Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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BeitragVerfasst: So 13. Mär 2022, 07:40 
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Folge 1825: Und wenn du denkst, es geht nicht mehr…

Spieltag: Donnerstag, 10.03.2022

Als Roland an diesem Morgen zu seiner Schicht im Hotel erscheint, fängt ihn sein Chef Casper zu Hohenlobese ab, ehe er die Küche überhaupt nur annähernd erreicht hat.
„Herr Landmann, ich brauche jetzt allmählich mal Ihren Impfnachweis“, sagt er.
„Ach sö, jooo“, meint Roland gedehnt. „Dön hob üsch jötzt ooch wieder vergessen. Aber in den nächsten Toogen dönk üsch dran, versprochen!“
„Nicht in den nächsten Tagen, sondern morgen bitte!“ fordert zu Hohenlobese und verschwindet in seinem Büro. Nun fühlt Roland sich wirklich in der Bredouille.
Einige Stunden später sitzt er gemeinsam mit Iffi im Marcellas, wo die beiden gemeinsam ihre Pause verbringen und Roland es sich nicht verkneifen kann, darüber zu lamentieren, dass er das Essen, das Marcella in ihrem Café anbietet, eindeutig besser hinbekommen würde. Aber sein Hauptproblem ist momentan nach wie vor ein anderes…
„Jötzt wüll düser Vogel morgen meinen Impfnochweus habe“, nörgelt er. „Üsch krüsch öscht die Krise, wo soll üsch dönn jetzt eenen Impfnochweus herkriesche?“
„Die einfachste Lösung wäre, sich einfach impfen zu lassen“, meint Iffi. „Aber wenn du das jetzt machst, hättest du natürlich erstmal nur die Grundimmunisierung. Ich glaube nicht, dass es das ist, was dieser zu Hoheldingens will. Der erwartet sicherlich mindestens die Zweitimpfung, wenn nicht gar den Booster.“
„Hör bloß uff damit!“ plärrt Roland. „Üsch lass müsch nöt ümpfen, des weeste doch! Als ob üsch mür dieses Treckszeusch spritzen lassen täte…!“
„Ach, Roland, jetzt hör doch mal auf mit diesem Unsinn“, versucht Iffi, ihn zu beschwichtigen. „Was erwartest du denn eigentlich, was so schlimmes mit dir passieren wird? Meinst du, dir wächst irgendwann ein drittes Bein, oder was?“
„Drüttes Bein, drüttes Bein“, schreit Roland. „Dieses Zeusch macht unser Erbgut kaputt. Und unsere Zellen und alles. Tümöre werden wa davon kriesche. Und Herzerkrankungen. Und Immunschwäschen. Alles möglische. Wart’s nur ab! In een paar Johre, da sind es nüscht die Ungeimpften, die die Indensivbetten belegen tün, sondern die Geimpften, mit allem, was se gekriescht haben von dem Treckzeusch, den unerforschten.“
„Roland, das ist echt Quatsch, was du da redest“, insestiert Iffi. „Natürlich kann man für solch einen neuen Impfstoff noch keine Langzeitstudien präsentieren. Trotzdem können wir anhand von nachweislichen Fakten sicher sein, dass solche Langzeitfolgen nicht auftreten werden. Das kannst du mir schon glauben, ich bin schließlich auch Biologin, ich weiß schon, wovon ich rede.“
„Hör mir uff!“ Roland will nichts von alledem hören. „Des Zeusch wird eusch noch alle umpringen. Als se damals die Atombombe gebaut habe, da haben se ooch nüsch geahnt, was des würklisch für a Todesinstrument werden tüt.“
„Du willst jetzt aber nicht allen ernstes die Covid-Impfstoffe mit der Atombombe vergleichen?“ fragt Iffi kopfschüttelnd.
„Üsch will nur saachen, das man bei so einem neuen Zeusch erst sehr viel später erkennen kann, was des mit einem macht.“
Iffi packt kopfschüttelnd Jacke und Handtasche zusammen und sagt: „Wenn du meinst. Ich muss jetzt zurück ins Labor.“
„Aber du hast ja gar nisch uffgegesse“, stellt Roland fest. „Willste keenen Nachtisch mehr?“
„Lieber nicht…!“ Iffi blickt unzufrieden an sich herab.
