Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1835 - Valeries Geheimnis
BeitragVerfasst: So 29. Mai 2022, 04:58 
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Folge 1835: Valeries Geheimnis


Spieltag: Donnerstag, 26.05.2022 (Christi Himmelfahrt)


„Hast du Bock auf Picknick?“ fragt Lea, als Konstantin am Morgen in Boxer-Shorts und Schlaf-T-Shirt noch völlig zerknautscht die WG-Küche betritt.
„Was? Picknick? Wieso?“ fragt er schlaftrunken.
„Weil heute Feiertag ist! Und schönes Wetter!!“ erklärt Lea. „Da wäre es ein Verbrechen, hier drinnen zu versauern.“
„Oh nee, keinen Bock“, stöhnt Konstantin und fügt schnell hinzu: „Und keine Zeit!“
„Wieso keine Zeit?“ fragt Lea. „Heute ist Feiertag, morgen hast du obendrein auch noch Brückentag. Langes Wochenende. Das ist fast wie Urlaub. Wenn einer Zeit hat, dann definitiv du.“
„Aber keinen Nerv“, murmelt Konstantin in seinen Bart.
„Was?“
„Nix!“ Nach Picknick und irgendwelchen vergnüglichen Feiertagsaktivitäten steht Konstantin wirklich ganz und gar nicht der Sinn. Nächste Woche erwarten Cedric und Lenny von ihm die Prüfungsunterlagen für ihren Geschichtstest und Konstantin hat weder einen Plan, wie er an die geforderten Sachen rankommen soll, noch wie er dem erpresserischen Treiben der beiden ein Ende setzen soll. Er ist so oder so geliefert…
„Boah, bist du lame“, stöhnt Lea. „Dann geh ich eben alleine. Oder ich frag Popo. Die freut sich bestimmt über ein bisschen Ablenkung nach dieser Scheiß Geschichte mit diesem widerlichen Hülsch.“
„Mach das“, erwidert Konstantin - und ist froh, als Lea eine gute Stunde später die Wohnung verlässt. Während er sich seinen Kopf zermartert, wie es nun weitergehen soll, schlendern Lea und Popo gemeinsam durch den Park, auf der Suche nach einem geeigneten Platz für ihr Picknick.
„Wie lange bleibt deine Mutter eigentlich noch in München?“ möchte Lea wissen.
„Bis die Prozess gegen Herr Hülsch ist vorbei“, erklärt Popo. „Sie meint, sie müsste unbedingt mir stehen bei, wenn es ist soweit. Dabei, sie hat sich vorher auch einen Dreck gekümmert um mich.“
„Ist aber doch nett gemeint“, findet Lea tröstend. „Und wann ist der Prozess jetzt?“
„The schedule… äh… die Termin steht noch nicht fest“, berichtet Popo. „Ich bekomme Information, wenn es gibt was Neues.“
„Hoffentlich sperren sie dieses Schwein lange Zeit weg“, sagt Lea entschlossen und Popo weicht verlegen ihrem Blick aus.
Die beiden finden schließlich ein geeignetes Plätzchen für ihr Picknick und breiten ihre Decke unter einem Baum aus. Während sie da liegen, essen, trinken und das Nichtstun genießen, bemerkt Lea aus dem Augenwinkel einen Jogger, der auf ihrer Höhe plötzlich sein Tempo verlangsamt und dann ganz stehen bleibt.
„Hi“, sagt er freundlich und Lea richtet sich irritiert auf. Neben ihr steht der Anwalt aus der Ulrike-Böss-Straße, Tristan von Sassnitz, und lächelt sie fröhlich an.
„Hi“, erwidert Lea eintönig.
„Lange nicht gesehen“, stellt Tristan fest.
„Mmmh“, macht Lea noch einsilbiger als zuvor.
„Ich könnte mal wieder einen Haarschnitt gebrauchen“, überlegt Tristan laut und fährt sich dabei mit der Hand über den Kopf.
„Dann müssen Sie einen Termin machen“, murrt Lea und dreht sich weg.
„Haben Sie morgen noch was frei?“ fragt er.
„Sehe ich aus, als ob ich unsere Termine alle auswendig im Kopf habe?“, blafft sie ihn an.
„Okay, okay“, sagt er entschuldigend. „Dann rufe ich morgen halt mal bei Ihnen im Salon an. Oder ich springe zwischendurch kurz rein.“
Damit joggt er weiter und Lea blickt ihm feindselig nach.
