konstantin schluckt. Und obwohl ihm bewusst ist, wie paradox seine Antwort in diesem speziellen Fall ist, flüstert er heiser: „Ich glaube nicht, dass die sexuelle Ausrichtung eines Menschen Bestandteil seiner Vorstellungsgespräche sein sollte…“
Die Klöckner blitzt ihn aus eisigen Augen durchdringend an. Dann zischt sie: „Und ich glaube, dass ein Mann, der erotische Gefühle beim Anblick kleiner Mädchen entwickelt, ganz sicher nichts als Pädagoge an einer Schule zu suchen hat!“
Das saß!
„Ja“, murmelt Konstantin. „Dann werde ich jetzt mal mein Büro räumen…“
Er erhebt sich und schlurft, gebeugt wie ein armer Sünder, in Richtung Tür.
„Sie bleiben sitzen!“ keift ihm die Klöckner hinterher. „Wir sind hier noch nicht fertig!“
Nachdem Konstantin auf seinen Stuhl zurück gesackt ist, malträtiert Direktorin Klöckner ihn weiterhin mit ihrem Eis-Blick. Schier endlose Sekunden verstreichen, in denen sich Konstantin zunehmend unwohl fühlt.
„Der Heltau und der Kroon aus der 7c also“, knurrt sie schließlich heiser. „Die zwei kleinen Pisser konnte ich noch nie leiden.“
Konstantin blickt seine Chefin irritiert an.
„Sie sind ein guter Pädagoge“, sagt die Klöckner schließlich und ihre Stimme klingt plötzlich völlig anders. „Sie sind nun seit einem Jahr bei uns und ich sehe jeden Tag aufs Neue, was Sie hier für großartige Arbeit leisten und mit wie viel Leidenschaft sie bei der Sache sind. Schüler und Lehrerkollegen reden nur Gutes über Sie. Wenn ich da an Ihren Vorgänger denke. Dieser stinkfaule Sack…!“ Sie räuspert sich. „Es wäre eine Schande, Sie gehen zu lassen!“
„Aber ich…“
„Jetzt rede ich!“ fährt die Klöckner ihm über den Mund. „Sie gehen jetzt in Ihr Büro und warten da auf mich. Und wehe, Sie wagen es, in der Zwischenzeit Ihren Schreibtisch zu räumen.“
„Aber, aber…“
„Ich hole mir in der Zwischenzeit zwei Schüler aus der 7c in mein Büro, mit denen ich eine dringende Unterredung habe“, sagt Klöckner.
„Aber, wieso? Ich meine… Ich hab doch…“
„Zwei pubertäre kleiner Arschlöcher, die glauben, hier Respektspersonen erpressen zu können, fresse ich normalerweise zum Frühstück“, erklärt Klöckner und für Sekundenbruchteile scheint der Anflug eines Lächelns über ihre Lippen zu huschen.
„Sie… Sie wollen… aber… aber ich“, Konstantin findet die richtigen Worte nicht.
„Ich will Sie hier nicht verlieren“, erwidert Klöckner. „Wer weiß, was für ein Schwachmat sich hier als nächstes für den Posten bewirbt.“
Konstantin versteht inzwischen die Welt nicht mehr. „Aber… wenn die beiden das ihren Eltern erzählen. Und die gehen damit dann an die Presse. Das wird… das wird doch keiner dulden. Die Eltern werden hier Sturm laufen. Die Schulbehörde… alle… ich meine…“
„Wenn ich mit diesen beiden kleinen Früchtchen fertig bin, werden die gar nichts mehr sagen“, erklärt die Klöckner und wirkt auf Konstantin wie eine zähnefletschende Bestie aus einem Horrorfilm. „Und nun ab in Ihr Büro!“
Konstantin gehorcht – und fühlt sich wie in einem surrealen Traum.
Die Klöckner schreitet derweil mit energischen Schritten in die 7c.