„Bist doch meen schöner Schmedderling“, sagt Roland und Iffi muss lachen.
Als der Schmetterling von dannen flattert, blickt Roland verliebt und gedankenverloren hinterher, als er neben sich plötzlich ein „Hi!“ hört. Erschrocken fährt Roland herum und sieht, dass sich Ludde ungefragt an seinen Tisch gesetzt hat. Der hat am Tisch nebenan einen Kaffee getrunken und die ganze Zeit über der Unterhaltung von Roland und Iffi gelauscht.
„Was wollen Sie dönn jötzt?“ fragt Roland gereizt.
„Ich hab zufällig Ihre Unterhaltung mit angehört“, erklärt Ludde. „Sie waren ja echt laut genug.“
„Ja, ünd?“ fragt Roland gereizt.
„Ich könnte Ihnen helfen“, flüster Ludde.
„Wü? Hölfen?“ Roland versteht nur Bahnhof.
„Sie wollen sich nicht impfen lassen, brauchen aber einen Impfnachweis“, erklärt Ludde. „Und den könnte ich Ihnen besorgen. Heute noch. Kostet aber ein bisschen…“
Roland horcht auf. „Sü meinen…?“ fragt er.
Eine knappe Stunde später steht Ludde mit seinem neuen Auftrag bei Lisa auf der Matte – und zieht sich deren ungebremsten Zorn zu, als diese erfährt, wenn Ludde da als neuen „Kunden“ akquiriert hat.
„Bist du denn eigentlich total bescheuert?“ giftet Lisa ihn an. „Wir hatten doch ganz klar gesagt, niemand hier aus der Nachbarschaft. Und dann auch noch ausgerechnet dieser komische Fascho. Der ist doch nicht ganz koscher. Was meinst du, was passiert, wenn der nun zu Iris rennt. Da kannst du dich ja gleich mit einem Bauchladen vor den Supermarkt stellen!“
„Jetzt reg dich mal wieder ab, Blondie!“ versucht Ludde die aufgebrachte Furie zu beruhigen. „Der verpfeift uns nicht, dafür ist er viel zu scharf auf das Teil.“
„Und wenn der hat, was er will, dann scheißt er darauf und liefert uns ans Messer“, keift Lisa.
„Nicht alle Menschen sind so schlecht wie du, Blondie!“ grinst Ludde.
„Es braucht ihm ja nur mal aus Versehen was rausrutschen“, zetert Lisa weiter. „Vor seiner blöden Iffi. Oder vor seinem Sohn. Oder vor sonst wem! Und dann haben wir die Arschkarte!“
„Jetzt chill mal, Blondie! Ich hab alles im Griff!“
„Gar nichts hast du im Griff“, zischt Lisa. „Du verlierst vor lauter Geldgeilheit gerade völlig die Kontrolle.“
„Kontrolle ist mein zweiter Vorname, Blondie!“
Lisa funkelt ihn böse an. Dann zischt sie: „Wenn das schief geht, dann bist ganz alleine du Schuld an der Sache. Wenn du mich reinreißt, dann streite ich alles ab und habe nichts mit alldem zu tun. Dann bist du halt unten in die Praxis-Räume eingebrochen und hast den Mist alleine durchgezogen!“
Und so hält Roland ein paar Stunden später seinen gefälschten Impfausweis in den Händen und ist wirklich überglücklich über die schnelle und unkomplizierte Lösung seines Problem. Ihn scheint auch gar nicht zu interessieren, woher Ludde das Dokument hat und warum der Stempel der Praxis Brooks darauf ist – er freut sich einfach nur, Casper zu Hohenlobese am kommenden Tag den verlangten Impfnachweis präsentieren zu können.
Lisa hingegen lässt die Sache keine Ruhe. Wie kann dieser Typ nur so leichtsinnig sein. Und so sucht sie Ludde am Abend nochmal auf und ringt ihm das Versprechen ab, nie wieder Impfausweise an Anwohner aus der Lindenstraße oder der Kastanienstraße zu verticken.