„Warum du bist so unfriendly zu ihm?“ fragt Popo, halb irritiert, halb amüsiert über Leas Kratzbürstigkeit.
„Weil ich keinen Bock auf den habe“, knurrt Lea.
„Und warum nicht?“ bohrt Popo weiter.
Lea atmet tief durch - und erzählt Popo schließlich von ihrer eigentlich ganz angenehmen Unterhaltung auf dem Weihnachtsmarkt. Und wie Helga dann mit ihrer dämlichen Bemerkung über Leas HIV-Infektion sämtliche Stimmung zwischen den beiden binnen Sekunden zunichte gemacht hat.
„Oh my god, das ist so typisch Helga-Darling!“ lacht Popo.
„Ich find das überhaupt nicht lustig“, mosert Lea. „Du glaubst doch wohl nicht, dass der eine, die HIV hat, noch wie eine normale Frau behandelt.“
„Why not?“ meint Popo schulterzuckend. „Er machte doch einen ganz offenen Eindruck.“
Aber Lea will davon nichts hören und blockt das Thema ab.
Nachdem sie und Popo sich später voneinander verabschiedet haben und Lea sich nach einem kurzen Abstecher in die Wohnung nochmal auf den Weg zum Marcellas macht, kommt ihr auf Höhe der Villa erneut Tristan entgegen.
„Verfolgen Sie mich?“ zickt Lea ihn an. „Oder warum laufen Sie an Ihrem freien Tag die ganze Zeit hier überall rum?“
„Jetzt bleiben Sie mal locker“, lacht Tristan. „Ich wohne jetzt hier!“
„Was?“ entfährt es Lea entsetzt. „Hier in der Straße?“
„Ja. In einer der beiden Penthouse-Wohnungen da oben im Hotel“, erklärt der Anwalt.
Lea sieht einen Moment lang verblüfft zwischen von Sassnitz und dem Hotel hin und her. Dann meint sie schnippisch: „Na, da sieht man mal wieder, was so ein Rechtsverdreher verdient, wenn Sie sich sowas leisten können.“
„Haben Sie Lust, sie sich mal anzusehen?“ fragt der Anwalt.
„Was?“
„Die Wohnung“, lacht er.
„Seh’ ich so aus?“ zickte Lea weiter. „Ganz sicher nicht!“
Und als sie ihren Weg fortsetzt, blickt Tristan von Sassnitz ihr grinsend hinterher. Die kratzbürstige kleine Friseurin wird ihm zunehmend sympathisch. Und er ist sich ganz sicher, in ihrem Blick durchaus Interesse dafür erkannt zu haben, sich mal eines der Penthäuser im Obergeschoss des Hotels anzusehen …


„Ich hab gestern Carsten getroffen“, erzählt ’Käthe’, als er und Urszula den Frühstückstisch decken.
„Ihr hab euch getroffen?“ Urszula wird hellhörig und scheint auf eine Versöhnung der beiden zu hoffen.
„Nee, wird sind uns zufällig über den Weg gelaufen“, erklärt ´Käthe´.
„Und er will immer noch auswandern?“ fragt Urszula.
„Er wartet auf sein Visum“, sagt ´Käthe`.
„So etwas kommt doch nicht von jetzt auf gleich“, überlegt Urszula. „So eine Entscheidung fällt man nicht über Nacht. Hast du denn nie was gemerkt in den letzten Monaten? Ihr habt doch telefoniert und geskyped. Hat er sich denn nie was anmerken lassen?“
„Naja, er war manchmal schon ein bisschen kurz angebunden“, überlegt ´Käthe´. „Aber da habe ich mir nichts weiter bei gedacht. Ich … ich hab halt gedacht, San Francisco ist eine aufregende Stadt, da gibt es viel zu sehen und zu erleben, da will er seine Zeit voll und ganz nutzen, solange er da ist, und seine Zeit nicht am Telefon oder vor dem Laptop verplempern. Ich hab ja nicht geahnt, dass er seine Zeit nutzt, indem er andere Männer kennenlernt.“
„Du darfst nicht aufgeben“, versucht Urszula ´Käthe` aufzubauen. „Du musst ihm klar machen, dass es ein Fehler ist, wenn er geht!“
„Er hat sich das schon reichlich überlegt, da bin ich mir sicher“, sagt ´Käthe` bedauernd. „Und ich kann ihm im Grunde nicht mal einen Vorwurf machen. Bin ich besser? Ich hab ihn doch auch schon mal verlassen.“
„Aber du bist zurück gekommen“, erinnert Urszula ihn.