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihren Unterricht störe, aber es ist dringend“, sagt sie zu Nele. Dann lässt sie ihren Blick durch das Klassenzimmer schweifen, entdeckt Cedric und Lenny in der letzten Reihe und bellt wie ein Oberfeldwebel: „Heltau! Kroon! Mitkommen!“
„Aber, aber… aber wieso?“ stottert Lenny.
„Nix ABER, mitbekommen!“ befiehlt Klöckner.
„Wir… wir haben nichts gemacht“, beeilt sich Cedric.
„MITKOMMEN! ZACK ZACK!“ brüllt die Direktorin durch den Raum. Die beiden Jungs springen auf und folgen ihr wie zwei begossene Pudel ins Direktorat. Artjom und Sina werfen sich fragende Blicke und auch Nele ist irritiert, setzt aber sogleich ihren Unterricht fort…
Eine halbe Stunde später klopft Brigitte Klöckner an Konstantins Büro. Als sie den Raum betritt, raubt ihr schweres Parfum ihm fast die Luft zum Atmen und Konstantin hat das Gefühl, dass die Temperatur um mindestens drei Grad sinkt… Klöckner setzt sich ihm gegenüber auf den Besucherstuhl und starrt ihn erneut mit ihren kalten Blick an. Eiskönigin, schießt es Konstantin durch den Kopf und ihm wird schon wieder flau im Magen.
„Cedric Heltau und Lenny Kroon werden Ihnen zukünftig keine Probleme mehr machen“, sagt die Klöckner schließlich, nachdem die ewig erscheinenden Sekunden ihres Schweigens ihm fast wieder den Verstand geraubt hätten…
„Was… wa...was haben Sie ihnen denn gesagt“, stottert Konstantin.
„Das tut nichts weiter zur Sache“, winkt die Klöckner ab. „Die beiden sind einfach nur froh, dass sie ihr Leben haben und nicht von der Schule fliegen.“
Und… ich?“
„Sie gehen weiterhin zu den Sitzungen mit ihrem Therapeuten. Und wenn es irgendwelche Schwierigkeiten gibt, dann kommen Sie beim nächsten Mal gleich damit zu mir und wir finden eine Lösung!“ Sie schweigt einen Moment, dann sagt sie: „Sie sind doch kein perverses Monster, das über kleine Mädchen herfällt. Die Sache unter der Dusche war jetzt… nun ja… nicht unbedingt förderlich. Aber Sie haben Ihr… Ihr Problem doch offensichtlich im Griff. Wie gesagt, sind Sie eine hervorragende Kraft. Und ich möchte, dass Sie uns erhalten bleiben!“ Damit steht die Direktorin auf und verlässt das Büro. Und Konstantin fällt eine zentnerschwere Last von der Seele… Cedric und Lenny bekommt er an diesem Tag nicht mehr zu Gesicht, ebenso wenig Frau Dr. Klöckner.
Als Konstantin an diesem Abend nach Hause kommt, glaubt er, dass der Moment geeignet ist, um noch weiter klar Schiff zu machen; Er ist Lea eine Erklärung dafür schuldig, warum er sich in der letzten Zeit so ungesellig verhalten hat.
„Hast du einen Moment Zeit?“ fragt er seine Mitbewohnerin. „Ich würde dir gerne ein paar Dinge erklären.“
Und so wird auch Lea endlich in Kenntnis gesetzt über das, was Konstantin in seinem Job widerfahren ist und wie er sich monatelang der miesen Erpressung der beiden Schüler aussetzen musste.
„Das ist so krass“, sagt Lea anschließend. „Was für miese kleine Wichser…“
„Jetzt ist es jedenfalls vorbei“, meint Konstantin erleichtert.