„Bevor du noch Schnappatmung kriegst“, meint Ludde cool. „Jaaaa, versprochen!“
Doch Lisa bleibt skeptisch und befürchtet, dass diese Geschichte irgendwann noch ein ganz böses Ende nehmen wird…

Artjom sitzt missmutig am Frühstückstisch. Die Tatsache, dass er heute wieder in die neue Schule muss, liegt im quer im Magen. Wie er erwartet hat, war sein Einstand am Montag alles andere als zufriedenstellend. Seine neuen Mitschüler haben ihn mit Neugierde in Augenschein genommen und dabei ziemlich schnell festgestellt, dass er doch ein mehr als sonderbarer Typ ist. Als sein Klassenlehrer ihn aufgefordert hat, sich vorzustellen und etwas über sich zu erzählen, hat Artjom zunächst kaum ein Wort rausbekommen und hilflos rumgestammelt, womit er sich allgemeines Gelächter durch die neuen Mitschüler zugezogen hat. Als er dann schließlich doch noch ein paar halbwegs vollständige Sätze zustande gebracht hat und von solchen Hobbys wie Cello spielen erzählt hat, war er vollends bei den anderen unten durch. Auch der Unterricht hat sich, wie befürchtet, als völlig anders herausgestellt, als es früher auf seiner Privatschule der Fall gewesen war – wie auf dem öffentlichen Gymnasium, nur noch schlimmer. Artjom war bereits nach dem ersten Schultag klar, dass er in dieser Klasse und in dieser Schule kein Bein auf den Boden kriegen wird – und quält sich seither jeden Tag unmotiviert und voller Angst vor seinen neuen Klassenkameraden dorthin… Seiner Mutter hat er erzählt, dass es so weit „okay“ dort sei, doch Urszula hat ihm von der Nasenspitze ablesen können, dass das nicht der Wahrheit entspricht…
Als sich die Polin, kurz nachdem ihr Sohn zur Schule aufgebrochen ist, auf den Weg zu ihrer Schicht ins Bayer macht – eine Rückmeldung bezüglich ihres Vorstellungsgesprächs im Hotel hat sie bislang nicht erhalten, weder positiv noch negativ – trifft sie im Treppenhaus auf Konstantin, der gerade ebenfalls auf dem Schulweg ist.
„Haben Sie nicht gesagt, dass das schon klappen wird mit Artjom an seiner neuen Schule?“ fährt die Polin ihn bissig an. „Und dass sie dafür sorgen werden, dass ihm sein Einstand dort nicht so schwer fallen wird?“
Konstantin sieht Urszula irritiert an. „Ich versteh jetzt gerade nicht…“, sagt er. „Ich hab Artjom am Montag die ganze Schule gezeigt, ihm alles erklärt und ihm gesagt, dass er sich jederzeit bei mir melden kann, wenn er irgendwelche Probleme hat – ganz egal, welcher Art…“
„Und Sie glauben, dass das reicht?“ fragt Urzula mit gereiztem Unterton.
„Ist… denn irgendwas vorgefallen?“ erkundigt sich Konstantin.
„Weiß ich nicht!“ zischt Urszula. „Er redet ja nicht mit mir darüber. Aber ich als Mutter… Ich spüre doch ganz genau, wenn mit meinem Kind etwas nicht stimmt. Und so, wie er sich verhält… Es ist ganz offensichtlich, dass er jeden Tag mit absolutem Unwillen dorthin geht…!“
„So eine neue Schule braucht halt eine gewisse Eingewöhnungsphase“, gibt Konstantin zu bedenken.
