Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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BeitragVerfasst: Sa 22. Jan 2022, 23:48 
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Folge 1818: Schuld sind immer die anderen

Spieltag: Donnerstag, 20.01.2022

Lisa sitzt gemeinsam mit Murat missmutig am Frühstückstisch, als es an der Tür klingelt. Genervt öffnet Lisa – und sieht sich Iris gegenüber. Sofort schlägt ihre miesepetrige Stimmung um und sie bemüht sich, sich ihrer (ehemaligen?) Chefin gegenüber möglichst freundlich und aufgeschlossen zu verhalten – schließlich muss man ja versuchen, dass Ruder nochmal rumzureißen und die Situation eventuell doch noch zu retten.
Iris teilt Lisa knapp und sachlich mit, dass sie gerade eben einen Anruf von der Ärztekammer erhalten hat und ihre Praxis wieder eröffnen darf, nachdem sich der Sachverhalt geklärt hat und die ausgetauschten Impfpräparate ausschließlich und vollständig auf Lisas Verschulden zurückzuführen sind. In Lisa keimt sofort die Hoffnung, dass auch sie nun nochmal mit einem blauen Auge aus der Geschichte rauskommt – doch Iris muss ihr gleich den Wind aus den Segeln nehmen.
„Die Neuner hat mir erklärt, dass man dich auch nochmal kontaktieren wird“, erklärt Iris. „Es wird einen Prozess geben. Oder eine Anhörung oder so. Keine Ahnung. Jedenfalls musst du dich für das verantworten, was du getan hast. Was das konkret für dich bedeutet, weiß ich nicht. Es könnte sein, dass du Berufsverbot bekommst und nicht mehr im Gesundheitswesen arbeiten darfst!“
WAS?“ schreit Lisa entsetzt. „Aber was soll ich denn dann machen? Ich kann doch nichts anderes.“
„Vielleicht bekommst du auch nur eine Geldstrafe“, setzt Iris fort.
„Geldstrafe?“ kreischt Lisa schrill. „Wie soll ich das denn bezahlen, wenn ich arbeitslos bin? Murats Shisha-Bar läuft nicht, Deniz geht noch zur Schule! Das geht nicht!!“
„Das ist nicht mein Problem, Lisa“, sagt Iris ernst. „Und davon mal abgesehen; selbst wenn du glimpflich aus der Sache rauskommen solltest, steht meine Entscheidung, dass du bei mir keine Anstellung mehr bekommen wirst. Dafür hast du mich zu oft enttäuscht.“
Iris geht wortlos in ihre Wohnung rüber und lässt eine am Boden zerstörte Lisa zurück…
Diese braucht einen Moment, um sich zu sammeln, dann bricht die Wut in ihr hervor. „Die Alte hat sie doch wohl nicht mehr alle!“ tobt Lisa, als sie zu Murat in die Küche zurückkehrt. „Was bildet die sich eigentlich ein? Sitzt da auf ihrem hohen Ross, fühlt sich erhaben über allem und macht mich hier dumm an! Wie stellt die sich das denn vor? Wenn wir von deiner Shisha-Bar leben müssen, können wir ja gleich Sozialhilfe beantragen! Die verdient ja genug mit ihrer Praxis! Und jetzt zeigt sie ihr wahres Gesicht! Jetzt kann sie mal wieder eine Macht ausspielen!“
„Baby, hörst du dir eigentlich selbst mal zu?“ fragt Murat fassungslos.
„Ja, ist doch wahr!!“ keift Lisa. „Aber ich sag dir, wenn ich jetzt eine Geldstrafe zahlen muss, dann stelle ich der das in Rechnung! Die hat genug Geld! Und die ist ja auch Schuld an allem! Das wäre mir ja nie passiert mit den Ampullen, wenn das in ihrer Praxis nicht immer alles so chaotisch und hektisch laufen würden! Andrea und ich haben immer Stress pur, nur weil die ihren Laden nicht im Griff hat. Früher beim Flöter und beim Stadler hat’s sowas nicht gegeben!“
Murat kann kaum fassen, was Lisa da gerade vom Stapel lässt, und schüttelt nur noch den Kopf. Schließlich lässt er seine Frau toben, verlässt die Wohnung und begibt sich in seine Shisha-Bar.
Eine Weile später steht Andrea bei den Dagdelens vor der Tür. Lisa öffnet ihr mürrisch.
„Hat sie schon mir dir gesprochen?“ will Lisa ohne Begrüßung wissen.