„Hoffentlich“, überlegt Lea. „Nicht, dass dir diese Klöckner da jetzt noch einen Strick draus dreht.“
Als sie Konstantins fragenden Blick sieht, sagt sie: „Naja, sie hat dich ja jetzt quasi in der Hand. Sie kennt dein Geheimnis. Und die Alte ist ja auch nicht ohne, nicht, dass die jetzt als Gegenleistung irgendwelche… Liebesdienste oder sowas von dir verlangt…“
„Ach, jetzt male mal nicht den Teufel an die Wand“, sagt Konstantin. „Ehrlich gesagt, war die mir noch nie so sympathisch wie heute. Vielleicht ist die gar nicht so fies, wie ich immer gedacht habe. Weißt du, manchmal glaube ich, die ist einfach nur beschissen einsam…“
„Du siehst auch grundsätzlich in jedem erstmal das Gute, oder?“ lacht Lea. „Na, dann hoffen wir mal, dass du recht behältst und der Spuk jetzt wirklich vorbei ist.“

„Buon giorno“, wird Anna am frühen Morgen aus ihren Gedanken gerissen, als sie gerade auf dem Weg zur Arbeit im Bayer ist.
„Huch“, sagt sie völlig überrascht, als sie Claudio entdeckt, der rauchend auf dem Bürgersteig steht und an dem sie nun fast vorbei geeilt wäre. „Ich hab dich jetzt gar nicht wahrgenommen. Was machst du denn schon so früh hier draußen?“
„Ich habe aufgepasst auf Sarah“, erklärt Claudio gähnend.
„Oh nein!“ Anna schlägt erschrocken die Hand vor den Mund. „Hast du… bist du … hast du die ganze Nacht hier draußen Wache gehalten?“
„Oh no no“, winkt Claudio ab. „In die erste Hälfte von die Nacht hat der gute Enzo aufgepasst. Und wir halten oben von unsere Balkon aus Wache! Von da man kann überblicken die ganze Lindenstraße. Nur abends bei Einbruch der Dunkelheit und morgens, wenn die Straße erwachte zu Leben, ich gehe einmal hier alles ab und sehe überall nach die Rechten!“
„Aber das geht doch nicht“, stöhnt Anna. „Ihr könnt euch hier doch nicht die Nächte um die Ohren schlagen und tagsüber dann in eurer Pizzeria arbeiten…“
„Aber wir müssen Sarah und ihre Freunde und Familie beschützen vor diese unheimliche Stalker, der hier treibt seine Unwesen!“
„Es ist ja gar nichts mehr passiert“, erklärt Anna. „Womöglich hat der Typ sich ja inzwischen längst aus dem Staub gemacht.“
„Ja, und dann passierte wieder was! Wir müssen weitermachen!!!!“
„Bis ihr irgendwann vor Erschöpfung zusammenbrecht“, gibt Anna zu bedenken.
„Tja, es wäre schone nicht schlechte, wenn noch ein paar Leute sich uns anschließen würden“, überlegt Claudio …
Diesem Gedanken versucht er dann auch Taten folgen zu lassen, indem er den ganzen Tag lang seine Gäste in die Pizzeria, zumindest die, die in der Nachbarschaft leben, von seinen guten Absichten zu überzeugen versucht. Dabei verliert er kein Wort darüber, dass Sarah gestalkt wird, sondern geht lediglich darauf ein, dass es in letzter Zeit wiederholt zu Sachbeschädigungen und sogar zu einem Überfall gekommen ist und dass man da handeln müsse, um die Gegend wieder sicherer zu machen. Schließlich ordert er für den Abend sogar mehrere Tische bei Vasily im Akropolis und informiert per Mundpropaganda möglichst viele Nachbarn darüber in der Hoffnung, so noch ein paar Anhänger für sein Projekt “Bürgerwehr“ zu finden.