„Es geht hier nicht nur um eine Eingewöhnungsphase“, erwidert die Polin schnippisch. „An seiner letzten Schule… Ich hab doch gesagt, dass er anders ist, als andere Jugendliche in seinem Alter. Artjom ist dort nur gemobbt worden. Die anderen haben ihm übel mitgespielt. Und ich merke ihm ganz deutlich an, dass es hier auch schon wieder losgeht. Und er… Er ist halt einfach nicht in der Lage, sich eigenständig zu wehren.“
„Was genau ist denn da vorgefallen?“
„Ich weiß es doch auch nicht. Aber sie haben ihn ausgelacht, weil er nicht die gleichen Interessen hat, wie andere Gleichaltrige. Und weil er so unsicher und verschlossen im Umgang mit ihnen ist.“
„Aber glauben Sie denn, dass es die Situation besser machen würde, wenn ich oder seine Lehrer oder Sie sich da einmischen würden?“ fragt Konstantin. „Das ist natürlich… unschön, aber es sind Erfahrungen, die viele Jugendliche in dem Alter machen. Da muss man halt lernen, sich durchzusetzen und damit umzugehen.“
Urszula funkelt ihn böse an. „Das ist jetzt nicht Ihr ernst?“ zischt sie. „Das glaube ich jetzt nicht, dass Sie als Sozialpädagoge so eine Aussage machen! Sie sind der Letzte, der so gleichgültig reagieren darf! Kann es sein, dass Sie irgendwie Ihr Berufsziel verfehlt haben?“
„Okay“, sagt Konstantin, nachdem er Urszula einen Augenblick lang betroffen angesehen hat, denn das ist etwas, was er nun wirklich nicht auf sich sitzen lassen will. „Ich kümmere mich darum!“
Und so überwindet Konstantin sich später dazu, ausgerechnet Sina in sein Büro zu bitten. Er glaubt, dass sie die nötige Empathie besitzt, um Artjom seinen Einstieg in die neue Schule etwas leichter zu machen und teilt ihr das auch so mit.
„Aber… was soll ich denn jetzt machen?“ fragt Sina. „Ich meine, was erwarten Sie denn von mir?“
„Ich möchte einfach nur, dass du dich ein wenig um ihn kümmerst“, erklärt Konstantin. „Ihm anbietest, dass du ihm den Stoff erklärst, in der Pause Zeit mit ihm verbringst… Sowas halt.“
„Meinen Sie nicht, dass ihm das vielleicht komisch vorkommt, wenn ich mich ihm so aufdränge?“ fragt Sina.
„Ich denke, er wird eher froh sein, dass jemand auf ihn zukommt“, vermutet Konstantin. „Alleine kriegt er das nämlich nicht hin. Er… hat halt Schwierigkeiten damit, Kontakte zu Gleichaltrigen aufzubauen.“
„Ich weiß nicht…“, erwidert Sina skeptisch.
„Oder magst du ihn nicht?“ erkundigt sich Konstantin.
„Mögen? Keine Ahnung, er ist ja erst seit ein paar Tagen da und sitzt nur still rum. Ich hab noch kein Wort mit ihm geredet.“
„Versuch es doch wenigstens mal“, sagt Konstantin. „Wenn es absolut nicht klappt, dann sagst du mir Bescheid und ich versuche, eine andere Lösung zu finden.“
„Na gut“, gibt Sina schließlich nach.
In der nächsten Unterrichtsstunde blickt sie aber eher skeptisch zu dem neuen Mitschüler herüber, der sich einen einsamen Platz in der hintersten Ecke des Klassenzimmers ausgesucht hat und dort still vor sich hin brütet. Was denkt der Landmann sich nur dabei, sie auf diesen seltsamen Typen anzusetzen?
Zwischen den Stunden, nachdem die Erdkundelehrerin den Raum verlassen hat und der Geschichtslehrer noch nicht da ist, schießt sich Cedric plötzlich auf den Neuen ein. „Ey, Freak!“ brüllt er durch die Klasse. Artjom zuckt kurz zusammen und widmet sich dann seinem Schulbuch, krampfhaft darauf bedacht, gar nicht erst zu reagieren.
„Freak!“ brüllt Cedric nochmal. „Hörst du schlecht, oder was? Sag mal, du bist doch auch so ein Ruski, oder? So, wie der bekloppte Putin!“
Artjom bekommt einen hochroten Kopf und schickt stille Stoßgebete zum Himmel, dass der Geschichtslehrer bald auftauchen und dieses Szenario beenden würde.
