Elses Erben

Lindenstraße 1985 bis 2015 - 30 Jahre Lindenstraße, laßt uns darüber im Lindenstraßenforum schnacken.
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 Betreff des Beitrags: Folge 1771 - Versöhnlichkeiten
BeitragVerfasst: So 28. Feb 2021, 00:03 
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Folge 1771: Versöhnlichkeiten


Spieltag: Donnerstag, 25.02.2021


Ludde hat sich seit einer Woche nicht mehr blicken lassen und Jack macht sich inzwischen tatsächlich Sorgen. Doch am heutigen Morgen steht Ludde plötzlich im Flur, als sich Jack und Ben gerade auf den Weg zur Werkstatt machen wollen.
„Wo kommst du jetzt her?“ fragt Jack.
Doch Ludde verschwindet wortlos in seinem Zimmer.
Jack und Ben wechseln einen Blick.
„Ich geh erstmal allein in die Werkstatt“, sagt Ben, „dann habt ihr Zeit zum quatschen.“
Als Ben weg ist, folgt Jack Ludde in sein Zimmer und teilt ihm mit, dass sie ihn vorgestern an seiner Arbeitsstelle gesucht hat und man ihr gesagt habe, dass er seit Tagen nicht mehr da war.
„Am Wochenende gehe ich zurück nach Nürnberg“, sagt Ludde knapp.
Jack bleibt einen Moment sprachlos stehen. „Warum?“ fragt sie schließlich.
„Weil ich es merke, wenn ich irgendwo unerwünscht bin“, knurrt Ludde. „Und weil ich hier ja allen nur Unglück bringe.“
„Aber... ich will nicht, dass du gehst“, sagt Jack nach einer kurzen Pause.
„Ach. Und warum nicht?“
„Weil du mein Bruder bist“, erörtert Jack, „weil ich gerade erst anfange, dich richtig kennenzulernen. Und... weil ich dich schon viel zu lange im Stich gelassen habe.“
Ludde funkelt sie wütend an. „Weil du plötzlich ein schlechtes Gewissen hast“, giftet er sie an. „Weil ich dir all die Jahre scheißegal gewesen bin. Warum hast du denn nicht früher schon noch mir gesucht? Du bist einfach abgehauen und hast mich mit der ganzen Scheiße allein gelassen. Am Anfang hab ich noch gedacht, du kommst irgendwann zurück. Aber du bist nicht zurück gekommen. Aber dann meldest du dich nach zig Jahren plötzlich. Und ich hab mich wirklich darüber gefreut, damals. Aber du hast dich gar nicht meinetwegen gemeldet . Sondern wegen deiner fucking Amnesie und weil du dachtest, dass ich dir irgendwie helfen könnte, deine Erinnerung wiederzufinden. Ansonsten hätten wir uns doch nie wiedergesehen...“
Verlegen zuckt Jack mit den Schultern. „Vielleicht“, murmelt sie. „Ich weiß doch auch nicht, warum ich nie was von mir hören lassen hab...“
„Jetzt kann ich jedenfalls auch darauf verzichten“, mault Ludde.
In diesem Moment kehrt Gung von seinem morgendlichen Einkauf zurück. „Oh“, entfährt es ihm lediglich bei Luddes Anblick und er verschwindet in die Küche.
„Keine Sorge“, ruft Ludde ihm nach, „am Wochenende bist du mich wieder los!“
„Auf gar keinen Fall“, sagt Jack zu ihrem Bruder. Dann tritt sie in die offene Küchentüre und erklärt: „Ludde ist mein Bruder. Und ich werde ihn nicht wegschicken, nur weil du oder Alex oder Vasily oder sonst wer irgendwas gegen ihn habt. Hier ist Platz genug für uns alle. Aber wenn dir das nicht gefällt, dann... dann darfst du natürlich jederzeit ausziehen und dir was eigenes suchen.“
Gung lässt vor Schreck die Eier fallen, die er gerade aus seinem Einkaufskorb nehmen wollte. Wir erstarrt bleibt er für einen Moment stehen. Dann dreht er sich langsam zu Jack um und fragt mit steinerner Miene: „Du wirfst mich raus?!?“
„Ich werfe hier niemanden raus“, erklärt Jack. „Dich nicht und auch Ludde nicht. Ich hab dir lediglich gesagt, dass es dir frei steht zu gehen, wenn es dir nicht passt, dass mein Bruder hier wohnt. Ludde bleibt jedenfalls!“
Dann verlässt Jack die Villa. Gung und Ludde tauschen ein paar skeptische Blicke. Dann verschwindet Ludde in seinem Zimmer und Gung schließt die Küchentür hinter sich.