Und tatsächlich finden sich am Abend mehrere interessierte Anwohner beim Griechen ein, darunter Andy, Nico, Roland, Klaus, Nils, Alex, Ben und Gung. Claudio und Enzo berichten von den aufgeschlitzten Autoreifen und dem brutalen Überfall auf Sarahs Freund. Außerdem davon, dass vor einigen Monaten die jüdischen Stolpersteine in der Kastanienstraße beschmiert worden sind. Sarah begibt sich auch zu der Runde, denn wie ihre Mutter ist auch sie gerührt darüber, dass sich Claudio so für ihr Wohlergehen einsetzt. Sarah schildert selbst nochmal, was Ole vor ein paar Wochen widerfahren ist, verheimlicht jedoch, dass der Anschlag gezielt ausgeführt wurde und dass sie seit Monaten von einem Unbekannten gestalkt wird. Ihr ist das Ganze unangenehm und sie findet, dass das auch niemanden etwas angeht …
Die Nachbarn, die von diesen Geschehnissen noch nicht mitbekommen haben, sind schockiert. Und alle sind sich einig, dass man handeln muss, um dafür zu sorgen, dass die Lindenstraße ein Ort bleibt, an dem man keine Angst davor haben muss, nachts auf die Straße zu gehen. Und am Ende des Abends haben Claudio und Enzo mehrere Unterstützer, die sich ihrer Bürgerwehr anschließen wollen…

„Also diese Rückenschmerzen werden und werden einfach nicht besser“, klagt Helga bereits wenige Minuten nach Öffnung am Tresen im Vorzimmer der Praxis Brooks. „Können Sie mir da nicht einfach irgendeine Spritze geben?“
Iris, die sich ebenfalls noch im Vorzimmer aufhält, blickt sie skeptisch an und sagt: „Also eigentlich nicht. Das was ich tun kann, habe ich getan, Frau Beimer. Ich will Ihnen da jetzt nicht alle Nase lang was spritzen. Das ist auch nicht mein Spezialgebiet. Ich könnte Sie zu einem Orthopäden überweisen, aber ich sage Ihnen nochmal, dass das ganz normale Verschleißerscheinungen sind, immerhin sind Sie 82!“
„Na, danke, dass Sie mich dran erinnern…“, brummelt Helga.
„Haben Sie es schon mal mit der Nesselpeitsche probiert?“ mischt sich Andrea in die Unterhaltung ein - und erntet einen strafenden Blick von Iris.
„Wie bitte? Mit der… mit der… was?“ fragt Helga entsetzt und wirkt aufrichtig fassungslos.
„Andrea, bitte!“ mahnt Iris ihre Mitarbeiterin.
Corinna verdreht die Augen, während Andrea ungeachtet ihrer Chefin lachend fortfährt: „Das ist halb so wild, wie es sich anhört. Sie müssen einfach nur frische Brennnesseln pflücken und die schlagen sie dann auf den schmerzenden Körperregionen aus. Quasi wie mit einer Peitsche. Aber die Brennnesseln sollten dabei noch möglichst frisch sein, damit sie noch genügend Wirkkraft haben.“
„Und was soll das bringen?“ fragt Helga schockiert. „Abgesehen davon, dass ich danach noch mehr Schmerzen habe? Dieses… dieses Brennen von diesen Pflanzen… das… das ist doch wahnsinnig unangenehm…“
„Ja, für den Moment“, erklärt Andrea. „Aber das ist wirklich gut, das liegt an dem Nesselgift, das über die Brennhaare freigegeben wird. Das kann sogar bei rheumatischen Beschwerden oder Gicht lindernd wirken. Also ich schwöre drauf. Ich hatte mir mal den Ischias-Nerv eingeklemmt und danach so ein unangenehmes Gefühl im Bein und in den Zehen. Und da habe ich…“
„Andrea, es reicht!!“ unterbricht Iris energisch den Redeschwall ihrer Angestellten. „Entschuldigen Sie bitte, Frau Beimer. Alternative medizinische Ansätze in allen Ehren, aber das müssen Sie nun wirklich nicht ausprobieren…“
„Das hätte ich auch nicht gemacht“, winkt Helga ab. „Nesselpeitsche, Nesselgift… Das klingt ja gruselig…“