„Ey! Kannste nicht sprechen?“ pöbelt Cedric weiter.
„Oder kannste nur russisch?“ mischt sich Lenny ein.
Die Szene ist nun im Fokus der gesamten Klasse, die dem Spiel mit wachsendem Interesse folgt.
„Bist du auch so ein kleiner Psycho wie der Putin?“ will Cedric wissen.
„Bestimmt!“ grölt Lenny. „Die Ruskis haben doch alle einen an der Waffel! War schon immer so!“
„Ey, haben deine Eltern damals auch Putin gewählt?“ will Cedric nun wissen.
„Nastrovje!“ brüllt nun wieder Lenny und reckt Artjom seine Cola-Flasche entgegen.
„Jetzt hört doch mal auf damit!“ mischt sich Sina nun ein.
„Warum?“ fragt Lenny. „Hast du auch Putin gewählt?“ Er und Cedric brechen in schallendes Gelächter aus.
„Ihr seid echt so bescheuert“, meint Sina kopfschüttelnd.
In diesem Moment betritt der Geschichtslehrer den Raum und der Spuk hat ein Ende. Während der folgenden Stunde sieht Sina mehrmals zu Artjom rüber, der verbissen in sein Buch starrt. Als er dann doch irgendwann kurz zu ihr rüberblickt, lächelt sie ihm freundlich zu – was dazu führt, dass Artjom knallrot anläuft und seinen Blick sofort wieder im Buch versenkt…
In der Pause begibt sich Sina schließlich zu Artjom, der in einer entlegenen Ecke des Schulhofs steht und an einem Müsliriegel kaut.
„Findest du Geschichte auch so ätzend, wie ich?“ versucht sie, ein unverfängliches Gespräch mit ihm zu beginnen. Einen Moment lang widmet er sich weiter voll und ganz seinem Riegel, dann sagt er: „Eigentlich nicht.“ Nach kurzem Zögern fügt er hinzu: „Geschichte und Politik sind eigentlich meine Lieblingsfächer.“
„Echt?“ fragt Sina ungläubig. „Merkt man gar nicht.“
„Wie meinst du das?“ fragt Artjom.
„Nun ja, du sitzt da still auf deinem Platz und machst nicht gerade den Eindruck, dass dich das besonders interessiert“, lacht sie.
„Ich find Geschichte wirklich spannend“, erklärt Artjom nüchtern.
„Das kann du echt richtig gut verbergen“, erwidert Sina mit gespielter Anerkennung in der Stimme und grinst. Nach einem weiteren Moment des Schweigens sagt sie: „Jetzt gleich noch Englisch und dann haben wir’s geschafft für heute.“
„Ich hasse Englisch“, sagt Artjom.
„Englisch find ich okay“, sagt Sina.
Als die Schüler nach der Doppelstunde Englisch aus dem Schulgebäude und in den freien Nachmittag strömen, spricht Sina Artjom erneut an. „Es ist echt schwer, die anzumerken, welche Fächer du magst und welche nicht“, kichert sie. „Geschichte, Englisch. Du wirkst überall gleich unmotiviert. Da kommt man echt nicht auf die Idee, dass dir das eine Fach lieber ist als da andere.“
„Willst du mich verarschen?“ fragt Artjom eingeschnappt.
„Nein“, sagt Sina, „ich wollte dich eigentlich nur mal fragen, ob wir uns nicht mal nachmittags treffen wollen?“
„Warum?“ fragt Artjom und sieht sie misstrauisch an.
„Dann könntest du mir vielleicht mal verständlich erklären, was es mit dieser Boston Tea Party auf sich hat“, meint Sina schulterzuckend. „Und im Gegenzug könnte ich dir bei Englisch helfen.“
Artjom sieht seine Mitschülerin einen weiteren Moment zögernd an. „Mal sehen“, sagt er schließlich und begibt sich zum Bus.
„Neuer Lover?“ fragt Cedric, der unauffällig hinter Sina getreten ist.