Jack begibt sich in der Zwischenzeit zu Alex, der sich vollkommen überrumpelt von ihr zu Vasily ins Akropolis schleppen lässt. Auf Alex' genervte Frage, was diese Aktion eigentlich soll, macht Jack den beiden ebenfalls eine klare Ansage in Bezug auf ihren Bruder und darauf, dass er in der Villa bleiben wird, ganz egal, ob den beiden das passt oder ob sie ihr noch so sehr mit dem Jugendamt drohen. Alex legt sogleich Widerspruch ein, doch Jack will nichts davon hören und lässt die beiden schließlich einfach zurück. Jacks Stellungnahme passt natürlich weder Alex noch Vasily, dennoch sind sich beide im Klaren darüber, dass Jack keinen Zentimeter von ihrem Standpunkt abweichen wird, stur wie sie ist.
Später am Tag taucht Gung bei Jack und Ben in der Werkstatt auf. Er stammelt ziemlich lange unwirsch herum, ehe er zur Sache kommt. Dann lässt er Jack wissen, dass er lange nachgedacht habe und dass er gerne in der Villa Dressler bleiben möchte. Und dass er bereit dazu ist, Ludde noch eine Chance zu geben. „Konfuse sagt, lass nichts Böses in deinen Gedanken sein“, zitiert Gung in Erinnerung daran, dass er früher auch mal Jack gegenüber sehr voreingenommen war und nicht verstehen konnte, dass Dr. Dressler ihr seinerzeit noch eine Chance gegeben hat, dass er Jack inzwischen aber schätzen und mögen gelernt habe und somit auch bereit wäre, ihrem Bruder die Chance zu geben, zu beweisen, dass er sich gerändert hat. Jack ist erleichtert darüber und hofft, dass nun auch Ludde bereit ist, seinen geplanten Auszug nochmal zu überdenken.
Und tatsächlich ist Ludde am Abend bereit, Gungs Entschuldigung anzunehmen.
„Konfuse sagt, wer einen Fehler begeht und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten“, erklärt Gung. „Ich werde mich bemühen zu begreifen, dass du bist Jacks Bruder und dass du hast gelernt aus deinen Fehlern. Und ich werde mich bemühen, aus meinen eigenen Fehlern zu lernen.“
„Wenn das ein Friedensangebot sein sollte, dann nehme ich es an“, sagt Ludde grinsend zu Gung und dann an Jack gewandt: „Und was ist mit den beiden Super-Daddys?“
„Die kriegen sich auch wieder ein“, meint Jack. „Ich hab ihnen heute jedenfalls nochmal klipp und klar erklärt, wie der Hase läuft.“
„Danke!“ sagt Ludde. „Ehrlich!“
Wenig später geht Ludde nochmal raus und spaziert die Straße entlang. Er muss sich eingestehen, dass es ihm wirklich ganz gut gefällt in dieser spießigen kleinen Straße und dass er sich in den letzten Wochen in der Villa Dressler so zuhause gefühlt hat, wie nie zuvor irgendwo. Er will gar nicht mehr weg. Dabei ist sein Start in München so ganz anders verlaufen, als er sich das vorgestellt hat. Seit Wochen lungert er nur rum, weil er seinen neuen Türsteher-Job wegen der ständigen Lockdown-Verlängerugen immer noch nicht antreten konnte. Als er die Lindenstr. 3 passiert, verlässt dort gerade Antonia das Haus – und bleibt wie angewurzelt stehen, als sie Ludde erkennt. Trotz klopfendem Herzen und Pudding in den Beinen nimmt sie ihren ganzen Mut zusammen und ruft „Hi!“ hinter ihm her.
Ludde bleibt stehen und dreht sich irritiert um.
„Hi...“, erwidert er und überlegt, wer da vor ihm steht und wo die beiden sich schon mal begegnet sein könnten.