„Man muss halt manchmal akzeptieren, dass es vorbei ist“, sagt ´Käthe´.
Urszula bedauert es dennoch, dass die Beziehung ihrer Freunde zerbricht. Schließlich ist es schon traurig genug, dass ihre Ehe mit Christian im Eimer ist. Und dass Tanja durch Sunnys Tod zur Witwe geworden ist. So viel Leid und Schmerz um sie herum.
„Weißt du was!“, sagt die Polin plötzlich entschlossen. „Wir machen heute einen Ausflug. Du, ich, Artjom, Tanja und Simon! Wir müssen einfach mal alle auf andere Gedanken kommen! Und es ist Feiertag und schönes Wetter. Wir könnten eine Fahrradtour ins Grüne machen!“
„Ich weiß nicht …“, brummelt ´Käthe´. Doch Urzula duldet keine Widerrede. Auch bei Tanja, die ebenfalls zunächst keine große Lust hat, ihr Schneckenhaus zu verlassen, bleibt sie hartnäckig.
Eine Weile später brechen sie dann alle mit ihren Fahrrädern in die Natur auf. Während ´Käthe´ und Tanja unterwegs dann doch allmählich Lust bekommen, scheint der Ausflug jedoch für Simon, der an diesem Morgen kaum von seinem Computer wegzubekommen war, und Artjom die reinste Tortur zu sein – die beiden Teenager signalisieren ihr Desinteresse an der ganzen Sache mit jeder Faser ihres Körpers und ziehen permanent lange Gesichter…
Nach längerer Fahrt kehren die fünf in einen Gasthof mit Biergarten ein, der in einem Waldstück in der Nähe von München liegt.
„Hier hat man ja nicht mal Netz“, mosert Artjom, als er entsetzt feststellt, dass er hier mit seinem Handy nichts anfangen kann.
„Ich will nach Hause“, stänkert auch Simon.
Tanja und ´Käthe´ geben sich alle Mühe, trotz ihrer persönlichen Verluste die Schönheit des Tages und des gemütlichen Orts zu genießen, und Urszula ist froh darüber, dass es ihr anscheinend tatsächlich gelungen ist, ihre Freunde ein wenig auf andere Gedanken zu bringen. Einzig das permanente Gemotze der beiden Jugendlichen stört die Stimmung.
„Wenn es so eine Strafe für euch ist, hier zu sein, dann fahrt doch meinetwegen alleine zurück“, beschließt Tanja irgendwann.
Damit ist Urszula jedoch gar nicht einverstanden. Artjom den ganzen Weg, den er nicht kennt, unbeaufsichtigt zurückradeln zu lassen, gefällt ihr überhaupt nicht. Erst als Tanja ihr versichert, dass Simon den Weg kennt, lässt sie sich umstimmen.
„Ihr bleibt zusammen, bis ihr wieder in der Lindenstraße seid“, mahnt Tanja sie zum Abschied.
Die beiden Jungs fahren los. Doch kaum dass sie einen guten Kilometer vom Gasthof entfernt sind, tritt Simon plötzlich so dermaßen in die Pedale, dass der körperlich nicht allzu fitte Artjom binnen kürzester Zeit nicht mehr mithalten kann und kurz darauf nur noch Simon hinter einer Kurve verschwinden sieht.
Urszula, Tanja und ´Käthe´ sitzen derweil weiterhin im Biergarten, reden lange und intensiv über Sunnys Tod, über Carstens bevorstehenden Weggang und den Schmerz, den das für Tanja und ´Käthe´ bedeutet …
Als Artjom irgendwann völlig außer Atem und total verschwitzt im Hinterhof der Lindenstraße 3 sein Rad abstellt – er hat sich unterwegs dreimal verfahren – lehnt Simons Fahrrad bereits längst an der Hauswand. Wütend verpasst Artjom dem Gefährt einen kräftigen Tritt und verschwindet rauf in ´Käthes´ Wohnung, wo er endlich wieder stabiles Netz hat und sich seinem Smartphone widmen kann.