„Halt die Klappe!“ sagt Sina und setzt ihren Weg ebenfalls fort.
Konstantin, der das ganze von seinem Bürofenster aus beobachtet hat, ist erleichtert darüber, dass es tatsächlich zu einer Kontaktaufnahme zwischen Sina und Artjom gekommen ist und hofft, dass er sich doch noch in seiner neuen Schule einleben und Anschluss finden wird. Der Anblick von Cedric verhagelt ihm hingegen gerade ganz schön die Laune, ist er sich doch der Tatsache bewusst, dass er und Lenny ihn immer noch in der Hand haben und in nicht allzu ferner Zukunft auf ihre dreisten Forderungen zurückkommen werden…
Artjom muss später am Nachmittag, während er auf seinem Cello übt, an Sina denken. Sollte ihr Interesse an seiner Person wirklich ernst gemeint sein? Oder will sie ihn auch nur verarschen, wie all die anderen? Artjom ist verunsichert und weiß nicht, wie er dieses Mädchen einschätzen soll. Aber insgeheim muss er sich eingestehen, dass sie ihm doch irgendwie sympathisch ist…


Die Zukunft des Akropolis steht weiterhin unter keinem guten Stern: Vasily hat seinen Finanzen in den letzten Tagen immer und immer wieder überschlagen und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass er keine Möglichkeit hat, seine Strafe zu zahlen und das Lokal zu retten. Seine gesamten Rücklagen inklusive seines Erbes von Ludwig sind während der diversen Lockdowns in der Pandemie drauf gegangen. Und auch ein weiterer Termin bei seiner Bank heute verläuft unbefriedigend: Man hält ihn aufgrund der aktuellen Situation einfach nicht für kreditwürdig genug, um ihm eine solche große Geldsumme zur Verfügung zu stellen. Zwischenzeitlich taucht Gung immer wieder im Akropolis auf und versucht Vasily, doch noch dazu zu bewegen, ihm das Lokal zu verkaufen. Doch sowohl bei ihm wie auch bei Elena beißt er damit auf Granit – die beiden weigern sich standhaft, ihr geliebtes Akropolis einfach aufzugeben…
„Es gibt ssso viele neue Möglissskeiten über die Internät“, belehrt Elena ihren Sohn. „Man kann versssuchen, über die Internät Gäld zu sssammeln. Das nännt man Kraut-Pflaumen!“
Vasily sieht seine Mutter einen Moment lang ratlos an. „Du meinst Crowdfunding?“ geht ihm plötzlich ein Licht auf.
„Nai akrivós! Genau!“ freut Elena sich darüber, dass ihr Sohn begriffen hat, was sie ihm sagen wollte. „Wir könnten värssuchen, sssso Gäld zu ssssammeln für das Lokal!“
„Ach, Mutter, das ist doch lächerlich!“ verwirft Vasily diese Idee. „Wie sollen wir denn eine so große Summe zusammen bekommen? Wer sollten das bezahlen für das Akropolis?“
„Unsere Sssssstammgäste“, sagt Elena – und Vasily kann sich trotz der Ernsthaftigkeit der ganzen Situation ein Grinsen über die wild-verwegenen Hirngespinste seiner Mutter nicht verkneifen…
Als Vasily und Elena später gemeinsam die Wohnung verlassen, um ein paar Einkäufe zu erledigen, steht Simone plötzlich vor ihnen.
„Hallo“, sagt sie zaghaft.
„Was willst du denn hier?“ fragt Vasily unterkühlt.
„Oh, theé mou, du meine Güte, diese gottlose Pärson, sssie ssssoll uns in Ruhe lassen!“ zetert Elena sofort los. „Sssssie hat doch wirklich sssson genug Sssssaden angärichtet!“
„Ich… wollte mal fragen, wie es dir geht“, sagt Simone an Vasily gewandt und ignoriert dessen Mutter dabei.
„Was glaubst du wohl, wie es mir geht“, schnauzt Vasily sie an und setzt sie dann in knappen Sätzen über den aktuellen Stand der Lage in Kenntnis.