„Iris?“ fragt Andrea. „Ja. Ich war gerade bei ihr in der Praxis. Morgen machen wir Bürokram und Montag öffnen wir dann wieder.“
Lisa steigert sich daraufhin in die nächste Tirade über Iris rein, bemängelt lautstark ihre Unfähigkeit sowohl als Ärztin wie auch als Arbeitgeberin.
„Vielleicht kann ich ja nochmal mit ihr reden“, schlägt Andrea vor. „Wir müssten ja auch erst Ersatz für dich finden und vielleicht kann ich Iris ja doch noch umstimmen.“
Lisa schweigt einen Moment nachdenklich. Dann giftet sie: „Das brauchst du nicht! Ich will gar nicht mehr dahin zurück. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich es so lange mit der ausgehalten habe. Und wenn ich dir einen guten Rat geben darf, solltest du dich auch schnellstmöglich nach einer neuen Stelle umsehen. Was besseres als das, findet man doch überall!“
Zerknirscht verlässt Andrea Lisa schließlich wieder und begibt sich mit gemischten Gefühlen in die Shisha-Bar zu Murat. Dort berichtet sie von ihrem Besuch bei Lisa und davon, wie diese sich aufgeführt hat. Murat erzählt ihr, dass die Situation am Morgen nicht anders war und dass in Lisas Weltsicht alle anderen Schuld sind (die unfähige Chefin Iris, die Patienten, die gefälligst besser hätten aufpassen müssen, damit sie sich nicht anstecken, und die Neuner von der Ärztekammer, die sich nicht hätte einmischen müssen), nur sie selbst nicht. Es liegt wieder eine extreme Spannung zwischen Murat und Andrea in der Luft und die beiden scheinen Zentimeter für Zentimeter näher aufeinander zu zu rücken.
„Wenn ich etwas für euch tun kann, oder für Lisa, dann gebt mir Bescheid“, räuspert Andrea sich schließlich verlegen, weicht ein paar Schritte von Murat zurück und verlässt fluchtartig die Shisha-Bar…
Derweil klingelt es bei den Dagdelens an der Tür.
„Wer ist das denn schon wieder?“ flucht Lisa, die gerade die Küchenschränke ausputzt und aufräumt, genervt und eilt zu Tür. Dort erlebt sie die nächste böse Überraschung dieses Tages: Draußen steht Dagmar!
„Was willst du denn hier?“ pflaumt Lisa ihre Mutter an.
„Ich bin endlich wieder aus der Reha zurück“, entgegnet Dagmar strahlend. „Und da wollte ich mal nach euch sehen.“
Lisa funkelt ihre Mutter böse an. „Ich hab dir wohl klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass du hier nicht erwünscht bist“, zischt sie.
„Was machst du überhaupt hier?“ fragt Dagmar. „Musst du nicht arbeiten? Und wo ist Deniz?“
Lisa geht ein Licht auf. „Deshalb bist du hier“, sagt sie böse. „Weil du dachtest, dass du dich hinter meinem Rücken wieder heimlich an Deniz ranzecken kannst. Tja, Pech gehabt, Deniz ist heute bei einer Freundin und ich… hab gerade Urlaub!“
„Aber das ist doch Unsinn!“ widerspricht Dagmar.
„Verschwinde endlich aus unserem Leben!!“ schreit Lisa aufgebracht und schlägt ihrer Mutter die Tür vor der Nase zu.
Eine Weile später kommt Deniz nach Hause. „Bist du schon da?“ fragt Lisa irritiert und versucht eilig, vor ihrer Tochter zu verbergen, dass sie geweint hat. „Ich dachte, du wolltest bis fünf bei Nora bleiben.“
Deniz tritt verlegen von einem Fuß auf der anderen. Dann sagt sie zögernd: „Ich hatte heute nicht so viel Lust, zu spielen, weil… ich muss dir was beichten.“
Lisa sieht ihre Tochter alarmiert an. Diese zieht schließlich ein Schulheft aus ihrem Rucksack und präsentiert kleinlaut eine Fünf in ihrer Mathe-Arbeit – und löst damit eine Art Tsunami aus…
„Eine Fünf?“ schreit Lisa schrill. „Wie kann das sein? In der letzten Mathe-Arbeit hattest du doch eine 3+?“
„Ich hab das diesmal irgendwie nicht verstanden…“, gesteht Deniz zerknirscht.