„Ich... äh... also... ähm“, stammelt Antonia. „Ich wollte mich nochmal dafür entschuldigen, dass ich letztens so blöd in dich reingerannt bin. Ich hatte es eilig und hab dich nicht gesehen und...“
„Ach, du bist das!“ erinnert sich Ludde nun wieder.
„Ja, ich bin das!“ entgegnet Antonia kichernd und tritt nervös von einem Fuß auf den anderen.
„Ja, dann, schönen Abend noch an...“ sagt Ludde und will seinen Weg fortsetzen.
„Ich bin Antonia“, ruft diese ihm eilig nach.
Ludde bleibt stehen. „Ich bin Ludwig. Aber sag ruhig Ludde...“
„Okay“, japst Antonia atemlos vor Aufregung. „Und du kannst ruhig Toni zu mir sagen.“
„Okay“, erwidert Ludde. „Ciao Toni.“
Ludde will erneut seinen Weg fortsetzen, als Antonia ihm nachruft: „Und wo gehst du jetzt hin?“
„Zigarettenautomat“, antwortet Ludde. „Und du?“
„Nach Hause“, antwortet Antonia. „Also ich wohne da vorne in der Kastanienstraße. Aber meine Mutter ist gerade in Reha. Die hat sich das Bein gebrochen. Und ich war gerade bei meinen Großeltern zum Abendessen....“
„Okay, cool“, erwidert Ludde und will weiter, aber Antonia will jetzt unbedingt im Gespräch mit ihm bleiben, jetzt, wo es gerade halbwegs läuft. Wer weiß, wann sie dazu wieder eine Gelegenheit findet.
„Und was machst du so?“ fragt sie hastig.
„Immer noch Zigaretten holen“, entgegnet Ludde.
„Ich meine beruflich.“
„Ich bin Türsteher. Im Flair in der Buchenstraße – also zumindest, wenn nicht grad Lockdown ist.“
„Cool“, entfährt es Antonia.
„Und was machst du so?“ fragt Ludde.
„Ich geh noch zur Schule“, gesteht Antonia verlegen.
„Cool“, sagt Ludde.
„Najaaa“, meint Antonia.
„Doch, Schule ist cool“, sagt Ludde. „Wenn ich früher besser in der Schule gewesen wäre, wäre ich jetzt bestimmt nicht arbeitsloser Türsteher, der auf das Ende vom Lockdown wartet. Dann wäre ich Arzt und würde Covid19-Patieten retten.“ Er grinst. „Also, immer schön zur Schule gehen und gut aufpassen, dann wird aus dir mal was ganz Großes.“ Er zwinkert ihr zu und setzt seinen Weg fort. Antonia blickt ihm mit klopfendem Herzen nach, bis er um die Ecke verschwunden ist und die Schmetterlinge in ihrem Bauch fahren Achterbahn. Wow! Dieser Hammer-Typ hat tatsächlich mit ihr geredet. Wie benebelt macht sich Antonia, leise vor sich hinsummend, auf den Heimweg...

Sunny und Yannik haben es ein weiteres Mal geschafft, Tanja davon zu überzeugen, dass Yannik in München bleiben darf. Und Yannik ist in den letzten Tagen extremst bemüht, es Tanja auch wirklich recht zu machen. Jeden Tag räumt er auf, bringt den Müll raus, geht einkaufen und hilft auch sonst im Haushalt, wo er nur kann. Tanja ist klar, dass das alles nur Mittel zum Zweck ist, damit Yannik nicht nach Berlin zurück muss. Und im Grunde hat sie immer noch große Lust, ihn genau dorthin zurück zu schicken, nach dem, was vorgefallen ist. Lediglich Sunny zuliebe hat sie sich wieder umstimmen lassen. Aber Yannik ist ihr ein Dorn im Auge, vor allem deshalb, weil er einen schlechten Einfluss auf Simon ausübt. Und ihren Unmut darüber klagt Tanja mal wieder ihren Kollegen aus dem Friseur-Salon, mit denen sie sich regelmäßig zum zweiten Frühstück oder zu Kaffee und Kuchen trifft, seit der Salon im Lockdown ist.
„Simon hat mal gekifft“, meint 'Lotti' dazu gelassen. „Ja, mein Gott, so what? Das haben wir doch alle mal getan.