„Scheiße!“ murmelt Simone.
„Ja, Scheiße!“ stimmt Vasily ihr murrend zu, während Elena im Hintergrund zetert: „Aftòs o dýstychos! Diese unglückssssälige Persssson!!!“
„Ihr könnt mir doch nicht allen ernstes die Schuld für all das geben!“ versucht Simone sich zu verteidigen. „Roland ist doch hier derjenige, der hier total ausgeufert ist!“
„Und hast du ihn davon abgehalten?“ bellt Vasily. „Du hast nichts gemacht! Du hast ihn weder aufgehalten, noch hast du mich informiert!“
Simone muss sich eingestehen, dass Vasily in diesem Punkt recht hat. Sie hat nichts getan, um Roland aufzuhalten, aber wie hätte sie den Sturkopf auch stoppen sollen. Und Vasily hat sie in Griechenland nur deshalb nicht informiert, weil sie ihn in seiner Trauer um seinen Vater nicht noch zusätzlich belasten wollte. Aber in Angesicht seiner Zeter und Mordio schreienden Mutter, erscheint es ihr unmöglich, ihm dies erneut zu erklären versuchen. Also zieht sie schließlich zerknirscht weiter.
Als Vasily später mal wie der in der Restaurantküche sitzt und sich verzweifelt Gedanken darüber macht, wie es nun weitergehen könnte, schneit plötzlich Isolde zur Seitentür herein…
„Ich hab gedacht, du wärest schon längst wieder zurück nach Ischia?!“ wunder sich Vasily.
„Das wollte ich auch schon längst“, erklärt Isolde. „Aber irgendwie konnte ich mich dann doch noch nicht aufraffen. Keine Ahnung, warum nicht… Vielleicht aus alter Sentimentalität oder so etwas. Schließlich habe ich den größten Teil meines Lebens hier verbracht…“
Die beiden betreiben noch eine Weile Small Talk und sprechen auch über Vasilys aktuelle Schwierigkeiten, von denen Isolde natürlich längst gehört hat. Und plötzlich lässt sie die Bombe platzen lässt: „Vasily, du hast mir immer viel bedeutet. Ich hatte ja nie Kinder, aber du und Beate. Ihr wart immer fast so etwas wie die Kinder, die ich selbst nie hatte… Ach Gottchen, was rede ich? Jetzt werde ich wohl langsam wirklich sentimental, nicht wahr? Also, bevor ich mich hier jetzt noch um Kopf und Kragen rede… Vasily, ich würde dir gerne helfen. Ich bin ja jetzt nicht unbedingt… schlecht situiert. Aber ich habe alles, was ich brauche. Ich denke nicht, dass ich in meinem Leben noch irgendwelche größeren Investitionen tätigen werde. Und bevor ich mein Geld eines Tages mit ins Grab nehme… Ich würde dir gerne das Geld geben, das du brauchst, um dein Lokal retten zu können!“
Vasily starrt Isolde ungläubig an. „Das kann ich nicht annehmen“, bringt er schließlich hervor.
„Aber natürlich kannst du das! Vasily, ich bitte dich!“
„Aber das sind 100.000 Euro!“
„Das ist mir zu Ohren gekommen“, erwidert Isolde lächelnd. „Aber wie gesagt; ich brauche nicht mehr viel. Und wenn es hilft, das Akropolis zu retten, dann ist mir das jeden Cent wert. Dieses Lokal hier, das bedeutet mir schließlich auch was – und nicht gerade wenig… Weißt du noch, wie ich hier früher Woche für Woche auf der Bühne gestanden und gesungen habe? Eine herrliche Zeit war das…“
„Aber, aber…“, stammelt Vasily.
„Nichts, aber“, fährt Isolde dazwischen. „Und wenn es dich und dein Gewissen beruhigen sollte, darfst du mir das Geld dann auch gerne in kleinen Raten zurückzahlen, wenn dein Lokal erst einmal wieder so richtig läuft.“
Vasily kann nicht aufhören, Isolde anzustarren. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, entfährt es ihm schließlich.
„Sag einfach, danke schön, liebe Isolde“, lacht sie.