Auch Simon ist im Internet unterwegs. Er hockt in seinem Zimmer vor dem Laptop und surft in einem Jugendforum zum Thema Tod und Verlust, das er vor kurzem entdeckt hat und das ihm in seinen Schuldgefühlen zu helfen scheint…
In einem Chat-Room ist er vor ein paar Tagen auf eine Userin gestoßen, die sich Jisatsu2006 nennt und mit der er sich seither in einem regen Austausch befindet. Das Mädchen, das dahinter steckt und dessen richtigen Namen Simon noch nicht kennt, ist in seinem Alter und hat, wie sie ihm berichtet hat, im vergangenen Jahr ihre beste Freundin durch Suizid verloren: Die damals 15jährige ist vor den Augen von Jisatsu2006 von einer Brücke aus vor einen durchfahrenden Zug gesprungen, ein Albtraum, der Jisatsu seither Nacht für Nacht verfolgt. Simon hat ihren daraufhin von Yanniks Tod berichtet, von der Schuld, die er sich daran gibt und ebenfalls von der Mitschuld, die er seiner Meinung nach auch an Sunnys Tod trägt. Er empfindet es als befreiend, dass, dass Jisatsu2006 so einfühlsam und verständnisvoll reagiert und ein ähnliches Schicksal teilt wie er selbst. Sie ist momentan der einzige Grund dafür, warum Simon es überhaupt noch schafft, morgens aus dem Bett zu kommen und sich zu irgendwas aufzuraffen…
Wie heißt du eigentlich in Wirklichkeit?“ fragt Simon sie im Chat.
„Tut das irgendwas zur Sache?“ entgegnet Jisatsu2006.
„Nein, hat mich nur interessiert“, schreibt Simon.
„Das möchte ich im Moment nicht verraten“, schreibt Jisatsu2006 zurück – und Simon akzeptiert es.

„Findest du es doof, dass Mama heute arbeiten muss?“ möchte Murat beim Frühstück von Deniz wissen. „Ich meine, weil ja heute Feiertag ist.“
„Is’ nicht schlimm“, meint Deniz dazu nur schulterzuckend.
„Aber früher, als Mama noch bei Iris in der Praxis gearbeitet hat und an Sonn- und Feiertagen frei hatte, war schöner, oder?“ fragt Murat.
„Stört mich nicht“, erwidert Deniz.
„Sollen wir vielleicht irgendwas Schönes heute machen?“ fragt Murat weiter. „Freibad, oder so?“
„Au ja!“ ruft Deniz begeistert.
„Jetzt gleich oder heute Mittag mit Mama zusammen, wenn sie Feierabend hat?“
Jetzt gleich!“ beschließt Deniz, die offenbar keinen allzu gesteigerten Wert auf die Anwesenheit ihrer Mutter legt und gleich aufspringt, um ihre Badesachen zu packen.
Derweil macht Lisa Frühdienst im Krankenhaus – und nutzt ihre Pause, um sich mal die berühmt-berüchtigte Schwester Alma, die amtliche Klatsch-Zentrale des Krankenhauses, vorzunehmen. Denn diese hat heute den ersten Arbeitstag nach ihrem Urlaub und Lisa ist in der Tat sehr neugierig darauf, ob sie ihr möglicherweise etwas Interessantes über Valerie berichten kann. Und tatsächlich erweist sich die vollschlanke Endfünfzigerin als waschechtes Tratschweib und scheint absolut offen für einen Plausch mit Lisa zu sein – denn so hat sie schließlich die Chance, Neuigkeiten zu erfahren und ihr eigenes Wissen weiterzugeben, was ihr offenkundig riesige Freude bereitet…
Als Alma Lisa erzählt, dass es in diesem Krankenhaus ganz sicher keine Schwester namens Valerie Zenker gibt, wird Lisa stutzig.
„Bist du dir da sicher?“ fragt Lisa. „Sie arbeitet noch nicht so lange hier, erst seit letztem Herbst oder so. Vielleicht kennst du sie einfach nur noch nicht?“
„Ich kenne hier jeden“, erklärt Alma. „Auch die Frischlinge. Zumindest vom Hörensagen, wenn schon nicht persönlich. Von dir habe ich auch schon gehört. Und du bist ja auch noch ganz neu. Du hast vorher als Arzthelferin gearbeitet und wolltest dich beruflich verändern, jetzt, wo deine Kinder aus dem Gröbsten raus sein. Du hast zwei davon und bist mit einem Türken verheiratet, daher auch dein ungewöhnlicher Nachname.“
Lisa staunt nicht schlecht. „Du hast früher nicht zufällig für die Stasi gearbeitet?“ fragt sie grinsend.