„Aber Simon ist erst 14!“ sagt Tanja empört.
„Weißt du, was ich mit 14 schon alles getrieben habe?“ fragt 'Lotti'.
„Das will keiner von uns hören“, gibt Lea ihren Senf dazu und beide – Lea und 'Lotti' – brechen gackernd in schallendes Gelächter aus.
„Ich find das nicht gut“, jammert Tanja weiter. „Heute Gras, wer weiß, was morgen kommt.“
„Du kommst jetzt aber nicht mit dieser omi-mäßigen Sichtweise, dass Gras eine Einstiegsdroge ist und dass alle, die mal gekifft haben, irgendwann cracksüchtig werden“, wirft 'Lotti' ein.
„Aber Simon ist erst 14“, wiederholt Tanja nochmal. „Und er lässt sich so leicht beeinflussen, vor allem von Yannik.“
Zur gleichen Zeit stellt Yannik zuhause fest, dass sein Gras-Vorrat so gut wie aufgebracht ist.
„Mist!“ flucht er. „In Berlin wüsste ich jetzt, bei wem ich mir was Neues besorgen könnte. Aber wo kriegt man denn hier was her?“
„Keine Ahnung“, bedauert Simon. „Vielleicht am Bahnhof. Oder im Englischen Garten... Oder halt...!“
„Was denn?“
„Vielleicht im Knochenpark.“
„Im was...?“ fragt Yannik.
„Ja, das heißt so, weil das wohl ganz früher mal ein Friedhof war“, erklärt Simon. „Das ist so ein kleiner Park, der ist gegenüber von dem Videospiele-Secondhand-Shop, wo ich manchmal hingehe. Ist gar nicht so weit, nur fünf Stationen mit dem Bus. Da laufen immer so komische Typen rum, da kriegt man bestimmt was.“
Eine gute halbe Stunde späte steigen Simon und Yannik aus dem Linienbus und betreten nach wenigen Metern Fußmarsch den sogenannten Knochenpark. Nachdem sie mehreren Obdachlosen, grölenden Jugendlichen und Besoffenen auf Parkbänken begegnet sind, beobachten sie tatsächlich einen jungen Typen, der zwei Mädels gerade ein paar Pillen vertickt – und sprechen ihn an. Simon fühlt sich etwas unwohl bei der ganzen Sache, aber Yannik hat damit kein Problem. Und Sekunden später sind die beiden im Besitz eines Tütchens Cannabis.
„Wollt ihr auch ein paar E's?“ fragt der Typ.
Simon will ablehnen, aber Yannik ist hellauf begeistert. Und so kauft er dem Dealer von seinem letzten Taschengeld noch zwei Ecstasy-Pillen ab.
„Hast du sowas schön öfter genommen?“ fragt Simon, als die beiden auf den Bus warten und deutet auf die Hosentasche, in der Yannik die Pillen hat verschwinden lassen.
„Nee, ehrlich gesagt, noch nicht“, gibt Yannik nach kurzem Zögern zu. „Ist für mich auch eine Premiere.“
Am Abend in ihrem Zimmer fassen Yannik und Simon den Entschluss, dass sie sich die zwei Ecstasys für einen besonderen Anlass aufheben wollen, während sie das neue Gras bereits am Wochenende austesten möchten.

Nina hat eine Nachtschicht im Streifenwagen hinter sich und ist nun in den frühen Morgenstunden gemeinsam mit ihrem neuen jungen Kollegen Maik Kempe auf dem Rückweg zum Polizeirevier, als die beiden auf einem etwas uneinsichtigen Parkplatz in einem Industriegebiet - gar nicht weit von der Lindenstraße entfernt - eine sonderbare Entdeckung machen: Dort parkt in eher heruntergekommenes Wohnmobil, in dessen hinterem Fenster ein rosa-rotes Herz grell blinkt.
„Das darf jetzt aber nicht wahr sein“, sagt Nina.
„Glaubst du, dass es ist, was ich denke, dass es ist?“ fragt Maik.
„Ich denke ja“, meint Nina und die beiden steuern den Parkplatz an.