„Und das ist dir erst bei der Arbeit aufgefallen?“ kreischt Lisa. „Das musst du doch vorher gemerkt haben! Da hätte man ja mal fragen können! Dann hätten wir mehr lernen müssen! Ich fasse das einfach nicht! Wie kannst du eine Fünf nach Hause bringen? Mathe ist so wichtig im Leben! Wie willst du jemals einen guten Schulabschluss machen, wenn du jetzt schon solche Probleme bekommst? Wie soll den jemals was aus dir werden?“
„Tut mir leid“, flüstert Deniz – und erhält einer saftige Ohrfeige.
„Dafür ist es jetzt zu spät!!“ faucht Lisa und blitzt sie böse an. „Da hättest du dir vorher mal überlegen sollen, dass du Hilfe brauchst. Die Fünf können wir jetzt nicht mehr ungesehen machen! Du solltest dich echt was schämen! Ich hab schon genug Probleme und jetzt musst du mir auch noch solchen Ärger machen!!!“
Kleinlaut verzieht Deniz sich in ihr Zimmer. Als Murat am Abend nach Hause kommt, überlegt sie kurz, ihm von der Ohrfeige zu erzählen. Doch als innerhalb weniger Minuten in der Küche ein lautstarker Streit zwischen ihren Eltern entbrennt, beschließt sie, lieber in ihrem Zimmer zu bleiben und heute gar nichts mehr zu sagen…

Nina und Tanja sind in der vergangenen Tagen alle Habseligkeiten von Sunny immer und immer wieder durchgegangen, um herauszufinden, woher sie die Medikamente hatte, die sie schließlich das Leben gekostet haben – doch vergebens. Sunnys Kontobewegung gibt keine eindeutigen Hinweise her, offenbar hat sie den Kurpfuscher bar und direkt bezahlt. Und eine Handynummer, die Sunny in ihren letzten Wochen vermehrt angerufen hat, führt zu einem Prepaid-Handy ohne ermittelbaren Besitzer, wie die Kollegen von Nina herausgefunden haben.
„Ich hab bei meinen Kollegen ein Bewegungsprofil von Sunnys Handy in Auftrag gegeben“, erklärt Nina. „Wenn wir wissen, wohin sie in letzter Zeit gegangen ist, dann finden wir vielleicht auch den oder diejenige, wovon sie das Zeug hatte.“
„Ich kann einfach nicht mehr“, sagt Tanja müde. „Ich hab keine Kraft mehr für das alles. Ich… ich will doch einfach nur in Ruhe trauern.“
Leise beginnen die Tränen über ihre Wangen zu laufen und Nina sagt leise: „Du brauchst dich um nichts zu kümmern, ich versteh das. Aber ich will halt auch nicht, dass dieser Mensch, der Sunny auf dem Gewissen hat, einfach ungeschoren davon kommt. So jemandem gehört das Handwerk gelegt!“
„Ja“, wispert Tanja kaum hörbar.
„Meine Kollegen kümmern sich“, erklärt Nina. „Die haben mir gesagt, dass sie das nicht bevorzugt behandeln können. Es ist ja keine Gefahr in Verzug, weil … weil Sunny ja bereits … also weil im Moment ja für niemanden eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben besteht. Aber wenn ich da nochmal nachhake, werden die sich trotzdem so schnell wie möglich kümmern, mit einem von der Abteilung kann ich wirklich gut. Ich sag dir einfach Bescheid, wenn es was Neues gibt. Du musst nichts weiter machen, in Sunnys Sachen werden wir ohnehin keine Hinweise finden.“
Als Tanja später den Müll runterbringt, trifft sie im Treppenhaus auf Urszula.
„Wie geht es dir?“ fragt die Polin – und Tanja zuckt lediglich mit den Schultern.
„Es tut mir leid, dass ich dir letzte Woche mit meinem Mist die Ohren vollgejammert habe“, sagt Urszula entschuldigend. „Manchmal bin ich… einfach eine dumme Kuh.“
Tanja lächelt und fragt: „Wie geht’s denn jetzt weiter mit Artjom?“
„Wir haben heute Nachmittag unseren Termin in der Gesamtschule“ , erklärt Urszula. „Mal sehen, was dabei rauskommt, aber wahrscheinlich wird er dann zum Beginn des neuen Halbjahres die Schule wechseln.“
Später an diesem Tag trifft sich Tanja in ihrer Wohnung mit Christa und Jürgen, um die Einzelheiten für Sunnys Beisetzung zu besprechen.