„Nein, aber ich sage immer, dass jeder Geheimdienst dieser Welt mit mir einen wirklich guten Fang machen würde“, lacht Alma.
„Aber in Bezug auf Valerie“, hakt Lisa nochmal nach, „kann es nicht vielleicht doch sein, dass dir da was… entgangen ist ? Eventuell?“
„Gib mir bis zum Feierabend Zeit, dann hast du Gewissheit“, verspricht Alma.
Nach Ende der Frühschicht treffen sich die beiden Schwestern vor dem Haupteingang des Krankenhauses.
„Ich hab vorhin noch mit meiner Freundin Resi telefoniert“, erklärt Alma. „Die arbeitet hier in der Verwaltung. Heute am Feiertag natürlich nicht, sonst hätte ich sie persönlich aufgesucht. Jedenfalls klingelte bei dem Namen deiner Bekannten irgendwas bei ihr. Sie meinte, dass sich diese Zenker im letzten Jahr wohl hier beworben hat, aber der Lobrecht hat sie dann abgelehnt.“
„Und warum?“ fragt Lisa hellhörig.
„Das wusste sie leider auch nicht“, sagt Alma bedauernd. „Und aus dem Lobrecht wird man da nix rausbekommen. Nicht mal ich. Der ist korrekt bis in die Haarspitzen. Aber ich würde mal sagen, wenn der in Zeiten des akuten Pflegenotstands die Bewerbung einer examinierten Krankenschwester ausschlägt, dann wird er dafür wirklich triftige Gründe haben ...“
Lisa geht nachdenklich nach Hause, wo sie einen Zettel von Murat auf dem Küchentisch findet: DENIZ UND ICH SIND IM FREIBAD! KOMM DOCH NACH!
Lisa schickt ihm eine Sprachnachricht, dass sie müde ist und sich lieber ausruhen möchte. Sie wünscht den beiden viel Spaß. Dann beginnt sie über Valerie nachzugrübeln. Warum wurde deren Bewerbung abgelehnt? Und wieso behauptet Valerie dennoch, dort als Krankenschwester zu arbeiten?
Lisa beschließt, zur direkten Konfrontation überzugehen und steht wenige Minuten später unangemeldet bei Valerie vor der Tür.
„Was willst du denn jetzt hier?“ blafft diese sogleich. „Iffi ist nicht da, falls du zu der möchtest. Und ich muss schlafen, ich hab nämlich Nachtdienst!“
„Ist das so?“ fragt Lisa spitz.
„J...ja“, erwidert Valerie zögerlich. Lisas Blick und der Unterton in ihrer Stimme gefallen ihr überhaupt nicht. Was soll das hier werden…? Valerie gerät in Alarmbereitschaft…
„Wo machst du deinen Nachtdienst denn?“ fragt Lisa zynisch.
„Imn… Krankenhaus“, erwidert Valerie mit dünner Stimme.
„In welchem denn?“ zischt Lisa bösartig. „Ganz bestimmt nicht in unserem. Da arbeitest du nämlich gar nicht!“
Valerie weicht sämtliche Farbe aus dem Gesicht und sie spürt, wie ihr die Knie weich werden. Sie muss sich am Türrahmen abstützen.
„Warum erzählst du uns allen Märchen, wenn du gar nicht da arbeitest?“, bohrt Lisa weiter. „Das ist doch klar, dass das irgendwann rauskommt!“
„Hau ab!“ fährt Valerie sie mit bebender Stimme an.
Doch Lisa lässt nicht locker: „Warum lügst du?“
„VERSCHWINDE!“ schreit Valerie sie an.
„Okay“, sagt Lisa schulterzuckend. „Ich bin ja mal gespannt, was Gabi und Andy dazu sagen, wenn sie die Wahrheit über deine ach so tolle Schwesternstelle erfahren.“
„Warte!“ hält Valerie Lisa panisch zurück. „Du darfst das niemandem erzählen!“
„Ich denke schon, dass die beides das wissen sollten“, erwidert Lisa scharf – und Valerie bricht ein weiteres Mal in hysterisches Schluchzen aus. Lisa sieht sich das ganze Drama einen Moment lang an, dann setzt sie erneut zum Gehen an und wird von Valerie erneut zurück gehalten.
„Ich lass mir nicht schon wieder alles von dir kaputt machen!“ schreit Valerie mit sich überschlagender Stimme.