Nina klopft an die Tür des Wohnmobils, Maik hält sich ein wenig im Hintergrund. Sekunden später öffnet eine platinblondierte Frau um die 30, deren Parfumwolke im wahrsten Sinne des Wortes fast atemberaubend ist.
„Oh“, entfährt es ihr bei Ninas Anblick, dann, als sie auch Maik wahrnimmt ein weiteres „Oh“. Schließlich sagt sie mit stark osteuropäischem Akzent und rollendem R: „Dreier kostet aber extra!“
„Zöllig und Kempe, Polizei München“, stellt Nina sich und ihren Kollegen vor und bittet die Frau um ihre Papiere.
„Ich haben Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis“, erklärt die Osteuropäerin schnell und beginnt, in einer zerfledderten Mappe nach den Formularen zu suchen. Nina nimmt diese in Augenschein, nachdem die Frau sie ihr gereicht hat. Die Frau heißt Jekaterina Litwinksi und kommt aus der Ukraine. Auf den ersten Blick scheint mit den Papieren zwar alles in Ordnung zu sein, dennoch lässt Nina sie wissen, dass sie sich nicht mit einem Wohnmobil auf einen Parkplatz stellen und dort ihre Liebesdienste anbieten kann – und erst recht nicht mitten im Lockdown.
„Das ist Prostitution“, erklärt Nina. „Das ist verboten.“
„Oh nein, Arbeitserlaubnis ist echt, ist nicht gefälscht“, erklärt Jekaterina schnell.
„Trotzdem ist es verboten, hier auf so einem Parkplatz anschaffen zu gehen“, belehrt Nina die Frau. „Wenn Sie meinen, dass sie so ihr Geld verdienen müssen, dann ginge das höchstens in einem entsprechenden Etablissement. Und auch erst dann, wenn diese wieder offiziell öffnen dürfen“
„Eta... chtho?“
„Ein Puff“, erklärt Maik.
„Ein Bordell“, korrigiert Nina ihren Kollegen.
„Oh nein, nicht Bordell“, ereifert sich die Frau hastig. „Ich arbeiten samozaynyatyy... äh...selbstständig.“
Es entsteht eine ellenlange Diskussion, bei der sich Nina nicht sicher ist, ob Frau Litwinski wirklich nicht versteht, was sie von ihr will, oder ob sie sich dümmer stellt, als sie ist.
„Ich mussen Geld verdienen für Familie in Ukraine“, erklärt Jekaterina. „Mutter ist schwer krank, Vater ist in Rollstuhl seit Unfall. Kleine Schwester gehen noch zur Schule. Jüngerer Bruder arbeiten hart in Heimat und kümmern sich um Eltern und Schwester. Aber Bezahlung in Heimat ist schlecht, deshalb ich in Deutschland Geld verdienen müssen.“
„Ja, aber doch nicht so“, beginnt Nina erneut. „Haben Sie denn in der Ukraine irgendeine Ausbildung gemacht?“
„Ich begonnen Studium Zahnmedizin. Aber abgebrochen, ich keine Zeit, mussen verdienen Geld“, plappert Jekaterina weiter. „Freundin mir gunstig überlassen Love-Mobil. Ist zuruck in Heimat, hat überlassen mir zu kleine Preis. Ist besser so. Hab ich mein eigenes Eta... äh... mein eigenes Puff. Muss so nicht arbeiten für andere.“
Maik findet die Situation zunehmend spaßig, ganz im Gegensatz zu Nina. Diese erklärt der Frau, dass sie umgehend mit ihrem „Love-Mobil“ von dem Parkplatz verschwinden müsse, ansonsten würden ihr die Kollegen aus der Frühschicht später wirkliche Schwierigkeiten machen.
Kurz darauf, nach Feierabend, trinken Nina und Maik noch einen gemeinsamen Kaffee bei einem Stehimbiss.
Maik äußert sich nachdenklich darüber, dass Jekaterina in ihrer Heimat ein Zahnmedizinstudium begonnen hat, stattdessen aber nun in Deutschland anschaffen geht.
„Das ist leider traurige Realität“, bedauert Nina, „sowas kommt öfter vor, als man denkt. Aus Armut oder was weiß ich für Gründen haben die Leute da oft gar keine andere Wahl.“
„Und dann machen wir ihr das auch noch kaputt“, meint Maik nachdenklich.