„Hier in Deutschland sind Ballon-Bestattungen leider immer noch nicht erlaubt“, erklärt Tanja. „Aber in der Schweiz können wir das machen. Das Bestattungsunternehmen organisiert das für uns.“
„Ich bin sicher, dass Sunny das gefallen hätte“, sagt Christa mit Tränen in den Augen.
„Ballon-Bestattung!“ Jürgen springt so aufgebracht auf, dass der Küchenstuhl hinter ihm umkippt und laut zu Boden fällt. „Seid ihr eigentlich alle völlig verrückt geworden? Habt ihr alle euren Verstand verloren? Wie soll das denn vonstatten gehen?“
„Es gibt die Möglichkeit, dass wir mit einem Heißluftballon fahren und die Asche aussegnen“, erklärt Tanja. „Oder die Asche wird in einen Helium-Ballon gefüllt und den lässt man dann einfach steigen.“
Jürgen ist vollkommen fassungslos. „Mein Sohn wird in keinem Helium-Ballon gefüllt“, sagt er aufgebracht. „Und auch nicht aus einen Heißluftballon gekippt! Mein Sohn kommt in Berlin in unsere Familiengruft. Zu meinen Eltern, meinem Bruder und zu Tante Erna und Onkel Friedrich!“
„Da hab ich ja wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden!“ Seine Frau wirft ihm einen messerscharfen Blick zu und sagt dann zu Tanja: „Wir machen das so! Und wenn es geht, würde ich sogar gerne so eine Ballonfahrt machen und Sunnys Asche von da oben ausstreuen.“
„Ihr seid ja nicht mehr ganz bei Trost“ brüllt Jürgen wütend und verzweifelt. „Was für eine kranke Welt! Mein Sohn hält sich für eine Frau und bringt sich mit irgendwelchen illegalen Hormonen um. Und dann soll seine Asche auch noch aus einem Ballon gekippt werden!?! Ich fasse das alles nicht!!!“
Nachdem Jürgen wütend die Wohnung verlassen hat, bleibt Christa noch bei Tanja. Die beiden schweigen eine Weile, doch plötzlich sagt Christa: „Ich werde mich von Jürgen trennen!“
Tanja sieht sie ungläubig an. „Bist du sicher?“ fragt sie. „Ihr seid so lange verheiratet, ihr steht kurz vor der Goldhochzeit!“
„Ich halte das nicht mehr aus“, stöhnt ihre Schwiegermutter. „Er ist mir so fremd geworden. Ich weiß nicht, was das ist. Altersstarrsinn? Keine Ahnung, ich ertrage es jedenfalls nicht mehr. Ich ertrage IHN nicht mehr!“
„Weiß Nina das schon?“ will Tanja wissen.
„Weder Nina noch die Jungs“, sagt Christa. „Nicht mal Jürgen selbst weiß es. Aber mein Entschluss steht fest. Es ist im Moment einfach nur noch nicht der richtige Zeitpunkt, um das Ganze offiziell zu machen. Außer mit dir habe ich mit noch niemandem darüber geredet. Bitte behalte es noch für dich, in Ordnung?“
Tanja verspricht es. Nachdem sie sich von ihrer Schwiegermutter verabschiedet hat, die immer noch bei Nina wohnt, geht sie nochmal das Informationsmaterial durch, das sie zum Thema Ballon-Bestattung vom Bestattungsunternehmen bekommen hat. In der allgemeinen Verzweiflung, die bei Sunnys Hinterbliebenen herrscht, geht ein weiterer Trauernder nahezu völlig unter: Simon! Er sitzt alleine in seinem Zimmer und leidet still und leise vor sich hin. Er fühlt sich unendlich mitschuldig an Sunnys Tod. Die Tatsache, dass sie sich wieder auf diese gefährliche Hormonbehandlung eingelassen hat, dass sie wieder dem unbedingten Wunsch nachgegeben hat, eine richtige Frau werden zu wollen, so vermutet Simon, ist zu großen Teilen auf Sunnys unerträglichen Schmerz über den Verlust von Yannik zurückzuführen. Durch das „Frau sein“, glaubt Simon, wollte Sunny versuchen, die Lücke, die der Tod ihres Sohnes bei ihr hinterlassen hat, wenigstens ein Stück weit zu füllen. Und so steigert Simon sich unbemerkt von seinem Umfeld immer weiter in die Vorstellung hinein, dass im Grunde er es ist, der alle beide auf dem Gewissen hat, Yannik und Sunny...