Als Helga die Praxis verlassen hat, ist die Stimmung bei den Vorzimmerdamen gereizt, denn Corinna kann es sich nicht verkneifen, immer wieder gegen Andrea zu sticheln und sie mit ihrem naturmedizinischen Faible aufs Korn zu nehmen. Andrea ist genervt. Überhaupt macht ihr die Zusammenarbeit mit der biestigen neuen Kollegin gar keinen Spaß. Sie vermisst Lisa. Die hat zwar auch ihre Eigenarten, aber Andrea weiß, wie sie damit umgehen muss, im Gegensatz zu dieser fiesen Marx, die immer so wirkt, als ob sie einen gleich auffressen will. Und eine Besserwisserin ist sie auch, nur weil sie ein paar Jahren älter ist, in mehreren Arztpraxen gearbeitet hat und somit mehr Berufserfahrung aufweisen kann. Tröstlich findet Andrea, dass auch das Verhältnis zwischen Corinna und Iris nicht allzu harmonisch ist. Dies zeigt sich auch an diesem Tag wieder, als Iris zu Beginn der Mittagspause auf Corinna zugeht und sie fragt: „Sagen Sie mal, Frau Marx, Sie sind ja jetzt doch schon ein Weilchen hier. Wollen wir uns nicht vielleicht doch allmählich duzen? Ich finde, dass macht einfach ein… entspannteres Arbeitsklima.“
„Duzen allein wird bei der auch nix bringen“, rutscht es Andrea raus. Im selben Moment hält sie sich erschrocken die Hand vor den Mund. Hat sie das jetzt wirklich laut gesagt? Au weh! Corinna funkelt sie böse an. Dann sagt sie zu Iris: „Tut mir leid, Frau Doktor, aber den Gefallen werde ich Ihnen nicht tun. Ich habe noch nie einen meiner Vorgesetzten geduzt. So etwas macht man einfach nicht. Das ist unprofessionell. Damals, zu Zeiten von Frau Doktor Sperling und Herrn Doktor Dressler, da haben sogar wir hier vorne am Empfang uns noch gesiezt. Frau Griese und ich wären nie auf die Idee gekommen, uns zu duzen – geschweige denn einen unserer Chefs!“ Corinna wirft Andrea einen missbilligenden Seitenblick zu.
„Sollen wir uns jetzt auch siezen?“ fragt die Kollegin verunsichert.
„Ach, lass gut sein“, murrt Corinna und verabschiedet sich in die Mittagspause.
Iris zuckt mit den Schultern und fragt Andrea: „Könntest du nach der Pause noch neuen Kaffee besorgen?“
Gesagt, getan. Als Andrea etwas später den Supermarkt betritt, kommt ihr Lisa mit Einkäufen bepackt am Ein/Ausgang entgegen.
„Oh, Großeinkauf?“ fragt Andrea und betrachtet die randvoll mit Obst und Gemüse befüllten Taschen.
„Naja, eigentlich will ich nur verhindern, dass Murat Deniz die nächsten zwei Tage ausschließlich mit Tiefkühlpizza abfüttert“, erklärt Lisa grinsend. „Ich fahre gleich auf einen Lehrgang. Bis Samstag.“
„Ein Lehrgang?“ erkundigt Andrea sich interessiert.
„Ja, meine Vorgesetzten wollen das so“, sagt Lisa, „weil ich ja so lange schon aus dem Job als Krankenschwester raus bin. Darum soll ich jetzt in der nächsten Zeit ein paar solcher Auffrischungskurse besuchen.“
„Das ganze Zeug reicht aber definitiv länger als bis Samstag“, lacht Andrea und deutet erneut auf die Einkäufe.
„Ich weiß, ich hab mal wieder übertrieben“, erwidert Lisa verlegen. „Aber du kennst ja Murat… Dabei muss er eigentlich nur morgen was kochen, heute übernachtet Deniz bei Emma und Samstag bin ich ja schon wieder da. Obwohl sie bei Emma bestimmt auch nichts Gescheites kriegt, du weiß ja, wie diese furchtbare Jack ist. Naja, ich hoffe, Gung kümmert sich vernünftig…“
„Gott, du Helikopter-Mutter“, gluckst Andrea. „Jetzt entspann dich halt mal, Deniz wird die zwei Tage ohne dich schon unbeschadet überstehen.“
„Ich weiß“, stöhnt Lisa.