„Ich mache überhaupt nichts kaputt“, widerspricht Lisa. „Das machst du schon ganz alleine!“
„Du verstehst das nicht!“ ruft Valerie.
„Dann erklär’s mir!“ fordert Lisa.
Schweren Herzens bittet Valerie Lisa in die Wohnung und beginnt zu berichten: „Ich… ich hab mir ja schon immer so sehr ein Kind gewünscht. Und als ich dann damals in dem mexikanischen Krankenhaus eine Stelle auf der Kinderstation bekommen habe … ich hab da so gerne gearbeitet. Mich den ganzen Tag um die Kinder dort zu kümmern und so, das war fast so, als hätte ich plötzlich selbst Kinder. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Spaß mir das gemacht hat. Ich war wirklich zufrieden mit meinem Leben, zum ersten Mal war ich einfach zufrieden und es hat mir nichts mehr gefehlt. Auch, dass ich keine eigenen Kinder hatte, war okay… ich hatte ja meine kleinen Patienten, verstehst du? Und dann hab ich Javier kennengelernt. Er hat als Hausmeister in dem Krankenhaus angefangen. Er sah so toll aus. Und er war immer so lieb zu mir. Naja, und dann sind wir halt ein Paar geworden. Er war so ganz anders als Boris. Und da war dann halt plötzlich wieder der Wunsch nach einem eigenen Kind da. Je länger wir zusammen waren, Javier und ich, desto größer wurde der Wunsch. Und wir haben auch alles versucht, wirklich alles, aber es hat einfach nicht geklappt. Nun ja, das hat dann jedenfalls unsere Beziehung ziemlich belastet. Und ich will ja auch nicht behaupten, dass das nicht auch irgendwo meine Schuld war. Ich bin eben immer verbissener an dieses Kinder-Thema ran und Javier wurde das dann irgendwann alles zu viel, und … Wir haben uns dann jedenfalls getrennt. Es war danach dann aber eigentlich auch wieder ganz okay so, wie es war, ich hatte ja wieder die Kinder im Krankenhaus. Und dann war da irgendwann dieses Ehepaar. Die Frau war schwanger und sie und ihr Mann hatten einen Autounfall. Der Mann war sofort tot, die Frau hat dann ihr Kind bekommen und ist kurz darauf auch gestorben. Und das Kind, also es war halt eine Frühgeburt und das Mädchen hieß Leticia. So hat die Mutter sie noch genannt, bevor sie gestorben ist. Und Leticia war halt noch so klein und schwach und war noch wochenlang bei uns auf der Station. Ich hab mich so in sie verliebt … Und es gab auch gar keine Verwandten, sie hatte niemanden. Und da bin ich dann halt auf die Idee gekommen, dass ich sie vielleicht … also adoptieren könnte. Oder zumindest in Pflege nehmen. Erst hat man mir gesagt, dass das ziemlich aussichtslos sei für mich, als alleinstehende, ausländische, voll berufstätige Frau. Aber dann war da dieser Frau von der Behörde, die hat mich wohl gar nicht für so ungeeignet empfunden und sich richtig für mich eingesetzt. Und plötzlich hatte ich wirklich eine Chance auf Leticias Pflegschaft. Aber dann tauchte da plötzlich diese Tante auf, eine Schwester oder Halbschwester von dem verstorbenen Mann. Und die sollten dann Leticia kriegen. Einfach so! Meine Leticia!! Und … dann bin ich … da sind mir halt die Nerven durchgegangen und ich … ich hab sie einfach mitgenommen…“
„Du hast sie …?“ fragt Lisa fassungslos.
„Du hast … schon wieder ein Kind entführt?“
„Ich hab die Nerven verloren!“ jammert Valerie. „Ich hatte Leticia so lieb gewonnen, ich wollte sie nicht verlieren. Und diese komische Tante, die hatte doch jahrelang gar keinen Kontakt mehr zu ihren Verwandten!!“
„Und dann?“, fragt Lisa.