„Das hat doch nichts mit kaputt machen zu tun“, findet Nina empört. „Wir sind die Polizei. Es kann doch nicht jeder lustig anschaffen oder sonst was tun, wo kämen wir denn da hin?“
Dann fragt Nina ihren neuen Kollegen neugierig darüber aus, wie es ihn eigentlich in den Polizeidienst verschlagen hat.
„Ich hatte ehrlich gesagt auch keine andere Wahl“, erklärt Maik grinsend. Dann berichtet er ihr, dass er aus einer Polizistenfamilie stammt, in der seit Generationen jeder diesen Weg einschlägt.
„Meinen Geschwistern und mir wurde schon im Kindergarten eingetrichtert, dass wir später auch mal zur Polizei gehen werden“, sagt Maik. „Für mich war das immer schon klar, weil meine Eltern das so festgelegt haben. Mir war lange Zeit eigentlich gar nicht bewusst, dass es überhaupt andere Möglichkeiten gegeben hätte. Also theoretisch. Bis ich 10 oder 11 war, habe ich allen Ernstes geglaubt, dass es normal ist, dass die Eltern vorbestimmen, welche berufliche Richtung ihre Kinder später mal einschlagen werden. Als dann Freunde sagten, sie würden später mal dies oder das werden oder sie wüssten noch nicht, was sie machen wollen, hat mich das echt irritiert. Mir war lange Zeit echt nicht klar, dass man da auch eine Wahl hat.“
„Wärst du denn lieber was anderes geworden?“ fragt Nina.
„Ich glaube, wenn meine Eltern nicht auf die Polizeikarriere bestanden hätten, dann wäre ich vielleicht Schreiner geworden“, erzählt Maik. „Oder Gärtner...“
„Im Ernst?“
„Ja, ich find diesen Prozess total spannend, wie aus Holz etwas entsteht. Und wie man mit seinen Händen sowas schafft. Aber ich find's auch klasse zu sehen, wie etwas wächst und zu blühen anfängt. Schreiner oder Gärtner. Das hätte mir wahrscheinlich beides Spaß gemacht.“
„Und Polizist macht dir keinen Spaß?“ fragt Nina.
„Ist okay“, sagt Maik und verabschiedet sich von seiner Kollegin. Er müsse nun dringend ins Bett.
Etwas später erzählt Nina Klaus und Mila am Frühstückstisch von der Frau, die sie und Maik auf dem Parkplatz kennengelernt haben. Beide hören ihr interessiert zu.
Später am Tag, nachdem Nina sich von ihrer Nachtschicht erholt hat und auf den Weg zum Supermarkt macht, begegnet sie Neyla im Treppenhaus.
„Wie geht’s dir?“ fragt Nina ein wenig unsicher.
„Jamal und ich packen. Wir ziehen nach Köln“, erzählt Neyla in unterkühlter Tonlage.
„Schön“, entgegnet Nina.
„Wir werden sehen“, erwidert Neyla.
„Neyla... ich... es tut mir leid, wie das alles gelaufen ist. Ich meine, als ich wollte nie...“
„Spar's dir, Nina, okay“, fällt Neyla ihr ins Wort. „Weißt du, eigentlich sollte ich dir sogar dankbar sein.“
„Wie meinst du das?“ will Nina wissen.
„Klaus und ich“, beginnt Neyla, „das wäre auf Dauer sowieso nicht gut gegangen. Wenn er mich jetzt nicht deinetwegen verlassen hätte, dann in zwei oder drei Jahren für eine andere. Es ist sogar gut, dass es so schnell zu Ende gegangen ist, später wäre es nur noch schwerer geworden. Weißt du, ich sollte nicht eifersüchtig auf dich sein, ich sollte viel eher Mitleid mit dir haben.“
„Wieso Mitleid?“ fragt Nina und weiß nicht so recht, was sie von Neylas Ausführungen halten soll.