„Ich brauche dringend Ihre Hilfe!“ Ohne anzuklopfen stürmt Dr. Brigitte Klöckner an diesem Morgen in das kleine Büro von Konstantin.
„Was gibt es denn?“ fragt dieser, noch völlig perplex von diesem Überfall.
„Herr Bauer hat sich krank gemeldet“, erklärt die Klöckner. „Sie müssen in der 5. und 6. Stunde für ihn in der 7c einspringen!“
„Ich?“ fragt Konstantin überrumpelt. „Aber ich bin doch kein Lehrer!!“
„Es geht nur um die Sportstunde“, beschwichtigt Dr. Klöckner ihn. „Das werden Sie wohl hinbekommen. Sie sind doch ein sportlicher junger Mann. Machen Sie ein paar Ballspiele oder so. Sie müssen ja nicht nach Lehrplan vorgehen, Hauptsache, die Schüler sind beschäftigt. Ich kann unmöglich noch mehr Unterricht ausfallen lassen, die Eltern steigen mir aufs Dach.“
„Na, meinetwegen“, gibt Konstantin klein bei. „Ballspiele werde ich wohl hinkriegen.“
„Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann“, haucht die Klöckner ihm mit ihrer tiefen Stimme zu. Sie will das Büro bereits wieder verlassen, hält dann aber an der Tür inne und sagt: „Und heute Nachmittag bräuchte ich Sie auch nochmal. Eine Mutter kommt mit ihrem Sohn. Der geht im Moment noch auf das Städtische Gymnasium, soll aber zum Halbjahr hierher wechseln. Eine etwas vertrackte Geschichte. Der Junge war vorher auf einem Privat-Gymnasium, wo ihm ordentlich Puderzucker in den Arsch geblasen wurde und man ihm alles zugespielt hat. Jetzt sind die Eltern pleite und können sich diese behütete Elite-Welt nicht mehr leisten. Und der Junge kommt im echten Leben natürlich vorne und hinten nicht zurecht und wird den Anforderungen des Gymnasiums nicht gerecht.“
„Und was erwarten Sie jetzt von mir?“
„Ich hab mit seinen Lehrern Rücksprache gehalten“, erklärt die Klöckner. „Der Junge hinkt dem aktuellen Stoff völlig hinterher. Diese Privatschulen, Sie verstehen… Ich bin jedenfalls der Meinung, dass man ihn gleich um ein Jahr zurückstufen sollte. Er geht eigentlich in die 8. Klasse. Aber da wäre er hier ebenso verloren wie auf dem Gymnasium. Wir sind hier auch mit dem Stoff schon weiter als auf seinem elitären Pipi-Gymnasium…“ Die Direktorin lacht heiser auf.
„Und was soll ich nun…?“ beginnt Konstantin.
„Sie sollen mir Rückendeckung geben“, fällt Klöckner ihm ins Wort.
„Rückendeckung?“
„Ich habe bereits mit der Mutter telefoniert“, berichtet Frau Klöckner. „Eine Osteuropäerin. Minicki oder so ähnlich. Jedenfalls völlig hysterisch, die Frau. Wenn ich der jetzt mitteile, dass ihr kleiner Sonnenschein um ein Jahr zurückgesetzt wird… Ich versichere Ihnen, die wird hier die Welle machen… Da könnte ich ein wenig moralische Unterstützung schon ganz gut gebrauchen.“
„Wäre es da nicht vielleicht besser, wenn ein Lehrer…?“
„Papperlapapp! Außerdem ist Herr Bauer ja ohnehin krank – und der ist schließlich der Klassenlehrer der 7c. Und ich finde, dass Sie sehr geeignet sind. Sie sind immer so… ruhig und souverän. Und Sie sind so der Typ perfekter Schwiegersohn. Ich bin mir sicher, dass Sie so einer hysterischen Mama im Handumdrehen den Wind aus den Segeln nehmen können.“
„Okay“, ergibt sich Konstantin kurz und knapp in sein Schicksal – und ist heilfroh, als die Klöckner endlich wieder sein Büro verlässt…
Als sich Konstantin etwas später, während der großen Pause, erste Gedanken darüber macht, was er den Schülern in der Sportstunde anbieten könnte, fliegt plötzlich schwungvoll seine Bürotür auf und die beiden Siebtklässler Cedric Heltau und Lenny Kroon stürzen rein.