„Macht er dir denn Spaß, dein neuer Job?“ erkundigt sich Andrea.
Lisa zuckt mit den Schultern. „Ist halt alles extrem stressig. Und der Schichtdienst schlaucht mich. Ich vermisse die Praxis ehrlich gesagt schon…“
„Und die Praxis vermisst dich“, sagt Andrea. „Im ernst, diese Marx ist einfach unausstehlich, ich würde sie sofort wieder gegen dich eintauschen.“
Spontan umarmt Lisa ihre ehemalige Kollegin, bevor sie ihren Heimweg fortsetzt. Von der anderen Straßenseite aus hat Valerie die beiden beobachtet und eilt Lisa nun schnell hinterher, ehe sie den Hauseingang erreicht hat.
„Lisa!“ ruft sie atemlos. „Bleib stehen, bitte! Ich muss mit dir reden!“
„Was willst du?“ fragt Lisa genervt.
„Na, was wohl?! Ich muss wissen… Ich wollte fragen… Also, wegen meiner… also der Sache, du weißt schon. Ich… Ich meine das wirklich ernst, wenn du mich verrätst, dann… dann bringe ich mich um…“
Lisa blitzt Valerie verächtlich an. „Ist dir eigentlich mal aufgefallen, dass dein ganzes Leben eine Endlosschleife immer wiederkehrender Ereignisse ist?“
„Wie meinst du das?“ fragt Valerie verblüfft.
„Kindesentführungen, Selbstmordversuche… Und täglich grüßt die Psycho-Valle...“, sagt Lisa sarkastisch.
„Du bist so ein mieses Stück“, faucht Valerie sie an.
„Keine Angst“, winkt Lisa ab. „Ich verrate niemandem was von deinem kleinen großen Geheimnis. Das geht mich nichts an und ist mir im Grunde auch piepegal. Halt einfach Abstand von Deniz und lass mich und meine Familie zukünftig in Ruhe, okay?!?“
Oooookaaaay“, sagt Valerie. Sie ist ernsthaft verwundert darüber, dass Lisa ihr anscheinend keine weiteren Schwierigkeiten machen will. Ohne ein weiteres Wort verschwindet Lisa im Hauseingang und Valerie begibt sich ebenfalls, halbwegs beruhigt, auf den Nach-Hause-Weg.
Während Lisa sich eine Weile später von Murat und Deniz verabschiedet und auf den Weg zu ihrem Lehrgang macht, schlägt Andrea sich in der Praxis weiterhin mit Kollegin Corinna herum. Andrea findet diese Zusammenarbeit furchtbar. Eigentlich war sie bislang immer der Meinung, dass es ihr möglich ist, mit jedem anderen Menschen auszukommen, aber diese Marx übersteigt einfach alles, was sie bisher an zwischenmenschlichen Defiziten erlebt hat, bei Weitem. Eine unerträglich launische Person…
Nach Feierabend begibt sich Andrea ins Marcellas. Eigentlich wollte sie nur ein Glas heißes Wasser, findet es dann aber doch ein wenig lächerlich, sich dafür extra in ein Café zu begeben, und gönnt sich stattdessen ein Glas Rotwein (aber nicht von diesem sauteuren italienischen, den es hier seit kurzem gibt). Das hat sie sich nun wirklich redlich verdient, nachdem sie den ganzen Tag die Marx wieder ertragen musste…
„Wie läuft denn eigentlich deine Schwangerschaft?“ erkundigt Andrea sich bei Marcella.