„Denen war natürlich ziemlich schnell klar, dass ich Leticia hatte. Ich wollte dann mit ihr abhauen, aber wir sind nicht weit gekommen …“
„Wie ging es dann weiter?“
„Leticia ist zu ihrer Tante gekommen und ich wurde verhaftet und habe meinen Job verloren“, jammert Valerie. „Sie haben mich dann in so ein Frauengefängnis gesteckt. Das war da so dreckig und widerlich, das kannst du dir nicht vorstellen. Da sollte ich dann auf meinen Prozess warten. Und da hab ich mich dann auch mit Corona angesteckt … Ich war dann zunächst auf der Krankenstation von dem Gefängnis, aber ich hatte so einen schweren Verlauf, dass ich schließlich auf die Intensivstation von einem richtigen Krankenhaus gekommen bin. Da musste ich dann auch ein psychologisches Gutachten machen lassen, als es mir etwas besser ging.“
„Und dann?“
„Dieser bescheuerte Psychologe“, mault Valerie. „Der hat mich wie eine Irre dargestellt, meinte, dass ich womöglich gar nicht schuldfähig bin und eher in eine Psychiatrie als in ein Gefängnis gehöre! Es sollte dann noch ein weiteres Gutachten gemacht werden und beim Prozess sollte dann entschieden werden, ob ich nun inhaftiert oder eingewiesen werde. Ich hatte so eine Angst! Aber so weit ist es dann gar nicht gekommen, weil … Also man hat mir mein Visum entzogen und ich hatte danach zwei Wochen Zeit, das Land zu verlassen, dann würde man die Anklage fallen lassen … Das hab ich dann auch gemacht. Ich dachte, lieber zurück nach Deutschland, als in Mexiko jahrelang in den Knast oder die Klapse gesperrt zu werden…“
„Oh Mann“, sagt Lisa nach einem kurzen Moment des Schweigens.
Valerie sieht sie an – und bricht hysterisch in Tränen aus. Sie kann sich überhaupt nicht mehr beruhigen und Lisa stiehlt sich schließlich heimlich aus der Wohnung.
Eine Weile später sitzt Lisa in der Dagdelen-Wohnung, wartet auf die Heimkehr von Murat und Deniz und lässt sich immer wieder Valeries skurrile Geschichte durch den Kopf gehen, als es an der Wohnungstür klingelt.
„Habt ihr euren Schlüssel verge…!!“ ruft Lisa beim Öffnen und bricht mitten im Satz ab: Draußen stehen nicht ihr Mann und ihre Tochter, sondern Valerie, die vom vielen Weinen ein ganz aufgequollenes Gesicht hat. Unaufgefordert drängt sie sich in die Dagdelen-Wohnung, schließt die Tür hinter sich und flüstert panisch: „Bist du alleine?“
„Ja“, erwidert Lisa irritiert.
„Lisa, bitte“, flüstert Valerie atemlos. „Du darfst mich nicht verraten! Andy und Gabi dürfen nie davon erfahren! Und Iffi! Oh, mein Gott, Iffi! Das wäre so viel Wasser auf ihre Mühlen!! Lisa, bitte, bitte, erzähle niemandem davon, bitte!“
Lisa ist einen Moment sprachlos, dann fragt sie schnippisch: „Weißt du eigentlich, was du da von mir verlangst?“
„Wieso?“ zischt Valerie. „Du musst doch nur den Mund halten. Als du damals den Steinbrück erschlagen hast, hast du das doch auch jahrelang geschafft! Lisa, bitte! Wenn du irgendwem davon erzählst… dann… dann bring ich mich um!!“

CLIFFHANGER auf: Lisa Dagdelen

Mitwirkende Personen
Valerie Zenker
Lisa Dagdelen
Murat Dagdelen
Deniz Dagdelen
Tanja Schildknecht
Simon Schildknecht
Urszula Winicki-Brenner
Artjom Brenner
Georg ´Käthe` Eschweiler
Lea Starck
Tristan von Sassnitz
Konstantin Landmann
Popo Wolfson
Alma Siebertz

© ´popo wolfson´ 2022

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: So 29. Mai 2022, 04:58 


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 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1835 - Valeries Geheimnis
BeitragVerfasst: So 29. Mai 2022, 08:37 
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Beiträge: 10008
Bravo top Eine tolle Folge!


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 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1835 - Valeries Geheimnis
BeitragVerfasst: So 12. Jun 2022, 12:19 
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Registriert: Mi 29. Sep 2010, 00:11
Beiträge: 11587
Ich muss noch einige Folgen nachholen bzgl. Lesen und freue mich schon darauf.
Bei dem Titel konnte ich nicht warten...und es hat sich gelohnt. Danke Popo. Sehr coole Folge.
Aber ich werde nun erstmal wieder chronologisch lesen.


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