„Sie müssen uns helfen!“ polter Cedric gleich ohne Begrüßung los.
„Seid ihr wieder beim Kiffen hinter der Turnhalle erwischt worden?“ fragt Konstantin, der gerade den Anflug eines De ja-vus verspürt.
„Es geht um unsere Noten“, erklärt Lenny.
„Was ist damit?“ erkundigt sich Konstantin.
„Unsere Versetzung ist in Gefahr“, sagt Cedric. „Bei uns beiden!“
„Und wie kann ich euch dabei helfen?“ fragt Konstantin. „Soll ich euch Nachhilfe vermitteln? Dafür muss ich erstmal wissen, in welchen Fächern genau eure Schwierigkeiten liegen.“
„Wir… dachten eigentlich eher, dass Sie vielleicht mit unseren Lehrern reden könnten“, bringt Lenny zögernd hervor. „Also mit den Lehrern, bei denen wir Probleme haben.“
„Und ihr meint, wenn ich mit denen rede, dann lassen sie alle schlechten Leistungen unter den Tisch fallen, oder wie?“ fragt Konstantin amüsiert.
„Ja, wenn Sie denen erklären, dass wir eigentlich gar nichts dafür können“, meint Cedric, „sondern, dass wir halt irgendwie so Probleme haben, so sozial oder so psychisch oder so… Sie sind doch so ein Dings… so ein Sozialpädagoge.“
Konstantin ist in einem gewissen Maße belustigt darüber, wie simpel diese beiden Jungs gestrickt sind und was sie glauben, dass er bewirken könnte.
„Ich soll euch so eine Art Gutachten erstellen, das besagt, dass ihr quasi schuldunfähig seid in Bezug auf eure schlechten Schulleistungen.“
„Ja, genau, Mann!“ Lenny strahlt ihn freudig an.
Konstantin lacht auf.
„Verarschen Sie uns gerade, Mann?“ fragt Cedric alarmiert.
„Ich bin Sozialpädagoge und kein Psychiater“, lacht Konstantin. „Ich kann euch da nicht helfen.“
„Boah, Mann ey, wozu sind Sie dann überhaupt da?“ motzt Lenny.
„Ey, Sie sind uns was schuldig!“ fährt Cedric ihn bedrohlich an. „Sie haben uns damals schon hängen lassen, als wir Probleme mit der Klöckner hatten, wegen dem Kiffen hinter der Turnhalle.“
„Auch da wart ihr selbst Schuld und bei mangelhaften Schulleistungen hilft halt nur, sich mehr anzustrengen“, meint Konstantin schulterzuckend. „Wie gesagt, wenn ihr mir eure Problemfächer nennt, kann ich versuchen, Nachhilfe für euch zu organisieren.“
Cedric funkelt ihn feindselig an. „Sie wollen uns nur nicht helfen“, faucht er. „Weil Sie ein Wichser sind!!“
„Hey, jetzt mal schön den Ball flach halten“, ermahnt Konstantin ihn.
„Nix halten wir flach“, mault Cedric. „Sie wollen uns nur nicht helfen, weil wir für Sie zwei blöde kleine Assis sind. Aber das kriegen Sie noch zurück…!!!“
Ohne ein weiteres Wort rauscht Cedric aus dem Büro, Lenny folgt ihm schnell.