„Es ist furchtbar“, stöhnt die Italienerin. „Morgens ist mir immer noch kotzübel, abends habe ich Beine wie ein Elefant, zwischendurch wird mir manchmal schwindelig. Ich bin launisch. Und ständig müde. Es ist zum Kotzen. Von Mutterglück spüre ich nichts, schwanger sein ist einfach nur eine Tortur…“
„Das tut mir leid“, murmelt Andrea – und bestellt noch einen weiteren Rotwein. Es ist schon sehr gemütlich im Marcellas, seitdem es nicht mehr der George-Kette angehört, das muss man schon sagen, da kann man es aushalten.
Und so wird es dann doch ein bisschen später, dabei hat Andrea nicht mal mehr Brot zuhause und muss noch ein paar Lebensmittel einkaufen, dringend. Zum Glück hat der Supermarkt lange geöffnet. Als Andrea das Geschäft verlässt, reißt ihr eine der Papiertüten und ihre Einkäufe verteilen sich auf dem Gehweg. Mist! Manchmal ist Plastik eben doch gar nicht so schlecht...Wie aus dem Nichts ist Murat plötzlich zur Stelle und hilft ihr beim Aufsammeln. Irgendwie schaffen es die beiden, alle Sachen in dem eigentlich viel zu kleinen Stoffbeutel zu verstauen, den Andrea noch dabei hat. Und da ist es wieder, dieses Knistern zwischen den beiden. Für Andrea fühlt es sich an, als würde sich die Luft um sie herum nahezu elektrostatisch aufladen… Unwirsch streicht sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und murmelt: „Danke!“
Die Strähne fällt zurück in ihre Stirn. Murat streicht sie ihr aus dem Gesicht und flüstert: „Bitte!“
Oh nein, nein, nein… Andrea denkt, dass sie nun ganz schnell weiter muss…
„Lange nicht gesehen“, sagt Murat.
„Mmmmh“, brummelt Andrea.
„Ich… Du…. Du hast mir gefehlt“, sagt Murat und streicht ihr sacht über den Arm. Plötzlich kommt sein Mund ihrem sehr nahe, dann weichen beide zurück.
„Ich muss jetzt gehen“, flüstert Andrea und starrt ihm wie hypnotisiert in die Augen.
„Ich auch“, murmelt Murat und starrt zurück… Und plötzlich, wie aus dem Nichts, schiebt Murat Andrea mit dem Rücken an die nächste Wand und beide küssen sich wild, leidenschaftlich und intensiv…
Nach scheinbar endlosen Sekunden stößt Andrea ihn von sich. „Murat, ich… das geht nicht!“
„Ich weiß“, sagt Murat. Dann starren sie sich wieder an. Und plötzlich sagt Murat: „Ich bin alleine heute… Lisa ist auf Lehrgang und Deniz übernachtet bei….äh… bei...“
„… bei Emma“, vervollständigt Andrea den Satz wie in Trance.
„Genau“, flüstert Murat und guckt wie ein Schaf.
„Du meinst…?“, fragt Andrea verunsichert.
„Wir wären alleine und… ungestört“, erklärt Murat atemlos.
Und Andrea ist vollkommen hin und her gerissen, zwischen richtig und falsch, zwischen Vernunft und Leidenschaft, zwischen ihrer Freundschaft zu Lisa und ihren Gefühlen für Murat…
„Das…. dürfen wir nicht!“ flüstert sie.

CLIFFHANGER auf: Andrea Neumann

Mitwirkende Personen
Claudio Russo
Enzo Buchstab
Anna Ziegler
Sarah Ziegler
Helga Beimer
Klaus Beimer
Andy Zenker
Valerie Zenker
Nico Zenker
Roland Landmann
Konstantin Landmann
Lea Starck
Artjom Brenner
Alex Behrend
Dr. Iris Brooks
Corinna Marx
Andrea Neumann
Murat Dagdelen
Lisa Dagdelen
Deniz Dagdelen
Nils Wendland
Ben Hofer
Gung Phan Kien
Vasily Sarikakis
Marcella Varese
Nele Lindner
Dr. Brigitte Klöckner
Sina Kleist
Cedric Heltau
Lenny Kroon

© `popo wolfson´ 2022

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: So 5. Jun 2022, 07:23 


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