„Da… danke schön,… liebe Isolde“, flüstert Vasily mit zitternder Stimme.
Am Abend schlendert Vasily gemeinsam mit Isolde die Lindenstraße entlang. Sie hat ihm versprochen, gleich morgen mit ihrer Bankberaterin in Italien zu telefonieren und alles notwendige in die Wege zu leiten, damit er das Geld schnellstmöglich bekommt – und Vasily kann seine Dankbarkeit kaum in Worte fassen. Während die beiden die Villa passieren und Isolde gerade davon schwärmt, dass die Luft bereits nach Frühling riecht, fällt ihr Blick auf die andere Straßenseite, wo die Besucher gerade eine Kinovorstellung im Astor verlassen. Und da erblickt sie Bruno, der in Begleitung von Marlene in einer Traube anderer Kinogänger das Gebäude verlässt. Isolde überlegt, wie sie einen anderen Weg einschlagen könnte, ohne dass Vasily mitbekommt, was los ist, denn sie will sich vor ihm nicht die Blöße geben, dass sie Bruno immer noch nachtrauert. Doch es ist bereits zu spät, denn Bruno und Marlene kommen direkt auf sie zu. Und ehe Isolde eine Möglichkeit zur Flucht findet, hat Bruno sie entdeckt.
„Guten Abend“, sagt er dezent.
„Hallo“, murmelt Isolde – dann fällt ihr Blick auf Marlene, die sie nun, im Schein der Straßenlaterne etwas genauer sehen kann – und plötzlich wird ihr bewusst, wer die neue Frau an Brunos Seite ist.
„Ach“, entfährt es ihr. „Sie sind das? Wir sind uns doch auch schon mal begnet.“
„Allerdings“, erwidert Marlene gespielt freundlich. „Ich habe früher sehr gerne mal in Ihrem Casarotti gespeist.“
„Ich erinnere mich vor allem daran, was Sie damals mit Frau Beimer gemacht haben“, sagt Isolde schnippisch. „Obwohl die doch angeblich Ihre beste Freundin war.“
„Mein Gott, was reiten denn immer alle auf diesen alten Kamellen rum“, wehrt Marlene ab. „Das ist ja wirklich albern.“
„Ich hätte dir einen besseren Geschmack zugetraut“, zischt Isolde Bruno zu.
„Und ich hätte etwas mehr Anstand von dir erwartet“, sagt Bruno, verabschiedet sich und setzt mit Marlene seinen Weg fort.
Isolde beginnt am ganzen Leib zu zittern und Vasily fragt besorgt: „Ist alles in Ordnung?“
„Ich hatte gedacht, ich wäre über ihn hinweg“, flüstert Isolde, als sie ihre Fassung wiedergefunden hat. „Ich dachte, ich wäre bereit, damit abzuschließen. Aber ich liebe diesen alten Hornochsen immer noch!“
Isolde blickt Bruno und Marlene hinterher. Dann sagt sie – mehr zu sich selbst, als zu Vasily: „Und ich werde nicht einfach nach Ischia zurückkehren und damit abschließen! Ich werde um ihn kämpfen, so wahr ich hier stehe!“

CLIFFHANGER auf: Isolde Pavarotti

Mitwirkende Personen
Iffi Zenker
Roland Landmann
Konstantin Landmann
Lisa Dagdelen
Ludde Mayer
Casper zu Hohenlobese
Urszula Winicki-Brenner
Artjom Brenner
Marcella Varese
Elena Sarikakis
Vasily Sarikakis
Simone Stadler
Gung Phan Kien
Isolde Pavarotti
Bruno Skabowski
Marlene Schmitt
Sina Kleist
Cedric Heltau
Lenny Kroon

© ´popo wolfson´ 2022

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: So 13. Mär 2022, 07:40 


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BeitragVerfasst: So 13. Mär 2022, 08:37 
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Registriert: Mi 15. Sep 2010, 12:37
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Wow, da hat Vaseline aber mal echt mehr Glück als Verstand, dass er soviel Geld bekommt.


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