In der 5. und 6. Stunde, dem Sportunterricht in der 7c, begegnet Konstantin den beiden jedoch gezwungenermaßen bereits wieder. Die Jungs werfen ihm feindselige Blicke zu, allen voran Cedric, aber die Stunde verläuft an sich unproblematisch und Konstantin kann die Klasse mit seinen Ideen für den heutigen Sportunterricht bei der Stange halten. Dennoch sieht sich Konstantin auch wieder mit seinem alten Problem konfrontiert – lauter 12- bis 13jährige Mädchen in knapper Sportkleidung lassen ihn nicht kalt. Besonders Sina, zu der er sich ja bereits hingezogen fühlte, als er ihr vor einigen Monaten bei ihren Problemen geholfen hat, zieht nach wie vor ungewollt seine Aufmerksamkeit auf sich… Als sich Sina am Ende der Stunde verschwitzt und außer Atem bei ihm dafür bedankt, dass er den heutigen Unterricht viel aufregender und lebendiger gestaltet hat, als Herr Bauer dies üblicherweise tut, verspürt Konstantin plötzlich eine so starke sexuelle Erregung für das Mädchen, dass er sich zusammenreißen muss, um sie nicht kurz zu berühren oder ihr übers Haar zu streichen…
Während sich alle Schülerinnen und Schüler in den Duschen und Umkleidekabinen aufhalten, räumt Konstantin in der Sporthalle noch schnell ein paar Utensilien in den Geräteraum und begibt sich dann in die Lehrer-Umkleidekabine. Als er auf dem Weg dorthin an den Duschräumen vorbeikommt, erhascht er eher zufällig durch die nicht ganz geschlossene Tür des Raumes für die Mädchen einen kurzen Blick auf Sina, die dort noch unter der Dusche steht, während sich ihre Mitschülerinnen bereits in die Umkleidekabine begeben haben. Konstantin geht weiter, hält dann aber inne – und ohne es im Grunde selbst zu wollen, geht er die paar Schritte bis zur Tür des Duschraums zurück und späht erneut durch den leicht geöffneten Spalt. Ihm ist zutiefst bewusst, dass er sich falsch verhält und sich schleunigst in seine eigene Kabine begeben sollte, aber er kann sich einfach nicht vom Anblick des duschenden Mädchens lösen. In diesem Augenblick kommt Cedric aus der Toilette – und entdeckt Konstantin vor der Duschraumtür. Cedric selbst bleibt unbemerkt von ihm, weicht zurück in den Toilettenraum, wo Lenny sich gerade die Hände wäscht. Er bedeutet seinem Kumpel, still zu sein, und zerrt ihn mit zur Toilettentür. Auch Lenny ist völlig überwältigt von dem Anblick, der sich ihm da bietet: Der Sozialpädagoge spannt vor der Mädchen-Dusche! Während Lenny nur von einem Ohr zum anderen grinst, zieht Cedric blitzschnell sein Handy hervor und beginnt, Konstantin damit zu filmen. Dieser harrt noch mehrere Sekunden in seiner Position aus, ruft sich dann aber endgültig ins Bewusstsein, in welch prekärer Lage er sich da gerade befindet – und eilt endlich in seine eigene Kabine. Als er die Tür hinter sich geschlossen hat, eilt Cedric auf den Gang zur Duschraumtür und richtet dort durch den Spalt noch für einen winzigen Moment seine Handykamera auf Sina, die gerade die Dusche abdreht – nicht sonderlich lange, so, dass im Grunde nicht viel zu erkennen ist, aber doch lange genug, um ausreichend zu dokumentieren, was bzw. wer da Konstantins Aufmerksamkeit so massiv auf sich gezogen hat.
Cedric und Lenny begeben sich nun auch in die Umkleidekabine. Als alle Schüler fertig sind und sich auf den Weg in den freien Nachmittag begeben, fällt Cedric auf, dass von Konstantin noch nichts zu sehen ist – er muss noch in der Lehrerkabine sein. Während Lenny seinen Freund dazu drängt, zum Rauchen aus dem Schulgebäude zu gehen, winkt Cedric ab und schleicht sich, einer spontanen Eingebung folgend, zur Lehrerkabine. Er öffnet vorsichtig die Tür einen Spalt – und entdeckt Konstantin, der unter der Dusche am hinteren Ende des Raumes steht und sich selbstbefriedigt. Cedric ist von der Situation völlig geflasht. Zuerst will er Lenny herbei winken, doch dann schaltet er schneller, zückt erneut sein Handy und macht noch schnell eine kurze Filmaufnahme von Konstantin, ehe er eilig das Gebäude verlässt, um Lenny auch noch über seine jüngste Entdeckung zu informieren…