„Ein Mann wie Klaus, der kann nicht treu sein“, erklärt Neyla. „Das müsstest du doch eigentlich am besten wissen, es ist doch schon mal schief gegangen mit euch beiden. Irgendwann kommt eine neue Nastya und dann verliert er wieder den Kopf. Es gibt Männer, die können einfach nicht ihr Leben lang mit einer Frau verbringen, die sind immer auf der Suche nach was Neuem, was Spannendem, was.... Prickelndem, Aufregendem, Fremdem, weil ihnen das Vertraute schnell langweilig wird. Und Klaus gehört definitiv dazu. Ich wünsche dir alles Gute. Genieße es, solange du es noch hast.“
Dann setzt Neyla ihren Weg fort und freut sich innerlich über ihren kleinen Triumph Nina gegenüber. Diese bleibt wie vom Donner gerührt zurück. Und tatsächlich gehen ihr Neylas Worte den ganzen restlichen Tag nicht mehr aus dem Kopf.
Am Abend überfällt Klaus Nina mit einer Idee. „Ich würde gerne ein Interview mit dieser Jekaterina machen“, erklärt er.
„Was? Warum denn das?“ fragt Nina entsetzt. „Ich meine, worüber willst du die denn interviewen, was soll die dir denn spannendes erzählen?“
„Na über ihr Leben in der Ukraine und warum sie nach Deutschland gekommen ist“, sagt Klaus. „Wie es zu ihrer Tätigkeit in diesem 'Love-Mobil' gekommen ist. Ist doch 'ne spannende Geschichte.“
„Tätigkeit“, murmelt Nina abfällig. Und plötzlich schießen ihr Bilder durch den Kopf: Von Nastya. Von Nastya als Prostituierte, als sie gerade nach Deutschland gekommen ist. Von Nastya und Klaus. Von Nastya und Klaus im Bett. Von Nastyas Schwangerschaft und Milas Geburt. Wie ein Film im Schnelldurchlauf ziehen all diese Bilder von Ninas innerem Auge vorbei. Und dazu hat sie ihr heutiges Gespräch mit Neyla im Ohr („Ein Mann wie Klaus, der kann nicht treu sein...“).
„Die dürfte jetzt sowieso längst weg sein von dem Parkplatz“, sagt Nina schnell.
„Sie kann ja nicht vom Erdboden verschluckt sein“, meint Klaus. „Irgendwo wird man die schon wieder ausfindig machen.“
„Ach, das ist doch Quatsch“, fährt Nina ihn schnippischer an, als sie es eigentlich will. „Ich... äh... meine, was willst du denn über die schreiben? Das interessiert doch niemanden.“
„Ach Minnie“, sagt Klaus. „Das wird sogar eine ganze Menge von Leuten interessieren. Das ist das wahre, pralle Leben. Sowas zieht immer. Da kannst du mir schon vertrauen, für sowas hab ich einen Riecher.“
Nina schluckt und plötzlich schnappt Klaus sich seine Jacke und sagt: „Weißt du was? Ich fahr jetzt mal zu dem Parkplatz und schau nach, vielleicht ist sie ja noch da.“
Und ehe Nina es sich versieht, ist Klaus schon zur Tür hinaus – und sie bleibt zurück, in ihrem Kopf wild kreisende Gedanken, Erinnerungen und Befürchtungen – und wieder Neylas Stimme, die zischt: „Ein Mann wie Klaus, der kann nicht treu sein....“

CLIFFHANGER auf: Nina Zöllig

Mitwirkende Personen
Klaus Beimer
Mila Beimer
Nina Zöllig
Sunny Zöllig
Yannik Zöllig
Simon Schildknecht
Tanja Schildknecht
Peter 'Lotti' Lottmann
Lea Starck
Neyla Bakkoush
Antonia Zenker
Ludde Mayer
Jack Aichinger
Ben Hofer
Gung Phan Kien
Alex Behrend
Vasily Sarikakis
Maik Kempe
Jekaterina Litwinski
Dealer im Park

© by „popo wolfson“, 2020

_________________
Das Leben besteht zu 10% aus dem, was dir passiert und zu 90% daraus, wie du darauf reagierst
Charles R. Swindoll


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 Betreff des Beitrags:
Verfasst: So 28. Feb 2021, 00:03 


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 Betreff des Beitrags: Re: Folge 1771 - Versöhnlichkeiten
BeitragVerfasst: So 28. Feb 2021, 10:14 
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Registriert: Mi 15. Sep 2010, 12:37
Beiträge: 10019
Klausi der Weiberheld :D Wieder eine sehr coole Folge, Popo!


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