Konstantin ist nach dem Vorfall völlig am Boden zerstört und beschämt über sich selbst. Das kurze Hochgefühl, das ihm sein Orgasmus in Folge der duschenden Sina beschert hat, weicht schnell einem Gefühl von Ekel und Selbsthass. Konstantin ist hin und her gerissen, die Sache entweder unter den Teppich zu kehren und zu verdrängen oder seinen Therapeuten aufzusuchen und ihm davon zu erzählen. Gerade, als er den Gedanken fast, dass letzteres die vermutlich vernünftigere Alternative wäre, fällt ihm wieder ein, dass ja noch der Termin mit der Klöckner und der Mutter des neuen Schülers ansteht…
Als Konstantin sich eine Weile später im Rektorat einfindet, treffen dort auch gerade Urszula und Artjom ein. Und Konstantin, der den beiden in den letzten Tagen ein paar Mal zuhause im Treppenhaus begegnet ist, wird erst jetzt bewusst, um wen es sich bei dem Gespräch eigentlich handelt. Urszula hat ja schon von Tanja erfahren, wer Konstantin ist und dass er als Sozialpädagoge in Artjoms neuer Schule arbeitet, weiß allerdings noch nicht so recht, was sie von ihm halten und wie sie ihn einschätzen soll. Das Gespräch verläuft eher verkrampft. Artjom sitzt verstockt auf seinem Stuhl und sagt gar nichts, strahlt aber mit jeder Faser seine Körpers Desinteresse und Abwehrverhalten aus. Die polnische Mutter schwankt zwischen Verzweiflung und Hysterie, steht mehrmals kurz davor, in Tränen auszubrechen und wird es nicht müde, immer wieder zu erwähnen, dass dieses schulische Umfeld auf keinen Fall das passende für ihren Jungen sein kann. Und als Brigitte Klöckner dann noch kund tut, dass sie es für das Beste hält, Artjom nicht in die 8. sondern in die 7. Klasse zu stecken, brechen bei Urszula endgültig alle Dämme und Artjom macht vollkommen dicht. Obwohl er selbst nach dem Vorfall im Sportunterricht immer noch ein wenig neben sich steht, gelingt es Konstantin schließlich, sich zusammenzureißen und sowohl zur Mutter wie auch zum Sohn zumindest ein bisschen Nähe aufzubauen – jedenfalls deutlich mehr, als es die sachlich-unterkühlte Klöckner bisher geschafft hat.
Nach Ende des Gesprächs ist Urszula zwar immer noch nicht wirklich überzeugt davon, dass Artjom in der Gesamtschule richtig aufgehoben ist, und auch der Junge versprüht immer noch Abwehrhaltung, aber dennoch sind beide, zumindest für den Augenblick, bereit, der neuen Situation eine Chance zu geben, und Urszula mag Konstantin und hat ein gutes Gefühl bei dem Gedanken, dass Artjom sich jederzeit an ihn wenden kann, wenn ihm danach ist.
Als Konstantin am Abend endlich nach Hause kommt, ist es zu spät, um seinen Therapeuten noch zu kontaktieren. Er überlegt kurz, mit Lea über den heutigen Vorfall zu sprechen, doch da die gerade auch mit anderen Dingen beschäftigt ist, beschließt er letztendlich, den Vorfall als einmaligen Ausrutscher abzutun und am besten schnellstmöglich zu vergessen…
Derweil sitzen Cedric und Lenny ein paar Kilometer entfernt auf einer Bank in einer Fußgängerzone und betrachten zum wiederholten Male interessiert Cedrics Handy-Aufnahmen.
„Ey, mein Bruder hat so ein krasses Programm, damit können wir das noch digital bearbeiten“, erklärt Cedric begeistert. „Dann ist das alles nicht so verwackelt und undeutlich.“
„Und was willst du dann damit?“ fragt Lenny begriffsstutzig.
„Boah, Digga, schalt mal dein Hirn ein“, motzt Cedric. „Das ist unsere Chance, um uns an dem Pädagogen-Arsch zu rächen. Damit machen wir den fertig, Mann!“
„Willst du wirklich?“ fragt Lenny skeptisch.
„Ja klar, Digga“, sagt Cedric entschlossen. „So eine Chance kriegen wir doch never ever wieder. Der lernt uns jetzt kennen!!!“

CLIFFHANGER auf: Cedric Heltau

Mitwirkende Personen
Konstantin Landmann
Lea Starck
Urszula Winicki-Brenner
Artjom Brenner
Tanja Schildknecht
Simon Schildknecht
Nina Zöllig
Andrea Neumann
Murat Dagdelen
Lisa Dagdelen
Deniz Dagdelen
Dagmar Hoffmeister
Dr. Iris Brooks
Christa Zöllig
Jürgen Zöllig
Dr. Brigitte Klöckner
Sina Kleist
Cedric Heltau
Lenny Kroon

© ‚popo wolfson‘, 2022

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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Verfasst: Sa 22. Jan 2022, 23:48 


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BeitragVerfasst: So 23. Jan 2022, 10:02 
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Registriert: Mi 15. Sep 2010, 12:37
Beiträge: 10008
Wow, wieder eine Menge Drama, da kommt noch einiges auf uns zu top


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